BFH Beschluss v. - I R 60/04

Entscheidung im Beschlussweg bei Aufhebung des FG-Urteils wegen unzulässiger statt für unbegründeter Klage

Gesetze: FGO § 126a; FGO § 44; FGO § 45; FGO § 46

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf), ,

Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist rechtskräftig

Gründe

I. Die Klägerinnen und Revisionsklägerinnen zu 1. bis 7. (Klägerinnen) waren Gesellschafterinnen einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (Z). Sie streiten mit dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) darüber, ob und ggf. welche Konsequenzen aus dem Senatsurteil vom I R 37/98 (BFH/NV 2000, 347; vgl. auch das Parallelurteil vom selben Tage I R 43/97, BFHE 189, 518, BStBl II 2000, 695) zu ziehen sind. Streitgegenstand dieses Urteils war der Gewerbesteuermessbetrag 1990 der Klägerin zu 1. Der Senat hatte danach entschieden, die Organgesellschaft Z sei nicht einem in der Rechtsform einer GbR zwischengeschalteten Konsortium, sondern unmittelbar den Unternehmen der Gesellschafter des Konsortiums, also auch dem Unternehmen der Klägerin zu 1., eingegliedert. Deshalb seien die aufgelaufenen Gewerbeverluste den Gesellschaftern des Konsortiums anteilig zuzurechnen. Das habe in entsprechender Anwendung des § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a der Abgabenordnung im Rahmen einer einheitlichen und gesonderten Feststellung zu geschehen, um die einheitliche Rechtsanwendung sicherzustellen und um das Verfahren zu vereinfachen. Das FA hat dem für das seinerzeitige Streitjahr 1990 entsprochen.

Für die Folgejahre 1991 bis 1998 (Streitjahre) war das FA jedoch der Ansicht, das Senatsurteil in BFH/NV 2000, 347 sei infolge zwischenzeitlicher Gesetzesänderung obsolet. Nach § 2 Abs. 2 Satz 3 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG n.F.) und § 14 Abs. 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG n.F.), jeweils i.d.F. des Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetzes (UntStFG) vom (BGBl I 2001, 3858, BStBl I 2002, 35), sei die Personengesellschaft Organträger. Schlössen sich mehrere gewerbliche Unternehmen i.S. des § 14 Abs. 1 Nr. 2 KStG n.F., die gemeinsam im Verhältnis zur Organgesellschaft die Voraussetzungen des Abs. 1 Nr. 1 dieser Vorschrift erfüllten, in der Rechtsform einer Personengesellschaft lediglich zum Zweck der einheitlichen Willensbildung gegenüber der Organgesellschaft zusammen, sei nach § 14 Abs. 2 KStG n.F. die Personengesellschaft als gewerbliches Unternehmen anzusehen, wenn jeder Gesellschafter der Personengesellschaft ein gewerbliches Unternehmen unterhalte. Das sei hier der Fall. Nach Art. 4 UntStFG zu § 36 Abs. 2 GewStG n.F. sei § 2 Abs. 2 Satz 3 GewStG n.F. auch für Erhebungszeiträume vor dem Erhebungszeitraum 2002 anzuwenden.

Die Klägerinnen meinten demgegenüber, die vom Gesetzgeber angeordnete Rückwirkung sei verfassungswidrig. Sie begehrten deswegen, das FA zu verpflichten, die Ergebnisse ihres Konsortiums Z für 1991 bis 1998 einheitlich und gesondert festzustellen und ihnen die entsprechenden Beträge unmittelbar zuzurechnen. Die diesbezüglichen Anträge wurden am gestellt.

Am erhoben die Klägerinnen „aufgrund der fehlenden Entscheidungen über die (vorbezeichneten) Anträge” beim FA Untätigkeitseinsprüche. Am lehnte das FA es unter Hinweis auf die zwischenzeitlich ergangene Verwaltungsregelung —das (BStBl I 2000, 1571)— ab, über diese Einsprüche zeitnah zu entscheiden. Am legten die Klägerinnen beim Finanzgericht (FG) entsprechende Untätigkeitsklagen ein. Durch Bescheid vom lehnte das FA die Anträge vom ab. Diesem Bescheid war eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt, wonach er mit Einspruch anzufechten war. Die Klägerinnen machten diesen Bescheid zum Gegenstand der anhängigen Klagen und legten daneben —zusätzlich— vorsorgliche Klagen ein.

Das FG Düsseldorf gab dem FA in der Sache Recht und wies die von den Klägerinnen fortgeführten Untätigkeitsklagen durch Urteil vom 16 K 1189/01 F mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2003, 554 wiedergegebenen Gründen als unbegründet ab.

Dagegen richten sich die Revisionen, die auf formelle und materielle Gründe gestützt werden.

Die Klägerinnen beantragen sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben und das FA zu verpflichten, folgende gewerbesteuerliche Beträge einheitlich und gesondert festzustellen:


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Gewerbeertrag (DM)
Gewerbekapital (DM)
1991
-  2 153 409
   21 600 000
1992
-  2 728 568
   22 302 000
1993
-  1 173 540
   24 501 000
1994
-  1 234 001
   26 505 000
1995
- 23 183 389
   27 347 000
1996
-  1 205 919
-   2 245 000
1997
-    819 690
    5 600 000
1998
-    635 956
 

hilfsweise, das Verfahren auszusetzen, bis das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) über die Verfassungsbeschwerde 1 BvR 1138/06 gegen den Senatsbeschluss vom I B 145/05 (BFHE 213, 29, BStBl II 2006, 546) entschieden hat, weiter hilfsweise, das Verfahren nach § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 251 der Zivilprozessordnung (ZPO) ruhen zu lassen.

Das FA beantragt, die Revisionen zurückzuweisen.

II. Der Senat entscheidet gemäß § 126a FGO durch Beschluss. Er hält die Revisionen einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind vorher darüber unterrichtet worden; sie hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

1. Die Klagen waren unzulässig, weil es an erfolglos gebliebenen Vorverfahren fehlte (§ 44 Abs. 1 FGO). Der Senat verweist insoweit auf sein Urteil vom I R 74/02 (BFH/NV 2006, 19; ebenso Senatsbeschluss vom I R 32/05, nicht veröffentlicht; vgl. auch —abgrenzend— Senatsurteil vom I R 97/05, BFHE 214, 276); die dagegen von den Klägerinnen eingelegte Verfassungsbeschwerde ist erfolglos geblieben (, nicht veröffentlicht, den Beteiligten aber bekannt). Die dortige Verfahrenslage einer sog. doppelten behördlichen Untätigkeit entspricht vollen Umfangs derjenigen des Streitfalls. Dass die Klägerinnen seinerzeit —vor Ergehen des Senatsurteils in BFH/NV 2006, 19— von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen sein mögen, ändert daran nichts und rechtfertigt es vor allem nicht, den eindeutigen und mit einer entsprechenden Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Ablehnungsbescheid des FA in eine Einspruchsentscheidung „umzudeuten”. Es verhält sich insofern nicht anders als für die Beteiligten jenes Urteilsfalles; auch dort war den Beteiligten zuvor nicht abschließend bekannt, wie der Senat über die Verfahrensproblematik der sog. doppelten Untätigkeit entscheiden würde (vgl. deshalb auch Senatsbeschluss vom I E 1/06, BFH/NV 2006, 1674). Allenfalls wäre zu erwägen, ob die seitens der Klägerinnen „vorsorglich” gegen den Ablehnungsbescheid erhobenen Klagen als —gegenwärtig dann noch unbeschiedene— Einsprüche verstanden werden könnten.

2. Das FG ist demgegenüber von der Zulässigkeit der Untätigkeitsklagen ausgegangen und hat die Klagen als unbegründet abgewiesen. Der Senat ist dennoch befugt, im schriftlichen Verfahren gemäß § 126a FGO zu entscheiden. Insbesondere führt der Umstand, dass die Vorinstanz die Klagen als unbegründet und nicht als unzulässig angesehen hat, nicht dazu, dass es an dem gesetzlichen Tatbestandsmerkmal der „für unbegründet erachteten Revision” fehlt. Von der Möglichkeit der Entscheidung im Beschlusswege kann auch dann Gebrauch gemacht werden, wenn das erstinstanzliche Gericht die Klage als unbegründet ansieht und das Rechtsmittelgericht sie als unzulässig behandelt und die Revision gegen das erstinstanzliche Urteil deswegen mit der Maßgabe als unbegründet zurückweist, dass die Klage als unzulässig abzuweisen ist (vgl. dazu z.B. Senatsurteil vom I R 67/84, BFHE 154, 5, BStBl II 1988, 927). Hinter § 126a FGO steht nämlich die Einsicht, dass ein Verfahren nicht fortgeführt werden soll um eines Fehlers willen, der mit Sicherheit für das endgültige Ergebnis bedeutungslos bleiben wird. Das aber gilt auch, wenn das FG die Klage als unbegründet statt als unzulässig ansieht (vgl. auch Senatsbeschluss vom I R 51/04, nicht veröffentlicht; Bundesverwaltungsgericht, Beschlüsse vom 4 CB 73/79, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts [Buchholz] 310 § 144 VwGO Nr. 34, sowie vom 4 B 84/81, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1982, 115).

3. Für eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 FGO oder ein Ruhen des Verfahrens gemäß § 155 FGO i.V.m. § 251 ZPO bestand nach allem kein Anlass, denn auf die materielle Rechtslage kann es nicht mehr ankommen.

4. Der Senat hält es für sachgerecht, von der durch § 126a Satz 1 FGO eröffneten Möglichkeit der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung im Streitfall Gebrauch zu machen. Denn die mündliche Verhandlung dient vor allem der Gewährung rechtlichen Gehörs, und dieses haben die Klägerinnen ausreichend erhalten. Die Einschätzung des Senats zu den im Streitfall maßgeblichen Rechtsfragen ist ihnen aus dem Senatsurteil in BFH/NV 2006, 19 hinreichend bekannt, und die Klägerinnen haben hierzu umfassend Stellung genommen. Weiteres wäre in diesem Punkt auch nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht auszuführen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 2238 Nr. 12
HFR 2008 S. 170 Nr. 2
OAAAC-61504