BGH Beschluss v. - V ZB 45/03

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: ZPO § 574 Abs. 1 Nr. 1; ZPO § 522 Abs. 1 Satz 4; ZPO § 574 Abs. 2

Instanzenzug:

Gründe

I.

Die Beklagte hat gegen ein Urteil des Landgerichts rechtzeitig Berufung eingelegt. Nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum hat sie die Berufung mit einem am eingegangenen Schriftsatz begründet und wegen der Fristversäumung zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat sie ausgeführt:

Die Berufungsbegründung sei gegen Mittag des postfertig gewesen und habe - dem gewöhnlichen Ablauf entsprechend - von der bei ihrem Prozeßbevollmächtigten beschäftigten Rechtsanwalts- und Notarfachgehilfin A. T. am Abend desselben Tages in den Briefkasten des Kurierdienstes "Berliner Justizboten" bei dem Amtsgericht Charlottenburg eingeworfen werden sollen. Frau T. habe an diesem Tag einige Stunden frei genommen, um eine private Behördenangelegenheit zu erledigen. Mit dem Anwalt sei verabredet gewesen, daß sie anschließend in die Kanzlei zurückkehre und die Gerichtspost zum Amtsgericht Charlottenburg befördere. Gegen 17.15 Uhr habe Frau T. in der Kanzlei angerufen und dem Anwalt mitgeteilt, daß sie es voraussichtlich nicht schaffen werde, vor Büroschluß um 18 Uhr in die Kanzlei zurückzukommen. Sie habe gefragt: "Nehmen Sie nachher die Post mit?" Aufgrund offenbar einer Netzstörung - sie habe von ihrem Handy aus dem Auto heraus angerufen - habe er verstanden: "Ich nehme nachher die Post mit." Nach seiner Erwiderung "OK" sei Frau T. davon ausgegangen, daß er selbst die Gerichtspost mitnehmen würde. Erst am nächsten Morgen habe ihr Prozeßbevollmächtigter festgestellt, daß sämtliche Post in der Kanzlei verblieben sei.

Das Kammergericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Die Versäumung der Frist sei ihrem Prozeßbevollmächtigten vorzuwerfen. Ein Fehler liege bereits in der Kanzleiorganisation, die für den Fall, daß die für die Mitnahme der Gerichtspost zuständige Angestellte bei Büroschluß nicht mehr anwesend sei, keine allgemeine Ersatzregelung hinsichtlich des Postausgangs vorsehe. Der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten habe seiner Angestellten im konkreten Fall auch keine die Fristwahrung sicherstellende Einzelanweisung erteilt. Das Telefonat mit Frau T. um 17.15 Uhr erfülle diese Anforderungen nicht. Aufgrund der Mitteilung, daß sie es bis zum Büroschluß nicht in die Kanzlei schaffe, hätte er ausdrücklich auf den fristgebundenen Schriftsatz hinweisen und konkret Anweisungen zur Mitnahme der Gerichtspost gegeben müssen. Die wahrgenommene Störung im Handynetz habe Anlaß gegeben, sich durch Nachfrage zu vergewissern, ob seine Angestellte tatsächlich nach Büroschluß in die Praxis zurückkehre und die fristgebundenen Schriftsätze mitnehme.

Mit der Rechtsbeschwerde verlangt die Beklagte die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und verfolgt ihren Wiedereinsetzungsantrag weiter.

II.

Die Rechtsbeschwerde der Beklagten ist gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist jedoch unzulässig, weil es an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt.

1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung.

a) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist geklärt, daß ein Rechtsanwalt durch geeignete organisatorische Maßnahmen oder aufgrund gezielter Einzelanweisungen sicherstellen muß, daß postfertige fristwahrende Schriftsätze rechtzeitig zur Post oder zum Gericht gelangen (, NJW 2001, 1577, 1578; Beschl. v. , VI ZB 5/95, VersR 1995, 933), und daß mit der Beförderung der Schriftsätze dorthin ein zuverlässiger Mitarbeiter betraut werden kann (, BGHR ZPO § 233 Ausgangskontrolle 16; Beschl. v. , V ZB 11/92, NJW-RR 1992, 1278).

b) Ebenso ist nicht zweifelhaft, daß es auf die allgemeinen organisatorischen Vorkehrungen eines Rechtsanwalts für die Fristwahrung nicht ankommt, wenn für einen konkreten Fall eine genaue Einzelanweisung erteilt worden ist, deren Befolgung die Fristwahrung sichergestellt hätte (, NJW-RR 2000, 60; Beschl. v. , XI ZB 13/95, BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 45; Urt. v. , VI ZR 43/87, VersR 1988, 185, 186). Damit ist auch die von der Beschwerde aufgeworfene Frage geklärt, ob ein Organisationsverschulden des Anwalts vorliegt, wenn allgemeine organisatorische Maßnahmen für den Fall fehlen, daß die für den Postausgang zuständige Mitarbeiterin für wenige Stunden abwesend, ihre Rückkehr und die Erledigung ihrer Aufgaben noch am selben Tag jedoch vom Anwalt angeordnet ist.

2. Eine Entscheidung ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).

a) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde liegt ein Fall der Divergenz nicht vor. Eine die Zulässigkeit des Rechtsmittels begründende Abweichung ist nur gegeben, wenn die angefochtene Entscheidung dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Entscheidung eines höherrangigen oder eines gleichgeordneten Gerichts, also einen Rechtssatz aufstellt, der von einem die Entscheidung tragenden Rechtssatz der Vergleichsentscheidung abweicht (Senat, BGHZ 151, 42). Daran fehlt es hier.

Das Berufungsgericht geht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs davon aus, daß ein Prozeßbevollmächtigter für den fristwahrenden Eingang eines Schriftsatzes bei dem zuständigen Gericht und damit für dessen rechtzeitige Beförderung Sorge tragen muß. Es meint lediglich, im konkreten Fall sei dies nicht sichergestellt gewesen, weil eine allgemeine Regelung, wie die Post zu Gericht gelange, wenn die hierfür zuständige Mitarbeiterin bei Büroschluß ausnahmsweise nicht mehr anwesend sei, ebenso gefehlt habe wie eine diesbezüglich hinreichende Einzelanweisung für den . Mit dieser auf den Einzelfall beschränkten Würdigung wird kein allgemeiner Rechtssatz aufgestellt, der von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs oder eines dem Kammergericht gleichgeordneten Gerichts abweicht.

b) Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ferner geboten, wenn Fehler bei der Auslegung oder Anwendung revisiblen Rechts über die Einzelfallentscheidung hinaus die Interessen der Allgemeinheit nachhaltig berühren (Senat, BGHZ 151, 221, 226). Das kommt insbesondere bei der Verletzung von Verfahrensgrundrechten in Betracht, etwa wenn der angefochtene Beschluß die Partei in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) oder wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. BVerfGE 77, 275, 284; BVerfG NJW 2003, 281) verletzt (vgl. Senat, BGHZ 151, 221). Jedoch liegt auch dieser Zulassungsgrund nicht vor.

aa) Der angefochtene Beschluß beruht nicht auf einer Würdigung, die der Beklagten den Zugang zu dem von der Zivilprozeßordnung eingeräumten Instanzenzug in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise erschwert und damit ihren Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes beeinträchtigt.

In Übereinstimmung mit der Beschwerde geht das Berufungsgericht ersichtlich davon aus, daß der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten mit der Vereinbarung, Frau T. werde nach Erledigung ihrer privaten Angelegenheiten in die Kanzlei zurückkehren und die Gerichtspost mitnehmen, das zur Fristwahrung Erforderliche zunächst veranlaßt hatte. Anders als die Beschwerde meint, durfte er nach dem Anruf seiner Angestellten um 17.15 Uhr die Beförderung der Gerichtspost allerdings nicht mehr als sichergestellt ansehen. Ihre Mitteilung, sie werde es bis zum Büroschluß nicht zurück in die Kanzlei schaffen, stellte nämlich die Vereinbarung, welche den Postausgang zunächst gewährleistet hatte, in Frage, da nunmehr offen, mindestens aber unklar war, ob sie an diesem Tag überhaupt noch in die Kanzlei kommen würde. Umstände, nach denen sich dies von selbst verstand, hat die Beklagte nicht dargelegt. Daß Frau T. öfter nach Büroschluß arbeitet und über einen Büroschlüssel verfügt, besagte für den nichts, zumal nicht ersichtlich ist, daß sie an diesem Tag - von der, auch dem Prozeßbevollmächtigten der Beklagten selbst möglichen, Mitnahme der Gerichtspost abgesehen - noch Arbeiten zu erledigen hatte, die ihre Rückkehr in die Kanzlei erforderten. Angesichts der insoweit bestehenden Unklarheit, die das Risiko einer Fristversäumung erhöhte, ist die Annahme des Berufungsgerichts, der Prozeßbevollmächtigte habe nunmehr eine konkrete Anweisung zur Mitnahme der Gerichtspost geben müssen, frei von Rechtsfehlern.

Nicht zu beanstanden ist ferner die Würdigung, daß es an einer solchen Anweisung, die auch in einer unmißverständlichen Absprache liegen kann, fehlt. Der von dem Prozeßbevollmächtigten wahrgenommene Satz seiner Angestellten, sie nehme nachher die Post mit, ersetzte eine klare Anweisung nicht. Das gilt unabhängig davon, ob er - wovon das Berufungsgericht ausgegangen ist - eine Störung im Handynetz bemerkt hatte oder nicht. Schon wegen der generellen Gefahr von Hörfehlern und des Erfordernisses einer klaren Einzelfallanweisung mußte er sich vergewissern, daß seine Angestellte die Beförderung der Gerichtspost zu der bei dem Amtsgericht Charlottenburg geführten Sammelstelle des Kurierdienstes auch nach Büroschluß tatsächlich übernehmen wollte, ein Mißverständnis also ausgeschlossen war. Hieran fehlt es.

bb) Daß das Berufungsgericht aus dem Vortrag der Beklagten, ihr Prozeßbevollmächtigter habe seine Angestellte offenbar aufgrund einer Netzstörung mißverstanden, geschlossen hat, dieser habe eine Störung im Handynetz bemerkt, beeinträchtigt ihren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht.

Art. 103 Abs. 1 GG ist nicht schon dann verletzt, wenn der Richter im Zusammenhang mit der ihm obliegenden Tätigkeit der Feststellung und Bewertung der von den Parteien vorgetragenen Tatsachen zu einer unrichtigen Tatsachenfeststellung gekommen ist (BVerfGE 22, 267, 273 f.). Demgemäß ist es für den Anspruch auf rechtliches Gehör unerheblich, ob das Gericht aus dem Vortrag der Parteien die richtige Schlußfolgerung zieht, solange es das tatsächliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat (, - veröffentlicht bei juris). Erst wenn besondere Umstände deutlich machen, daß nicht einmal dies geschehen ist, so etwa, wenn das Gericht einen von dem Vortrag der Parteien völlig abweichenden Sachverhalt zugrunde legt, ist ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG gegeben.

Solche besonderen Umstände liegen hier nicht vor. Das Berufungsgericht hat den erwähnten Vortrag der Beklagten zu einer Netzstörung zur Kenntnis genommen. Seine Schlußfolgerung, eine Netzstörung habe nicht nur vorgelegen, sondern sei von ihrem Prozeßbevollmächtigten auch wahrgenommen worden, ist angesichts der zusätzlichen Erklärung, die Angestellte habe von ihrem Handy aus dem Auto heraus angerufen, hiermit nicht unvereinbar. Wenn das Berufungsgericht dies als Hinweis auf einen nicht einwandfreien, also wahrnehmbar gestörten Empfang des Telefonats versteht, so entfernt sich seine Feststellung nicht in einer der unterlassenen Kenntnisnahme gleichkommenden Weise von dem Vortrag der Beklagten.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Fundstelle(n):
CAAAC-01843

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein