BGH Beschluss v. - IV ZR 322/22

Instanzenzug: OLG Rostock Az: 4 U 21/22vorgehend LG Rostock Az: 3 O 1445/20

Gründe

1I. Der Kläger begehrt die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung eines Renten- und eines Lebensversicherungsvertrages.

2Der Kläger beantragte - soweit für die Revision noch von Interesse - bei der Beklagten am den Abschluss eines fondgebundenen Rentenversicherungsvertrages. Das Antragsformular enthielt unter anderem folgende Belehrung:

"Mir ist bekannt, dass ich innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Zustellung der Versicherungspolice zurücktreten kann. Die Frist beginnt erst zu laufen, wenn ich den Versicherungsschein und die Verbraucherinformationen für die Fondsgebundene Rentenversicherung erhalten habe."

3In den "Vertragsunterlagen" findet sich außerdem folgende Belehrung:

"Sie können innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Abschluss des Vertrages (d.h. nach Erhalt der Versicherungspolice) vom Vertrag zurücktreten. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung der Rücktrittserklärung. Die Frist beginnt erst zu laufen, wenn wir Sie über Ihr Rücktrittsrecht belehrt haben und Sie die Belehrung durch Ihre Unterschrift bestätigt haben. Wenn wir die Belehrung unterlassen haben, erlischt Ihr Rücktrittsrecht einen Monat nach Zahlung des ersten Beitrages."

4Die Beklagte nahm den Antrag des Klägers am an. Versicherungsbeginn war der . Im Herbst 2015 kündigte der Kläger den Vertrag und erhielt einen Rückkaufswert. Mit Schreiben vom erklärte er den Widerspruch gegen den Versicherungsvertrag. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück.

5Der Kläger beantragte bei der Beklagten außerdem am - bei der Beklagten am eingegangen - den Abschluss eines fondgebundenen Lebensversicherungsvertrages. Die Belehrung in dem Antragsformular entsprach inhaltlich der oben bereits zitierten Belehrung. Die Beklagte nahm den Antrag des Klägers am an. Versicherungsbeginn war der . Mit Schreiben vom erklärte er den Widerspruch gegen den Versicherungsvertrag, den die Beklagte zurückwies.

6Der Kläger meint insbesondere, ihm stehe ein Widerspruchsrecht nach § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden: VVG a.F.) zu. Die Verträge seien mangels Angaben zu einer Antragsbindungsfrist nicht im Antragsmodell, sondern im Policenmodell geschlossen worden. Über sein Widerspruchsrecht sei er nicht ordnungsgemäß belehrt worden. Eine Widerspruchsbelehrung erhielt er nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts mit den jeweiligen Versicherungsscheinen nicht.

7Der Kläger verlangt die Rückzahlung gezahlter Beiträge und die Herausgabe von gezogenen Nutzungen abzüglich unstreitig erhaltener Teilauszahlungen, des Rückkaufswertes sowie von Gebühren. Ferner begehrt er die Feststellung, dass der Beklagten aus dem Lebensversicherungsvertrag keine Ansprüche gegen ihn zustehen.

8Das Landgericht hat nur der ursprünglich auch auf Rückzahlung von Beiträgen eines dritten Versicherungsvertrages gerichteten Klage stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat auf die gegen die teilweise Klageabweisung gerichtete Berufung des Klägers der Klage auch hinsichtlich der beiden weiteren hier noch streitgegenständlichen Versicherungsverträge ganz überwiegend und auch hinsichtlich des Feststellungsanspruchs stattgegeben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren auf Klageabweisung hinsichtlich der Ansprüche aus den zwei noch streitgegenständlichen Versicherungsverträgen weiter.

9II. Das Berufungsgericht hat - soweit für die Revision noch von Bedeutung - ausgeführt, die Versicherungsverträge seien nicht nach dem Antragsmodell, sondern nach dem Policenmodell geschlossen worden, weil die nach § 10a Abs. 1 Satz 1 VAG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden: VAG a.F.) erforderliche Verbraucherinformation wegen der fehlenden Information über die Antragsbindungsfrist nicht vollständig erteilt worden sei. An dieser Information bestehe generell ein berechtigtes Interesse des Antragstellers. Insbesondere werde die unterbliebene Angabe nicht ex post unbeachtlich, weil der Versicherungsantrag vor Ablauf einer üblichen Frist vom Versicherer angenommen worden sei. Mangels Widerspruchsbelehrung habe das Widerspruchsrecht des Klägers im Zeitpunkt seiner Erklärung fortbestanden. Der Feststellungsantrag sei begründet, weil der Widerspruch des Klägers zu dem Vertrag wirksam sei und der Beklagten damit keine Ansprüche mehr aufgrund dieses Versicherungsvertrages zustünden.

10III. Die Revision ist unzulässig, soweit sie sich dagegen wendet, dass das Berufungsgericht einen Ausschluss des Widerspruchsrechts des Klägers nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verneint hat, und sie die Berechnung der Anspruchshöhe durch das Berufungsgericht angreift. Die Revision ist insoweit mangels Zulassung nicht statthaft, denn das Berufungsgericht hat die Revisionszulassung entgegen der Auffassung der Revision wirksam auf die Frage beschränkt, ob die Beklagte im Rahmen der Verbraucherinformation Angaben zur Antragsbindungsfrist machen musste.

11Zwar enthält die Entscheidungsformel des Berufungsurteils keinen Zusatz, der die dort ausgesprochene Zulassung der Revision einschränkt. Die Beschränkung der Revisionszulassung kann sich aber auch aus den Entscheidungsgründen ergeben. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass der Tenor im Lichte der Entscheidungsgründe auszulegen und deshalb von einer beschränkten Revisionszulassung auszugehen ist, wenn sich die Beschränkung aus den Gründen klar ergibt. Das ist regelmäßig anzunehmen, wenn sich die vom Berufungsgericht als zulassungsrelevant angesehene Frage nur für einen eindeutig abgrenzbaren selbstständigen Teil des Streitstoffs stellt (Senatsbeschluss vom - IV ZR 300/20, VersR 2022, 1571 Rn. 15 m.w.N.).

12Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Das Berufungsgericht hat die Zulassung ausschließlich damit begründet, dass die Frage der Bedeutung einer unvollständigen Information über die Antragsbindungsfrist zwar höchstrichterlich schon entschieden worden sei, das Berufungsgericht aber von einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Jena (Urteil vom - 4 U 1245/19, juris Rn. 37) abweiche, das eine Entbehrlichkeit der Information im Fall der fristgerechten Annahme annehme. Damit hat es die Zulassung ausdrücklich auf die Voraussetzungen des Abschnitts I Nr. 1 Buchst. f) der Anlage Teil D zum VAG a.F. beschränkt. Die Frage, ob die Beklagte in der Verbraucherinformation Angaben über die Antragsbindungsfrist machen musste, kann in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unabhängig davon beantwortet werden, ob das Widerspruchsrecht des Klägers nach § 242 BGB ausnahmsweise ausgeschlossen ist und in welcher Höhe ein Anspruch des Klägers besteht (vgl. auch , BGHZ 182, 241 Rn. 11 m.w.N.).

13IV. Soweit das Berufungsgericht die Revision zugelassen hat, liegen die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision im Sinne von § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht mehr vor und das Rechtsmittel hat auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO).

141. Die Frage, ob in der Verbraucherinformation Angaben zur Antragsbindungsfrist auch dann enthalten sein müssen, wenn der Versicherer den Antrag fristgerecht annimmt, ist nunmehr geklärt. Mit Urteil vom (IV ZR 117/22, juris) hat der Senat entschieden und im Einzelnen begründet, dass bei einem beabsichtigten Vertragsschluss im Antragsmodell die nach § 10a Abs. 1 Satz 1 VAG a.F. erforderliche Verbraucherinformation eine Angabe über die Antragsbindungsfrist auch dann enthalten muss, wenn der Versicherer den Antrag des Versicherungsnehmers binnen der vertraglich vereinbarten oder der gesetzlichen Antragsbindungsfrist (§ 147 Abs. 2 BGB) annimmt.

15Die Informationspflicht des Versicherers über die Antragsbindungsfrist aus Abschnitt I Nr. 1 Buchst. f) der Anlage Teil D zum VAG a.F. steht in Einklang mit unionsrechtlichen Vorschriften (Senatsurteil vom - IV ZR 117/22, juris). Ein berechtigtes Informationsbedürfnis des Antragstellers an dieser Angabe entfällt durch die fristgerechte Annahme nicht. Diese betrifft ausschließlich die Auswirkungen auf den konkreten Fall. Für die Frage der Ordnungsgemäßheit der Widerspruchsbelehrung kommt es auf derartige Kausalitätserwägungen aber nicht an. Ein nach dem Senatsurteil vom (IV ZR 68/17, VersR 2018, 1113 Rn. 15-17) zu hinterfragendes Informationsbedürfnis bezieht sich nicht auf den individuellen Einzelfall des konkreten Versicherungsnehmers, sondern auf Zweck und Zielrichtung der fehlenden Einzelinformation (Senatsurteil vom aaO).

162. Die Revision hat - soweit sie eröffnet ist - auch keine Aussicht auf Erfolg.

17a) Die Klage ist insgesamt, auch hinsichtlich des Feststellungsantrags zulässig. Wie bereits das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, liegt das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche besondere Feststellungsinteresse vor, weil die Beklagte die Wirksamkeit des Widerspruchs des Klägers in Abrede stellt und zumindest dessen Belastung mit Verwaltungskosten droht.

18b) Das Berufungsurteil steht in Einklang mit dem vorgenannten Senatsurteil vom (IV ZR 117/22, juris). Gesichtspunkte, die eine abweichende Entscheidung rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Der Versicherungsvertrag wurde mangels vollständiger Verbraucherinformation im Policenmodell abgeschlossen (vgl. , VersR 2018, 1113 Rn. 14 f.; vom - IV ZR 179/14, r+s 2015, 539 Rn. 11). Der Senat sieht auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens keine Veranlassung, von seiner Rechtsauffassung zur Anwendbarkeit des Policenmodells bei Fehlen einer Einzelinformation in der Verbraucherinformation im Streitfall abzurücken. Die Beklagte hätte den Kläger daher jeweils über das ihm gemäß § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. zustehende Widerspruchsrecht ordnungsgemäß belehren müssen (§ 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F.). Wirksame Widerspruchsbelehrungen hat sie indessen nicht erteilt. Selbst wenn die Rücktrittsbelehrungen, die sie dem Kläger übergeben hat, als Widerspruchsbelehrungen ausgelegt würden, fehlte es dort jedenfalls an der Angabe der bei einem Widerspruch zu wahrenden Form, hier: Schriftform (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 40/21, VersR 2023, 631 Rn. 13 ff.).

193. Die grundsätzliche Klärung entscheidungserheblicher Rechtsfragen erst nach Einlegung der Revision steht einer Revisionszurückweisung durch Beschluss nicht im Wege (Senatsbeschluss vom - IV ZR 18/22, VersR 2023, 719 Rn. 14 m.w.N.).

204. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV zur Verpflichtung des Versicherers zur Angabe der Antragsbindungsfrist ist nicht veranlasst (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 117/22, juris). Ferner ist die Richtlinienkonformität des Policenmodells im Streitfall nicht entscheidungserheblich. Zum Einwand von Treu und Glauben ist auch hier eine Vorlage nicht erforderlich (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 268/21, VersR 2023, 1151 Rn. 13 ff.).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:291123BIVZR322.22.0

Fundstelle(n):
TAAAJ-59858