BGH Urteil v. - VI ZR 466/19

Diesel-Abgasskandal: Deliktische Vorteilsausgleichung bei einem geleasten Mercedes-Benz E 350 T CDI mit einem Dieselmotor Typ OM 642 Euro 6

Leitsatz

Im Rahmen der deliktischen Vorteilsausgleichung entspricht der Wert der während der Leasingzeit erlangten Nutzungsvorteile eines Kraftfahrzeugs grundsätzlich der Höhe nach den vereinbarten Leasingzahlungen.

Gesetze: § 249 BGB, § 823 Abs 2 BGB, § 826 BGB, Art 3 Nr 10 EGV 715/2007, Art 5 Abs 1 EGV 715/2007, Art 5 Abs 2 EGV 715/2007, § 6 Abs 1 EG-FGV, § 27 Abs 1 EG-FGV

Instanzenzug: Az: 12 U 246/19 Urteilvorgehend LG Mainz Az: 9 O 78/18

Tatbestand

1Der Kläger nimmt den beklagten Fahrzeughersteller auf Schadensersatz wegen Verwendung einer angeblich unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch.

2Der Kläger schloss im Mai 2017 mit der Mercedes Benz Leasing GmbH einen Leasingvertrag über einen von der Beklagten hergestellten Pkw Mercedes-Benz E 350 T CDI mit einer Laufzeit bis zum ab. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 642 Schadstoffklasse 6 ausgestattet. Es ist von einem Rückruf durch Bescheid des Kraftfahrtbundesamts (KBA) vom betroffen, gegen den die Beklagte Widerspruch eingelegt hat.

3Die Abgasreinigung des Fahrzeugs erfolgt über die Abgasrückführung (AGR), bei der ein Teil der Abgase zurück in das Ansaugsystem des Motors geführt wird und dort erneut an der Verbrennung teilnimmt. Bei kühleren Temperaturen wird die Abgasrückführung reduziert ("Thermofenster").

4Mit Rechtsanwaltsschreiben vom forderte der Kläger die Beklagte auf, ihm Zug um Zug gegen die Rückgabe des Fahrzeugs einen vergleichbaren PKW zu liefern.

5Der Kläger macht geltend, das Thermofenster sei eine verbotene temperaturgesteuerte Abschalteinrichtung. Außerdem existierten mehrere Softwarefunktionen, um die Schadstofftests auf dem Prüfstand zu bestehen.

6Mit der Klage verlangt der Kläger (1.1) - Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs - die Lieferung eines mangelfreien typengleichen Ersatzfahrzeugs, hilfsweise (1.2) die Zahlung von 11.737,72 € nebst Zinsen und Freistellung von der Verpflichtung zur Zahlung weiterer Leasingraten, sowie (2) die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten und (3) die Feststellung, dass sich die Beklagte im Annahmeverzug befindet. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.

Gründe

I.

7Das Berufungsgericht (WM 2019, 2222) hat - soweit im vorliegenden Zusammenhang relevant - ausgeführt, dass sich ein Schadensersatzanspruch nicht aus § 826 BGB ergebe. Das Verhalten der Beklagten, ein mit einem sogenannten Thermofenster ausgestattetes Fahrzeug in den Verkehr zu bringen, sei nicht als sittenwidriges Verhalten einzustufen.

8Soweit sich der Kläger in seiner Berufungsbegründung darauf stütze, dass die Beklagte das Fahrzeug mit weiteren unzulässigen Abschalteinrichtungen (Abschaltung der Abgasreinigung nach definierten Zeit-, Strecken- und Schadstoffausstoßparametern) in Verkehr gebracht habe, sei er mit diesem Vortrag nach § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen, da Zulassungsgründe nicht vorgetragen würden. Selbst wenn der Vortrag des Klägers als nicht verspätet angesehen würde, wäre er nicht hinreichend. Die nunmehr aufgestellte Behauptung stelle eine reine Rechtsbehauptung dar.

9Die geltend gemachten Schadensersatzansprüche ergäben sich nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB oder i.V.m. Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 beziehungsweise §§ 6, 27 EG-FGV. Bei den Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 beziehungsweise §§ 6, 27 EG-FGV handele es sich nicht um Schutzgesetze.

II.

10Die Revision ist zurückzuweisen, da sich das Berufungsurteil jedenfalls im Ergebnis als richtig darstellt (§ 561 ZPO).

111. Die Klage ist im Hauptantrag 1.1 (Lieferung eines mangelfreien typengleichen Ersatzfahrzeugs aus der aktuellen Serienproduktion des Herstellers mit identischer technischer Ausstattung wie das Fahrzeug des Klägers Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Fahrzeugs des Klägers an die Beklagte) unbegründet, weil dieser nicht auf den Ersatz des - hier allein in Betracht kommenden - negativen Interesses, sondern auf das (positive) Erfüllungsinteresse gerichtet ist (vgl. dazu Senat, Urteil vom - VI ZR 40/20, BGHZ 230, 224 Rn. 14; , juris Rn. 12). Daher hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Feststellung, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs im Verzug befindet (Hauptantrag 2). Entsprechend kann der Kläger nicht Ersatz vorprozessualer Rechtsanwaltskosten verlangen (Hauptantrag 3).

122. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Schadensersatz (Hilfsantrag 1.2), weil - auch bei Unterstellung einer Haftung dem Grunde nach - der Wert der während der Leasingzeit erlangten Nutzungsvorteile der Höhe nach dem vereinbarten Gesamtleasingpreis entspricht und dies sowohl etwaige Ansprüche aus § 826 BGB als auch etwaige Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit den einschlägigen Abgasnormen ausschließt (vgl. dazu , NJW 2022, 321 Rn. 40 ff.; vom - VII ZR 783/21, NJW-RR 2022, 1104 Rn. 17; vom - VII ZR 247/21, ZIP 2022, 1281 Rn. 19; vom - VII ZR 285/21, NJW-RR 2022, 1678 Rn. 17; Senat, Urteil vom - VI ZR 131/20, WM 2024, 218 Rn. 43 ff., 51; Beschlüsse vom - VI ZR 411/20, juris; vom - VI ZR 1361/20, juris).

13Dass der objektive Leasingwert, auf den es für die Vorteilsanrechnung ankommt, im Streitfall geringer gewesen wäre als der vereinbarte Leasingpreis, macht der Kläger nicht geltend und ist auch sonst nicht ersichtlich (vgl. dazu , NJW 2022, 321 Rn. 47; vom - VII ZR 783/21, NJW-RR 2022, 1104 Rn. 20; vom - VII ZR 247/21, ZIP 2022, 1281 Rn. 21; vom - VII ZR 285/21, NJW-RR 2022, 1678 Rn. 18).

14Ob eine andere Betrachtung dann angezeigt ist, wenn aufgrund der Vertragsgestaltung von vornherein feststeht, dass der Leasingnehmer das Fahrzeug nach Ablauf der Leasingzeit übernehmen wird, kann dahinstehen (vgl. dazu , NJW 2022, 321 Rn. 41, 42 a.E.; vom - VII ZR 783/21, NJW-RR 2022, 1104 Rn. 18; vom - VII ZR 247/21, ZIP 2022, 1281 Rn. 20; vom - VII ZR 285/21, NJW-RR 2022, 1678 Rn. 21). Eine derartige Vertragsgestaltung ist im Streitfall weder den Feststellungen des Berufungsgerichts unter Berücksichtigung der vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Vertragsunterlagen noch dem gemäß § 559 Abs. 1 ZPO beachtlichen Parteivorbringen zu entnehmen.

15Der mit dem Hilfsantrag geltend gemachte Freistellungsanspruch geht ins Leere, da der Leasingvertrag am endete.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:050324UVIZR466.19.0

Fundstelle(n):
NJW 2024 S. 8 Nr. 16
RAAAJ-64100