BGH Beschluss v. - NotZ 20/03

Leitsatz

[1] Die Landesjustizverwaltung handelt verfahrensfehlerhaft, wenn sie die persönliche Eignung eines Mitbewerbers um ein Notaramt unter bloßer Bezugnahme auf ein Vorstellungsgespräch beurteilt, sich dabei über sämtliche sonst vorhandenen Erkenntnisse hinwegsetzt und es unterläßt, alle insoweit in Betracht kommenden Erkenntnisquellen auszuschöpfen.

Gesetze: BNotO § 6 Abs. 3 Satz 1

Instanzenzug: OLG Köln

Gründe

I.

Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen schrieb im Justizministerialblatt vom (mit einer Bewerbungsfrist bis zum ) eine Notarstelle in E. zur Wiederbesetzung aus. Seit dem ist die Antragsgegnerin (................................) zuständig. Die Antragsgegnerin brach das Bewerbungsverfahren am im Hinblick darauf ab, daß keine Bewerbungen von Notarassessoren aus dem Anwärterdienst des Landes Nordrhein-Westfalen (mehr) vorlagen, führte das Verfahren aber sodann mit Verfügung vom mit den verbliebenen Bewerbern fort.

Dies sind:

- Der (jetzt) 39 Jahre alte Antragsteller, der 1991 die Erste juristische Staatsprüfung mit "gut" (12,23 P.) und 1994 die Zweite juristische Staatsprüfung mit "vollbefriedigend" (10,36 P.) bestand, seit dem als Notaranwärter in Thüringen angestellt war und seit dem als Notar in W. (Thüringen) amtiert.

- Die (jetzt) 34 Jahre alte weitere Beteiligte zu 1. Sie bestand 1995 das Erste juristische Staatsexamen "vollbefriedigend" (10,50 P.) und 1997 die Zweite juristische Staatsprüfung mit "vollbefriedigend" (10,87 P.) und war seit dem als Notarassessorin in Bayern angestellt. Am wurde sie Notarin in A. ; dieses Amt hat sie wegen der Erziehung eines zwischenzeitlich geborenen Kindes vorübergehend niedergelegt.

- Der (jetzt) 37 Jahre alte weitere Beteiligte zu 2, der 1991 die Erste juristische Staatsprüfung mit "vollbefriedigend" (10,62 P.) und 1994 die Zweite juristische Staatsprüfung mit "vollbefriedigend" (9,54 P.) bestand, nach einer 31/2-jährigen Tätigkeit als Rechtsanwalt vom bis zum im notariellen Anwärterdienst des Landes Sachsen-Anhalt - ab abgeordnet zum Deutschen Notarinstitut - angestellt war, am zum Professor an der Fachhochschule W. unter anderem für Steuern und Wirtschaftsprivatrecht ernannt worden und mittlerweile auch Steuerberater ist.

- Der (jetzt) 49 Jahre alte weitere Beteiligte zu 3, der 1980 die Erste juristische Staatsprüfung mit "ausreichend" (4,38 P.) und 1983 die Zweite juristische Staatsprüfung mit "vollbefriedigend" (9,60 P.) bestand, vom bis zum als Rechtsanwalt und vom bis zum im Justizdienst des Landes Nordrhein-Westfalen (unter Ernennung zum Richter auf Lebenszeit am ) tätig war und seit dem Notar in W. (Sachsen) ist.

Am erfolgten in der Geschäftsstelle der Rheinischen Notarkammer in K. Vorstellungsgespräche, an denen der Präsident und der Geschäftsführer der Rheinischen Notarkammer, zwei weitere von der Notarkammer hinzugezogene Notare und zwei Richterinnen am Oberlandesgericht als Vertreterinnen der Landesjustizverwaltung teilnahmen. Am entschied die Antragsgegnerin auf entsprechenden Vorschlag des Präsidenten der Rheinischen Notarkammer, die ausgeschriebene Notarstelle der weiteren Beteiligten zu 1 zu übertragen, ersatzweise - in dieser Reihenfolge - dem weiteren Beteiligten zu 2, dem weiteren Beteiligten zu 3 und dem Antragsteller; dementsprechend teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller unter dem mit, daß beabsichtigt sei, die Notarstelle einem Mitbewerber zu übertragen.

Wie dem Antragsteller anschließend von der Antragsgegnerin eröffnet wurde, beruhte die Besetzungsentscheidung der Antragsgegnerin im wesentlichen auf folgenden Erwägungen: In dem Vorstellungsgespräch hätten sich beim Antragsteller "deutliche, außergewöhnliche Mängel ... im Bereich der persönlichen Eignung" gezeigt. Es sei ihm schwergefallen, auf seine Gesprächspartner einzugehen und sich in der erforderlichen Weise auf diese einzustellen. Die Teilnehmer hätten den Eindruck gewonnen, daß der Antragsteller nur unzureichend in der Lage sei, zuzuhören und sich selbst zurückzunehmen. Wiederholt habe er seine Gesprächspartner unterbrochen. Er sei teilweise nur unvollständig auf die gestellten Fragen eingegangen. Die Fähigkeit zum einfühlenden Verstehen als wichtiger Bestandteil der von einem Notar zu verlangenden sozialen Kompetenz habe der Antragsteller nur unzureichend vermittelt. Die Feststellung in einer der dienstlichen Beurteilungen des Antragstellers vom (Notar J. in S. ), wonach der Antragsteller über das für den Notarberuf erforderliche Einfühlungsvermögen verfüge und gegenüber Kunden und Mitarbeitern den richtigen Ton treffe, stehe im Gegensatz zu dem von den Gesprächsteilnehmern im Vorstellungsgespräch gewonnenen Eindruck. Auch die Einschätzung der persönlichen Eignung des Antragstellers in der Beurteilung eines anderen Notars vom (Dr. R. in E. ) habe sich allenfalls insoweit bestätigt, als der Antragsteller seine Auffassung mit Nachdruck vertrete und sich nicht scheue, klare Positionen zu beziehen. Durch das Vorstellungsgespräch seien Zweifel, ob der Antragsteller in der Lage sein werde, das Vertrauen der rechtsuchenden Bevölkerung in E. zu gewinnen, nicht vollständig beseitigt worden. Letztlich halte die Antragsgegnerin den Antragsteller noch für persönlich geeignet zur Übernahme der Notarstelle in E. . Er sei allerdings wegen der dargestellten Mängel "weit weniger geeignet" als die Mitbewerber. Darüber hinaus sei die weitere Beteiligte zu 1 auch fachlich besser geeignet, als der Antragsteller, weil sie das bessere zweite Staatsexamen absolviert habe. Der Unterschied werde nicht durch das bessere Ergebnis des Antragstellers im ersten Staatsexamen kompensiert.

Hiergegen hat der Antragsteller Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Er hat geltend gemacht, aus dem Vorstellungsgespräch vom ergebe sich keine verwertbare Grundlage für die Beurteilung seiner persönlichen Eignung für das Amt des Notars. Was die fachliche Eignung angehe, sei das Ergebnis seiner Ersten juristischen Staatsprüfung zu Unrecht beim Vergleich mit der weiteren Beteiligten zu 1 unberücksichtigt geblieben. Den Ausschlag hätte zu seinen Gunsten geben müssen, daß er im Gegensatz zu der weiteren Beteiligten zu 1 schon mehrere Jahre Berufserfahrung als Notar habe.

Das Oberlandesgericht hat den auf Neubescheidung durch die Justizverwaltung gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen, ebenso den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung. Mit der sofortigen Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein (Haupt-)Begehren weiter und beantragt auch in der Beschwerdeinstanz den Erlaß einer einstweiligen Anordnung auf Untersagung der Besetzung der Notarstelle mit einem Mitbewerber.

II.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 111 Abs. 4 BNotO i.V.m. § 42 Abs. 4 BRAO zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Das Oberlandesgericht hat den Antrag des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom zu Unrecht zurückgewiesen; die von der Antragsgegnerin getroffene Auswahlentscheidung ist entgegen der Auffassung der Vorinstanz rechtsfehlerhaft und beeinträchtigt den Antragsteller in seinen Rechten.

1. Bei der Auswahl unter mehreren geeigneten Bewerbern für das Amt des Notars (vgl. § 6 Abs. 3 BNotO) steht der Landesjustizverwaltung zwar kein Ermessen zu - solange nicht, was hier aber ausscheidet, in zulässiger Weise organisationsrechtliche und personalwirtschaftliche Überlegungen in die Entscheidung einfließen (vgl. Senatsbeschlüsse vom - NotZ 25/95 - DNotZ 1996, 906; - NotZ 28/00 - DNotZ 2001, 730; - NotZ 13/02 - DNotZ 2003, 228 und - NotZ 47/02 - ZNotP 2003, 470) -, wohl aber ein Beurteilungsspielraum (vgl. Senat BGHZ 124, 327; 134, 137). Die Auswahlentscheidung als Akt wertender Erkenntnis, sowohl was die Bewertung der persönlichen als auch die der fachlichen Eignung für das Notaramt angeht, ist vom Gericht nur darauf überprüfbar, ob ihr ein zutreffendes Verständnis des gesetzlichen Auswahlmaßstabes zugrunde liegt, ob allgemein gültige Wertmaßstäbe beachtet und sachwidrige Erwägungen ausgeschlossen sind und ob der zu beurteilende Tatbestand verfahrensfehlerfrei festgestellt wurde (BGHZ 124, 327, 331).

2. a) Im vorliegenden Fall beanstandet der Antragsteller zu Recht die Art und Weise, wie die Justizverwaltung bezüglich seiner Person eine wesentlich geringere persönliche Eignung als bei den anderen Bewerbern festgestellt hat.

aa) Die persönliche Eignung für das Notaramt ist gegeben, wenn die inneren und äußeren Eigenschaften des Bewerbers, wie sie sich insbesondere in seinem äußeren Verhalten offenbaren, keinen begründeten Zweifel aufkommen lassen, daß er die Aufgaben und Pflichten eines Notars gewissenhaft erfüllen werde (BGHZ 124, 327, 334 m.w.N.); diese Pflichten haben im Gesetz in den Geboten der Unabhängigkeit (§ 1 BNotO), der Gewissenhaftigkeit (§ 14 Abs. 1 BNotO), der Redlichkeit und Lauterkeit (§§ 14 Abs. 2, 67 Abs. 1 Satz 2

BNotO), der Fähigkeit, die Rechtsuchenden auf dem Gebiet der vorsorgenden Rechtspflege zu betreuen (§§ 14 Abs. 1 Satz 2, 24 BNotO), schließlich der Wahrung der verfassungsmäßigen Ordnung (§§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 Satz 1 BNotO) und der Berufswürde (§ 14 Abs. 2 BNotO) eine Normierung erfahren.

Die Prüfung der persönlichen Eignung vor der Stellenbesetzung bei mehreren Bewerbern umfaßt zweierlei Ebenen: Zum einen muß jeder Bewerber überhaupt nach seiner Persönlichkeit für das Amt des Notars geeignet sein (§ 6 Abs. 1 BNotO). Zum anderen kann sich die Frage ergeben, ob sich etwa die bessere persönliche Eignung eines Bewerbers gegen die Konkurrenten im Rahmen der Auswahl nach § 6 Abs. 3 BNotO durchsetzt (vgl. BGHZ 124, 327, 334).

bb) Dabei sind allerdings schon nach dem Prüfungsgegenstand die Möglichkeiten für die Justizverwaltung zur Gewinnung eigener (unmittelbarer) Erkenntnisse im Rahmen des Bewerbungsverfahrens begrenzt. Insbesondere dann, wenn es sich - wie hier bei dem Antragsteller - bei dem Bewerber um einen bereits "gestandenen" Notar handelt, der als Notarassessor mehrfach dienstlich beurteilt worden war und auch schon als Inhaber des Notaramts mehrere Berufsjahre (einschließlich der Prüfung seiner Amtstätigkeit durch die Aufsichtsbehörde) hinter sich hat, gibt in erster Linie die Art und Weise der bisherigen Berufsausübung des Bewerbers Auskunft über seine persönliche Eignung. Das heißt, es ist vorrangig Sache der (Auswertung der) bisher vorliegenden dienstlichen Beurteilungen, gegebenenfalls auch der Ergebnisse der Geschäftsprüfungen (vgl. - DNotZ 1996, 906, 911 f), verläßlich Auskunft über die (persönliche) Eignung zu geben (vgl. - für Beförderungen im Justizbereich - OVG Nordrhein-Westfalen DRiZ 1998, 426).

Der Rückgriff auf dienstliche Beurteilungen als grundsätzlich unentbehrliche und wesentliche Erkenntnisgrundlage ist auch verfahrensrechtlich erforderlich, um gleichermaßen für alle Bewerber den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Bestenauslese (Art. 33 Abs. 2 GG) zu gewährleisten (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen aaO).

cc) Unter beiden Gesichtspunkten kann im Streitfall das Vorstellungsgespräch vom - auch unabhängig von den weiteren Vorbehalten des Antragstellers wegen der "Vorgeschichte" dieser Gespräche - keine Grundlage sein für eine persönliche Abqualifizierung des Antragstellers, so wie sie hier erfolgt ist.

Weder die Bundesnotarordnung noch das nordrhein-westfälische Landesrecht enthalten Verfahrensvorschriften, die vor der Bewerbung und Bestellung von Notaren zur hauptberuflichen Amtsausübung Vorstellungsgespräche vorsehen. Auch die AVNot NW besagt dazu nichts; sie sieht allerdings Vorstellungsgespräche mit Bewerbern für den Anwärterdienst vor. Zwar sind auch ohne eine ausdrückliche Regelung aus allgemeinen Grundsätzen des öffentlichen Dienstrechts gegen die grundsätzliche Möglichkeit solcher Vorstellungsgespräche zur Prüfung der persönlichen Eignung von Notarbewerbern keine Bedenken zu erheben (vgl. auch BGHZ 124, 327, 335), zumal dann, wenn, wie hier, der Bewerber bei einer anderen Justizverwaltung den Anwärterdienst durchlaufen hat oder als Notar tätig war. Dessen ungeachtet ist zu berücksichtigen, daß solche Gespräche nur eine "Momentaufnahme" von den Fähigkeiten des jeweiligen Bewerbers vermitteln können (vgl. im Beamtenrecht OVG Nordrhein-Westfalen DRiZ 1998, 426, 428 m.w.N.). Ausgehend hiervon handelt die Landesjustizverwaltung verfahrensfehlerhaft, wenn sie sich, wie hier, unter bloßer Bezugnahme auf ein solches Vorstellungsgespräch über sämtliche sonst vorhandenen Erkenntnisse hinsichtlich der persönlichen Eignung des Bewerbers hinwegsetzt und es unterläßt, alle insoweit in Betracht kommenden Erkenntnisquellen auszuschöpfen.

b) Auch die Beurteilung der fachlichen Eignung des Antragstellers in Konkurrenz zu der weiteren Beteiligten zu 1 durch die Antragsgegnerin ist nicht rechtsfehlerfrei erfolgt.

aa) Ohne daß insoweit auf alle weiteren Einzelheiten eingegangen zu werden braucht, trifft jedenfalls die Beanstandung des Antragstellers zu, daß die Antragsgegnerin von ihrem - an sich zutreffenden - Ausgangspunkt, daß es in erster Linie auf das Ergebnis der Zweiten juristischen Staatsprüfung ankam (§ 6 Abs. 3 Satz 1 BNotO), nicht wenigstens (ausdrücklich) in Betracht gezogen und erwogen hat, von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, das - überragende - Ergebnis des Antragstellers im Ersten Staatsexamen zur Abrundung des Leistungsvergleichs mit einzubeziehen (vgl. - DNotZ 1994, 332, 333). Diese Möglichkeit - und damit eine Sicht, wonach der Antragsteller (mindestens) gleichwertig mit der weiteren Beteiligten zu 1 hätte eingestuft werden können - drängte sich hier jedenfalls so auf, daß die Justizverwaltung sich mit diesem Gesichtspunkt hätte näher auseinandersetzen müssen.

bb) Angesichts dessen läßt sich im Streitfall auch nicht ausschließen, daß die Antragsgegnerin bei rechtmäßiger Handhabung ihres Beurteilungsspielraums, auch was die fachliche Eignung des Antragstellers angeht, zu einer Beurteilung gelangt wäre, in der (ab Gleichwertigkeit der Bewerber) das höhere Dienstalter des Antragstellers möglicherweise eine entscheidende Rolle hätte spielen können (vgl. § 6 Abs. 3 Satz 3 BNotO; Senatsbeschlüsse vom - NotZ 58/92 - DNotZ 1994, 332 und vom - NotZ 25/95 - DNotZ 1996, 906, 910).

III.

Die Antragsgegnerin hat daher über den vorliegenden Bewerbungsantrag des Antragstellers erneut zu entscheiden.

Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung im Beschwerdeverfahren ist durch die vorliegend getroffene Beschwerdeentscheidung gegenstandslos geworden.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BB 2004 S. 1134 Nr. 21
SAAAC-01508

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja