BGH Urteil v. - 2 StR 3/23

Instanzenzug: Az: 2 StR 3/23 Beschlussvorgehend LG Erfurt Az: 2 KLs 820 Js 34158/19

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „unerlaubten“ Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit „unerlaubtem“ Besitz von Betäubungsmitteln (Fälle II.1 und II.3 der Urteilsgründe) und wegen „Besitzes von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit dem verbotenen Besitz eines Elektroimpulsgerätes (Elektroschocker), zweier Schlagringe, eines Nunchaku (Würgeholzes) und zweier Wurfsterne“ (Fall II.2 der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision die Beweiswürdigung im Fall II.3 der Urteilsgründe und erstrebt eine Verurteilung des Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln. Ihre vom Generalbundesanwalt vertretene Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.

2Die Strafkammer hat zum Fall II.3 der Urteilsgründe folgende Feststellungen getroffen:

3Der Angeklagte wohnte seit Dezember 2020 gemeinsam mit dem Zeugen S.      in dessen Wohnung in W.    in einer Wohngemeinschaft. Dort stand ihm das Wohnzimmer zur alleinigen Nutzung zur Verfügung.

4Im September 2021 war der Angeklagte, der bereits zuvor Handel mit Betäubungsmitteln getrieben hatte, auf der Suche nach einem Abnehmer für Methamphetamin. Auf Vermittlung eines Bekannten traf er sich am mit einer Vertrauensperson der Polizei in einem Schnellrestaurant in W.   . Der Angeklagte bot der Vertrauensperson ein gerade vorrätiges knappes Kilogramm Methamphetamin an, dessen Qualität er als gut bewertete. Nachdem er zunächst einen Kaufpreis von 28.000 € pro Kilogramm verlangt hatte, einigten sich beide nach kurzer Verhandlung auf einen Preis von 23.000 €. Damit die Vertrauensperson sich selbst von der Qualität der Ware überzeugen konnte, fuhr der Angeklagte gemeinsam mit ihr zu seiner Wohnung. Er entnahm dem Kühlschrank zwei Tupperdosen, die jeweils ca. 500 Gramm Methamphetamin enthielten, zeigte sie der Vertrauensperson und verpackte eine Konsumeinheit als Probe. Das Geschäft kam an diesem Tag nicht zustande, die Vertrauensperson erklärte, sich beim Angeklagten zu melden, sobald sie wieder nach W.    komme. Der Angeklagte beabsichtigte, das vorrätige Methamphetamin am nächsten Tag an einen unbekannt gebliebenen Abnehmer aus E.    zum Preis von 25.000 € zu verkaufen, was jedoch scheiterte.

5Nachdem die Vertrauensperson die Wohnung verlassen hatte, entnahm der Angeklagte den Tupperdosen zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt eine Menge von 44,86 Gramm Methamphetamin mit einer Mindestwirkstoffmenge von 33,83 Gramm R-Methamphetamin-Base für den Eigenkonsum und legte diese in Alufolie verpackt in einen Hängeschrank im Wohnzimmer. Die übrige Menge der Betäubungsmittel schweißte er in Folie ein und bewahrte sie hiervon getrennt auf. Den genauen Aufbewahrungsort vermochte die Strafkammer nicht festzustellen. Die zum Verkauf bestimmte Menge wurde allerdings entweder in der Wohnung oder im zugehörigen Keller gelagert, weshalb die Strafkammer „in Anwendung des Zweifelsgrundsatzes“ von einer Lagerung im Keller ausging.

6In der Folgezeit verabredeten der Angeklagte und die Vertrauensperson eine Übergabe des Betäubungsmittels in W.    für den . Zum vereinbarten Treffpunkt ließ der Angeklagte sich vom Zeugen S.        fahren. Dort angekommen übergab die Vertrauensperson dem Angeklagten einen Geldbetrag in Höhe von 20.700 € für eine Methamphetaminmenge von 900 Gramm und erhielt im Gegenzug eine braune McDonalds-Tüte, in welcher sich zwei Tupperdosen befanden. Beide Dosen enthielten jeweils ein „(S)- und (R)-Methamphetamin-Gemisch“ mit einem Mindestwirkstoffgehalt von zusammen 79 Gramm (S)-Methamphetaminbase bzw. 581,55 Gramm R-Methamphetamin-Base.

7Die Strafkammer ist davon ausgegangen, dass es sich bei dem am übergebenen Methamphetamin um jenes handelte, das der Angeklagte der Vertrauensperson bereits am gezeigt hatte.

8Im Anschluss an die Übergabe erfolgten der polizeiliche Zugriff und die Festnahme des Angeklagten. Bei der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten wurde in einem Hängeschrank im Wohnzimmer eine funktionsfähige Schreckschusswaffe Walther P22 nebst passender Munition gefunden. Dort befand sich unterhalb der Schreckschusswaffe zudem das in Alufolie verpackte und zum Eigenkonsum bestimmte Methamphetamin, das er am dorthin gelegt hatte. Außerdem lag auf dem Boden im Wohnzimmer neben einem Vakuumiergerät, einer Feinwaage und sonstigem Verpackungsmaterial eine Machete mit einer Klingenlänge von 38 cm. Die Strafkammer vermochte sich nicht davon zu überzeugen, dass sich die Machete oder die Schreckschusspistole auch während des Verkaufsgesprächs am griffbereit im Wohnzimmer befanden.

II.

9Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet.

101. Die Staatsanwaltschaft wendet sich in ihrer Revisionsbegründung allein gegen den Schuldspruch im Fall II.3 der Urteilsgründe. Dieses Anfechtungsziel erfasst auch den Einzel- wie auch den Gesamtstrafenausspruch sowie die Anordnung des Vorwegvollzugs. Im Übrigen ist die Rechtsmittelbeschränkung wirksam. Damit ist auch die Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt vom Rechtsmittelangriff ausgenommen. Zwar sind in Fällen, in denen in einem Urteil Rechtsfolgen angeordnet wurden, die mehrere abgeurteilte Fälle zur Grundlage haben, diese Rechtsfolgen vielfach aufgrund fehlender Trennbarkeit mit angefochten (vgl. Löwe-Rosenberg/Franke, StPO, 26. Aufl., § 344 Rn. 20 mwN; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 318 Rn. 9 mwN). Insbesondere ist die Ausnahme einer Maßregelanordnung nach § 64 StGB vom Rechtsmittelangriff dann unwirksam, wenn sich die Revision gegen den Schuldspruch wendet, der als Symptomtat unauflösbar mit der Entscheidung über eine Maßregel nach § 64 StGB verbunden ist (vgl. Senat, Beschluss vom – 2 StR 397/13, BGHR StPO § 341 Abs. 1 Beschränkung 1 Rn. 5). Dies ist aber anders zu beurteilen, wenn mehrere Symptomtaten festgestellt sind, die vom Rechtsmittelangriff ausgenommen sind und die Maßregelanordnung losgelöst von den Beschwerdepunkten tragen (vgl. , juris Rn. 11).

11So verhält es sich hier. Der Angeklagte wurde neben dem von der Revision angegriffenen Fall II.3 der Urteilsgründe wegen zwei weiterer Taten verurteilt, auf die das Landgericht die Unterbringungsanordnung rechtsfehlerfrei ebenso gestützt hat.

122. Die dergestalt beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg, da die Beweiswürdigung durchgreifende Rechtsfehler aufweist. Die Annahme des Landgerichts, es sei entgegen dem Vorwurf in der Anklageschrift in Bezug auf die Geschehnisse am 19. September und am mit der nämlichen Methamphetaminmenge Handel getrieben worden, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand und lässt einen Verstoß gegen die aus § 264 StPO folgende Kognitionspflicht besorgen (dazu b)). Daneben hat die Strafkammer nicht tragfähig begründet, dass die Machete während des Verkaufsgesprächs am nicht zugriffsbereit im Wohnzimmer lag (dazu c)).

13a) Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Die revisionsrechtliche Überprüfung beschränkt sich darauf, ob diesem bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Erwägungen in sich widersprüchlich, unklar oder lückenhaft sind oder wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstoßen (st. Rspr.; vgl. nur ‒ 2 StR 48/22, juris Rn. 12 mwN).

14b) Gemessen daran ist die Beweiswürdigung, mit welcher das Landgericht davon ausgegangen ist, das am zum Verkauf angebotene Methamphetamingemisch stamme aus dem von dem Angeklagten am vorgehaltenen Vorrat, lücken- und damit rechtsfehlerhaft.

15Die Strafkammer hat bei ihrer Würdigung nicht erkennbar in den Blick genommen, dass die Zusammensetzung der am an die Vertrauensperson übergebenen Betäubungsmittel einerseits und der im Hängeschrank aufgefundenen, zum Eigenkonsum bestimmten Menge andererseits signifikante Unterschiede aufwiesen. So enthielten die bei der Wohnungsdurchsuchung sichergestellten 44,86 Gramm Methamphetamin allein den Wirkstoff R-Methamphetamin-Base, während sich das der Vertrauensperson am übergebene Methamphetamin aus einem Gemisch von S-Methamphetamin-Base und R-Methamphetamin-Base zusammensetzte. Dies hätte für das Landgericht mit Blick auf den von ihr angenommenen Umstand, der Angeklagte habe die zum Eigenkonsum bestimmten Betäubungsmittel nach dem aus der der Vertrauensperson zuvor angebotenen Menge entnommen, Anlass zur Prüfung sein müssen, ob nicht die unterschiedliche Zusammensetzung der Betäubungsmittel der Annahme, es handele sich bei dem der Vertrauensperson übergebenen Methamphetamingemischs um Betäubungsmittel aus dem Vorrat vom , entgegensteht (vgl. Senat, Urteil vom – 2 StR 408/17, juris Rn. 9). Jedenfalls ohne nähere Erörterung erklärt sich nicht, warum in der zum Eigenkonsum bestimmten Menge der Wirkstoff S-Methamphetamin-Base überhaupt nicht vorhanden war.

16Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Landgericht bei Berücksichtigung der unterschiedlichen Zusammensetzung der Betäubungsmittel zu der Überzeugung gelangt wäre, dass verschiedene Betäubungsmittelmengen zum Verkauf angeboten wurden. In diesem Fall wäre zu prüfen gewesen, ob der Angeklagte die der Vertrauensperson am zunächst angebotene Betäubungsmittelmenge zwischenzeitlich gewinnbringend veräußert und am mit einer anderen Betäubungsmittelmenge Handel getrieben hat.

17c) Daneben begründet die Strafkammer ihre Annahme, dass sich während der Verkaufsverhandlungen am die Machete nicht zugriffsbereit im Wohnzimmer befunden hat, nicht tragfähig.

18Die Strafkammer nimmt zwar an, dass die Machete entsprechend der Angaben des Zeugen S.        und entgegen der Einlassung des Angeklagten bereits vor dem in die Wohnung verbracht wurde. Es sei indes „gut denkbar“, dass sich die Machete – anders als vom Mitbewohner S.        im Allgemeinen berichtet – an diesem Tag nicht griffbereit „im Wohnzimmer auf dem Schrank neben dem Fernseher“ befunden habe. Das Urteil verhält sich jedoch nicht dazu, welche Anhaltspunkte es dafür unter Berücksichtigung der räumlichen Verhältnisse gegeben hat und warum ein anderer Aufbewahrungsort im Wohnzimmer gegebenenfalls ein „Mitsichführen“ im Sinne von § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG ausschließt (vgl. dazu , NStZ 2020, 554). Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom – 2 StR 146/17, NStZ-RR 2017, 383, 384).

19Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer bei rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung in Bezug auf das Verkaufsgespräch am zu anderen – den Tatbestand des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG tragenden – Feststellungen gelangt wäre. Auch dieser Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Falles II.3 der Urteilsgründe. Sollte der Tatrichter anders als im ersten Rechtsgang zu der Überzeugung gelangen, dass verschiedene Betäubungsmittelmengen gehandelt wurden, wird er zudem für beide Taten des Handeltreibens die Voraussetzungen des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG zu prüfen haben.

203. Die Aufhebung der Verurteilung im Fall II.3 der Urteilsgründe zieht die Aufhebung der entsprechenden Einzelstrafe und des Gesamtstrafenausspruchs nach sich. Der Wegfall der Gesamtstrafe entzieht der Entscheidung über das Absehen von der Anordnung des Vorwegvollzugs gemäß § 67 Abs. 2 Satz 1 StGB die Grundlage, da diese Frage untrennbar mit der Höhe der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe verbunden ist (vgl. , juris Rn. 22 mwN).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:111023U2STR3.23.0

Fundstelle(n):
JAAAJ-64266