BGH Urteil v. - 5 StR 428/23

Instanzenzug: Az: 614 KLs 2/23 jug

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in acht Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und in fünf Fällen in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln, wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen sowie wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Zudem hat es Einziehungsentscheidungen getroffen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision, während die Staatsanwaltschaft mit der Sachrüge den Schuldspruch in den Fällen II.1 und II.6 (Taten 6 bis 13) und den Strafausspruch angreift. Während die Revision des Angeklagten weitgehend erfolglos bleibt, führt die Revision der Staatsanwaltschaft – insoweit vom Generalbundesanwalt vertreten – zur Aufhebung des Strafausspruchs.

I.

21. Nach den Feststellungen des Landgerichts kam der selbst keine Drogen konsumierende Angeklagte spätestens Mitte 2020, also im Alter von 19 Jahren, über seinen weiteren Bekanntenkreis in Kontakt mit dem organisierten Betäubungsmittelhandel und begann in der Folgezeit damit, Betäubungsmittel anzukaufen und an Kunden zu vermitteln. Eine erste – nicht verfahrensgegenständliche – Handelsanfrage ist für den belegt. Nachdem der Angeklagte im Winter 2021 seine Karriere als Fußballspieler in der Oberliga beendet hatte, wurde er zu Beginn des Jahres 2022 für eine Tätigkeit als Fahrer eines Lieferservices für Marihuana angeworben. In der Folgezeit war er sowohl selbständig im Betäubungsmittelhandel tätig als auch weisungsgebunden für eine weitere Gruppierung als Betäubungsmittel-Ausfahrer. Es kam hierbei zu folgenden Einzeltaten:

3a) Am , fünf Tage vor seinem 21. Geburtstag, half der Angeklagte als Fahrer bei einer Gruppierung aus, die sich dem gewinnbringenden Marihuana-Verkauf mittels Lieferservice verschrieben hatte. Er verkaufte aus einem mitgeführten Vorrat von etwa 207 g Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 14,3 % THC etwas über 5 g zum Preis von 50 Euro, bevor er aufgrund polizeilicher Observation festgenommen und das Rauschgift sichergestellt wurde (Fall II.1).

4b) Am besaß der Angeklagte 15 g Marihuana (15 % THC), das er später gewinnbringend verkaufte. Er wollte seinen Vorrat vergrößern und bemühte sich deshalb um den Ankauf weiterer 100 g Marihuana gleicher Qualität zwecks Verkaufs. Er einigte sich mit einem Verkäufer schließlich auf den Ankauf von 50 g (15 % THC). Der Angeklagte wollte die 50 g zusammen mit den vorrätig gehaltenen 15 g gewinnbringend veräußern. Ob es zur Übergabe kam, konnte nicht festgestellt werden (Fall II.2).

5c) Am vermittelte der Angeklagte für 70 Euro Provision den Verkauf von 150 g Marihuana mit Wirkstoffgehalten zwischen 10 und 15 %. Seine Tätigkeit war dabei essentiell für den erfolgreichen Abschluss und Vollzug des Geschäfts (Fall II.3).

6d) Zwischen dem 25. und verkaufte der Angeklagte verschiedenen Abnehmern gewinnbringend den Großteil der von ihm hierfür vorrätig gehaltenen 1.150 g Marihuana (10 % THC; Fall II.4).

7e) Am besaß der Angeklagte 100 g Marihuana (15 % THC) und bot dies verschiedenen Interessenten zum Kauf an (Fall II.5).

8f) Zwischen dem 1. und war der Angeklagte – wie er wusste – als Mitglied einer hierarchisch aufgebauten Gruppierung tätig, die in H.      und Umgebung den Kokain- und Marihuana-Lieferdienst „B.      Taxi“ unterhielt. Er war dabei im Schichtdienst als weisungsgebundener Fahrer unterwegs, dem von der „Zentrale“ die Drogenbestellungen weitergeleitet wurden. Bei Schichtbeginn erhielten die Fahrer eine bestimmte Menge portionierter Verkaufseinheiten von Kokain und Marihuana, die sie zu festgesetzten Preisen ausliefern sollten. Diese stammte aus einem oder mehreren unbekannt gebliebenen Bunkern der Bande. Die Lieferadressen und -mengen erhielten die Fahrer während der Schicht per Sprachnachricht vorgegeben; grundsätzlich wurde der Fahrer mit der kürzesten Fahrtstrecke zum Käufer geschickt. Mit wenigen Ausnahmen waren die Vorräte des Angeklagten zum Schichtende leer. Dann musste er auch die Einnahmen abliefern und erhielt als Gegenleistung pro Schicht 200 Euro. Eine Verkaufseinheit für 50 Euro enthielt entweder 4 g Marihuana (10 % THC) oder 0,5 g Kokain (80 % KHC). An jedem Einzeltag setzte die Bande insgesamt jeweils nicht geringe Mengen Kokain und Marihuana um, was der Angeklagte wusste. In diesem Rahmen kam es zu folgenden Taten:

9Am hielt der Angeklagte mindestens drei Konsumeinheiten bereit, die zu Beginn der Schicht am noch übrig waren. An diesem Tag führte er daneben noch 3 g Kokain und 420 g Marihuana mit sich und lieferte die Drogen bis zum Schichtende an die Käufer nach Anweisung aus (Fall II.6 Tat 6). Am lieferte er 2,5 g Kokain und 16 g Marihuana aus (Fall II.6 Tat 7), am 1 g Kokain und 4 g Marihuana (Fall II.6 Tat 8), am 3,5 g Kokain und 20 g Marihuana (Fall II.6 Tat 9), am 0,5 g Kokain und 4 g Marihuana (Fall II.6 Tat 10), am 4,5 g Kokain und 28 g Marihuana (Fall II.6 Tat 11), am 3 g Kokain und 16 g Marihuana (Fall II.6 Tat 12) und am 7,43 g Kokain (85,4 % KHC) und 36,58 g Marihuana, wobei er Abends festgenommen wurde und Restmengen von 6,43 g Kokain und 8,58 g Marihuana sichergestellt werden konnten; zudem trug der Angeklagte bei der Festnahme zwei zum Verkauf bestimmte Fentanyltabletten bei sich (Fall II.6 Tat 13).

102. Die Strafkammer hat sich für ihre Überzeugungsbildung insbesondere auf die weitgehend geständigen Angaben des Angeklagten, Chatinhalte und Wirkstoffgutachten gestützt. In rechtlicher Hinsicht hat sie das Tätigwerden des Angeklagten im Fall II.1 sowie im Rahmen des Kokain- und Marihuana-Lieferdienstes „B.       Taxi“ (Fall II.6 Taten 6 bis 13) lediglich als Teilnahme am bandenmäßigen Betäubungsmittelhandel, jeweils in Tateinheit mit Besitzdelikten, gewertet, weil ihm als weisungsgebundenen Fahrer lediglich eine untergeordnete Rolle ohne selbständige Entscheidungsbefugnis zugekommen sei.

113. Die Strafkammer hat nach § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG auf den Angeklagten Jugendstrafrecht angewandt. Er sei bei Tat 1 noch Heranwachsender gewesen, bei dem – im Einklang mit der Einschätzung des Vertreters der Jugendgerichtshilfe – Reifeverzögerungen zumindest nicht auszuschließen seien. Auch auf die nach dem 21. Geburtstag begangenen Taten sei nach § 32 JGG einheitlich Jugendstrafrecht anzuwenden, weil das Schwergewicht der Taten aufgrund ihrer Wurzel im Reifestadium als Heranwachsender liege. Schließlich habe er die entscheidenden Kontakte in die Betäubungsmittelhändlerszene schon Mitte 2020 geknüpft und damals schon Drogen angeboten. Letztlich sei nicht auszuschließen, dass der Angeklagte mit den im frühen Erwachsenenalter begangenen Taten jeweils deliktische Verhaltensmuster aus seiner Jugend fortgesetzt habe. Die Verhängung von Jugendstrafe hat die Strafkammer auf die Annahme schädlicher Neigungen gestützt, dem Angeklagten eine Aufklärungshilfe im Sinne von § 31 BtMG zugutegehalten und auch mit erzieherischen Erwägungen eine Jugendstrafe von zwei Jahren begründet, deren Vollstreckung angesichts einer positiven Legalprognose zur Bewährung ausgesetzt werden könne. Bezüglich der vom Angeklagten erlangten Geldbeträge hat sie die – teils gesamtschuldnerische – Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 10.190 Euro sowie daneben die Einziehung der bei der Festnahme sichergestellten Drogen und der zur Tatbegehung benutzten Mobiltelefone angeordnet.

II.

121. Die Revision des Angeklagten führt zur Korrektur des Schuldspruchs im Fall II.6 (Taten 6 bis 13). Denn die konkurrenzrechtliche Beurteilung dieser Taten des Angeklagten hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

13a) Entgegen der Auffassung des Landgerichts tragen die Feststellungen nicht den Schluss, dass es sich bei den einzelnen Tagesschichten des Angeklagten als Auslieferungsfahrer jeweils um eigenständige Beihilfetaten zum Bandenhandel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge handelt. Die Strafkammer hat zwar zutreffend darauf abgestellt, dass der Angeklagte durch seine Fahrertätigkeit den Gesamtumsatz der Gruppierung unterstützt und sich deshalb unabhängig von der von ihm an einem Tag umgesetzten Drogenmenge der Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gemacht hat (vgl. ). Für die Beurteilung der Konkurrenzen in dieser Konstellation kommt es aber darauf an, wie viele Haupttaten der Angeklagte durch seine Beihilfehandlungen unterstützt hat. Denn fördern mehrere Beihilfehandlungen eine Haupttat, werden sie wegen der Akzessorietät der Beihilfe zu einer Tat im Rechtssinne zusammengefasst (vgl. nur mwN).

14In der vorliegenden Konstellation liegt nahe, dass die Gruppierung ihren Drogenvorrat nicht jeden Tag komplett abverkauft hat, sondern mehrere Tage lang aus einem – gegebenenfalls wieder aufgefüllten – Vorrat heraus verkauft wurde. Der Verkauf von Teilmengen aus einem Vorrat würde auf diesen Vorrat bezogen insgesamt nur eine Tat des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge darstellen (st. Rspr.; vgl. nur mwN). Dies würde dazu führen, dass sämtliche Beihilfehandlungen, die sich auf den Verkauf aus einem Vorrat der Haupttäter beziehen, zu einer Beihilfehandlung im Rechtssinne verbunden würden; die jeweiligen Besitztaten würden zur Beihilfe zum Bandenhandel von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit stehen (vgl. näher ; vgl. zur Klammerwirkung auch mwN).

15b) Da die Strafkammer die Vorratshaltung der Gruppierung in den unbekannt gebliebenen Bunkern nicht aufklären konnte, wäre es angesichts der konkreten Umstände des Einzelfalls, die für eine über einen Verkaufstag hinausgehende Vorratshaltung während der lediglich zehntägigen Tätigkeit des Angeklagten sprechen, geboten gewesen, nach dem Zweifelsgrundsatz die konkurrenzrechtlich günstigste Lösung zu wählen, also von einer Haupttat des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln auszugehen (vgl. , NJW 2002, 1810, 1811), zu der nur eine sukzessive Beihilfe geleistet wurde. Der Senat holt dies in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO nach. Dem steht § 265 StPO nicht entgegen, weil sich der insoweit geständige Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. Der Angeklagte hat sich demnach im Fall II.6 (Taten 6 bis 13) der Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei tateinheitlichen Fällen und mit Besitz von Betäubungsmitteln in fünf tateinheitlichen Fällen schuldig gemacht (vgl. zur ausnahmsweisen Tenorierung gleichartiger Tateinheit in solchen Fällen ).

16c) Auf die Bemessung der Jugendstrafe hat dies keine Auswirkung, da es sich um eine bloße Änderung der Konkurrenzen handelt (st. Rspr.; vgl. nur mwN).

172. Im Übrigen enthält das Urteil keine Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten.

183. Der geringfügige Erfolg des Rechtsmittels lässt es nicht unbillig erscheinen, den Beschwerdeführer insgesamt mit den Kosten zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

III.

19Die Revision der Staatsanwaltschaft hat zum Strafausspruch Erfolg.

201. Sie dringt allerdings nicht durch, soweit sie den Schuldspruch in den Fällen II.1 und II.6 (Taten 6 bis 13) mit der Begründung angreift, der Angeklagte habe in diesen Fällen statt wegen Beihilfe zum Bandenhandel in nicht geringer Menge wegen täterschaftlichen Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt werden müssen. Denn einen Rechtsfehler zeigt sie angesichts der untergeordneten, weisungsgebundenen und bis in die Einzelheiten vorgegebenen bloßen Fahrertätigkeit des Angeklagten nicht auf (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 461/21; vom – 5 StR 61/23).

212. Die Anwendung von Jugendstrafrecht hält allerdings revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Auf die Frage, ob die Strafkammer – für sich gesehen – rechtsfehlerfrei begründet hat, weshalb angesichts von Reifeverzögerungen des Angeklagten auf die gerade noch im Heranwachsenenalter begangene Tat II.1 Jugendstrafrecht Anwendung findet, kommt es nicht an. Denn die einheitliche Anwendung von Jugendstrafrecht auf alle Taten des Angeklagten enthält Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten, die dem Strafausspruch insgesamt die Grundlage entziehen.

22a) Nach § 32 Satz 1 JGG gilt einheitlich das Jugendstrafrecht für mehrere gleichzeitig abgeurteilte Straftaten, auf die teils Jugendstrafrecht und teils allgemeines Strafrecht anzuwenden wäre, wenn das Schwergewicht bei den nach Jugendstrafrecht zu beurteilenden Taten liegt. Ist dies nicht der Fall, ist nach § 32 Satz 2 JGG einheitlich auf alle Taten Erwachsenenstrafrecht anzuwenden.

23Die Beurteilung des Schwergewichts hängt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch davon ab, ob sich die späteren Straftaten im Erwachsenenalter als in den früheren bereits angelegt darstellen (vgl. , NStZ 2018, 662, 663; Beschluss vom – 3 StR 378/18, jeweils mwN). Die Zahl der Straftaten und deren äußere Schwere sind zwar Anzeichen dafür, dass bei dieser Gruppe von Taten das Schwergewicht liegt. Es ist aber nicht ausgeschlossen, Jugendstrafrecht selbst dann anzuwenden, wenn zwar die Mehrzahl der Straftaten im Erwachsenenalter begangen wurde, die in diesem Alter begangenen Straftaten aber letztlich aus den früheren Taten entstanden sind und sich dort die Tatwurzeln finden (vgl. , mwN). Allerdings erfasst die Prüfung nach § 32 JGG lediglich die von der Staatsanwaltschaft angeklagten Taten, die nach Eröffnung des Hauptverfahrens der Kognitionspflicht des Tatgerichts unterliegen (§ 264 StPO) und Gegenstand gleichzeitiger Aburteilung sind. Andere als angeklagte und abgeurteilte Taten sind schon aus systematischen Gründen nicht geeignet, eine Grundlage für die nach § 32 Satz 1 JGG vorausgesetzte Schwergewichtsprüfung zu bilden (, BGHSt 64, 178 Rn. 29; teilweise anders noch – nicht tragend – , JR 2020, 81).

24b) Diesen Maßstäben wird die Prüfung des Landgerichts nicht gerecht. Denn maßgeblich hat es darauf abgestellt, dass für die Taten im Erwachsenenalter Kontakte des Angeklagten zur Betäubungsmittelszene ab Mitte 2020 eine Rolle gespielt hätten. Schon im Mai 2020 habe er sich als Betäubungsmittelverkäufer angeboten. Aus demselben Bekanntenkreis seien dann ab spätestens Januar 2022 Betäubungsmittel an Kunden ausgeliefert worden. Aufgrund der bestehenden Kontakte sei der Angeklagte schließlich angesprochen und für die Gruppierung bei Tat II.1 tätig gewesen. Auch diese Umstände sprächen dafür, „dass die Wurzel der im Erwachsenenalter begangenen Taten ihren Ursprung in deliktischem Verhalten im Heranwachsendenalter“ habe. „Den früher verwirklichten Taten“ sei deshalb auslösende Bedeutung zugekommen.

25Bei ihrer Prüfung hat die Strafkammer damit entscheidend auf ein Verhalten im Jahr 2020 abgestellt, das weder angeklagt noch abgeurteilt worden ist. Dass die Tat II.1 die Wurzel für die übrigen Taten gewesen sei, behauptet das Landgericht nicht, sondern sieht den gemeinsamen Ursprung aller Taten in einem weiter zurückliegenden Geschehen aus dem Jahr 2020. Dies wird weder dem Wortlaut von § 32 JGG noch der gesetzlichen Systematik gerecht. Dass delinquentes Verhalten im Erwachsenenalter – wie nicht selten – seine Ursache (auch) in Umständen hat, die in die Jugend- und Heranwachsendenzeit fallen, reicht für die Anwendung von § 32 Satz 1 JGG nicht aus. Verglichen werden müssen vielmehr ausschließlich die zur Verurteilung anstehenden Taten untereinander, und zwar diejenigen im Jugend- oder Heranwachsendenalter mit denen im Erwachsenenalter. Dies allein ist Bezugspunkt für die Prüfung, wo (auch unter Berücksichtigung der „Wurzel“ späterer Taten) das Schwergewicht der Taten liegt, nicht – wie die Strafkammer meint – ein allgemein deliktisches Verhalten in der Jugend- oder Heranwachsendenzeit, das möglicherweise die „Wurzel“ aller zur Aburteilung anstehenden Straftaten des Angeklagten ist.

26c) Zudem erweist sich die Anwendung des Zweifelssatzes im Rahmen der Schwergewichtsprüfung nach § 32 JGG als rechtsfehlerhaft. Lässt sich nicht eindeutig erkennen, dass das Schwergewicht bei den vom Angeklagten als Heranwachsender begangenen und nach Jugendstrafrecht zu beurteilenden Straftaten liegt, ist nach § 32 Satz 2 JGG für alle Taten allgemeines Strafrecht anzuwenden (st. Rspr.; vgl. nur , NStZ 2016, 101 mwN). Demgegenüber hat das Landgericht die einheitliche Anwendung von Jugendstrafrecht zusammenfassend damit begründet, sie gehe „unter Anwendung des Zweifelsgrundsatzes davon aus, dass zumindest nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Angeklagte mit den im Erwachsenenalter begangenen Taten jeweils deliktische Verhaltensmuster aus seiner Jugendzeit fortsetzt und mithin Jugendstrafrecht Anwendung zu finden hat“.

27d) Auf die Frage, ob die Wertung der Strafkammer im Rahmen der Prüfung von § 32 JGG tragfähig ist, keiner der Taten komme hinsichtlich des verwirklichten Handlungs- und Erfolgsunrechts eine derart herausragende Bedeutung zu, dass die weiteren Taten dahinter zurückträten, kommt es demnach nicht mehr an.

283. Der Senat hebt die dem Strafausspruch zugehörigen Feststellungen mit auf, um dem zur neuerlichen Entscheidung berufenen Tatgericht widerspruchsfreie neue zu ermöglichen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:130324U5STR428.23.0

Fundstelle(n):
KAAAJ-64390