BGH Beschluss v. - 4 StR 421/23

Instanzenzug: LG Bielefeld Az: 4 KLs 8/23

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs „eines“ Kindes in 37 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Vergewaltigung, sexuellen Missbrauchs „eines“ Kindes in 95 (richtig: 94) Fällen und Herstellens eines kinderpornografischen Inhalts zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Zudem hat es Adhäsionsentscheidungen getroffen. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

21. Der Schuldspruch hat keinen Bestand. Die Beweiswürdigung des Landgerichts zum Tatgeschehen weist durchgreifende Darlegungsmängel auf.

3a) Das Landgericht hat im Wesentlichen Folgendes festgestellt:

4Von September 2011 bis Mai 2015 streichelte der Angeklagte mindestens einmal im Monat die Brust der am geborenen Nebenklägerin, während er mit ihr in seinem Bett lag (Fälle 1-45). Ab Juni 2015 bis Mai 2019 streichelte er sie anlässlich ihrer Übernachtungsbesuche mindestens einmal monatlich an der Klitoris (Fälle 46-93). Im Alter von neun Jahren badete die Nebenklägerin mit dem Angeklagten. Auf seine Aufforderung hin befriedigte sie ihn manuell bis zum Samenerguss (Fall 94). In der Zeit von Juni 2014 bis Mai 2017 führte die Nebenklägerin zudem mindestens einmal monatlich den Oralverkehr an dem Angeklagten aus. Beim ersten Mal erklärte ihr der Angeklagte, dass sie den Penis in den Mund nehmen, die Zähne nicht benutzen und die Zunge bewegen solle. In diesen Fällen ejakulierte der Angeklagte schließlich in ein Taschentuch (Fälle 95-130).

5Als die Nebenklägerin zwölf Jahre alt war, zog ihr der Angeklagte – gegen ihren erklärten Willen – im Wohnzimmer die Hose aus, befeuchtete ihren After mit Speichel und drang dort mit seinem Penis ein. Sie erlitt hierdurch Schmerzen. Trotz ihrer entsprechenden Äußerung stieß er seinen Penis noch weiter in ihren After hinein. Als sie weiterhin über Schmerzen klagte, ließ er schließlich von ihr ab (Fall 131).

6Zudem fertigte der Angeklagte mit seinem Mobiltelefon Bildaufnahmen vom unbekleideten Intimbereich der zwölf- oder dreizehnjährigen Nebenklägerin, die er ihr sodann zeigte (Fall 132).

7b) Das Landgericht hat seine Überzeugung von dem festgestellten Sachverhalt wie folgt begründet: Der Angeklagte habe die Taten so wie festgestellt gestanden. Sein Geständnis sei glaubhaft. Es stehe im Einklang mit der Zeugenaussage der Nebenklägerin. Die Feststellungen zu den Folgen der Taten für die Nebenklägerin seien anhand ihrer eigenen glaubhaften Angaben getroffen worden.

8c) Diese Beweiserwägungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.

9aa) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Rn. 4; Urteil vom – 1 StR 329/16 Rn. 18; Urteil vom – 4 StR 420/14 Rn. 9; jeweils mwN). Dabei verpflichten §§ 261 und 267 StPO den Tatrichter, in den Urteilsgründen darzulegen, dass seine Überzeugung von den die Anwendung des materiellen Rechts tragenden Tatsachen auf einer umfassenden, von rational nachvollziehbaren Überlegungen bestimmten Beweiswürdigung beruht (vgl. Rn. 4 mwN). Die wesentlichen Beweiserwägungen müssen daher – über den Wortlaut des § 267 Abs. 1 Satz 2 StPO hinaus – in den schriftlichen Urteilsgründen so dargelegt werden, dass die tatgerichtliche Überzeugungsbildung für das Revisionsgericht nachzuvollziehen und auf Rechtsfehler hin zu überprüfen ist ( Rn. 12; Beschluss vom – 2 StR 262/22 Rn. 12; Beschluss vom – 2 StR 152/20).

10Die sachlich-rechtliche Begründungspflicht umfasst die Verpflichtung, auch die geständige Einlassung des Angeklagten jedenfalls in ihrem wesentlichen Inhalt wiederzugeben (vgl. Rn. 6). Denn ein Geständnis enthebt das Tatgericht nicht seiner Pflicht, es einer kritischen Prüfung auf Plausibilität und Tragfähigkeit hin zu unterziehen und zu den sonstigen Beweismitteln in Beziehung zu setzen. Erforderlich ist außerdem, dass das Tatgericht in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht nachvollziehbar darlegt und begründet, weshalb es das Geständnis für glaubhaft erachtet. Hierbei hängt das Maß der gebotenen Darlegung von der jeweiligen Beweislage und insoweit von den Umständen des Einzelfalles ab (vgl. , BGHSt 58, 212 Rn. 14). Es steht – wie der weitere Aufklärungsbedarf (§ 244 Abs. 2 StPO) – in einer umgekehrten Wechselbeziehung zu der inhaltlichen Qualität des Geständnisses (vgl. Rn. 20; Beschluss vom – 1 StR 143/18 Rn. 7; Beschluss vom – 5 StR 338/16 Rn. 9 ff.; MüKo-StPO/Wenske, 2. Aufl., § 267 Rn. 188 ff.; s. auch Rn. 49 ff.). Bei einem detaillierten Geständnis des Angeklagten können knappe Ausführungen genügen (vgl. Rn. 21; s. hingegen zum „Formalgeständnis“ etwa Rn. 3). Decken sich die Angaben des Angeklagten mit sonstigen Beweisergebnissen und stützt der Tatrichter seine Überzeugung von der Glaubhaftigkeit des Geständnisses auch auf diese Beweisergebnisse, so ist er zu deren jedenfalls gedrängter Wiedergabe verpflichtet, da anderenfalls eine revisionsgerichtliche Überprüfung seiner Überzeugungsbildung nicht möglich ist (vgl. Rn. 6).

11bb) Den sich hieraus ergebenden Darlegungsanforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Die Strafkammer teilt schon den wesentlichen Inhalt der Einlassung des Angeklagten nicht mit, von dem die weiteren Anforderungen an die Überzeugungsbildung und deren Darlegung in den schriftlichen Urteilsgründen abhingen. Es bleibt unklar, ob er in eigenen Worten ein detailliertes Geständnis hinsichtlich der insgesamt 132 Taten, begangen im Zeitraum von 2011 bis 2019, abgelegt und Nachfragen beantwortet oder etwa pauschal – ggf. über eine von ihm bestätigte Verteidigererklärung – die gegen ihn erhobenen Vorwürfe als zutreffend bezeichnet hat. Eine auch nur gedrängte Wiedergabe des Inhalts des Geständnisses ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Die zusammenfassende Wertung, der Angeklagte habe die Taten „so wie festgestellt“ gestanden, genügt hierfür nicht. Denn sie lässt den inhaltlichen Gehalt der Einlassung selbst nicht erkennen. Auch eine (nachvollziehbare) Bewertung des Geständnisses für sich genommen enthalten die Urteilsgründe nicht.

12An die weitere Überprüfung des Geständnisses sind zwar geringere Anforderungen zu stellen, wenn es mit Angaben des Tatopfers übereinstimmt und das Tatgericht diese Angaben nachvollziehbar für glaubhaft erachtet. Hieran fehlt es aber. Die Urteilsgründe teilen den wesentlichen Inhalt der Zeugenaussage der Nebenklägerin auch nicht gedrängt mit. Die Glaubhaftigkeit dieser Aussage wird zudem nur pauschal behauptet, vom Landgericht jedoch nicht mit beweiswürdigenden Erwägungen begründet. Dessen Überzeugungsbildung vermag der Senat daher nicht zu überprüfen.

13Darüber hinaus lassen die Urteilsgründe nachvollziehbare Erwägungen vermissen, aus welchen Gründen sich die Strafkammer von den Zeitpunkten und der Anzahl der abgeurteilten Taten überzeugt hat. Die Tatzeiten sind dabei mit Blick auf das jeweilige Alter der Geschädigten für die Anwendbarkeit der von der Strafkammer herangezogenen Straftatbestände der § 176 Abs. 1, § 176a Abs. 2 Nr. 1 und § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB aF entscheidend. Von dem Alter der Nebenklägerin hängt auch der Schuldspruch im Fall 131 der Urteilsgründe ab, in dem das Landgericht neben einer Vergewaltigung tateinheitlich den schweren sexuellen Missbrauch von Kindern bejaht hat. Zu näheren Beweiserwägungen hierzu musste sich das Landgericht mit Blick auf die Vielzahl und Komplexität der Tatvorwürfe und das naheliegend nur noch eingeschränkte Erinnerungsvermögen des geständigen Angeklagten an Einzelheiten des Tatgeschehens gedrängt sehen (vgl. Rn. 11; Beschluss vom – 5 StR 338/16 Rn. 9 mwN). Nach den Feststellungen beging er eine Vielzahl der abgeurteilten Taten serienhaft und vor langer Zeit. Zusätzlich überlagerten sich verschiedene sexuelle Handlungen (Berührungen, Oralverkehr) in zeitlicher Hinsicht. Ist – wie hier – eine Individualisierung einzelner Taten mangels Besonderheiten im Tatbild oder der Tatumstände nicht möglich, sind zumindest die Anknüpfungspunkte zu bezeichnen, anhand derer das Tatgericht den Tatzeitraum eingegrenzt hat und auf die sich seine Überzeugung von der Mindestzahl und der Begehungsweise der Missbrauchstaten in diesem Zeitraum gründet (vgl. Rn. 13; Beschluss vom – 3 StR 166/01 Rn. 7). Hieran fehlt es. Das Landgericht hätte näher darlegen müssen, aufgrund welcher Beweisumstände es von den festgestellten Tatzeiträumen und der in den Fällen 1-93 und 95-130 abgeurteilten Mindestanzahl von Taten überzeugt war. Zugleich hätte die Strafkammer auf diesem Hintergrund ihre Beweiserwägungen darstellen müssen, die die Einbettung der Einzelfälle 94, 131 und 132 in das Gesamtgeschehen und damit das hier jeweils festgestellte Alter der Nebenklägerin tragen.

14d) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf den aufgezeigten Darlegungsmängeln beruht (§ 337 StPO). Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.

152. Der Adhäsionsausspruch hat ebenfalls keinen Bestand. Dies folgt zwar nicht bereits aus der Aufhebung des strafrechtlichen Teils des Urteils (vgl. Rn. 10; Beschluss vom – 4 StR 442/22 Rn. 12 mwN). Wie der Generalbundesanwalt zu Recht ausgeführt hat, fehlt es aber an einem wirksam gestellten Adhäsionsantrag gemäß § 404 Abs. 1 Satz 1 StPO, dessen Vorliegen in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist (vgl. Rn. 3; Beschluss vom – 4 StR 170/18 Rn. 29).

16a) Wird ein Adhäsionsantrag unter der Bedingung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe gestellt, so ist nach erfolgter Bewilligung noch eine – nunmehr unbedingte – Antragstellung gemäß § 404 Abs. 1 StPO erforderlich. Denn das Prozesskostenhilfeverfahren führt weder zur Rechtshängigkeit der Anträge noch macht es die Fristenregelung des § 404 Abs. 1 Satz 1 StPO gegenstandslos (vgl. Rn. 4 mwN).

17b) Die im Hauptverhandlungstermin am verlesenen Adhäsionsanträge waren davon abhängig gemacht, Prozesskostenhilfe bewilligt zu erhalten. Nach deren Bewilligung mit ist bis zum Beginn der Schlussvorträge keine weitere Antragstellung erfolgt. Diese war auch nicht durch das von dem Angeklagten dem Grunde nach erklärte Anerkenntnis entbehrlich. Denn über die Sachurteilsvoraussetzungen können die Parteien nicht disponieren (vgl. Rn. 3 mwN). Vielmehr fehlt es mangels ordnungsgemäß gestellter Adhäsionsanträge an einem Prozessrechtsverhältnis zwischen dem Angeklagten und der Adhäsionsklägerin.

18c) Dies führt zur Aufhebung der Adhäsionsentscheidungen und – da die Sache im Übrigen zurückzuverweisen ist – auch hinsichtlich des zivilrechtlichen Teils des Urteils zur Zurückverweisung an das Landgericht (vgl. ; Beschluss vom – 2 StR 536/16 Rn. 6).

193. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

20Das neue Tatgericht wird mit Blick darauf, dass § 184h Nr. 1 StGB eine sexuelle Handlung von einiger Erheblichkeit für das geschützte Rechtsgut voraussetzt (vgl. zu den Kriterien Rn. 13 mwN), nähere Feststellungen zum Tatgeschehen in den Fällen II. 1. bis II. 45. der Urteilsgründe – etwa hinsichtlich des Bekleidungszustands der Nebenklägerin und der Dauer der Berührungen – zu treffen haben. Ferner ist bei der Strafzumessung darauf Bedacht zu nehmen, dass festgestellte Tatfolgen einer Serie von Sexualdelikten nur dann bei der Einzelstrafbemessung mit ihrem vollen Gewicht berücksichtigt werden können, wenn sie unmittelbare Folge allein einzelner Taten sind; sind sie Folge aller abgeurteilten Straftaten, können sie strafzumessungsrechtlich nur einmal bei der Gesamtstrafenbildung berücksichtigt werden (vgl. hierzu Rn. 4; Beschluss vom – 2 StR 7/21 Rn. 4; Beschluss vom – 2 StR 469/19 Rn. 2).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:051223B4STR421.23.0

Fundstelle(n):
KAAAJ-60171