BGH Beschluss v. - 2 StR 30/22

Instanzenzug: LG Aachen Az: 100 KLs 1/21

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten K.            unter Freisprechung im Übrigen (Fall II.9 der Urteilsgründe) wegen banden- und gewerbsmäßigen Betruges, Beihilfe zum banden- und gewerbsmäßigen Betrug in vier Fällen, banden- und gewerbsmäßiger Urkundenfälschung in drei Fällen (Fälle II.1 bis II.8 der Urteilsgründe) und Verschaffens falscher amtlicher Ausweise (Fall II.10 der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Dagegen richtet sich die auf eine Verfahrensrüge und die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; insoweit ist es gemäß § 357 StPO auf den Nichtrevidenten und in entsprechender Anwendung des § 357 StPO auf die Nebenbeteiligte zu erstrecken. Im Übrigen ist die Revision unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

31. Spätestens im Oktober 2018 fassten „ein unbekannt gebliebener bzw. mehrere unbekannt gebliebene Täter“ den Entschluss, künftig hochpreisige Fahrzeuge unter Vorlage gefälschter Dokumente gegenüber gewerblichen Verkäufern bzw. Leasinggebern und finanzierenden Banken zu kaufen oder zu leasen und weiterzuverkaufen. Um ihre Identität zu verschleiern, sollten in Litauen angeworbene Dritte die Verträge schließen. Die Vorderleute sollten unter Vorspiegelung einer Arbeitsmöglichkeit in die Bundesrepublik Deutschland gelockt und zur Unterzeichnung der Verträge verleitet werden. Sie sollten zur Finanzierung der Geschäfte gefälschte Verdienstbescheinigungen vorlegen, die Fahrzeuge entgegennehmen und sie an die Hinterleute weitergeben. Dann sollten sie nach Litauen zurückkehren. Zur Ausführung dieses Tatplans wurden als Vorderleute Ba.       , Ka.            und M.           angeworben. Die „Gruppierung“ verschaffte sich Blanko-Zulassungsbescheinigungen zur Herstellung falscher Fahrzeugpapiere, die von Unbekannten beim Landratsamt S.            gestohlen worden waren. Die Hinterleute wollten die Fahrzeuge auch mehrfach zum Verkauf anbieten. Ferner wollten sie weitere Fahrzeuge anbieten, die sie nicht besaßen, um Anzahlungen auf den Kaufpreis zu vereinnahmen. Anzahl und Identität der Hinterleute konnten nicht festgestellt werden.

4Um eine seriöse Geschäftsstruktur vorzuspiegeln, bediente sich die „Gruppierung“ der Nebenbeteiligten D.        GmbH, als deren Geschäftsführer der Nichtrevident B.          fungierte. Der Angeklagte schloss sich spätestens im Oktober 2018 der „Gruppierung“ an. Er organisierte in erheblichem Umfang die Aktivitäten und nahm eine für das Gelingen des Tatplans zentrale Position ein. Er mietete ab Oktober 2018 eine Monteurwohnung für die Vorderleute an. Dort zogen nacheinander Ba.        , Ka.            und M.           ein. Der Angeklagte sorgte dafür, dass die Vorderleute beim Einwohnermeldeamt angemeldet wurden und Meldebescheinigungen erhielten; er organisierte außerdem Kontoeröffnungen auf deren Namen. Der Nichtrevident eröffnete für die Nebenbeteiligte ein Konto.

52. Im Einzelnen kam es zu folgenden Taten:

6Fall II.1 der Urteilsgründe: Ba.         wurde im Oktober 2018 von Unbekannten in V.        für eine Tätigkeit als Bauarbeiter in der Bundesrepublik Deutschland angeworben und in der von dem Angeklagten angemieteten Wohnung einquartiert. Er meldete sich an und eröffnete ein Konto. Ihm wurden Unterlagen vorgelegt, die angeblich für die Arbeitsaufnahme benötigt würden. Tatsächlich handelte es sich um einen Darlehensvertrag über 76.673,29 € und die Bestellung eines Pkw Audi RS3 quattro zum Kaufpreis von 69.211 €. Dem gewerblichen Verkäufer wurden gefälschte Gehaltsbescheinigungen übersandt. Zum Zwecke des Abschlusses des Kaufvertrages wurde Ba.       von einem „A.       “ oder „Ar.   “ zu dem Verkäufer gefahren, er begab sich dort allein zu einem Mitarbeiter und überreichte seinen Ausweis, von dem eine Kopie angefertigt wurde. Dann unterzeichnete er den Kaufvertrag und übernahm das Fahrzeug, das er an „A.      “ oder „Ar.    “ übergab. Danach reiste er zurück nach Litauen. Die erste Darlehensrate wurde von seinem Konto abgebucht, weitere Raten konnten nicht eingezogen werden.

7Fall II.2 der Urteilsgründe: Der von Ba.         gekaufte Pkw Audi RS3 quattro wurde im März oder April 2019 unter Hinweis auf einen Hagelschaden im Internet zum Kauf angeboten. Der Angeklagte einigte sich mit zwei Kaufinteressenten auf einen Kaufpreis von 37.800 €, die ihm eine Anzahlung von 5.000 € übergaben. Der Angeklagte händigte ihnen eine gefälschte Zulassungsbescheinigung aus. Vor der Übergabe wurde das Fahrzeug von der Polizei sichergestellt.

8Fall II.3 der Urteilsgründe: Der Vordermann M.           wurde in Litauen angeworben und in die von dem Angeklagten gemietete Wohnung gebracht. Unter Mithilfe des Angeklagten eröffnete er ein Konto. Der Angeklagte, M.          oder ein Dritter nahmen telefonisch Kontakt mit einem gewerblichen Leasinggeber auf, um einen Audi Q8 50 TDI quattro zu leasen. Am unterschrieb M.            einen Leasingvertrag für das Fahrzeug. Der Vertrag wurde zusammen mit gefälschten Verdienstbescheinigungen an die finanzierende Bank übersandt. Gemeinsam mit dem Angeklagten holte M.           das Fahrzeug am ab. Die Leasingraten konnten mangels Deckung auf dem Konto des M.           nicht abgebucht werden.

9Fall II.4 der Urteilsgründe: Der Vordermann Ka.          wurde im Dezember 2018 in Litauen vom Angeklagten angeworben, um in der Bundesrepublik Deutschland als Bauarbeiter tätig zu werden. Er zog in die angemietete Wohnung. Vorübergehend war er im Trockenbau tätig. Der Angeklagte besuchte ihn und versorgte ihn mit Alkohol und Lebensmitteln. Ka.         händigte dem Angeklagten seinen Pass aus, den er nach einigen Tagen zurückerhielt. Am unterschrieb er einen Darlehensantrag über 97.688 € zum Erwerb eines Audi Q8 50 TDI quattro. Der Vertrag wurde mit gefälschten französischen Verdienstbescheinigungen bei der finanzierenden Bank eingereicht. Gemeinsam mit dem Angeklagten holte Ka.           nach Bewilligung des Darlehens das Fahrzeug am in C.              ab und reiste anschließend nach Litauen zurück. Die Darlehensraten konnten mangels Deckung nicht von dem Konto von Ka.           eingezogen werden.

10Fälle II.5 und II.6 der Urteilsgründe: Die im Zuge der Fälle II.3 und II.4 der Urteilsgründe erlangten Fahrzeuge wurden im März oder April 2019 von den Hintermännern unter Hinweis auf einen Hagelschaden im Internet zum Kauf angeboten. Ein Kaufinteressent einigte sich „mit den Hintermännern“ auf den Kauf beider Fahrzeuge zu einem Preis von jeweils 53.000 €. Ein Unbekannter fertigte als Vertreter der Nebenbeteiligten entsprechende Kaufverträge aus. Der Käufer leistete Anzahlungen von zweimal 4.000 € auf das Konto der Nebenbeteiligten. Die Übergabe der Fahrzeuge war für den vorgesehen. Der Angeklagte und der Nichtrevident händigten dem Käufer gefälschte Zulassungsbescheinigungen aus. Der Käufer und seine Begleiter kontrollierten die Fahrzeugidentifikationsnummern und stellten Ungenauigkeiten fest. Zur Übergabe der Fahrzeuge kam es deshalb nicht.

11Fall II.7 der Urteilsgründe: Die „Gruppierung“ verkaufte das im Zuge des Falls II.4 der Urteilsgründe erlangte Fahrzeug ein weiteres Mal an eine Dritte für 55.600 €. Für die „Gruppierung“ Handelnde übersandten der Dritten Lichtbilder und gefälschte Zulassungsbescheinigungen. Die Käuferin überwies den Kaufpreis auf das Konto der Nebenbeteiligten. Die Auslieferung des Fahrzeugs war nicht beabsichtigt und wurde nicht durchgeführt.

12Fall II.8 der Urteilsgründe: „Hinterleute“ verkauften das im Zuge des Falls II.4 der Urteilsgründe erlangte Fahrzeug ein weiteres Mal unter Vorlage einer gefälschten Zulassungsbescheinigung an einen Dritten für 55.200 €, der eine Anzahlung in Höhe von 28.000 € auf das Konto der Nebenbeteiligten überwies. Eine Auslieferung des Fahrzeugs war nicht beabsichtigt.

13Fall II.9 der Urteilsgründe: Im April 2019 bot die „Gruppierung“ über das Internet einen Pkw Audi RS3 zum Preis von 38.000 € an, ohne im Besitz des Fahrzeugs zu sein. Die Nebenbeteiligte verkaufte es am nach Übersendung von Lichtbildern und gefälschten Zulassungsbescheinigungen an einen Dritten, der eine Anzahlung auf das Firmenkonto der Nebenbeteiligten leistete. Ein konkreter Tatbeitrag des Angeklagten ließ sich nicht feststellen, weshalb er in diesem Fall freigesprochen wurde.

143. Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte im Fall II.4 der Urteilsgründe „aufgrund seiner zentralen Position“ als Mittäter banden- und gewerbsmäßig einen Betrug begangen habe, wohingegen er in den Fällen II.1, II.3, II.7 und II.8 der Urteilsgründe wegen geringerer Tatbeiträge nur Beihilfe geleistet habe. Durch die Beschaffung des Fahrzeugs im Fall II.4 der Urteilsgründe habe der Angeklagte die Folgetaten in den Fällen II.7 und II.8 der Urteilsgründe gefördert. In den Fällen II.2, II.5 und II.6 der Urteilsgründe sei von einer gewerbs- und bandenmäßigen Urkundenfälschung durch Vorlage falscher Zulassungsbescheinigungen auszugehen.

15Die Feststellung, dass bei den Taten II.1 bis II.8 der Urteilsgründe neben dem Angeklagten mindestens eine weitere Person als Hintermann mitgewirkt habe, hat das Landgericht aus der Aussage des Ka.          abgeleitet, wonach der Angeklagte während der gemeinsamen Fahrt nach C.              am im Fall II.4 der Urteilsgründe telefoniert und zu dem unbekannten Gesprächspartner „okay, okay, okay“ gesagt habe. „Bei lebensnaher Betrachtung“ sei davon auszugehen, dass es sich bei dem Gesprächspartner um einen der Hintermänner gehandelt habe. Für die Existenz eines Hintermanns spreche ferner, dass ausweislich eines Chatverlaufs zu den Fällen II.5 und II.6 der Urteilsgründe ein Kommunikationspartner des Käufers mit diesem in einem Zeitraum Kontakt über WhatsApp gehabt habe, in dem der Angeklagte oder der Nichtrevident nicht in der Lage gewesen seien, WhatsApp Nachrichten zu versenden.

16Zur Einbeziehung des Angeklagten in die „Gruppierung“ hat das Landgericht in einer Gesamtschau auf die Anmietung der Monteurwohnung und die Begleitung der Vorderleute in den Fällen II.3 und II.4 der Urteilsgründe zur Abholung der Fahrzeuge, die Begleitung des Nichtrevidenten zum Notartermin anlässlich des Erwerbs der Gesellschaftsanteile an der Nebenbeteiligten, das Verhalten des Angeklagten bei Eintreffen der Polizei in den Fällen II.5 und II.6 der Urteilsgründe und das anschließende Auffinden der Bankkarte des Ka.            bei ihm verwiesen. Den Vorsatz des Angeklagten zur Mitwirkung an Taten der „Gruppierung“ hat das Landgericht zudem darauf gestützt, dass der Nichtrevident kein eigenes Geld gehabt habe, um den Kaufpreis für die Gesellschaftsanteile an der Nebenbeteiligten in bar zu bezahlen.

II.

17Die Verfahrensrüge bleibt aus den vom Generalbundesanwalt genannten Gründen ohne Erfolg. Die Revision ist aber mit der Sachrüge begründet, soweit sie sich gegen die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen II.1 bis II.8 der Urteilsgründe richtet. Die Beweiswürdigung des Landgerichts weist zum Nachteil des Angeklagten durchgreifende Rechtsfehler auf.

181. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist grundsätzlich darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder einen gesicherten Erfahrungssatz verstößt. Die zur richterlichen Überzeugung erforderliche persönliche Gewissheit des Richters setzt aber auch objektive Grundlagen voraus. Diese müssen aus rationalen Gründen den Schluss erlauben, dass das festgestellte Geschehen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Das ist der Nachprüfung durch das Revisionsgericht zugänglich (vgl. , BGHR StPO § 261 Vermutung 11). Deshalb müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht. Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung daher auch, wenn die vom Tatrichter gezogenen Schlussfolgerungen sich so sehr von einer festen Tatsachengrundlage entfernen, dass sie nur noch einen Verdacht zu begründen vermögen (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 63/87, BGHR StPO § 261 Vermutung 1; vom – 5 StR 216/91, BGHR StPO § 261 Vermutung 8; vom – 4 StR 242/90, StV 1992, 261, 262; vom – 5 StR 453/94, StV 1995, 453 f.; vom – 4 StR 128/23, NStZ-RR 2023, 325). Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass das Tatgericht alle festgestellten Tatumstände und Beweisergebnisse, soweit sie für oder gegen den Angeklagten sprechen können oder beide Möglichkeiten zulassen, einer umfassenden und erschöpfenden Würdigung unterzogen hat.

19Überdies muss die Beweiswürdigung aus sich heraus verständlich sein. Den Anforderungen an eine aus sich heraus verständliche Beweiswürdigung genügt, klar und bestimmt die für die Überzeugungsbildung des Tatgerichts maßgeblichen Gesichtspunkte im Rahmen einer strukturierten, verstandesmäßig einsichtigen Darstellung hervorzuheben. Als Ergebnis einer wertenden Auswahl des Tatgerichts zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem ist das Beweisergebnis nur soweit zu erörtern, wie es für die Entscheidung von Bedeutung ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 470/06, NStZ 2007, 720, und vom – 3 StR 486/17, juris). Eine vollständige Dokumentation der Beweisaufnahme ist ebenso wenig angezeigt wie die Angabe eines Belegs für jede Feststellung, mag diese auch noch so unwesentlich sein (vgl. , BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 2 Beweisergebnis Darstellung 2). Das Abfassen unangemessen breiter Urteilsgründe ist rechtlich nicht geboten, aber geeignet, Widersprüche oder Unklarheiten in der weiträumigen Urteilsbegründung zu übersehen, den Blick auf das Wesentliche zu verstellen und dadurch den Bestand des Urteils zu gefährden (, BGHR StPO § 267 Darstellung 2).

202. Diesen rechtlichen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht gerecht. Nicht nur leidet sie an erheblichen darstellerischen Mängeln, die ihre Verständlichkeit in Frage stellen. Sie ist auch lückenhaft.

21a) Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten auch auf die Angaben der in der Hauptverhandlung als Zeugin vernommenen Vermieterin gestützt, weil die Vermieterin in der Hauptverhandlung erklärt habe, den Angeklagten als Mieter der Monteurwohnung wiedererkannt zu haben. Nach den Urteilsgründen handelte es sich bei diesem Wiedererkennen in der Hauptverhandlung um einen Fall des „wiederholten Wiedererkennens“, weil im Vorverfahren eine Wahllichtbildvorlage erfolgt war. Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, dass sich das Landgericht der verringerten Beweisbedeutung eines wiederholten Wiedererkennens (vgl. , BGHSt 16, 204, 205 ff.; Beschluss vom – 4 StR 468/17, juris Rn. 4) bewusst war. In solchen Fällen kommt dem ersten Wiedererkennen größeres Gewicht zu, weshalb Ablauf und Ergebnisse einer Wahllichtbildvorlage, die zum ersten Wiedererkennen geführt hat, genau zu würdigen sind. Die Tatsache, dass die Vermieterin den Angeklagten bereits im Rahmen einer Wahllichtbildvorlage bei der Polizei als Mieter der Wohnung erkannt haben will, wird in den Urteilsgründen aber nur am Rande erwähnt. Das genügt dem notwendigen Urteilsinhalt zu einer solchen Beweisgewinnung nicht (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 6 StR 110/23, NStZ 2023, 511, und vom – 5 StR 483/22, NStZ-RR 2023, 254, 255).

22b) Dem als Zeugen vernommenen Mitarbeiter des Leasinggebers hat das Landgericht in der Hauptverhandlung zur Frage, wer der Begleiter des M.           im Fall II.3 der Urteilsgründe gewesen sei, Lichtbilder von Personen aus den Akten vorgelegt, worauf der Mitarbeiter des Leasinggebers den Angeklagten als Begleiter erkannt haben will. „100 % sicher sei er sich nicht“. Das Landgericht hat sich von der Richtigkeit des Wiedererkennens des Angeklagten durch den Mitarbeiter überzeugt, weil der Zeuge auch bekundet habe, er habe den Angeklagten vor dem Sitzungssaal angetroffen, der ihm dabei bekannt vorgekommen sei. Der Zeuge habe den Angeklagten gefragt, ob sie sich nicht irgendwoher kennen würden, was der Angeklagte jedoch verneint habe. Daraus hat das Landgericht einen Beleg dafür entnommen, dass der Zeuge den Angeklagten in der Hauptverhandlung zu Recht wiedererkannt habe. Diese Urteilsausführungen ermöglichen es nicht, den Beweiswert der Wiedererkennungsleistung zu beurteilen (vgl. , JR 2011, 119, 120 mit Anm. Eisenberg), weil sie schon nicht mitteilen, welche Personen auf den Lichtbildern „auf Bl. 597 bis 605 dA“ zu sehen waren, die dem Zeugen in der Hauptverhandlung vorgehalten wurden. Die beschriebene Gesprächssituation vor dem Sitzungssaal ist ohne Aussagekraft für die Richtigkeit des Wiedererkennens im Rahmen der Zeugenvernehmung.

23c) Die Annahme von Täterschaft des Angeklagten beim (banden- und gewerbsmäßig begangenen) vollendeten Betrug im Fall II.4 der Urteilsgründe ist ebenfalls nicht rechtsfehlerfrei begründet. Das Landgericht hat das dafür angeführte Tatinteresse hinsichtlich einer Beteiligung am Betrugserlös mit der „Lebenserfahrung“ begründet, zumal ein Geldzufluss vom Firmenkonto der Nebenbeteiligten nicht festzustellen war. Die Begründung eines anderen Geschehens allein mit der Lebenserfahrung ist indessen nicht mehr als eine bloße Vermutung.

24d) In den Fällen II.7 und II.8 der Urteilsgründe hat das Landgericht eine Förderung jener Taten durch den Angeklagten aufgrund seiner Beteiligung an der Fahrzeugbeschaffung im Fall II.4 der Urteilsgründe angenommen, aber einen Vorsatz des Angeklagten zur Mitwirkung auch in den Fällen II.7 und II.8 der Urteilsgründe nicht erläutert und belegt. Andernfalls wäre dem Angeklagten im Übrigen auch nur eine Tat anzulasten, weil er selbst gegebenenfalls nur einen einheitlichen Tatbeitrag geleistet hätte.

25e) Die Urteilsgründe ermöglichen es auch nicht, Unterschiede in den Ergebnissen der Bewertung festgestellter Tatbeiträge des Angeklagten nachzuvollziehen. Vielmehr ist zu besorgen, dass das Landgericht von einer ungenauen Vorstellung von der Art und Bedeutung der Organisations- und Mitwirkungshandlungen des Angeklagten ausgegangen ist. Der Wertung, der Angeklagte habe durch Organisationshandlungen eine für das Gelingen des Tatplans zentrale Position eingenommen, widerspricht es, wenn das Landgericht an anderer Stelle betont, es habe nicht festgestellt werden können, dass er eine der Führungsfiguren gewesen sei.

26f) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnen schließlich die Ausführungen des Landgerichts zur bandenmäßigen Begehung.

27Das Landgericht hat allein daraus, dass ein zeitlicher Zusammenhang zu Einzeltaten mit der bei zwei verschiedenen Gelegenheiten geführten Kommunikation des Angeklagten beziehungsweise des Käufers in den Fällen II.5 und II.6 der Urteilsgründe mit unbekanntem Inhalt und unbekanntem Gesprächspartner bestanden habe, darauf geschlossen, dass jeweils ein unbekannter „Hintermann“ der – so gefolgert: zumindest von drei Personen gebildeten – „Gruppierung“ an den Gesprächen beteiligt gewesen sei und sich die Gespräche auf die aktuell angebahnten Taten bezogen hätten. Diese Überlegung ist angesichts des nicht festgestellten Gesprächsinhalts und des nicht festgestellten Kommunikationspartners nicht tragfähig. Soweit das Landgericht die Beweiskraft dieser Umstände durch den Hinweis auf eine „lebensnahe Betrachtung“ angereichert hat, liegt auch darin nicht mehr als eine bloße Vermutung.

28Insbesondere ergeben die bestätigenden Äußerungen des Angeklagten anlässlich eine Telefonats mit „okay, okay, okay“ im Fall II.4 der Urteilsgründe keinen aussagekräftigen Hinweis darauf, dass er mit einem „Hintermann“ telefoniert hat. Die Tatsache, dass auch der Käufer in den Fällen II.5 und II.6 der Urteilsgründe mit einem „Hintermann“ auf der Verkäuferseite kommuniziert haben soll, liegt nicht nahe; er kann auch mit einer Person kommuniziert haben, die zur Käuferseite gehörte. Allein die Zeitpunkte der Telefonate besagen nichts Anderes. Erst recht lässt sich kein nachvollziehbarer Querbezug zwischen den verschiedenen Gesprächen bei zwei Einzeltaten und anderen Taten herstellen.

293. Die genannten Rechtsfehler zwingen zur Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten in den Fällen II.1 bis II.8 der Urteilsgründe mit den dazu getroffenen Feststellungen, die von den aufgezeigten Rechtsfehlern mit betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO). Die Aufhebung der Verurteilung in den Fällen II.1 bis II.8 der Urteilsgründe zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs und der Einziehungsentscheidung mitsamt den Feststellungen nach sich. Die Verurteilung des Angeklagten im Fall II.10 der Urteilsgründe ist dagegen rechtsfehlerfrei und von der Aufhebung nicht betroffen.

III.

30Die Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten in den Fällen II.1 bis II.8 der Urteilsgründe ist auf den Nichtrevidenten B.          gemäß § 357 StPO zu erstrecken, weil dessen Verurteilung in diesen Fällen jedenfalls hinsichtlich der Frage der Bandenmäßigkeit der Tatbegehung auf denselben Rechtsfehlern beruht. Die Aufhebung umfasst auch den Ausspruch über die Einheitsjugendstrafe einschließlich der getroffenen Feststellungen. Dagegen kann die Entscheidung über die Anrechnung der vom Nichtrevidenten in Litauen erlittenen Auslieferungshaft bestehen bleiben, weil sie von dem Rechtsfehler nicht betroffen ist (vgl. , juris Rn. 3). Weiter fehlt es hinsichtlich des Falles II.9 der Urteilsgründe an den Voraussetzungen für eine Rechtskraftdurchbrechung auf der Grundlage des § 357 StPO.

31§ 357 StPO greift nur ein, wenn ein Nichtrevident in demselben Urteil wegen derselben Tat (vgl. , juris Rn. 17) wie der Revident verurteilt wurde und das Urteil insoweit auf demselben Rechtsfehler beruht, der zur Urteilsaufhebung zugunsten des Revidenten zwingt. Die bloße Gleichartigkeit der Rechtsverletzung hinsichtlich verschiedener Taten rechtfertigt keine Erstreckung der Revision (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 509/96, NStZ 1997, 281, und vom – 2 StR 321/19, juris Rn. 22).

32Mehr als eine Gleichartigkeit der Rechtsverletzung ist im Fall II.9 der Urteilsgründe indessen nicht gegeben. Das gilt unbeschadet der Tatsache, dass das Landgericht, ohne dies hinreichend beweiswürdigend zu unterlegen, von einer Beihilfe des Nichtrevidenten zum banden- und gewerbsmäßigen Betrug in sechs tateinheitlichen Fällen ausgegangen ist, zu denen es unter anderem den Fall II.9 der Urteilsgründe gerechnet hat. Denn für die Anwendung des § 357 StPO ist die Tat im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO maßgeblich, wie sie sich für den Revidenten darstellt. Ob mehrere Taten des Revidenten für den Nichtrevidenten zu einer Tat im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO verbunden sind, ist dagegen nicht entscheidend. Der Angeklagte ist im Fall II.9 der Urteilsgründe nicht verurteilt, sondern freigesprochen worden. Das Urteil unterliegt insoweit nicht der Aufhebung, so dass für eine Erstreckung nach dem Wortlaut des § 357 StPO kein Raum ist.

33Eine analoge Anwendung des § 357 StPO auf die hier gegebene Konstellation scheidet unbeschadet der Frage, ob insoweit überhaupt eine Regelungslücke besteht, jedenfalls aus, weil es an der Vergleichbarkeit der Regelungslage fehlt. Die Rechtsnatur des § 357 StPO als einer rechtskraftdurchbrechenden Ausnahmeregelung spricht für eine enge Auslegung der Vorschrift. Ihr Rechtscharakter verbietet zwar nicht von vorneherein jede erweiternde Auslegung oder Analogie, sie legt es aber nahe, hiervon allenfalls zurückhaltend Gebrauch zu machen (vgl. , BGHSt 51, 34, 41). Ist der Teilfreispruch für den Revidenten nicht anfechtbar und unterliegt der Teilfreispruch nicht der Urteilsaufhebung, so ist diese Ausgangslage nicht mit einem Fall vergleichbar, der zur Revisionserstreckung auf einen Nichtrevidenten führt. Entsprechend hat auch die Einziehungsentscheidung zulasten des Nichtrevidenten Bestand, die mit seiner Verurteilung im Fall II.9 der Urteilsgründe gerechtfertigt ist.

IV.

34Die Aufhebung des Urteils auf die Revision des Angeklagten K.            in den Fällen II.1 bis II.8 der Urteilsgründe führt dagegen in entsprechender Anwendung des § 357 StPO zur Aufhebung der Einziehungsentscheidung zulasten der Nebenbeteiligten in diesen Fällen, weil der zur Urteilsaufhebung zugunsten des Angeklagten führende Rechtsfehler sie in ihrer einem Angeklagten ähnelnden Rechtsposition gleichermaßen betrifft (vgl. , wistra 2019, 420, 422). Die Einziehung hinsichtlich der im Fall II.9 der Urteilsgründe der Nebenbeteiligten zugeflossenen 31.000 € hat dagegen Bestand, weil insoweit die Voraussetzungen einer entsprechenden Anwendung des § 357 StPO nicht vorliegen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:130324B2STR30.22.0

Fundstelle(n):
XAAAJ-67076