BGH Beschluss v. - StB 19/24

Gründe

I.

1Vor dem Oberlandesgericht ist gegen den Angeklagten und acht weitere Mitangeklagte ein Strafverfahren unter anderem wegen des Vorwurfs der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens anhängig. Einem Mitangeklagten wird in der Anklageschrift des Generalbundesanwalts daneben der Vorwurf des tatmehrheitlich begangenen versuchten Mordes zur Last gelegt. Nach Eröffnung des Hauptverfahrens und Zulassung der Anklageschrift hat der Vorsitzende des mit der Sache befassten Staatsschutzsenats Hauptverhandlung ab dem mit 48 Fortsetzungsterminen bis Anfang Januar 2025 bestimmt.

2Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat noch im Ermittlungsverfahren mit Beschluss vom dem Angeklagten mit dessen Zustimmung Rechtsanwalt M.   als Pflichtverteidiger und mit weiterem Beschluss vom Rechtsanwältin Mo.   als zusätzliche Pflichtverteidigerin bestellt. Rechtsanwältin D.       ist durch Vollmacht vom als Wahlverteidigerin mandatiert.

3Mit Schriftsatz vom hat der Angeklagte beantragt, Rechtsanwältin D.       als dritte Pflichtverteidigerin zu bestellen, da dies aufgrund der Schwere der Tat, der zu erwartenden Rechtsfolge, der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage und des Umfangs des Verfahrens erforderlich sei. Diesen Antrag hat das Oberlandesgericht durch Entscheidung des Vorsitzenden des mit der Sache befassten Staatsschutzsenats vom abgelehnt. Zur Begründung hat er unter näherer Darlegung seiner Ermessensausübung im Einzelnen ausgeführt, dass die zügige Durchführung des Verfahrens die Bestellung eines dritten Pflichtverteidigers nicht erfordert.

4Gegen die Rechtsanwältin D.       am zugestellte Entscheidung des Oberlandesgerichts hat der Angeklagte am sofortige Beschwerde eingelegt und erneut vorgebracht, dass die Beiordnung eines dritten Pflichtverteidigers erforderlich sei. Der Generalbundesanwalt ist dem Antrag mit Zuschrift vom entgegengetreten.

II.

5Die gemäß § 144 Abs. 1, § 142 Abs. 7 Satz 1, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1, § 311 StPO statthafte (vgl. , StraFo 2022, 285 mwN) und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die Entscheidung des Vorsitzenden des mit der Sache befassten Oberlandesgerichtssenats, den Antrag des Angeklagten auf Bestellung eines dritten Pflichtverteidigers abzulehnen, ist nicht zu beanstanden.

61. Zum Prüfungsmaßstab und zu den Voraussetzungen für die Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers gilt:

7a) Das Rechtsmittelgericht nimmt bei der Entscheidung über die sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers durch das erkennende Gericht keine eigenständige Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 StPO vor und übt kein eigenes Ermessen auf der Rechtsfolgenseite aus, sondern kontrolliert die angefochtene Entscheidung lediglich im Rahmen einer Vertretbarkeitsprüfung dahin, ob der Vorsitzende seinen Beurteilungsspielraum und die Grenzen seines Entscheidungsermessens überschritten hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom - StB 12/22, juris Rn. 8, 13; vom - StB 5/22, NStZ 2022, 696 Rn. 18; vom - StB 23/20, BGHSt 65, 129 Rn. 17 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 144 Rn. 12).

8b) Nach der Vorschrift des § 144 Abs. 1 StPO können in Fällen der notwendigen Verteidigung einem Beschuldigten zu seinem Wahl- oder (ersten) Pflichtverteidiger „bis zu zwei weitere Pflichtverteidiger zusätzlich“ bestellt werden, „wenn dies zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens, insbesondere wegen dessen Umfang oder Schwierigkeit, erforderlich ist“. Die Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers ist somit nicht schon dann geboten, wenn sie eine das weitere Verfahren sichernde Wirkung hat, also grundsätzlich zur Verfahrenssicherung geeignet ist. Vielmehr muss die Bestellung eines Sicherungsverteidigers zum Zeitpunkt ihrer Anordnung zur Sicherung der zügigen Verfahrensdurchführung notwendig sein (BGH, Beschlüsse vom - StB 12/22, juris Rn. 10; vom - StB 5/22, NStZ 2022, 696 Rn. 13; vom - StB 23/20, BGHSt 65, 129 Rn. 13).

9Die Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers ist daher lediglich in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht zu ziehen. Ein derartiger Fall ist nur anzunehmen, wenn hierfür - etwa wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache - ein unabweisbares Bedürfnis besteht, um eine sachgerechte Wahrnehmung der Rechte des Angeklagten sowie einen ordnungsgemäßen und dem Beschleunigungsgrundsatz entsprechenden Verfahrensverlauf zu gewährleisten (vgl. BGH, Beschlüsse vom - StB 12/22, juris Rn. 10 f.; vom - StB 5/22, NStZ 2022, 696 Rn. 15; vom - StB 23/20, BGHSt 65, 129 Rn. 14 mwN; s. auch BT-Drucks. 19/13829 S. 49 f.).

102. Hieran gemessen ist die Annahme des gemäß § 142 Abs. 3 Nr. 3 StPO zur Entscheidung berufenen Vorsitzenden des mit der Sache befassten Staatsschutzsenats des Oberlandesgerichts, die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers gemäß § 144 Abs. 1 StPO lägen nicht vor, vertretbar. Jedenfalls hat er mit dieser Beurteilung die Grenzen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums nicht überschritten.

11a) Die beiden bestellten Pflichtverteidiger stehen an allen terminierten Hauptverhandlungstagen zur Verfügung; eine Verhinderung hat keiner von ihnen angezeigt. Ferner gibt es keinen Anhalt dafür, dass einer von ihnen über längere Zeit an einer Teilnahme an der Hauptverhandlung gehindert sein könnte. Eine bloß abstrakt-theoretische Möglichkeit eines späteren, zudem gleichzeitigen Ausfalls beider Pflichtverteidiger gibt keinen Anlass zur Bestellung eines dritten Pflichtverteidigers. Im Übrigen hat das Oberlandesgericht bereits angekündigt, es könne in einzelnen Verhinderungsfällen ein genehmigter Vertreter der Pflichtverteidiger in der Hauptverhandlung auftreten. Dass das Oberlandesgericht - abweichend von der Wertung in der Beschwerdeschrift und in den ergänzenden schriftsätzlichen Stellungnahmen der Verteidiger - die Bestellung eines dritten Pflichtverteidigers zur Verfahrenssicherung verneint hat, ist daher jedenfalls vertretbar.

12b) Gleichfalls als vertretbar erweist sich die Annahme der angefochtenen Entscheidung, dass der Umfang und die Schwierigkeit des Verfahrens nicht die Bestellung eines dritten Pflichtverteidigers gebieten. Der Verfahrensstoff ist zwar umfangreich, jedoch ist seine Durchdringung durch das arbeitsteilige Zusammenwirken der beiden bestellten Pflichtverteidiger auch mit Blick auf die zahlreichen Audiodateien, den Umfang des angekündigten Selbstleseverfahrens und die Beauftragung eines psychiatrischen Sachverständigen gewährleistet. Insofern ist auch zu bedenken, dass sich das Verfahren gegen neun Angeklagte richtet. Jedoch betrifft den Beschwerdeführer nicht das gesamte Aktenmaterial, zumal ihm die weitere angeklagte Tat wegen versuchten Mordes nicht zur Last gelegt wird. Zur rechtlichen Beurteilung der Tatvorwürfe liegt ferner teils gefestigte, teils aktuelle verfahrensgegenständliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor. Es besteht im Übrigen kein Anhalt dafür, dass sich im Laufe der Hauptverhandlung komplexe und ungeklärte Rechtsfragen stellen könnten, zu deren Bewältigung zwei Pflichtverteidiger nicht in der Lage wären. Der Umstand, dass zum selben Ermittlungskomplex möglicherweise zeitgleich Hauptverhandlungen vor zwei weiteren Oberlandesgerichten stattfinden werden, ist bereits im Rahmen der vorgenommenen Abwägung durch den Vorsitzenden des Staatsschutzsenats in den Blick genommen und gewürdigt worden. Auch insoweit hat er jedenfalls weder seinen Beurteilungsspielraum noch die Grenzen seines Entscheidungsermessens überschritten.

13c) Der Umstand, dass das Oberlandesgericht gemäß § 122 Abs. 2 Satz 2 GVG eine Besetzung in der Hauptverhandlung mit fünf Richtern beschlossen hat, gebietet entgegen dem ergänzenden Vorbringen der Wahlverteidigerin keine andere Beurteilung (vgl. , NStZ-RR 2022, 353, 354). Denn wegen der unterschiedlichen Aufgaben von Gericht und Verteidigung in der Hauptverhandlung kann nicht schon aus dieser Besetzung des Spruchkörpers der Schluss gezogen werden, dass die Verteidigung in der Hauptverhandlung von zwei Pflichtverteidigern nicht leistbar wäre. Hinzu kommt vorliegend, dass das Verfahren gegen insgesamt neun Angeklagte geführt wird, woraus ein erhöhter Aufwand für das Gericht, nicht aber in gleichem Umfang auch für die Verteidigung eines jeden Angeklagten resultiert.

14d) Im Übrigen sind die Rechte des Angeklagten an einer effektiven Verteidigung (s. Art. 6 Abs. 3 Buchst. c EMRK) und einem fairen Verfahren (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK) durch die Bestellung der Pflichtverteidiger M.   und Mo.   hinreichend gewahrt.

Schäfer                   Berg                   Voigt

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:270324BSTB19.24.0

Fundstelle(n):
HAAAJ-65376