BVerfG Beschluss v. - 1 BvR 936/97

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: GG Art. 20 Abs. 1; GG Art. 20 Abs. 3

Instanzenzug: BSG 5 RJ 32/95 vom

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Gewährung einer so genannten großen Witwenrente im Beitrittsgebiet.

I.

1. Die Ehe der 1911 geborenen früheren Beschwerdeführerin Frau Minna T. mit dem Versicherten, Herrn Walter T., wurde im März 1970 im Beitrittsgebiet geschieden. Bei der Ehescheidung wurden im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs monatliche Unterhaltszahlungen des Versicherten in Höhe von 220 Mark vereinbart. Nach dessen Tod im Jahre 1983 leistete der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) - Verwaltung der Sozialversicherung - diesen Betrag als Unterhaltsrente nach § 49 der Verordnung über die Gewährung und Berechnung von Renten der Sozialpflichtversicherung - Rentenverordnung - vom (Rentenverordnung 1979, GBl I Nr. 43 S. 401, 407 <im Folgenden: RentenVO 1979>) in gleicher Höhe.

a) Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) nahm im Rahmen der Rentenüberleitung mit Bescheid vom eine Umwertung der Unterhaltsrente in eine "große Witwenrente" in Höhe von 220,01 DM zum vor. Frau T. beantragte bei der seit für sie als Rentenversicherungsträger zuständigen Bahnversicherungsanstalt (BVA) die Gewährung einer Geschiedenenwitwenrente. Der Versicherungsträger lehnte dies mit Bescheid vom ab. Zur Begründung verwies er auf den Anspruchsausschluss in § 243 a SGB VI. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren klagte Frau Minna T. beim Sozialgericht.

b) Mit Bescheid vom nahm die Bahnversicherungsanstalt nach Anhörung der Betroffenen den Bescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom insoweit zurück, als eine große Witwenrente geleistet und diese umgewertet und angepasst worden war. Die Umwertung sei rechtswidrig gewesen, weil es für die nach dem Recht der Deutschen Demokratischen Republik gewährten Unterhaltsrenten im Recht der Bundesrepublik Deutschland keine Entsprechung gebe und dieser Umstand eine Umwertung nach § 307 a SGB VI ausschließe. Stattdessen sei lediglich ein Bestandsschutz dergestalt zu gewähren, dass die Unterhaltsrente nach der Rentenüberleitung als statischer, also nicht zu dynamisierender Auffüllbetrag nach § 315 a SGB VI weiter zu leisten sei. Auch gegen diesen Bescheid klagte Frau T. beim Sozialgericht.

c) Das Sozialgericht wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom insgesamt als unbegründet ab. Der Anspruch auf eine große Witwenrente werde durch die Sonderregelung des § 243 a SGB VI ausgeschlossen. Der Rücknahmebescheid vom sei nach § 45 Abs. 1 SGB X rechtmäßig, da der Umwertungsbescheid vom rechtswidrig gewesen sei. Ein Anspruch der Klägerin auf Weiterzahlung der bislang gewährten Unterhaltsrente als große Witwenrente habe nicht bestanden. Die Unterhaltsrente nach § 49 RentenVO 1979 sei von der Umwertung nach § 307 a SGB VI ausgenommen, da es im Recht der Bundesrepublik Deutschland keine vergleichbare Rente gebe. Weil Leistungen aus dem Beitrittsgebiet Bestandsschutz gewährt werde, werde die Unterhaltsrente lediglich als Auffüllbetrag nach § 315 a SGB VI weiter gezahlt.

Das Landessozialgericht hob mit Urteil den Gerichtsbescheid auf und verurteilte die Bahnversicherungsanstalt, an Frau T. die große Witwenrente ab dem zu gewähren, dabei die versicherungsrechtlichen Zeiten des Versicherten zu Grunde zu legen und mindestens den Bestandsbetrag von 235,05 DM brutto monatlich zu zahlen. Der Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer anpassungsfähigen Rente beruhe auf den § 307 a und § 300 Abs. 4 SGB VI.

Das Bundessozialgericht hat auf die Berufung der Beklagten mit Urteil vom das Urteil des Landessozialgerichts aufgehoben und die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts zurückgewiesen. Der Anspruch auf eine große Witwenrente sei durch § 243 a SGB VI ausgeschlossen. Er könne nicht auf § 307 a SGB VI gestützt werden, da die Vorschrift eine reine Berechnungsvorschrift sei. Die nach § 49 RentenVO 1979 gewährte Unterhaltsrente sei von der Umwertung gemäß § 307 a SGB VI ausgenommen, weil es im Geltungsbereich des SGB VI eine vergleichbare Rente nicht gebe. Entgegen der Ansicht des Landessozialgerichts seien nicht unterschiedslos alle Renten umzuwerten, auf deren Zahlung am ein Anspruch bestand. Bei der Unterhaltsrente handele es sich um ein ganz anderes Institut der sozialen Sicherung als bei der Witwenrente an geschiedene Ehegatten. Denn durch die Unterhaltsrente solle der Anspruch auf eine gerichtlich festgelegte Unterhaltszahlung auch nach dem Tode des geschiedenen Ehegatten unabhängig von den Beitragszahlungen des Verstorbenen staatlich garantiert werden. Dies ergebe sich daraus, dass ein Anspruch auf Unterhaltsrente auch bestanden habe, wenn der zur Unterhaltszahlung verpflichtete geschiedene Ehegatte nur eine - beitragsunabhängige - Versorgungsrente bezogen oder einen Anspruch auf eine solche Versorgung gehabt habe, es sich also nicht notwendig um eine beitragsbezogene Leistung gehandelt habe.

Zudem sei die Dauer der Rentenleistung durch die Dauer der gerichtlich festgelegten Unterhaltszahlung bestimmt (§ 49 Abs. 1 Satz 3 RentenVO 1979). Die Leistungshöhe sei auf 270 Mark begrenzt (§ 49 Abs. 2 Satz 2 RentenVO 1979). Schließlich mache der "gesetzliche Anspruchsausschluss des § 243 Satz 1 SGB VI" deutlich, dass eine im Wege der Analogie zu füllende Regelungslücke nicht bestehe (gemeint ist wohl § 243 a Satz 1 SGB VI). Wenn der Gesetzgeber für Zugangsrentner den Anspruch auf eine Geschiedenenwitwenrente ausgeschlossen habe, könne es nicht in seiner Absicht gestanden haben, Bestandsrentnern, die eine Unterhaltsrente beziehen, den Anspruch auf eine unbefristete und dynamische Geschiedenenwitwenrente einzuräumen. Diese hätten vielmehr entweder einen Anspruch auf Erziehungsrente gemäß § 243 a Satz 2 SGB VI oder aber - entsprechend der Regelung im Bescheid der Beklagten vom - nach § 315 a SGB VI auf einen Auffüllbetrag. Da im Streit nur eine den Auffüllbetrag übersteigende, also höhere und dynamisierungsfähige Rentenleistung der Beklagten sei, habe der Senat über die Rechtmäßigkeit der Leistungserbringung nach § 315 a SGB VI nicht zu entscheiden.

2. Mit der gegen das Urteil des Bundessozialgerichts erhobenen Verfassungsbeschwerde wird die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 und 3 GG sowie des Sozialstaatsprinzips und des Verhältnismäßigkeitsprinzips als spezielle Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips aus Art. 20 Abs. 1 und 3 GG gerügt. Nach dem Tod von Frau T. haben ihre drei Söhne Reinhard T., Horst T. und Klaus T. gemeinsam die Verfassungsbeschwerde fortgeführt. Nach dem Tod von Klaus T. ist dessen Frau Ingrid T. insoweit an seine Stelle getreten.

II.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Dabei kann offen bleiben, ob die Verfassungsbeschwerde den Mindestanforderungen des § 92 in Verbindung mit § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG an einen ordnungsgemäßen Vortrag genügt. Jedenfalls verletzt die angegriffene Gerichtsentscheidung keine Grundrechte der früheren Beschwerdeführerin.

1. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegt nicht vor.

a) Die Vorschrift gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt aber das Grundrecht, wenn er bei Regelungen, die Personengruppen betreffen, eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (vgl. BVerfGE 102, 41 <54>; stRspr). Dabei war dem Gesetzgeber bei der Neuordnung sozialrechtlicher Rechtsverhältnisse im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung ein besonders großer Gestaltungsspielraum zuzubilligen (vgl. BVerfGE 100, 59 <94 f.>).

Der allgemeine Gleichheitssatz bindet gemäß Art 1 Abs. 3 GG auch die Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht (vgl. BVerfGE 42, 64 <72> und gebietet Gleichheit der Rechtsanwendung durch den Richter im Interesse materieller Gerechtigkeit. Unbeschadet dessen bleibt die Auslegung und Anwendung einfachen formellen und materiellen Rechts grundsätzlich Sache der zuständigen Instanzgerichte. Die verfassungsgerichtliche Kontrolle der Verletzung des Gleichheitssatzes durch gerichtliche Entscheidungen greift deshalb erst, wenn eine fehlerhafte Rechtsanwendung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 4, 1 <7>; 18, 85 <96>; 34, 325 <328 f.>; 42, 64 <74, 78>; stRspr).

b) Im Rahmen einer so begrenzten Prüfung ist eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG durch die angegriffene Entscheidung des Bundessozialgerichts nicht ersichtlich.

aa) Eine Ungleichbehandlung der früheren Beschwerdeführerin Minna T. mit Personen aus anderen Vergleichsgruppen ist nicht erfolgt. Andere ostdeutsche Bezieherinnen oder Bezieher von Unterhaltsrente nach § 49 RentenVO 1979 werden gleich behandelt. Frauen in den alten Bundesländern hatten keinen Anspruch auf eine vergleichbare Unterhaltsrente. Da zudem nach den überzeugenden Ausführungen des Bundessozialgerichts die Unterhaltsrente nach § 49 RentenVO 1979 mit keiner Rente nach dem SGB VI vergleichbar ist, lag es auch im Interesse der Vereinheitlichung des Rentenrechts, diese Unterhaltsrenten nicht unbegrenzt zu gewähren. Danach konnte die Betroffene keine Umwertung ihrer Unterhaltsrente in eine Versicherungsleistung nach dem SGB VI verlangen, sondern lediglich die Gewährung eines Auffüllbetrages nach § 315 a SGB VI. Nach den - insoweit von der Beschwerdeführerin nicht angegriffenen - Feststellungen des Bundessozialgerichts ist die Dynamisierung des Auffüllbetrags nach § 315 a SGB VI nicht Gegenstand des fachgerichtlichen Verfahrens gewesen.

bb) Auch soweit das Bundessozialgericht die Nichtgewährung der Geschiedenenwitwenrente unter Berufung auf § 243 a SGB VI bestätigt, ist seine Entscheidung nicht zu beanstanden. Nach dem Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats des ) steht der in dieser Vorschrift geregelte Anspruchsausschluss jedenfalls dann im Einklang mit dem Grundgesetz, wenn eine adäquate eigene Alterssicherung besteht. Zu dieser Frage erfolgte in der Verfassungsbeschwerde keinerlei Vortrag. Ein solcher Vortrag wäre aber auch schon vor dem oben genannten Beschluss veranlasst gewesen. Den Akten lässt sich zudem nicht entnehmen, ob die Beschwerdeführerin nach dem Recht der Deutschen Demokratischen Republik einen nachehelichen Unterhaltsanspruch hatte. Der gewährte Unterhalt beruhte auf einer im Scheidungsverfahren getroffenen Vereinbarung (vgl. § 30 Abs. 3 des Familiengesetzbuchs der Deutschen Demokratischen Republik vom , GBl I, 1966, Nr. 1 S. 1). Außerdem ist ungeklärt, ob beim Tod des Versicherten im Jahre 1983 - also dreizehn Jahre nach der 1970 erfolgten Scheidung - die Voraussetzungen eines gesetzlichen Unterhaltsanspruchs, sofern ein solcher gegeben war, fortbestanden haben. Ein fortbestehender Unterhaltsanspruch wäre aber nach § 49 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe a RentenVO 1979 Voraussetzung für das Entstehen eines Anspruchs auf Unterhaltsrente gewesen. Unsicherheit besteht auch bezüglich der Frage, ob die Voraussetzungen für die Gewährung der Unterhaltsrente fortlaufend vorgelegen haben.

2. Auf eine weitere Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG verzichtet.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Fundstelle(n):
WAAAB-86238