BGH Urteil v. - VIa ZR 1469/22

Instanzenzug: Brandenburgisches Az: 5 U 89/21vorgehend LG Frankfurt (Oder) Az: 13 O 338/20

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Er erwarb mit Kaufvertrag vom von einem Vertragshändler der Beklagten einen VW Touran Comfortline BlueMotion 2.0 l TDI als Neufahrzeug zum Kaufpreis von 33.500 €. Die Auslieferung des Fahrzeugs erfolgte ebenfalls am nach Erstzulassung vom selben Tag mit einer Fahrleistung von 2 km. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 189 ausgestattet. Die verwendete Motorsteuerungssoftware erkannte das Durchfahren des Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) und bewirkte für diesen Fall einen geringeren Stickoxidausstoß als im Normalbetrieb. Dadurch konnten die Grenzwerte für Stickoxidemissionen auf dem Prüfstand eingehalten werden.

3Auf die am eingegangene Klage hat das Landgericht die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage verurteilt, an den Kläger 22.311 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs zu zahlen und ihn von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.242,84 € freizustellen. Es hat außerdem den Annahmeverzug der Beklagten sowie festgestellt, dass der Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das landgerichtliche Urteil insoweit abgeändert, als es die Beklagte verurteilt hat, an den Kläger 20.916,65 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs zu zahlen, sowie die Erledigung des Rechtsstreits in Höhe von 268 € festgestellt und den Freistellungsantrag abgewiesen hat. Mit der vom Senat zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die vollständige Klageabweisung.

Gründe

4Die Revision der Beklagten hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Dem Kläger stehe nach Verjährung seines Anspruchs aus §§ 826, 31 BGB ein Anspruch auf Restschadensersatz zu. Die Beklagte habe infolge der Fahrzeugveräußerung auf Kosten des Klägers einen Vermögensvorteil erlangt. Die für einen Anspruch nach § 852 Satz 1 BGB erforderliche Erwerbskette liege vor. Dass es sich um einen Neuwagenkauf eines vorher nicht bereits unabhängig von der Bestellung des Klägers vom Händler auf sein eigenes Risiko erworbenen Fahrzeugs handele, sei bis zur mündlichen Verhandlung am unstreitig gewesen. Soweit die Beklagte dort erstmals einen solchen Ablauf in Abrede gestellt und behauptet habe, das Fahrzeug sei als sogenannter Schaufensterkauf vom Kläger direkt bei Bestellung erworben worden, sei dieser neue Vortrag nicht zuzulassen. Gründe für die Zulassung im Sinne des § 531 Abs. 2 ZPO seien von der Beklagten weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Hinsichtlich der Höhe des Erlangten sei vom Bruttokaufpreis in Höhe von 33.500 € auszugehen. Eine Händlermarge sei nicht in Abzug zu bringen, weil die insoweit für weitere Abzüge zumindest sekundär darlegungsbelastete Beklagte trotz gerichtlichen Hinweises bereits in der ersten Instanz keinen Vortrag zur üblichen Marge bei dem hier betroffenen Fahrzeugtyp gehalten habe.

II.

7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand. Die angefochtene Entscheidung verletzt in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

81. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass der Kläger einen Anspruch gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB auf Erstattung des von ihm für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs habe, dem die Beklagte die Einrede der Verjährung nach § 214 Abs. 1 BGB entgegenhalten könne (vgl. VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 24 ff. mwN). Ebenfalls zutreffend ist das Berufungsgericht von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 852 Satz 1 BGB ausgegangen (vgl. VIa ZR 8/21, aaO Rn. 54 ff.; Urteil vom - VIa ZR 57/21, NJW-RR 2022, 850 Rn. 12). Beides wird von den Parteien im Revisionsverfahren auch nicht in Zweifel gezogen.

92. Mit seiner Annahme, die Beklagte habe aus dem Fahrzeugkauf des Klägers im Sinne des § 852 Satz 1 BGB "etwas erlangt", verletzt das Berufungsgericht indes - wie die Beklagte zur Recht rügt - in entscheidungserheblicher Weise ihren Anspruch auf rechtliches Gehör. Das Berufungsgericht hat den Vortrag der Beklagten, nach dem das Fahrzeug vom Händler auf eigenes Risiko erworben und als "Schaufensterfahrzeug" an den Kläger veräußert wurde, unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG außer Acht gelassen.

10a) Das Tatbestandsmerkmal "auf Kosten des Verletzten ... erlangt" in § 852 Satz 1 BGB setzt voraus, dass die unerlaubte Handlung zu einem Vermögensnachteil des Geschädigten und zu einem Vermögensvorteil des Ersatzpflichtigen geführt hat, wobei sich die Vermögensverschiebung nicht unmittelbar zwischen dem Ersatzpflichtigen und dem Geschädigten vollzogen haben muss (vgl. , NJW 2022, 1311 Rn. 27; Urteil vom - VIa ZR 8/21, WM 2022, 731 Rn. 68; jeweils mwN). Liegt dem Neuwagenkauf eines nach §§ 826, 31 BGB durch den Fahrzeughersteller Geschädigten bei einem Händler die Bestellung des bereitzustellenden Fahrzeugs durch den Händler bei dem Hersteller zugrunde und schließen der Hersteller und der Händler einen Kaufvertrag über das Fahrzeug, aufgrund dessen der Hersteller gegen den Händler einen Anspruch auf Zahlung des Händlereinkaufspreises erlangt, ist dem Grunde nach ein Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB gegeben. Denn der schadensauslösende Vertragsschluss zwischen dem Geschädigten und dem Händler einerseits und der Erwerb des Anspruchs auf Zahlung des Händlereinkaufspreises bzw. der Erwerb des Händlereinkaufspreises durch den Hersteller andererseits beruhen auf derselben, wenn auch mittelbaren Vermögensverschiebung ( VIa ZR 57/21, NJW-RR 2022, 850 Rn. 14; Urteil vom - VIa ZR 275/21, NJW 2022, 2196 Rn. 27). Hat der Händler das Fahrzeug hingegen unabhängig von einer Bestellung des Geschädigten vor dem Weiterverkauf auf eigene Kosten und eigenes (Absatz-)Risiko erworben, fehlt es an dem von §§ 826, 852 Satz 1 BGB vorausgesetzten Zurechnungszusammenhang ( aaO, Rn. 28).

11b) Die nach diesem - auch vom Berufungsgericht zugrunde gelegten - Maßstab für den Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB erforderliche Absatzkette hat das Berufungsgericht nicht verfahrensfehlerfrei festgestellt. Es hätte - wie die Beklagte zu Recht rügt - die Behauptung, das Fahrzeug sei als "Schaufensterfahrzeug" beim Händler vorhanden gewesen, von diesem also auf eigenes Risiko vor dem Verkauf an den Kläger erworben worden, nicht ohne Weiteres nach § 531 Abs. 2 ZPO als verspätet zurückweisen dürfen.

12aa) Der Anspruch einer Prozesspartei auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ist verletzt, wenn ein Gericht rechtlich erhebliches Vorbringen aus prozessualen Erwägungen unberücksichtigt lässt, ohne dass dies im Prozessrecht eine Stütze findet. Diese Grenze ist bei Anwendung einer Präklusionsvorschrift wie § 531 ZPO bereits dann erreicht, wenn sie in offenkundig unrichtiger Weise angewandt wird (, NJW-RR 2021, 56 Rn. 19; Beschluss vom - X ZR 41/20, GRUR 2022, 1550 Rn. 10 f.; Beschluss vom - IX ZR 136/22, juris Rn. 17; Beschluss vom - X ZR 32/22, juris Rn. 17).

13Die Annahme einer Präklusion gemäß § 531 Abs. 2 ZPO wiederum setzt voraus, dass es sich um streitigen Vortrag handelt (, BGHZ 177, 212-217, Rn. 10). Unstreitige Tatsachen sind unabhängig von dieser Vorschrift sogar dann zu berücksichtigen, wenn dies im Hinblick auf Folgefragen eine Beweisaufnahme erfordert (, GRUR 2022, 1550 Rn. 13; Beschluss vom - X ZR 32/22, juris Rn. 19).

14bb) Danach liegt ein Gehörsverstoß vor. Das Berufungsgericht hätte vor Zurückweisung des Vortrags zur fehlenden Absatzkette feststellen müssen, ob der Kläger unter Berücksichtigung der von der Beklagten in Bezug genommenen Anlage K1 und den - durch Beschluss vom berichtigten - tatbestandlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, nach denen das Fahrzeug mit Kaufvertrag vom erworben und am selben Tag ausgeliefert wurde, in einer § 138 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO genügenden Weise bestreitet, dass das Fahrzeug vom Vertragshändler unabhängig von einer Bestellung seinerseits und somit auf eigenes Risiko erworben wurde. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt es nicht darauf an, ob diese Frage, die den Grund des Restschadenersatzanspruchs betrifft, für den der Kläger darlegungs- und beweispflichtig ist (vgl. VIa ZR 122/22, VersR 2023, 52 Rn. 27), in der Vergangenheit streitig war. Zu dem nach § 529 und § 531 ZPO zu berücksichtigenden Vorbringen gehört auch neuer Vortrag, der unstreitig geblieben ist (, juris Rn. 21).

III.

15Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben, § 562 ZPO, weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

16Für den Fall, dass das Berufungsgericht im weiteren Verfahren das Vorliegen einer für den Anspruch nach §§ 826, 852 Satz 1, § 818 Abs. 1 BGB erforderlichen Absatzkette feststellt, weist der Senat darauf hin, dass die dem Kläger obliegende Darlegung des Restschadensersatzanspruchs den Vortrag zu einer Händlermarge einschließt, die zur Ermittlung des Händlereinkaufspreises von dem vom Geschädigten gezahlten Kaufpreis abzuziehen ist. Eine sekundäre Darlegungslast trifft die Beklagte nur, wenn der Geschädigte keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat. Die zuletzt genannte Voraussetzung ist jedenfalls nicht erfüllt, solange der Geschädigte sich die erforderlichen Informationen durch eine Nachfrage bei seinem Verkäufer selbst beschaffen kann ( VIa ZR 122/22, VersR 2023, 52 Rn. 27).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:300124UVIAZR1469.22.0

Fundstelle(n):
WAAAJ-60731