BVerfG Beschluss v. - 2 BvR 2655/06

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: GG Art. 101 Abs. 1 Satz 2; GG Art. 19 Abs. 4 Satz 1; BVerfGG § 93a Abs. 2

Instanzenzug: OLG Dresden 1 Ss 487/06 u. 1 Ws 197/06 vom LG Bautzen 2 Ns 160 Js 17897/03 vom

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Ein Annahmegrund nach § 93a Abs. 2 BVerfGG liegt nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.

I.

Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Landgerichts wendet, ist sie unzulässig, weil sie nicht ausreichend begründet ist.

1. Der Verfassungsbeschwerdeschrift war als Anlage 6 lediglich die erste Seite der Revisionsbegründung beigefügt. Diese Seite enthält im Wesentlichen nur den Revisionsantrag und den Vortrag, es würden Verletzungen sowohl materiellen als auch formellen Rechts gerügt.

Für eine ausreichende Begründung der Verfassungsbeschwerde im Sinne der §§ 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, 92 BVerfGG ist die vollständige Vorlage der Revisionsrechtfertigung erforderlich. Ohne Kenntnis der vollständigen Revisionsrechtfertigung ist eine verlässliche Überprüfung, ob der Beschwerdeführer seinen Rügeobliegenheiten im fachgerichtlichen Verfahren nachgekommen ist und die Verfassungsbeschwerde deshalb den Grundsatz der Subsidiarität wahrt, grundsätzlich nicht möglich (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des -, juris, Abs.-Nr. 3-4; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des -, juris, Abs.-Nr. 8; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des -, juris, Abs.-Nr. 4).

Der Grundsatz der Subsidiarität verlangt vom Beschwerdeführer, über das Erfordernis einer Rechtswegerschöpfung im engeren Sinne hinaus alle ihm zumutbaren, nach Lage der Dinge zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen, um Rechtsschutz bereits durch die Fachgerichte zu erreichen (BVerfGE 107, 257 <267> m.w.N.; 110, 1 <12>; stRspr). Dazu gehört, dass er bereits im fachgerichtlichen Verfahren die geschehene oder drohende Grundrechtsverletzung nicht nur als Rechtsverletzung, sondern spezifisch als Verfassungsverletzung zu beanstanden hat (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des -, juris, Abs.-Nr. 11; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats des -, juris, Abs.-Nr. 3; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des -, juris, Abs.-Nr. 6).

Ob der Beschwerdeführer seinen Rügeobliegenheiten im Revisionsverfahren nachgekommen ist, lässt sich anhand der mitgeteilten ersten Seite der Revisionsbegründung nicht beurteilen.

II.

Auch soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts richtet, ist sie unzulässig.

1. Soweit er mit der Begründung angegriffen wird, er habe die Grundrechtsverletzungen des Landgerichts nicht behoben, folgt dies aus den eben dargelegten Gründen.

2. Soweit er wegen Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG angegriffen wird, fehlt es an der Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung.

a) Ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist nicht dargetan.

Das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter garantiert, dass der Rechtsuchende im Einzelfall vor einem Richter steht, der unabhängig und unparteilich ist und die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet (vgl. BVerfGE 95, 322 <327>; BVerfGK 5, 269 <279>). Dieses Ziel setzen die strafprozessualen Vorschriften der §§ 24 ff. StPO um. Sie sichern durch ein Ablehnungsrecht des Angeklagten, dass Entscheidungen im Strafverfahren nicht unter Mitwirkung eines voreingenommenen Richters zustande kommen (vgl. BVerfGE 46, 34 <37>; BVerfGK 5, 269 <280>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des -, juris, Abs.-Nr. 74). Die Ausgestaltung des Ablehnungsrechts im Einzelnen ist Sache des Gesetzgebers. Ob auch eine großzügigere Regelung des Ablehnungsrechts möglich wäre oder den Anforderungen des Strafverfahrens gar besser entsprochen hätte, hat das Bundesverfassungsgericht nicht zu entscheiden (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des -, NJW 1988, S. 477).

Gemessen hieran ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Ablehnungsrecht jedenfalls mit Erlass der Entscheidung erlischt. Für die Hauptverhandlung folgt dies unmittelbar aus der verfassungsrechtlich unbedenklichen (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des -, NJW 1988, S. 477) Regelung in § 25 Abs. 2 Satz 2 StPO, die eine Ablehnung nach dem letzten Wort des Angeklagten als unzulässig erklärt. Für Verfahren, in denen - wie im Fall des § 349 Abs. 2 StPO - die abschließende Entscheidung außerhalb einer Hauptverhandlung ergeht, ist eine großzügigere Handhabung, die ein Ablehnungsrecht auch nach Erlass der Entscheidung einräumte, von Verfassungs wegen nicht geboten.

Nach allgemeiner Ansicht erlischt das Ablehnungsrecht auch hier spätestens mit Erlass der Entscheidung (vgl. -, juris, Abs.-Nr. 2; -, NStZ-RR 2005, S. 174; -, NStZ-RR 2001, S. 333; -, beck-online, BeckRS 2001 30157191; -, NStZ-RR 1998, S. 51; -, NStZ 1993, S. 600; -, BGHR StPO § 26 a Unzulässigkeit 1; -, NStZ 1989, S. 86; -, juris, Abs.-Nr. 2-3; Beschluss des Thüringischen -, NStZ 1997, S. 510; Bockemühl, in: KMR, StPO, Stand: Juli 2006, § 25 Rn. 12; Lemke, in: Heidelberger Kommentar, StPO, 2. Aufl., § 25 Rn. 6; Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 25 Rn. 11; ders., Anmerkung zum -, NJW 1975, S. 1179 f.; Pfeiffer, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Aufl., § 25 Rn. 5; Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 25 Rn. 12; Wendisch, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 25 Rn. 14; a.A. [für Antragsteller im Klageerzwingungsverfahren] -, NJW 1975, S. 399 <400>).

Diese Ansicht ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie beruht auf einer nachvollziehbaren und deshalb willkürfreien funktionsbezogenen Betrachtung der Ablehnungsvorschriften, deren Zweck darauf gerichtet ist, eine Entscheidung unter Mitwirkung eines voreingenommenen Richters zu verhindern, was mit deren Erlass nicht mehr möglich wäre (vgl. Beschluss des Thüringischen -, NStZ 1997, S. 510; Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 25 Rn. 12; Wendisch, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 25 Rn. 14). In verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise entnimmt sie der für die Hauptverhandlung konzipierten (vgl. BTDrucks IV/178 S. 34-35) Regelung des § 25 Abs. 2 Satz 2 StPO die gesetzgeberische Entscheidung, dass jedenfalls mit Erlass der Entscheidung das Ablehnungsrecht erlischt (vgl. -, NStZ 1993, S. 600).

Eine Privilegierung von Verfahren ohne Hauptverhandlung hinsichtlich der Dauer des Ablehnungsrechts ist verfassungsrechtlich nicht geboten. Die Erwägung des Beschwerdeführers, es könne Fälle geben, in denen sich eine mögliche Befangenheit erst in der Entscheidung manifestiere, gilt gleichermaßen für Verfahren, in denen eine Hauptverhandlung stattfindet. Hier können nach dem letzten Wort wie in der Entscheidung selbst Umstände zutage treten, die eine Befangenheit des Richters nahe legen (vgl. Bockemühl, in: KMR, StPO, Stand: Juli 2001, § 25 Rn. 11; Lemke, in: Heidelberger Kommentar, StPO, 2. Aufl., § 25 Rn. 17). Dennoch ist hier die Regelung des § 25 Abs. 2 Satz 2 StPO - nicht zuletzt im Blick auf die Notwendigkeit einer Straffung des Verfahrens (vgl. BTDrucks IV/178 S. 34) - vertretbar und deshalb verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des -, NJW 1988, S. 477). Wenn vorliegend, wie der Beschwerdeführer meint, die Befangenheit erst in der sich in der Beschlussfassung nach § 349 Abs. 2 StPO manifestierenden Verfahrensweise zu Tage trete, rechtfertigt dies deshalb keine andere Beurteilung. Der Fall liegt nicht anders als derjenige, in dem der Betroffene aus Tenor oder Begründung eines Urteils nach durchgeführter Hauptverhandlung Anzeichen für eine - zuvor nicht wahrgenommene - Unvoreingenommenheit der Richter zu erkennen glaubt. Nach Erlass der Entscheidung ist der Betroffene auf die Rechtsbehelfe zu verweisen, welche die Prozessordnung zur Überprüfung der Entscheidung auf ihre Richtigkeit bereitstellt.

b) Dass Auslegung und Anwendung des Kriteriums der Offensichtlichkeit durch das Oberlandesgericht gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG verstießen, legt der Beschwerdeführer nicht dar.

Dem Bundesverfassungsgericht ist hier eine Prüfung, ob die Entscheidung des Revisionsgerichts, nach § 349 Abs. 2 StPO zu verfahren, willkürlich war, nicht möglich. Der Beschwerdeführer legt die Antragsschrift der Staatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 2 StPO nicht vor. Ohne Vorlage der Antragsschrift lässt sich eine willkürliche Auslegung und Anwendung des Kriteriums der Offensichtlichkeit jedenfalls dann nicht überprüfen, wenn das Gericht - wie hier - die Revision ohne Angabe von Gründen verwirft (vgl. [für Fälle ausdrücklicher Bezugnahme im Verwerfungsbeschluss auf den Antrag des Generalbundesanwalts] Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des -, juris, Abs.-Nr. 5; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des -, juris, Abs.-Nr. 5). Denn dann ergeben sich die für die Verwerfung der Revision wesentlichen Gründe aus dem Inhalt des Verwerfungsantrags der Staatsanwaltschaft in Verbindung mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts - Vorprüfungsausschuss - vom - 2 BvR 1506/81 -, NJW 1982, S. 925; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des -, NStZ 2002, S. 487 <489>; -, NStZ 1994, S. 353).

Im Übrigen lässt der Beschwerdeführer außer Acht, dass den Revisionsgerichten bei der Beurteilung der Frage der Offensichtlichkeit ein Entscheidungsspielraum zuzugestehen ist (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des -, NStZ 2002, S. 487 <489>). Der Hinweis auf die Länge der Bearbeitungsdauer ist nicht geeignet, eine willkürliche Handhabung der Vorschrift des § 349 Abs. 2 StPO darzulegen (ablehnend zur Aussagekraft der Bearbeitungsdauer für die Beurteilung der Offensichtlichkeit: Meyer-Goßner, 49. Aufl., StPO, § 349 Rn. 10). Im Übrigen ist der diesbezügliche Vortrag des Beschwerdeführers unsubstantiiert. Die Revisionsbegründung mag vom stammen und am gleichen Tag per Fax beim Landgericht eingegangen sein. Für die Bearbeitungsdauer wäre aber selbst nach der vom Beschwerdeführer zitierten Entscheidung der Eingang der Akten beim Revisionsgericht entscheidend (vgl. -, StV 2001, S. 221 <222>). Wann die Staatsanwaltschaft die Akten mit Revisionsbegründung und eigener Antragsschrift an das Oberlandesgericht weitergeleitet hat, ist nicht vorgetragen.

c) Auch ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ist nicht dargelegt. Das Grundrecht auf effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz (vgl. BVerfGE 67, 43 <58>; vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des -, NStZ 2002, S. 487 <488>; stRspr) gebietet es nicht, Ablehnungsgesuche noch nach Erlass der Entscheidung zu ermöglichen. Selbst nach dem spezielleren Grundrecht des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist dies nicht geboten. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistet auch keinen Anspruch auf eine Revisionshauptverhandlung, nachdem nicht einmal der insoweit vorrangige Art. 103 Abs. 1 GG eine solche gebietet (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des -, NStZ 2002, S. 487 <488>).

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Fundstelle(n):
ZAAAC-47892