BGH Beschluss v. - X ZR 16/11

Leitsatz

Leitsatz:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Instanzenzug: Bundespatentgericht, 3 Ni 12/09 (EU) vom

Gründe

I. Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des u. a. mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 151 004 (Streitpatents). Mit Urteil vom hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf die vor dem erhobene Klage das Streitpatent mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Patentansprüche 1 bis 11 für nichtig erklärt. Das Urteil ist den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am zugestellt worden. Dagegen hat die Beklagte durch ihre Prozessbevollmächtigten mit Telefax vom Berufung eingelegt.

Mit bei den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am eingegangener Mitteilung sind diese darauf hingewiesen worden, dass eine Begründung der Berufung innerhalb der gesetzlichen Frist nicht eingegangen ist. Am hat die Beklagte Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Berufungsbegründung beantragt und zugleich die Berufung begründet.

Die Klägerin tritt dem Wiedereinsetzungsantrag entgegen.

II. Die Berufungsbegründungsschrift ist nicht innerhalb der Monatsfrist ab Einlegung der Berufung am und daher nicht fristgemäß eingegangen (§ 111 Abs. 2 Satz 2 PatG in der Fassung vom ). Ein Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist ist innerhalb offener Berufungsbegründungsfrist nicht gestellt worden. Der Beklagten ist jedoch antragsgemäß Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist zu gewähren.

1. Der Wiedereinsetzungsantrag ist statthaft und auch sonst zulässig. Insbesondere ist die für die Antragstellung auch im Patentnichtigkeitsverfahren zugrunde zu legende Frist von einem Monat nach § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO (in der Fassung vom ) eingehalten worden (vgl. Senat, Beschluss vom X ZR 100/07, GRUR 2008, 280 Mykoplasmennachweis). Denn zwischen dem Eingang des Hinweises des Bundesgerichtshofs auf den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist bei den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am und dem Eingang des Antrags der Beklagten auf Wiedereinsetzung beim Bundesgerichtshof am liegt ein kürzerer Zeitraum.

2. Die Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist ist auch zu gewähren. Denn die Beklagte war ohne ihr Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten (§ 233 ZPO). Ein der Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten liegt nicht vor. Die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beruht auf einem Fehler der Bürokräfte der Prozessbevollmächtigten der Beklagten, welche diese nicht zu vertreten haben.

a) Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat die Beklagte unter Bezugnahme auf eidesstattliche Versicherungen ihres Prozessbevollmächtigten Patentanwalt Dr. K. und der Kanzleimitarbeiterinnen S. , R. und Re. vorgetragen:

Die Fristenverwaltung in der Kanzlei ihrer Prozessbevollmächtigten obliege Frau S. und als deren Vertreterin Frau R. . Frau S. sei seit 1971 in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Beklagten tätig und dort seit 1999 alleine unter anderem für die Führung des zentralen einheitlichen Fristenkalenders sowie die Berechnung und die Überwachung gerichtlicher Fristen zuständig. In ihren 40 Berufsjahren sei ihr kein einziges Mal ein Fehler bei der Berechnung einer gerichtlichen Frist unterlaufen. Frau R. , die mehr als 20 Jahre Berufserfahrung im Patentanwaltssekretariat habe, sei seit 2003 in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Beklagten tätig. Frau R. führe den zentralen Fristenkalender bei urlaubsoder krankheitsbedingter Abwesenheit von Frau S. , sei aber auch dann nicht befugt, gerichtliche Fristen eigenständig zu berechnen oder zu notieren. Für sie bestehe die Anweisung, sämtliche gerichtlichen Fristen von einem Sozius oder von Frau S. berechnen zu lassen und diese nur auf eine Einzelanweisung hin im zentralen Fristenkalender einzutragen. Frau R. habe bislang auch noch nie eine gerichtliche Frist ohne entsprechende Rückfrage eingetragen. Im Hinblick auf die Neuregelung der Berufungsfrist durch das Gesetz zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts vom sei Frau S. angewiesen worden, die Fristen in Nichtigkeitsverfahren, die nach Inkrafttreten des Gesetzes am eingeleitet worden seien, nur gemeinsam mit einem Sozius zu berechnen und zu notieren.

Bei der Eintragung von Fristen, bei denen das die Frist auslösende Ereignis die Versendung eines Schriftsatzes per Telefax sei, wie insbesondere auch bei Berufungsbegründungsfristen in Patentnichtigkeitsverfahren nach altem Recht, sei vorgesehen, dass die jeweils mit der Sache befasste Sekretärin Frau S. das Sendeprotokoll vorlege. Frau S. trage die Frist im Fristenbuch ein und dokumentiere die Eintragung der Frist durch Abzeichnung des Feldes "Notiert" oben rechts auf der Akte. Zusätzlich werde auch eine Vorfrist von 14 Tagen notiert. Neben der Eintragung im Fristenkalender würden die Fristen auf sogenannten Leitblättern in der Akte und auf Tischlisten durch die zuständigen Sekretariate notiert. Die Tischlisten würden von den jeweiligen Sekretariaten mit Hilfe des zentralen Fristenkalenders erstellt und dabei ein nach Sekretariat unterschiedlicher Farbpunkt im Fristenkalender an der Frist eingetragen. Daran sei allseits erkennbar, ob die Frist in der Tischliste vermerkt worden sei. Die Sekretariate seien angewiesen, die Aktenbearbeitung mit dem bearbeitenden Anwalt ausgehend von der Tischliste zu planen und dann rechtzeitig vor Fristablauf vorzulegen. Frau S. sei verpflichtet, eine Eintragung der Berufungsbegründungsfrist bei Erhalt der Mitteilung des Bundesgerichtshofs über den Zugang der Berufungsschrift nochmals zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren. Die Eintragungen in den Fristenkalender würden von den Sozien anhand einzelner Akten durch einen Vergleich mit dem Fristenkalender stichprobenartig kontrolliert.

Am sei Frau S. wegen ihres 60. Geburtstages einen Tag abwesend gewesen. Nachdem die Berufung im hiesigen Verfahren durch Telefax eingelegt worden sei, habe Frau Re. , die im Sekretariat von Patentanwalt Dr. K. mitarbeite, Frau R. die Akte vorgelegt. Frau R. habe Frau Re. mitgeteilt, dass sie die Berufungsfrist nicht streichen und die Berufungsbegründungsfrist nicht notieren wolle, weil es sich um Fristen des Nichtigkeitsberufungsverfahrens handele. Auf Anregung von Frau Re. , die erst einige Monate zuvor ihre Fachangestellten-Ausbildung abgeschlossen gehabt habe, habe Frau R. die Berufungsfrist dann doch im Kalender gestrichen und als Frist zur Berufungsbegründung (vermeintlich) entsprechend der Gesetzeslage den notiert. Frau Re. habe anschließend eine entsprechende Fristennotiz in das Aktenleitblatt eingetragen. Eine Vorfrist habe Frau R. nicht im Fristenkalender eingetragen.

Nach ihrer Rückkehr am habe Frau S. zwar die Einreichung der Berufungsschrift überprüft, nicht aber die im Kalender notierte Berufungsbegründungsfrist. Am 22. Februar habe Frau S. die am selben Tag eingegangene Bestätigung des Bundesgerichtshofs über den Faxeingang der Berufungsschrift abgestempelt, es aber erneut versäumt, die notierte Berufungsbegründungsfrist zu kontrollieren.

b) Danach fällt den Prozessbevollmächtigten der Beklagten ein eigenes Verschulden nicht zur Last.

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Rechtsanwalt oder der Patentanwalt die Berechnung einfacher und in seinem Büro geläufiger Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Angestellten überlassen. Er hat jedoch durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Unverzichtbar sind insoweit eindeutige Anweisungen an das Büropersonal, die Festlegung klarer Zuständigkeiten und die zumindest stichprobenartige Kontrolle des Personals (etwa , NJW 2003, 1815, 1816 und Beschluss vom VIII ZB 12/10 Rn. 9).

In dem hier zu entscheidenden Fall konnten sich die Prozessbevollmächtigten der Beklagten darauf verlassen, dass Frau R. bei Abwesenheit von Frau S. keine Berufungsbegründungsfrist im Terminkalender eintragen würde und Frau S. die von Frau R. eingetragene Berufungsbegründungsfrist nach ihrer Rückkehr und noch einmal anlässlich des Eingangs der Bestätigung des Bundesgerichtshofs über den Eingang der Berufung überprüfen würde, weil es nach dem glaubhaft gemachten Vorbringen der Beklagten entsprechende Anweisungen gab und Frau S. und Frau R. sich in der Vergangenheit als zuverlässige Bürokräfte erwiesen hatten. Hätten sich Frau S. und Frau R. entsprechend den Anweisungen der Prozessbevollmächtigten der Beklagten verhalten, wäre es nicht zur Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gekommen.

bb) Entgegen der Ansicht der Klägerin kann ein Organisationsverschulden der Prozessbevollmächtigten der Beklagten nicht darin gesehen werden, dass diese die für das Fristenwesen zuständige Mitarbeiterin nicht angewiesen haben, eine Vorfrist von mindestens einem Monat zu notieren.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichthofs muss in der Organisation des Fristenwesens einer Anwaltskanzlei zwar gewährleistet sein, dass außer der eigentlichen Rechtsmittelbegründungfrist auch eine Vorfrist notiert wird, mit der sichergestellt werden soll, dass dem sachbearbeitenden Rechts- oder Patentanwalt für die Fertigung der Rechtsmittelbegründung hinreichend Zeit verbleibt (, NJW 1994, 2831). Dies erfordert es jedoch in aller Regel nicht, dass die Akte dem Anwalt bereits einen Monat vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist vorgelegt wird, zumal etwa auch bei einer Vorfrist von zwei Wochen, wie sie den Anweisungen der Prozessbevollmächtigten der Beklagten im hiesigen Fall entspricht, noch hinreichend Zeit zur Erstellung der Berufungsbegründung verbleibt. Jedenfalls wäre es aber auch dann noch möglich gewesen, einen Fristverlängerungsantrag zu stellen, wenn sich die verbleibende Zeit wider Erwarten als insoweit nicht hinreichend herausgestellt hätte.

cc) Die Klägerin meint weiterhin, der Wiedereinsetzungsantrag enthalte keine Angaben dazu, dass Frau R. die Fristennotierung in gleicher Weise habe vornehmen müssen wie Frau S. . Wäre dies nämlich der Fall gewesen, hätte Frau R. nicht nur gegen die anwaltliche Weisung verstoßen, keine gerichtlichen Fristen zu bearbeiten, sondern auch gegen die anwaltliche Weisung, wie Fristen auf den Schreiben zu notieren sind. Eine fehlerhafte Fristennotierung auf einem weißen Blatt in der Akte vor der per Telefax eingereichten Berufungsschrift hätte Frau S. auffallen müssen. Es sei somit davon auszugehen, dass auch insoweit ein Organisationsverschulden vorliege, weil keine klare Anweisung für die Fristennotierung durch Frau R. existiere.

Auch in dieser Argumentation kann der Klägerin nicht gefolgt werden. Die Beklagte hat durch eidesstattliche Versicherungen von Patentanwalt Dr. K. und Frau R. glaubhaft gemacht, dass Frau R. angewiesen war, gerichtliche Fristen nur auf Einzelweisung im Fristenkalender zu notieren. Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten durften darauf vertrauen, dass Frau R. diesen Anweisungen Folge leisten würde. Sie waren deshalb nicht gehalten, Anordnungen auch für den Fall zu treffen, dass Frau R. entgegen diesen Anweisungen selbständig eine gerichtliche Frist notieren würde.

dd) Die Klägerin ist schließlich der Ansicht, dass ein weiteres Organisationsverschulden darin liege, dass nicht sichergestellt gewesen sei, dass zumindest die End- und die Vorfristen in die jeweilige Tischliste übertragen würden. Es sei auch nichts dazu vorgetragen, was Frau S. zu unternehmen habe, falls eine Übertragung in die Tischliste nicht oder nur fehlerhaft stattgefunden habe. Eine Übertragung der (falschen) Fristen in die Tischliste hätte aber bei der behaupteten Planung der Aktenbearbeitung durch das Sekretariat mit dem bearbeitenden Anwalt ausgehend von der Tischliste dazu geführt, dass die fehlerhafte Frist rechtzeitig entdeckt worden wäre.

Auch diesen Bedenken der Klägerin kann nicht gefolgt werden. Ein Organisationsverschulden liegt bereits deshalb nicht vor, weil es sich bei dem Führen von Tischlisten um eine überobligatorische Kontrollmaßnahme in der Büroorganisation der Beklagten handelt, die im Allgemeinen nicht zu einer Verschärfung der Sorgfaltspflichten des Anwalts führen kann (, NJW 1998, 2676).

Fundstelle(n):
RAAAD-89673