BVerfG Beschluss v. - 2 BvR 1514/03

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: BVerfGG § 34a Abs. 2; BVerfGG § 93a Abs. 2 Buchstabe b; BVerfGG § 93c; BVerfGG § 93c Abs. 1 Satz 1; StVollzG § 114; StVollzG § 116; StVollzG § 116 Abs. 1; StPO § 456 a; GG Art. 19 Abs. 4

Instanzenzug: OLG Karlsruhe 3 Ws 181/03 vom

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Verwerfung einer die Haftraumbedingungen betreffenden Rechtsbeschwerde nach § 116 StVollzG als unzulässig mangels fortbestehenden Rechtsschutzinteresses.

I.

1. Der Beschwerdeführer verbüßte eine Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt M. Am wurde er aus der Haft heraus abgeschoben.

Im Zeitraum vor seiner Abschiebung war er jedenfalls seit dem in einem regelmäßig mit zwei Gefangenen belegten Haftraum untergebracht, dessen Grundfläche nach seiner für das fachgerichtliche Verfahren angestellten Berechnung 8,44 Quadratmeter, nach Angabe der Justizvollzugsanstalt in diesem Verfahren 7,78 Quadratmeter betrug und dessen WC- und Waschbereich lediglich durch einen Schamvorhang abgetrennt war.

Am gab der psychologische Dienst der Justizvollzugsanstalt M. die Empfehlung ab, den Beschwerdeführer wegen einer Angststörung mit Panikattacken weiterhin in einer Zwei-Mann-Zelle unterzubringen.

Mit einem beim Landgericht Mannheim am eingegangenen Antrag auf gerichtliche Entscheidung beantragte der Beschwerdeführer die Feststellung, dass seine Unterbringung menschenunwürdig und unzulässig sei. Ferner stellte er einen Eilantrag nach § 114 StVollzG. Mit Beschluss vom wies das Landgericht Mannheim den Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurück und verwarf den Eilantrag als unzulässig. Die Unterbringung des Beschwerdeführers sei zwar grenzwertig, sein Antrag aber dennoch zu verwerfen. Die Justizvollzugsanstalt M. sei bekanntermaßen ein etwa 100 Jahre altes Gebäude mit außergewöhnlich großen Raumhöhen. Die Kubikmeterzahl des Haftraums gewährleiste daher ausreichend Luft zum Atmen. Eine weitergehende Entscheidung könne nicht getroffen werden. Der Beschwerdeführer habe nicht vorgetragen, wann er in den Haftraum eingewiesen worden sei und in welcher Zeit er sich dort befunden habe. Zugleich geht das Gericht in seinem Beschluss davon aus, dass der Beschwerdeführer "offensichtlich zur Zeit der Antragstellung am bis zu seiner Abschiebung gem. § 456 a StPO am " in dem Haftraum untergebracht gewesen sei.

2. Die Rechtsbeschwerde gegen diese Entscheidung wurde vom als unzulässig verworfen. Die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG seien nicht erfüllt. Ein Interesse des Beschwerdeführers an nachträglicher Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Unterbringung sei nicht gegeben. Ein Interesse an nachträglicher Feststellung setze voraus, dass entweder Wiederholungsgefahr bestehe oder die direkte Belastung des Beschwerdeführers sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränke, in welcher eine gerichtliche Entscheidung nicht zu erlangen sei, oder dass die beanstandete Maßnahme diskriminierend wirke und deshalb ein Rehabilitationsinteresse anzuerkennen sei. Keine dieser drei Voraussetzungen liege vor. Die Annahme einer diskriminierenden Wirkung der Unterbringung scheide schon deswegen aus, weil die vom Beschwerdeführer beanstandete Unterbringung ihren Grund nicht allein in der Überbelegung der Justizvollzugsanstalt M. gehabt, sondern auf Besonderheiten in der Person des Verurteilten beruht habe. Denn aufgrund einer nervenärztlich festgestellten psychiatrischen Grunderkrankung des Beschwerdeführers mit Panikattacken bei größeren Menschenansammlungen einerseits und einem Anfallsleiden andererseits habe der Beschwerdeführer nicht allein in einem Einzelhaftraum untergebracht werden wollen. Eine ihm von der Justizvollzugsanstalt mehrfach angebotene Unterbringung in einem Gemeinschaftsraum von 12,5 Quadratmeter, der üblicherweise mit drei Gefangenen belegt sei, habe der Beschwerdeführer - nach seinem eigenen Vorbringen - jeweils abgelehnt, weil ihm die Justizvollzugsanstalt nicht die dauerhafte Belegung mit nur einem weiteren Gefangenen zugesichert habe.

II.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen den . Die Art seiner Unterbringung sei diskriminierend und menschenunwürdig gewesen. Durch die WC-Situation sei sein Schamgefühl zutiefst verletzt worden. Eine Intim- und Privatsphäre habe es nicht mehr gegeben. Das Oberlandesgericht habe zu Unrecht ein Feststellungsinteresse verneint. Zu Unrecht habe es ihm eine Mitverantwortung an seiner Unterbringungssituation in der Justizvollzugsanstalt M. zugeschrieben.

Es könne ihm nicht vorgeworfen werden, dass er einen Zellenwechsel aufgrund seiner Erkrankung abgelehnt habe.

Das Justizministerium des Landes Baden-Württemberg hat von einer Stellungnahme zu den Rechtsfragen des Falles abgesehen. Zu der tatsächlichen Unterbringungssituation hat es ausgeführt, der Beschwerdeführer sei zunächst in Hafträumen für drei Gefangene untergebracht gewesen, ehe er am aufgrund ärztlichen Rates in einen regelmäßig mit zwei Personen belegten Haftraum verlegt worden sei. Dieser Haftraum habe eine Grundfläche von 8,24 Quadratmetern und einen Rauminhalt von 23,96 Kubikmetern. Der Aufenthalt dort habe, unterbrochen durch kurzfristige Verlegungen in die Justizvollzugsanstalten H. und S., bis zum angedauert.

III.

1. Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Die Voraussetzungen für die Entscheidungszuständigkeit der Kammer (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG) liegen vor. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgebliche Frage der Voraussetzungen fortbestehenden Rechtsschutzinteresses in Fällen der Erledigung hat das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt.

2. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf wirksamen Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährt Art. 19 Abs. 4 GG nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen; er garantiert vielmehr auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Der Bürger hat einen substanziellen Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 35, 382 <401 f.>; 104, 220 <231 ff.> - stRspr). Der Zugang zu den staatlichen Gerichten darf nicht in einer Weise erschwert werden, die sich aus Sachgründen nicht rechtfertigen lässt. Art. 19 Abs. 4 GG gebietet daher den Gerichten, das Verfahrensrecht so anzuwenden, dass den erkennbaren Interessen des rechtsschutzsuchenden Bürgers bestmöglich Rechnung getragen wird.

Mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes ist es allerdings prinzipiell vereinbar, die Rechtsschutzgewährung von einem fortbestehenden Rechtsschutzinteresse abhängig zu machen.

Daher ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn die Fachgerichte bei Erledigung des Verfahrensgegenstandes einen Fortfall des Rechtsschutzinteresses annehmen (vgl. BVerfGE 104, 220 <232>). Trotz Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzziels kann ein Bedürfnis nach gerichtlicher Entscheidung aber fortbestehen, wenn das Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtslage in besonderer Weise schutzwürdig ist (vgl. BVerfGE 104, 220 <232 ff.>). In Verfahren, die die Haftraumunterbringung eines Gefangenen betreffen, entfällt, sofern eine Verletzung der Menschenwürde durch die Art und Weise der Unterbringung in Frage steht, das Rechtsschutzinteresse nicht mit der Beendigung der beanstandeten Unterbringung (vgl. Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats des - und - 2 BvR 261/01 -, NJW 2002, S. 2699 ff.; -, ZfStrVo 2004, S. 304; - OLGSt StVollzG § 18 Nr. 4, S. 2).

Im vorliegenden Fall beanstandete der Beschwerdeführer seine Unterbringung zusammen mit einer weiteren Person in einem Haftraum von etwa achteinhalb - nach den Feststellungen der Justizvollzugsanstalt weniger als acht - Quadratmetern, in dem der WC-Bereich nur mit einem Schamvorhang abgetrennt war. Damit stand eine Verletzung des Rechts des Beschwerdeführers auf Achtung seiner Menschenwürde in Frage (vgl. Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Februar und , a.a.O.; aus der fachgerichtlichen Rechtsprechung vgl. a.a.O.; OLG Zweibrücken, Beschluss vom - 1 Ws 276/04 - JURIS; OLG Frankfurt, Beschluss vom - 3 Ws 578/03 -, NJW 2003, S. 2843 ff.; (nr) -, StV 2004, S. 550 ff.). Von weiteren Voraussetzungen war das Rechtsschutzinteresse des Beschwerdeführers nicht abhängig.

Das Rechtsschutzinteresse konnte auch nicht mit der Begründung verneint werden, dass der Beschwerdeführer die ihm angebotene Verlegung in einen anderen Haftraum abgelehnt habe. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass in diesem anderen - größeren (12,5 Quadratmeter), dafür aber regelmäßig mit drei Gefangenen belegten - Haftraum die Haftbedingungen für den Beschwerdeführer günstiger gewesen wären als in dem bisherigen (vgl. auch OLG Frankfurt, Beschluss vom - 3 Ws 1176/02 -, NVwZ-RR 2003, S. 59; OLG Frankfurt, Beschluss vom - 3 Ws 447/85 - StV 1986, S. 27).

3. Die angegriffene Entscheidung beruht auf der festgestellten Verletzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 GG. Sie ist daher aufzuheben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).

4. Die Erstattung der notwendigen Auslagen steht dem Beschwerdeführer gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG zu.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Fundstelle(n):
CAAAB-86690