BSG Urteil v. - B 3 P 5/08 R

Leitsatz

Leitsatz:

Der Anspruch auf Pflegegeld setzt die uneingeschränkte Sicherstellung der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung des Pflegebedürftigen auch dann voraus, wenn das Pflegegeld hierfür allein nicht ausreicht oder der Leistungsanspruch unterhalb des Höchstbetrags liegt (hier: vertraglicher Leistungssatz von 30 % bei einem beihilfeberechtigten Versorgungsempfänger).

Instanzenzug: LSG Niedersachsen-Bremen, L 14 P 42/06 vom SG Hannover, S 29 P 85/04 vom

Gründe

I

Im Revisionsverfahren allein noch streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Pflegegeld nach der Pflegestufe I aus der privaten Pflegeversicherung für die Zeit ab .

Die 1923 geborene Klägerin ist bei der beklagten Versicherungsgesellschaft mit einem tariflichen Leistungssatz von 30% privat pflegeversichert; zu 70% ist sie als frühere Beamtin beihilfeberechtigt. Am beantragte sie die Gewährung von vertraglichen Pflegeleistungen, weil sie aufgrund körperlicher Funktionseinschränkungen sowie einer erheblichen Sehschwäche pflegebedürftig sei. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Schreiben vom und ab, nachdem zwei Gutachten der von ihr beauftragten Medicproof GmbH vom 22.5. und ergeben hatten, dass der durchschnittliche tägliche Hilfebedarf bei der Grundpflege den zeitlichen Mindestwert der Pflegestufe I von "mehr als 45 Minuten" nicht erreicht wurde. Das Sozialgericht (SG) hat die am erhobene Klage abgewiesen, nachdem ein von Amts wegen eingeholtes Gutachten vom ebenfalls zu einem solchen Ergebnis gekommen war (Urteil vom ).

In dem von der Klägerin angestrengten Berufungsverfahren hat das Landessozialgericht (LSG) nach § 109 SGG ein weiteres Gutachten vom eingeholt, ausweislich dessen nunmehr ein für die Pflegestufe I ausreichender Grundpflegebedarf von 61 Minuten vorliegt; die Folgen eines am erlittenen Sturzes sowie die Zunahme der Sehschwäche hatten zu einer deutlichen Erhöhung des Pflegebedarfs geführt. Ein daraufhin von der Beklagten in Auftrag gegebenes weiteres Medicproof-Gutachten vom gelangte mit einem Grundpflegebedarf von 53 Minuten zu einem ähnlichen Ergebnis. Daraufhin bot die Beklagte der Klägerin an, ab die tariflich vereinbarten Leistungen der Pflegestufe I bei Inanspruchnahme eines professionellen Pflegedienstes zu erbringen. Die Zahlung von Pflegegeld scheide hingegen aus, solange - wie in diesen Gutachten festgestellt - die Pflegesituation deutlich defizitär sei, weil die allein lebende Klägerin bei der Grundpflege auf jede Hilfe verzichte und nur eine Haushaltshilfe beschäftige, die zudem nicht, wie erforderlich, jeden Tag ins Haus komme. Zu einer Einigung der Beteiligten kam es nicht. Die Klägerin konkretisierte ihr Klagebegehren auf die Zahlung von Pflegegeld und teilte mit Schriftsatz vom mit, sie werde ab sofort von einer privaten Pflegeperson (Frau U. R. aus B.) betreut und gepflegt.

Das LSG hat die erstinstanzliche Entscheidung im schriftlichen Verfahren (§ 153 Abs 1 iVm § 124 Abs 2 SGG) geändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab Pflegegeld der Pflegestufe I in Höhe der Tarifleistung von 30%, also monatlich 61,50 Euro zu zahlen; hinsichtlich des Zeitraums vom bis zum hat es die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom ). Zur Begründung hat es ausgeführt, der tägliche Grundpflegebedarf belaufe sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zwar schon seit dem auf "mehr als 45 Minuten", sodass die zeitlichen Voraussetzungen der Pflegestufe I ab diesem Zeitpunkt erreicht gewesen seien. Der Anspruch auf Pflegegeld bestehe indes erst ab , weil die Pflege vor diesem Zeitpunkt defizitär gewesen sei. Es sei davon auszugehen, dass die Klägerin mit der Beauftragung der Pflegeperson die erforderliche Pflege erst ab sichergestellt habe. Dies künftig zu kontrollieren, sei eine Angelegenheit der Beklagten.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das LSG habe der Klage zu Unrecht teilweise stattgegeben. Es hätte die Berufung der Klägerin gegen das die Klage abweisende erstinstanzliche Urteil insgesamt zurückweisen müssen, weil die Pflege auch seit dem nicht sichergestellt gewesen sei, wie sich aus dem von ihr eingeholten weiteren Medicproof-Gutachten vom ergebe. Frau R. sei ganz überwiegend nicht täglich, sondern nur sporadisch bei der Klägerin erschienen, sei dabei in erster Linie mit der hauswirtschaftlichen Versorgung, weniger aber mit Maßnahmen der Grundpflege beschäftigt gewesen und zudem ab überhaupt nicht mehr für die Klägerin tätig. Seitdem versorge sich die Klägerin wieder allein.

Des Weiteren - so die Beklagte - beruhe das angefochtene Urteil auf Verfahrensfehlern. Das LSG habe den Urteilstenor am auf der Grundlage des neuen Klagevorbringens vom beschlossen; dies sei rechtswidrig erfolgt. Das LSG habe ihr diesen Schriftsatz der Klägerin erst am zur Kenntnis zugeleitet, aber keine Möglichkeit gegeben, zu dem neuen Vorbringen Stellung zu nehmen. Dies verstoße gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG). Außerdem hätte das LSG prüfen müssen, ob das neue Vorbringen der Klägerin zutrifft und die Pflege nunmehr tatsächlich sichergestellt gewesen sei. Das Gericht habe nicht davon ausgehen dürfen, dass die Sicherstellung der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung ab unstreitig und unzweifelhaft sei, zumal sie - die Beklagte - schon mit Schriftsatz vom , also weit vor der Unterzeichnung des vollständig abgefassten Urteils Anfang April 2008, mitgeteilt habe, die schlichte Benennung einer Pflegeperson reiche insoweit nicht aus, und deshalb sei am eine neue Begutachtung durch die Medicproof GmbH veranlasst worden. Dieser Sachvortrag hätte das LSG bewegen müssen, seine Beschlussfassung über den Urteilstenor vom aufzuheben. Der Verzicht des LSG auf Ermittlungen verstoße zudem gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG). Im Übrigen sei mit der Berücksichtigung des neuen Vorbringens der Klägerin vom ihre - der Beklagten - Zustimmung vom zur beabsichtigten Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 153 Abs 1 iVm § 124 Abs 2 SGG) verbraucht gewesen. Das LSG hätte deshalb nicht ohne mündliche Verhandlung entscheiden dürfen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom zu ändern und die Berufung der Klägerin gegen das insgesamt zurückzuweisen.

Die Klägerin hat ihre - die Zeit vor dem betreffende - Revision mit Schriftsatz vom zurückgenommen. Sie verteidigt das angefochtene Urteil im Übrigen, bestreitet die behaupteten Pflegedefizite und beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision der Beklagten ist begründet, als das angefochtene Urteil hinsichtlich der Zeit ab aufzuheben und der Rechtsstreit insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen war (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Zutreffend hat die Beklagte einen Verstoß des LSG gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) gerügt. Denn das LSG hat seine Entscheidung auf einen Schriftsatzvortrag der Klägerin gestützt, von dem die Beklagte erst am , dem Tag vor der Beschlussfassung über den Urteilstenor, Kenntnis erlangt hat und zu dem sie sich nicht mehr hat äußern können. Zudem hätte das LSG prüfen müssen, ob das neue Vorbringen der Klägerin zutrifft und die Pflege nunmehr tatsächlich sichergestellt ist. Dieser Verzicht des LSG auf eigene Ermittlungen verstößt gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG). Hinsichtlich der Zeit bis zum ist das Berufungsurteil rechtskräftig, weil die Klägerin ihre selbstständig eingelegte, den Zeitraum vom bis betreffende Revision zurückgenommen hat.

1. Die Rechtsbeziehungen der Klägerin zur Beklagten beurteilen sich nach dem zwischen ihnen vereinbarten Vertrag über eine private Pflegeversicherung zu den Bedingungen, die sich aus dem - auch den privaten Krankenversicherungsschutz betreffenden - Versicherungsschein vom ergeben. Grundlage dieses Versicherungsverhältnisses sind die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) mit dem im Jahre 2002 noch maßgebenden Bedingungsteil für die private Pflegeversicherung aus dem Jahre 1996 (MB/PPV 1996) sowie der Tarif PV mit der Tarifstufe PVB, die für Versicherte mit Anspruch auf Beihilfe oder Heilfürsorge bei Pflegebedürftigkeit vorgesehen ist. Da die Klägerin als ehemalige Beamtin einen Beihilfesatz von 70% beanspruchen kann, belaufen sich ihre Tarifleistungen aus der privaten Pflegeversicherung auf 30% der Tarifstufe PVN. Diese Tarifstufe gilt grundsätzlich für private Versicherte und entspricht in ihrer Höhe exakt den für Versicherte der sozialen Pflegeversicherung (§§ 36 ff SGB XI) geltenden Leistungen. Das monatliche Pflegegeld der Pflegestufe I, um das es hier geht, betrug nach § 37 Abs 1 Satz 3 SGB XI in der Fassung des 8. Euro-Einführungsgesetzes vom (BGBl I 2702), die bis zum galt, 205 Euro. Diesen Betrag sah auch die Tarifstufe PVN bei einem Leistungssatz von 100% bis zum vor. Demgemäß belief sich das Pflegegeld der Pflegestufe I nach der Tarifstufe PVB im Falle der Klägerin (Nr 3: Beamte im Ruhestand) auf einen Anteil von 30%, was einem monatlichen Betrag von 61,50 Euro entspricht.

Nach § 37 Abs 1 Satz 3 SGB XI in der ab geltenden Fassung des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes vom (BGBl I 874) steigt das monatliche Pflegegeld der Pflegestufe I ab auf 215 Euro, ab auf 225 Euro und ab auf 235 Euro. Die entsprechenden Anpassungen sind auch in den Tarifstufen PVN und PVB für die private Pflegeversicherung vorgesehen. Die Klägerin könnte daher bei einem Leistungssatz von 30% ab 64,50 Euro, ab 67,50 Euro und ab 70,50 Euro beanspruchen, sofern sie alle vertraglichen Anspruchsvoraussetzungen für das Pflegegeld erfüllt. Ob dies für die allein noch streitige Zeit ab der Fall ist, hat das LSG im erneut durchzuführenden Berufungsverfahren zu ermitteln.

2. Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin auf Pflegegeld der Pflegestufe I ab ist § 178b Abs 4 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) in seiner bis zum geltenden Fassung (aF) durch Art 2 des Gesetzes vom (BGBl I 1630) sowie der Pflegeversicherungsvertrag gemäß Versicherungsschein vom mit dem Bedingungsteil MB/PPV 1996 der AVB in Verbindung mit der Tarifstufe PVB Nr 3 (30% bei Beamten im Ruhestand). Das VVG in seiner zum in Kraft getretenen Neufassung vom (BGBl I 2631) ist gemäß Art 1 Abs 2 des Einführungsgesetzes zum VVG (EGVVG) hier nicht anwendbar, weil der "Versicherungsfall" - die Pflegebedürftigkeit nach der Pflegestufe I - nach den insoweit nicht angefochtenen und für den erkennenden Senat daher bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG zum eingetreten ist und es damit um einen Anspruch aus einem sog "Altvertrag" geht (vgl Art 1 Abs 1 EGVVG).

a) Die Klägerin erfüllt die zeitlichen Voraussetzungen der Pflegestufe I. Gemäß § 1 Abs 6a iVm Abs 8a und Abs 5 MB/PPV 1996 setzt die Zuordnung eines/einer Versicherten der privaten Pflegeversicherung (sog Pflegekrankenversicherung, § 178b Abs 4 VVG aF) zur Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) voraus, dass er/sie bei der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt. Dabei gehören zum Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren und die Darm- und Blasenentleerung. Zum Bereich der Ernährung zählen das mundgerechte Zubereiten und die Aufnahme der Nahrung. Zum Bereich der Mobilität gehören das selbstständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen sowie das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung. Zusätzlich wird vorausgesetzt, dass der Zeitaufwand, den eine nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, täglich im Wochendurchschnitt 90 Minuten beträgt, wobei auf die Grundpflege "mehr als 45 Minuten" entfallen müssen. Diese vertraglichen Voraussetzungen entsprechen den gesetzlichen Regelungen in den §§ 14 und 15 SGB XI und erfüllen daher das für die Feststellung der Pflegebedürftigkeit und die Zuordnung zu einer Pflegestufe geltende Gebot der Maßstabidentität nach § 23 Abs 6 Nr 1 SGB XI. Nach den Feststellungen des LSG beläuft sich der Hilfebedarf der Klägerin bei der Grundpflege zumindest ab auf täglich "mehr als 45 Minuten" und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung auf wenigstens 45 Minuten, sodass die zeitlichen Voraussetzungen der Pflegestufe I im hier noch streitigen Zeitraum ab erfüllt sind.

b) Zutreffend hat das LSG entschieden, dass es für die Gewährung der Pflegeleistungen ab keines neuen Antrages der Klägerin bedurfte. Ihr Antrag vom war durch die Entscheidung der Beklagten, die begehrte Leistung abzulehnen (Schreiben vom und ), nicht verbraucht. Da es sich bei den Leistungen der Pflegeversicherung nach den §§ 36 bis 38 SGB XI, also den Pflegesachleistungen und dem Pflegegeld, bzw bei den entsprechenden Leistungen gemäß § 4 A Abs 1 und 2 MB/PPV 1996 um Dauerleistungen handelt, wirkt der einmal gestellte Antrag auch nach Ablehnung der Leistung fort, sofern - wie hier in der seinerzeit noch geltenden Sechsmonatsfrist nach § 12 Abs 3 VVG aF geschehen - die Ablehnungsentscheidung rechtzeitig angefochten worden ist und das gerichtliche Verfahren über das Leistungsbegehren andauert (BSG SozR 4-3300 § 23 Nr 2). Daher konnte die Frage offengelassen werden, ob in dem Berufen der Klägerin auf das nach § 109 SGG eingeholte Gutachten vom , das erstmals einen der Pflegestufe I entsprechenden Pflegebedarf bestätigt hatte, auch ein neuer Leistungsantrag zu sehen ist.

c) Ungeachtet der nicht mehr streitigen zeitlichen Voraussetzungen der Pflegestufe I bedarf es weiterer Feststellungen des LSG, ob die Klägerin für die Zeit ab einen Anspruch auf Pflegegeld hat. Nach § 4 A Abs 2 Satz 2 MB/PPV 1996, der inhaltlich der für die soziale Pflegeversicherung geltenden Regelung des § 37 Abs 1 Satz 2 SGB XI entspricht, setzt der Anspruch nämlich voraus, "dass der Pflegebedürftige mit dem Pflegegeld dessen Umfang entsprechend die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung in geeigneter Weise selbst sicherstellt". Danach ist die Zahlung des Pflegegeldes davon abhängig, dass der Pflegebedürftige die von ihm benötigten Hilfeleistungen für die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung in Eigenverantwortung und Selbstbestimmung, jedoch ohne Inanspruchnahme von Pflegesachleistungen (§ 36 SGB XI), durch geeignete Maßnahmen selbst sicherstellt (Linke in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, Stand September 2008, § 37 SGB XI RdNr 11). Dabei bedeutet die dem Begriff Pflegegeld angefügte Wendung "dessen Umfang entsprechend" lediglich eine Anknüpfung an die von der jeweiligen Pflegestufe abhängige unterschiedliche Höhe des monatlichen Pflegegeldes (§ 37 Abs 1 SGB XI) und ist deshalb so auszulegen, dass der Pflegebedürftige "die seiner Pflegestufe entsprechend" erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung mit dem gezahlten Pflegegeld in geeigneter Weise selbst sicherzustellen hat (Udsching, SGB XI, 2. Aufl 2000, § 37 RdNr 7; Linke, aaO, § 37 RdNr 10). Hingegen bedeutet diese Wendung nicht, dass der Pflegebedürftige nur verpflichtet sei, sich Pflegemaßnahmen in einem Umfang zu beschaffen, die mit dem gezahlten Pflegegeld üblicherweise zu erlangen sind, was hier einem monatlichen Einsatz von 61,50 Euro entsprechen würde. Es ist also nicht so, dass keine weitergehende Pflege in ausreichendem Maße mehr erforderlich wäre, sobald das knapp bemessene Pflegegeld aufgezehrt ist (Udsching, aaO, § 37 RdNr 7; Linke, aaO, § 37 RdNr 10). Gegen die Auffassung, es könne nach § 37 Abs 1 Satz 2 SGB XI nicht mehr als der Einsatz des Pflegegeldes verlangt werden, spricht der Umstand, dass die Pflegeversicherung nur eine Grundsicherung darstellt und der Pflegebedürftige seinen über das gezahlte Pflegegeld hinausgehenden Bedarf ggf aus eigenen Mitteln decken muss. Die Regelung des § 37 Abs 1 Satz 2 SGB XI dient ersichtlich der sozialen Sicherung des Pflegebedürftigen, dessen ausreichende Pflege die Wahl des Pflegegeldes nicht gefährden darf (BSGE 91, 174 = SozR 4-3300 § 37 Nr 1; Linke, aaO, § 37 RdNr 10). Dementsprechend muss der Pflegebedürftige das bei Fehlen fremder Hilfe drohende Defizit in der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung durch Hilfeleistungen einer Pflegeperson (oder mehrerer Pflegepersonen), zB eines Angehörigen, Freundes oder Nachbarn, oder auch durch privat abgerechnete Leistungen eines professionellen Pflegedienstes (Leitherer in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand Januar 2009, § 37 SGB XI RdNr 27), kontinuierlich und vollständig selbst ausgleichen, und zwar unter Einsatz des Pflegegeldes und, wenn dies nicht ausreicht, ggf auch durch zusätzlichen Einsatz sonstiger Einkünfte bzw seines Vermögens einschließlich etwaiger Leistungen der Sozialhilfe (Linke, aaO, § 37 RdNr 10; aA Leitherer, aaO, § 37 SGB XI, RdNr 15, 26 und 27, der vom Pflegebedürftigen nur den Einsatz des Pflegegeldes verlangt). Dies gilt auch für beihilfeberechtigte Versicherte, die auf eine Kombination von Beihilfeleistungen (hier: 70%) und ergänzendem Pflegegeld (hier: 30%) zurückgreifen können. Nach dem Willen des Gesetzgebers darf Pflegegeld nur gezahlt werden, wenn die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung insgesamt "sichergestellt" sind (BT-Drucks 12/5262 S 112). Wenn also die erforderliche Pflege nur unzureichend oder gar nicht durchgeführt wird und daher nicht "sichergestellt" ist, besteht ein Anspruch auf Pflegegeld auch dann nicht, wenn die Pflegebedürftigkeit selbst festgestellt ist (Udsching, aaO, § 37 RdNr 7; Mühlenbruch in Hauck/Wilde SGB XI, Stand Mai 2007, § 37 RdNr 9). Nach den Feststellungen des LSG war hier für die Zeit vor dem von einer defizitären Pflegesituation auszugehen.

d) Nach den tatsächlichen Feststellungen in den Gutachten vom 18.5. und wurde die Grundpflege nicht dem konkreten Bedarf der Klägerin entsprechend durchgeführt. Die Klägerin verfügte nur über eine - zudem nicht einmal täglich erscheinende - Haushaltshilfe (Putzhilfe), nicht jedoch über eine Pflegeperson, die sie bei den Verrichtungen der Grundpflege unterstützte. Vielmehr erledigte sie die Maßnahmen der Grundpflege bis zum trotz ihrer körperlichen Funktionseinschränkungen und ihrer fortschreitenden Sehschwäche allein, was nach den Feststellungen des LSG schon zu deutlichen Pflegedefiziten geführt hatte. Hinsichtlich der - hier allein noch streitigen - Zeit ab bedarf es somit weiterer Ermittlungen des LSG, ob die erforderlichen Maßnahmen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung, die von der Klägerin nicht oder nur unzureichend erledigt werden konnten, tatsächlich durchgeführt worden sind und in der Gegenwart auch durchgeführt werden. Das LSG hat die Sicherstellung der Pflege ab zwar angenommen und dies mit der von der Klägerin am gleichen Tag mitgeteilten Aufnahme der Pflegetätigkeit durch Frau R. begründet. Diese Feststellung des LSG ist jedoch verfahrensfehlerhaft zustande gekommen.

3. Das angefochtene Urteil beruht auf Verstößen des LSG gegen Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG einerseits und § 103 SGG andererseits.

a) Es liegt ein Verstoß gegen den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) vor. Das LSG hat den Schriftsatz der Klägerin vom , der die für die Entscheidungsfindung des Berufungsgerichts maßgebliche Mitteilung enthielt, der Beklagten erst am zugeleitet, also einen Tag vor der Beschlussfassung im schriftlichen Verfahren über den Urteilstenor (§ 153 Abs 1 iVm § 124 Abs 2 SGG), und dies auch nur zur Kenntnis und nicht zur Stellungnahme. Die Beklagte hätte Gelegenheit erhalten müssen, zu dem neuen Vorbringen in angemessener Frist Stellung zu nehmen, bevor über die Berufung der Klägerin abschließend entschieden wurde.

b) Ferner liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz der Amtsermittlung (§ 103 SGG) vor. Das LSG hätte prüfen müssen, ob das neue Vorbringen der Klägerin zutrifft und die Pflege nunmehr tatsächlich sichergestellt war, weil dieser Punkt zwischen den Beteiligten nicht unstreitig war. Im Gegenteil: Die Beklagte hatte mit Schriftsatz vom ausgeführt, die schlichte Benennung einer Pflegeperson reiche nicht aus und deshalb sei schon am eine neue Begutachtung durch die Medicproof GmbH veranlasst worden. Daraus war zu entnehmen, das die geltend gemachte Sicherstellung der Pflege von der Beklagten - jedenfalls einstweilen und bis zu einer etwaigen Bestätigung der Sicherstellung der Pflege durch das neue Gutachten - bestritten wurde. Dieses Vorbringen der Beklagten ist zwar erst am und damit nach der Beschlussfassung über den Urteilstenor vom beim LSG eingegangen, musste aber bei der Entscheidungsfindung mitberücksichtigt werden, weil das schriftlich abgefasste Urteil noch nicht zur Geschäftsstelle gelangt war. Dies war erst Anfang April 2008 der Fall. Das LSG hätte die abschließende Stellungnahme der Beklagten abwarten und dann über das weitere Vorgehen neu entscheiden müssen. Nur wenn das neue Medicproof-Gutachten die Sicherstellung der Pflege bestätigt hätte, wäre eine abschließende Entscheidung des Rechtsstreits zugunsten der Klägerin möglich gewesen.

c) Im Übrigen war mit der Einreichung des neues Vorbringen enthaltenden Schriftsatzes der Klägerin vom die Zustimmung der Beklagten vom zur beabsichtigten Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 153 Abs 1 iVm § 124 Abs 2 SGG) verbraucht (vgl Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 124 RdNr 3e). Das LSG hätte daher nicht ohne mündliche Verhandlung entscheiden dürfen. Dieser Verfahrensmangel war jedoch revisionsrechtlich unbeachtlich, weil die entsprechende Verfahrensrüge erst mit Schriftsatz vom und damit nach Ablauf der bis zum reichenden Revisionsbegründungsfrist erhoben worden ist.

4. Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Fundstelle(n):
UAAAD-42451