BGH Beschluss v. - V ZB 45/09

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: GG Art. 101 Abs. 1; ZVG § 79; ZVG § 85a Abs. 1; ZPO § 568; ZPO § 765a

Instanzenzug: AG Darmstadt, 61 K 155/05 vom LG Darmstadt, 23 T 131/08 vom

Gründe

I.

Die Beteiligte zu 1 betreibt die Zwangsversteigerung der hälftigen Miteigentumsanteile der Beteiligten zu 3 (Schuldnerin) und des Beteiligten zu 2 an dem im Eingang dieses Beschlusses bezeichneten Grundstück. Der Wert des Miteigentumsanteils der Schuldnerin ist auf 179.750 EUR festgesetzt worden.

In einem ersten Versteigerungstermin, in dem ein Gesamtausgebot der Miteigentumsanteile erfolgte, wurde ein Gebot abgegeben; der Zuschlag wurde gemäß § 85a Abs. 1 ZVG versagt.

Zu Beginn des zweiten Termins am teilte das Vollstreckungsgericht mit, dass die Beteiligte zu 1 mit Schreiben vom selben Tag die einstweilige Einstellung des in Bezug auf den Miteigentumsanteil des Beteiligten zu 2 betriebenen Verfahrens bewilligt habe, und dass der Versteigerungstermin insoweit aufgehoben sei. Hinsichtlich des Miteigentumsanteils der Schuldnerin fand die Versteigerung statt. Meistbietender war der Beteiligte zu 2 mit einem Gebot von 10.000 EUR.

Mit Beschluss vom hat das Vollstreckungsgericht den Miteigentumsanteil der Schuldnerin unter Zurückweisung von deren Vollstreckungsschutzantrag dem Beteiligten zu 2 zugeschlagen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Schuldnerin ist von dem Landgericht - Einzelrichterin - zurückgewiesen worden.

Mit der von dem Landgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt die Schuldnerin weiterhin die Zuschlagsversagung. Die Beteiligte zu 1 beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.

II.

Das Beschwerdegericht meint, die Wertgrenze des § 85a Abs. 1 ZVG habe in dem zweiten Versteigerungstermin nicht mehr gegolten. Auf den Einwand der Schuldnerin, das Gebot in dem ersten Termin sei rechtsmissbräuchlich gewesen, komme es nicht an, weil sie den damaligen Zuschlagsversagungsbeschluss nicht angefochten habe. Da die Wertgrenzen der §§ 74a und 85a ZVG entfallen seien, liege auch keine Verschleuderung des Grundbesitzes im Sinne von § 765a ZPO vor. Hinzukomme, dass sich für die Schuldnerin bei einem höheren Gebot nichts geändert hätte, da sie für die Forderung, wegen derer die Vollstreckung betrieben werde, nur dinglich, nicht aber mit ihrem persönlichen Vermögen hafte.

III.

Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen (§ 575 ZPO) zulässige Rechtsbeschwerde ist schon deshalb begründet, weil die angefochtene Entscheidung unter Verstoß gegen den Verfassungsgrundsatz des gesetzlichen Richters ergangen ist. Die Einzelrichterin durfte nicht selber entscheiden, sondern hätte das Verfahren wegen der von ihr im Rahmen der Zulassung der Rechtsbeschwerde angenommenen Bedeutung der Sache gemäß § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO der mit drei Richtern besetzten Kammer übertragen müssen. Dem steht nicht entgegen, dass die Zulassung der Rechtsbeschwerde auf § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO gestützt worden, also zur Fortbildung des Rechts bzw. zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfolgt ist. Der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung in § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO ist im weitesten Sinne zu verstehen; der Kollegialspruchkörper ist auch dann zur Entscheidung berufen, wenn die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (, NJW 2003, 3712; Beschl. v. , II ZB 14/02, NJW 2004, 448, 449).

Der von Amts wegen zu beachtende Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG führt, wie der Bundesgerichtshof wiederholt entschieden hat, zur Aufhebung der Entscheidung des Einzelrichters (BGHZ 154, 200, 202 ; , NJW-RR 2006, 286, 287 m.w.N.). Das gilt unabhängig davon, ob ein Grund, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, tatsächlich gegeben war (vgl. , NJW-RR 2004, 1717).

IV.

Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

1.

Entgegen der in der angefochtenen Entscheidung vertretenen Auffassung ist der mit der Zuschlagsbeschwerde erhobene Einwand, das in dem ersten Versteigerungstermin abgegebene Gebot sei rechtsmissbräuchlich gewesen (vgl. Senat, BGHZ 172, 218; 177, 334),nicht deshalb unbeachtlich, weil die Schuldnerin den Zuschlagsversagungsbeschluss nicht angefochten hat und dieser daher rechtskräftig geworden ist.

Bei der Beschlussfassung über den Zuschlag ist das Vollstreckungsgericht nach § 79 ZVG an eine im Verlauf des Verfahrens zuvor getroffene Entscheidung auch dann nicht gebunden, wenn diese nach § 95 ZVG anfechtbar war, aber nicht angefochten worden ist (Senat, BGHZ 169, 305). Nichts anderes gilt für die nach §§ 96 ff. ZVG, 567 ff. ZPO anfechtbare Entscheidung über die Versagung des Zuschlags. Denn auch sie wirkt nach § 86 ZVG grundsätzlich wie eine einstweilige Einstellung oder wie die Aufhebung des Verfahrens; wegen der Rechtsfolgen des § 85a Abs. 2 Satz 2 ZVG bleibt ihre Rechtmäßigkeit für die erneute Beschlussfassung über den Zuschlag auch dann von Bedeutung, wenn das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt worden ist. Ihre Anfechtbarkeit steht einer Überprüfung nach § 79 ZVG daher ebenso wenig entgegen wie in den Fällen des § 95 ZVG (Senat, BGHZ 172, 218, 236).

Es kommt auch nicht darauf an, ob und inwieweit sich das Vollstreckungsgericht in seinem Beschluss über die Versagung des Zuschlags auf das in dem ersten Termin abgegebene Gebot mit der Wirksamkeit dieses Gebots befasst hat. Durch die Regelung in § 79 ZVG soll das Gericht in die Lage versetzt werden, bei der Entscheidung über den Zuschlag das gesamte bisherige Versteigerungsverfahren neu und unabhängig von ablehnenden Entscheidungen, die es selbst erlassen hat, zu würdigen. Hiervon ausgenommen sind nur die mit einem eigenen Rechtsmittelzug ausgestatteten Verfahren der Verkehrswertfestsetzung (§ 74a Abs. 5 ZVG), der einstweiligen Einstellung gemäß §§ 30a-30f ZVG und des Vollstreckungsschutzes nach § 765a ZPO. Alle übrigen Vorabentscheidungen, die das Vollstreckungsgericht getroffen hat und die von der Rechtsmittelinstanz nicht überprüft worden sind, entfalten demgegenüber bei der Entscheidung über den Zuschlag und über eine dagegen gerichtete Beschwerde keine Bindungswirkung (Senat, BGHZ 169, 305, 307); das gilt unabhängig davon, welche Einwände das Vollstreckungsgericht bei seinen früheren Entscheidungen erwogen und berücksichtigt hatte.

2.

Ob das in dem ersten Versteigerungstermin abgegebene Gebot ausschließlich dazu diente, die Wertgrenze des § 85a Abs. 1 ZVG zu Gunsten der Gläubigerin und zu Lasten der Schuldnerin zu Fall zu bringen und daher rechtmissbräuchlich war (vgl. Senat, BGHZ 177, 334), kann offen bleiben, wenn der Schuldnerin gemäß § 765a ZPO wegen sittenwidriger Verschleuderung des Grundbesitzes Vollstreckungsschutz durch Versagung des Zuschlags (dazu Stöber, ZVG, 19. Aufl., Einl. Anm. 58.3 und § 83 Anm. 4.1 l) zu gewähren war. Dies drängt sich hier geradezu auf.

a)

Die Voraussetzungen einer sittenwidrigen Verschleuderung - ein krasses Missverhältnis von Grundstückswert und Meistgebot sowie das Vorliegen konkreter Umstände, die mit Wahrscheinlichkeit ein wesentlich höheres Gebot in einem Fortsetzungstermin erwarten lassen (vgl. IXa ZB 21/03, NJW-RR 2003, 1648, 1649) - lagen bei der Entscheidung über den Zuschlag vor.

Ein Gebot, welches unter 6 % des Verkehrswerts liegt, steht zu diesem in einem krassen Missverhältnis. Für die Annahme, ein neuer Termin könne zu einer besseren Verwertung des Grundbesitzes führen, spricht die in tatsächlicher Hinsicht bislang unzureichende Ansprache von Bietinteressenten. Nachdem es in dem ersten Termin ein Gesamtausgebot gegeben hatte, das Grundstück also als Ganzes zu ersteigern gewesen wäre, konnten Interessenten annehmen, dass es sich in dem zweiten Termin ebenso verhalten würde. Dass die Gläubigerin unmittelbar vor diesem Termin die Einstellung (nur) des den Miteigentumsanteil des Beteiligten zu 2 betreffenden Verfahrens bewilligen würde, war nicht abzusehen. Potentiellen Bietern stand damit kein angemessener Zeitraum zur Verfügung, um auf die veränderte Situation zu reagieren, insbesondere zu erwägen, ob und unter welchen Voraussetzungen sie bereit waren, (nur) den hälftigen Miteigentumsanteil der Schuldnerin zu ersteigern. Vor diesem Hintergrund dürfte in einem neuen Termin mit wesentlich höheren Geboten zu rechnen sein.

b)

Die in der angefochtenen Entscheidung vertretene Auffassung, eine sittenwidrige Verschleuderung des Grundbesitzes der Schuldnerin sei schon deshalb nicht gegeben, weil die Wertgrenzen des § 85a ZPO Abs. 1 ZVG und des § 74a Abs. 1 ZVG entfallen gewesen seien, ist nicht haltbar. Der Wegfall der Wertgrenzen führt nicht dazu, dass ein Zuschlag auf jegliches, und sei es noch so niedriges, Gebot erteilt werden kann. Stets bleibt zu prüfen, ob eine sittenwidrige Verschleuderung des Grundstücks droht (vgl. IXa ZB 27/04, WM 2005, 136, 138; Stöber, ZVG, 19. Aufl., Einleitung Anm. 55.3; Dassler/Schiffhauer/Hintzen/Engels/Rellermeyer, ZVG, 13. Aufl., § 83 Rdn. 25). Besteht ein krasses Missverhältnis zwischen dem festgesetzten Verkehrswert und dem Meistgebot und liegen konkrete Umstände vor, die mit Wahrscheinlichkeit ein wesentlich höheres Gebot in einem Fortsetzungstermin erwarten lassen, muss der beantragte Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO gewährt werden (vgl. IXa ZB 21/03, NJW-RR 2003, 1648, 1649).

c)

Dass dem Grundbesitz der Schuldnerin keine Verschleuderung im Sinne des § 765a ZPO drohe, lässt sich auch nicht auf die Erwägung stützen, die Schuldnerin hafte für die Forderung, wegen derer die Zwangsversteigerung betrieben werde, nicht persönlich, so dass ein ungünstiges Versteigerungsergebnis nicht zu einer Restforderung der Gläubigerin führe. Diese Überlegungen sind schon im Ansatz nicht geeignet, eine sittenwidrige Verschleuderung zu verneinen. Die Vollstreckungsgerichte sind nämlich weder in der Lage, die schuldrechtlichen Verpflichtungen zu überblicken, welche mit dem dinglichen Recht, aus dem die Versteigerung betrieben wird, verknüpft sind, noch sind sie dazu berufen zu beurteilen, wie sich die Zwangsversteigerung auf diese Verpflichtungen auswirken wird.

V.

Eine Kostenentscheidung wird im neuen Beschwerdeverfahren nicht veranlasst sein, da sich die Beteiligten bei einer Zuschlagsbeschwerde in der Regel nicht als Parteien im Sinne des §§ 91 ff. ZPO gegenüberstehen (Senat, BGHZ 170, 378, 381 Rdn. 7).

Der Gegenstandswert ist gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG nach dem Wert des Zuschlags zu bestimmen; er entspricht dem Meistgebot des Erstehers (§ 54 Abs. 2 Satz 1 GKG). Der Wert der anwaltlichen Tätigkeit des Bevollmächtigten der Beteiligten zu 3 bemisst sich gemäß § 26 Nr. 2 RVG nach dem Wert des Gegenstandes der Zwangsversteigerung. Diesen hat das Vollstreckungsgericht - bezogen auf den halben Miteigentumsanteil der Schuldnerin - auf 179.750 EUR festgesetzt.

Fundstelle(n):
DAAAD-28043

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