BGH Beschluss v. - VIII ZB 93/04

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: ZPO § 3; ZPO § 511 Abs. 2 Nr. 1; ZPO § 522 Abs. 1 Satz 4; ZPO § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1; ZPO § 575

Instanzenzug: AG Hohenschönhausen 10 C 490/03 vom LG Berlin 65 S 70/04 vom

Gründe

I.

Die Parteien schlossen 1993 über eine Wohnung der Beklagten einen Mietvertrag, in dem sich die Kläger verpflichteten, als Mietsicherheit eine Barkaution zu hinterlegen oder eine selbstschuldnerische, zeitlich unbegrenzte Bürgschaft einer Geschäftsbank zu leisten. Zur Erfüllung dieser Verpflichtung stellten die Kläger eine Bürgschaft der B. Bank durch die diese auf erstes schriftliches Anfordern Zahlung bis zur Höhe von 4.987,50 DM (2.550,07 €) für alle Ansprüche der Beklagten gegen die Kläger aus dem Mietvertrag versprach. Die Parteien streiten darüber, ob das Mietverhältnis durch Kündigung seitens der Kläger seit dem beendet ist oder noch bis zum läuft.

Die Kläger haben in erster Instanz die Auszahlung der Mietsicherheit in Höhe von 2.550,07 € nebst Zinsen und hilfsweise die Verpflichtung der Beklagten begehrt, gegenüber der B. Bank AG zu erklären, dass keinerlei Ansprüche aus der Bürgschaft erhoben werden und dass diese freigegeben wird. Nach Abweisung der Klage durch das Amtsgericht haben sie mit ihrer Berufung nur noch den Hilfsantrag weiterverfolgt.

Das Landgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen und zur Begründung ausgeführt: Der Wert der Beschwer der Kläger betrage nicht mehr als 300 €. Gemäß § 3 ZPO sei der Beschwerdewert nach dem Interesse des Schuldners der Bürgschaft, also der Kläger, zu schätzen. Dieses sei nicht identisch mit der Bürgschaftssumme, weil die Inanspruchnahme der Bürgschaft durch die Beklagte derzeit nicht in Frage stehe und völlig offen sei, ob und inwieweit die Bürgschaft tatsächlich in Anspruch genommen werde. Die Beschwer der Kläger liege allein in den Kosten, die ihnen dadurch entstünden, dass sie in der Zeit von Januar 2003 bis April 2007 die Bürgschaft für die Beklagte vorhalten müssten, und die die Kammer auf bis zu 300 € schätze.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet; die angefochtene Entscheidung ist deshalb aufzuheben, und die Sache ist zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und genügt den formellen Anforderungen des § 575 ZPO. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat bei seiner Schätzung des Beschwerdewertes nach § 3 ZPO die höchstrichterliche Rechtsprechung zum Wert der Beschwer bei Geltendmachung eines Anspruchs auf Freigabe einer Bürgschaft bzw. auf Herausgabe einer Bürgschaftsurkunde nicht hinreichend beachtet und dadurch das Verfahrensgrundrecht der Kläger auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, das es den Gerichten verbietet, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. , NJW 2004, 367 unter II 1 bb m.w.Nachw.).

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

Im Ansatz zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der für die Zulässigkeit der Berufung gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO maßgebliche Wert des Beschwerdegegenstandes gemäß § 3 ZPO nach freiem Ermessen zu bestimmen ist. Richtig ist auch die weitere Erwägung, dass es für die Wertfestsetzung hier auf das wirtschaftliche Interesse der Kläger an der mit der Berufung beabsichtigten Weiterverfolgung des in erster Instanz gestellten Hilfsantrags ankommt, der auf die Verpflichtung der Beklagten zur Erklärung, dass keinerlei Ansprüche aus der Bankbürgschaft erhoben werden und die Bürgschaft freigegeben wird, gerichtet ist. Die Festsetzung eines vom Berufungsgericht in Ausübung des Ermessens konkret bestimmten Wertes kann der Senat zwar nur daraufhin überprüfen, ob das Berufungsgericht die Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens überschritten oder sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat (Senatsbeschluss vom , VIII ZB 124/03, NJW 2004, 2904 unter II 2 b). Das ist hier indes der Fall, weil das Berufungsgericht einen für die Bestimmung des Wertes des Beschwerdegegenstandes wesentlichen Gesichtspunkt außer Acht gelassen hat.

Das Berufungsgericht hat bei seiner Bewertung des Beschwerdegegenstandes allein auf das Interesse der Kläger abgestellt, in dem Zeitraum, für den das Fortbestehen des Mietverhältnisses streitig ist, nicht mit weiteren Kosten für das Vorhalten der Bürgschaft belastet zu werden. Damit wird das klägerische Begehren nicht in vollem Umfang erfasst. Angesichts des Streits der Parteien über den Fortbestand des Mietverhältnisses geht es den Klägern auch und vor allem darum, eine Inanspruchnahme der Bürgschaft für nach dem Vorbringen der Beklagten in dem streitigen Zeitraum noch entstehende Forderungen aus dem Mietverhältnis schon im Ansatz zu vermeiden. Für die Bewertung dieses Interesses kommt es entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht darauf an, ob die Inanspruchnahme der Bürgschaft mehr oder weniger wahrscheinlich oder völlig offen ist. Das Interesse an der Freigabe der Bürgschaft ist in jedem Fall mit der Bürgschaftssumme zu bewerten. Hier verhält es sich wie bei der Bemessung des Wertes des Anspruchs auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde; dieser ist mit dem Wert der Bürgschaftsforderung gleichzusetzen, wenn der Schuldner mit der Herausgabeklage eine Inanspruchnahme des Bürgen verhindern will (, NJW-RR 1994, 758). Da die Höhe der Bürgschaft 600 € überschreitet, scheitert die Zulässigkeit der Berufung folglich nicht an § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Fundstelle(n):
RAAAC-03915

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein