BGH Beschluss v. - XII ZB 140/02

Leitsatz

[1] Es entspricht ständiger Rechtsprechung, daß ein Rechtsanwalt nur die Berechnung und Notierung einfacher und geläufiger Fristen seinem Büropersonal überlassen darf, nicht dagegen komplizierte Fristberechnungen, wie sie etwa in der Übergangszeit geänderter Vorschriften zum Fristenlauf anfallen. Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO liegen bei dieser Fallgestaltung nicht vor.

Gesetze: ZPO a.F. § 574 Abs. 2; ZPO a.F. § 519 Abs. 2; EGZPO § 26 Nr. 5

Instanzenzug: LG Ulm

Gründe

I.

Das Landgericht hat auf die mündliche Verhandlung vom mit Urteil vom die Beklagten zur Räumung von überwiegend gewerblich genutzten Räumlichkeiten verurteilt.

Das Urteil ist dem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten am zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom , der am bei Gericht eingegangen ist, haben die Beklagten durch ihren zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten Berufung eingelegt. Dieser hat mit Schriftsatz vom beantragt "die am ablaufende Frist zur Berufungsbegründung" zu verlängern. Auf den Hinweis des Berufungsgerichts, daß die einmonatige Berufungsbegründungsfrist bereits am abgelaufen sei, hat der zweitinstanzliche Prozeßbevollmächtigte der Beklagten am Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und die Berufung gleichzeitig begründet.

Er hat vorgetragen: Die Versäumung der Frist beruhe auf einem Versehen einer seit drei Jahren mit der Notierung der Fristen und deren Überwachung befaßten, in hohem Maße zuverlässigen Kanzleikraft, die über die Neuregelung des § 520 Abs. 2 ZPO und den Inhalt des § 26 Nr. 5 EGZPO ausdrücklich unterrichtet worden sei. Da dem Urteil selbst nicht zu entnehmen gewesen sei, wann die letzte mündliche Verhandlung stattgefunden habe, habe sie angenommen, daß die letzte mündliche Verhandlung nach dem stattgefunden habe. Nachdem er Anfang April 2002 bei einem Telefongespräch mit dem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten erfahren habe, daß die letzte mündliche Verhandlung am stattgefunden habe, habe er seine seit 25 Jahren für ihn tätige Anwaltssekretärin angewiesen, die bereits notierte Berufungsbegründungsfrist anhand der Mitteilung des Oberlandesgerichts Stuttgart über den Eingang des Rechtsmittelschriftsatzes zu überprüfen. Seine Anwaltssekretärin habe daraufhin die Akte sowie den Fristenkalender zur Hand genommen und festgestellt, daß die Berufungsbegründungsfrist bereits auf den notiert gewesen sei. Deshalb sei sie davon ausgegangen, daß die Fristnotierung erledigt und nichts weiteres mehr zu veranlassen sei.

Das den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zurückgewiesen und ihre Berufung als unzulässig verworfen, weil sie nicht innerhalb der Monatsfrist des § 519 Abs. 2 Satz 2 ZPO a.F. begründet worden sei. Gegen diesen Beschluß richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten, mit der sie ihr Wiedereinsetzungsgesuch weiterverfolgen und die Aufhebung der vom Oberlandesgericht ausgesprochenen Verwerfung der Berufung erstreben.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 i.V. mit §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO), aber unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.

1. Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt der Sache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zu. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn eine bestimmte, höchstrichterlich noch ungeklärte und für die Entscheidung erhebliche Rechtsfrage klärungsbedürftig ist, die sich allgemein, in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellt (vgl. - NJW 2002, 3029). Das ist hier nicht der Fall.

Die Berechnung der Begründungsfrist richtete sich im vorliegenden Fall aufgrund der Übergangsvorschrift des § 26 Nr. 5 EGZPO noch nach altem Recht, da das Landgericht die mündliche Verhandlung noch vor dem geschlossen hatte. Allerdings war der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung aus dem Urteil nicht erkennbar. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Rechtsanwalt die Berechnung und Notierung einfacher und in seinem Büro geläufiger Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Angestellten überlassen (Senatsbeschluß vom - XII ZB 140/95 - NJW-RR 1998, 1526; BGH Beschlüsse vom - V ZB 25/96 - NJW-RR 1997, 55; vom - VIII ZB 115/02 - NJW 2003, 1815). Er hat jedoch durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, daß die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden; unverzichtbar sind insoweit eindeutige Anweisungen an das Büropersonal, die Festlegung klarer Zuständigkeiten und die mindestens stichprobenartige Kontrolle des Personals ( aaO m.w.N.). Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, darf der Anwalt darauf vertrauen, daß das zuständige Büropersonal die ihm übertragenen Aufgaben des Fristenwesens ordnungsgemäß erfüllt. Ob der Rechtsanwalt unter Zugrundelegung dieser Grundsätze die Sorgfaltsanforderungen beachtet hat, ist nach den besonderen Umständen des Einzelfalles zu beurteilen. Das Berufungsgericht hat ausgehend von diesen Grundsätzen zu Recht angenommen, daß es sich im vorliegenden Fall nicht um eine einfach zu berechnende Frist handelte. Vielmehr besteht gerade in der Übergangszeit geänderter Vorschriften zum Fristenlauf eine erhöhte Gefahr für Fehler bei Fristberechnungen. Deshalb war der zweitinstanzliche Prozeßbevollmächtigte der Beklagten verpflichtet sich selbst zu vergewissern, ob sein Personal die Fristen richtig berechnet. Eine abstrakte, der Verallgemeinerung zugängliche Rechtsfrage wirft der Fall nicht auf.

2. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).

Die angefochtene Entscheidung weicht nicht von der ständigen Rechtsprechung ab, wonach es auf die allgemeinen organisatorischen Vorkehrungen für die Fristwahrung in der Kanzlei dann nicht entscheidend ankommt, wenn im Einzelfall eine konkrete Anweisung erteilt worden ist, die bei Befolgung die Fristwahrung sichergestellt hätte (Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 56/97 - NJW 1997, 1930, 1931 und vom - XII ZB 184/97 - NJW-RR 1998, 787, 788). Eine solche konkrete Anweisung hat der zweitinstanzliche Prozeßbevollmächtigte der Beklagten nach den Feststellungen des Berufungsgerichts seiner Anwaltssekretärin nicht erteilt.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BB 2004 S. 244 Nr. 5
DStRE 2004 S. 366 Nr. 6
LAAAC-06000

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja