BGH Urteil v. - VIa ZR 1366/22

Instanzenzug: Az: 6 U 2305/21vorgehend Az: 1 O 356/20

Tatbestand

1Die Kläger nehmen die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Die Kläger erwarben im März 2019 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes Benz C 250 d Cabrio, der mit einem Motor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. Die Abgasrückführung erfolgt in dem Fahrzeug in Abhängigkeit von der Temperatur ("Thermofenster").

3Die Kläger haben die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihre Schluss-anträge aus der Berufungsinstanz weiter.

Gründe

4Die Revision der Kläger hat Erfolg.

A.

5Die Berufung der Kläger war zulässig, was als Prozessfortsetzungsbedingung im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfen ist (vgl. , IHR 2023, 85 Rn. 12; Urteil vom - VIa ZR 510/22, juris Rn. 4; Beschluss vom - VIII ZR 184/21, juris Rn. 11). Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung hat das Landgericht die Abweisung der Klage nicht selbständig tragend mit der Erwägung begründet, für das Fahrzeug liege eine bestandskräftige und uneingeschränkt wirksame Typgenehmigung vor und das Fahrzeug sei auch in Übereinstimmung mit dem genehmigten Typ hergestellt worden. Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die mit der Klage verfolgten Ansprüche bestünden nicht, weil nach Lage der Dinge nicht davon ausgegangen werden könne, dass der Beklagten eine vorsätzliche Manipulation von Abgaswerten vorzuwerfen sei. Wie alle weiteren Ausführungen des Landgerichts beziehen sich auch seine knappen Ausführungen zur Typgenehmigung auf diese Feststellung. Die – rechtsfehlerhafte – Auffassung, dass bereits die Typgenehmigung als solche jedem deliktischen Anspruch wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung entgegenstehe, kommt darin nicht zum Ausdruck. Die Erwägung des Landgerichts, dass “die mit der Klage verfolgten Ansprüche“ nur bei einer vorsätzlichen Manipulation von Abgaswerten durch die Beklagte in Betracht kämen, haben die Kläger in der Berufungsbegründung hinreichend angegriffen.

B.

6In der Sache hält das angefochtene Urteil einer Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

I.

7Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

8Die Kläger hätten gegen die Beklagte keinen Schadensersatzanspruch wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB. Es fehle an der schlüssigen Darlegung eines schadensursächlichen vorsätzlich sittenwidrigen Verhaltens auf Seiten der Beklagten. Ebenso wenig seien die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV erfüllt. Das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liege nicht im Aufgabenbereich dieser Vorschriften.

II.

9Diese Beurteilung ist in einem maßgeblichen Punkt rechtsfehlerhaft.

101. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwände.

112. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass der Berufungsentscheidung entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

12Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Kläger auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass den Klägern nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder den Klägern Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

13Das Berufungsurteil ist aufzuheben, § 562 ZPO, weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

14Im wiedereröffneten Berufungsverfahren werden die Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben. Dabei wird es die von der Revisionserwiderung angeführten “Sondervereinbarungen“ in der Rechnung vom in den Blick zu nehmen haben, zu denen bisher Feststellungen fehlen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:060224UVIAZR1366.22.0

Fundstelle(n):
MAAAJ-60730