BGH Beschluss v. - 5 StR 506/23

Instanzenzug: Az: 1 KLs 501 Js 4017/19

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten M.    und den nichtrevidierenden Mitangeklagten I.   jeweils wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechs Fällen, den Angeklagten M.     zudem wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Anbau von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu Gesamtfreiheitsstrafen von fünf Jahren (M.    ) und vier Jahren (I.   ) verurteilt. Zudem hat es gegen beide in den Fällen III.3 bis 7 der Urteilsgründe die Einziehung des „Wertes des Taterlangten“ in Höhe von 157.500 Euro bei gesamtschuldnerischer Haftung sowie gegen den Angeklagten M.    im Fall IV.8 der Urteilsgründe die Einziehung „eines weiteren Betrages“ von 10.000 Euro angeordnet. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel erzielt den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg, im Übrigen erweist es sich als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

21. Nach den Feststellungen erwarb der Angeklagte im Zusammenwirken mit dem Mitangeklagten I.   in den Fällen I.1 sowie III.3 bis 7 der Urteilsgründe Cannabis in Spanien, um dieses in Deutschland gewinnbringend zu veräußern. Dabei kam dem Angeklagten dem gemeinsamen Plan zufolge die Aufgabe zu, das Cannabis in Spanien anzukaufen und die Lieferungen nach Deutschland ins Werk zu setzen. Demgegenüber war der Mitangeklagte I.   in Deutschland für die Organisation der Anlieferung der versandten Betäubungsmittel und deren Veräußerung verantwortlich. Der hierbei entstehende Gewinn sollte hälftig geteilt werden. Während die Lieferung im Fall I.1 im August 2019 in Deutschland kurz nach ihrem Eintreffen sichergestellt werden konnte, gelang den Beteiligten in den Fällen III.3 bis 7 im März und April 2020 jeweils der Verkauf der Betäubungsmittel, wobei insgesamt 45 Kilogramm Cannabis veräußert und dabei 157.500 Euro an Erlösen erzielt wurden. Den Wert dieses Tatertrags hat die Strafkammer beim Angeklagten wie beim Mitangeklagten I.   eingezogen und hierbei eine gesamtschuldnerische Haftung angeordnet.

3Im Fall IV.8 der Urteilsgründe unterstützte der Angeklagte die gesondert Verfolgten C.   und K.       dabei, in einer Lagerhalle eine Indoorplantage für Cannabispflanzen aufzubauen und zu betreiben, indem er im Januar 2022 gegen eine Provision von 10.000 Euro den Ankauf des hierzu erforderlichen „Equipments“ aus den Niederlanden vermittelte. Dabei war ihm bekannt, dass das Cannabis gewinnbringend an eine unbestimmte Anzahl von Personen veräußert werden sollte. Die Materialien wurden im Februar 2022 angeliefert. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte in die Aufzucht oder den späteren Absatz selbst eingebunden war, konnte die Strafkammer nicht feststellen. Beim polizeilichen Zugriff am wurden in der Lagerhalle insgesamt 2.046 Cannabispflanzen aufgefunden, zudem unter anderem Lüfterboxen, eine Cannabis-Erntemaschine, Wassersäcke, Bewässerungssysteme und Säcke mit Pflanzenerde. Die Ernte hätte einen Ertrag von etwa 51.150 Gramm Cannabisblüten mit einem THC-Gehalt von 5.115 Gramm ergeben.

42. Der Schuldspruch im Fall IV.8 der Urteilsgründe war zu korrigieren, da der Angeklagte nach den Feststellungen nur Beihilfe zu einer einheitlichen Haupttat des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) geleistet hat. Werden Marihuanapflanzen zum Zweck des späteren gewinnbringenden Absatzes der geernteten Pflanzen aufgezogen, geht der Anbau als unselbständiger Teilakt in der Bewertungseinheit des Handeltreibens auf (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 212/18, NStZ 2019, 414; vom – 4 StR 318/18, NStZ 2019, 82, jeweils mwN). Die Regelung des § 265 Abs. 1 StPO steht nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

53. Die in den Fällen III.3 bis 7 und IV.8 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen sowie der Gesamtstrafenausspruch können keinen Bestand haben, da sie auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprüfungsmaßstabs ( Rn. 54; vom – 5 StR 387/15, NStZ-RR 2016, 105, 106) Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufweisen.

6a) In den Fällen III.3 bis 7 der Urteilsgründe hat es das Landgericht versäumt, den konkreten Wirkstoffgehalt der gehandelten Betäubungsmittel festzustellen. Solcher Feststellungen bedarf es bei einer Betäubungsmittelstraftat jedoch regelmäßig. Auf den Wirkstoffgehalt kommt es neben Art und Menge der gehandelten Betäubungsmittel nicht nur für die Bestimmung einer nicht geringen Menge, sondern auch für die Strafrahmenwahl und die Strafzumessung im engeren Sinne an, weil dadurch der Schuldumfang der Tat und die Schuld des Täters maßgeblich bestimmt werden. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass die Strafkammer strafschärfend gewertet hat, dass der „Schwellenwert der nicht geringen Menge bei jeder Tat um ein Vielfaches überschritten“ worden sei, ohne dies auf eine entsprechende Tatsachenbasis zurückführen zu können.

7Stehen Betäubungsmittel für eine Untersuchung nicht zur Verfügung, muss das Tatgericht die Wirkstoffmenge oder den Wirkstoffgehalt unter Berücksichtigung der anderen hinreichend sicher festgestellten Tatumstände (wie Herkunft, Preis, Aussehen, Verpackung, Beurteilung durch Tatbeteiligte, Handelsstufe), gegebenenfalls unter Berücksichtigung des Zweifelssatzes, zahlenmäßig schätzen. Eine Umschreibung in allgemeiner Form, etwa als „durchschnittliche Qualität“, reicht nicht aus (st. Rspr.; siehe nur mwN; Beschluss vom – 3 StR 53/21, NStZ 2023, 46 f.).

8Der Schuldspruch kann in allen Fällen bestehen bleiben, da sich aus den rechtsfehlerfrei festgestellten Mengen der gehandelten Betäubungsmittel zweifelsfrei ergibt, dass der Angeklagte jeweils mit einer nicht geringen Menge im Sinne von § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG handelte. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei konkreten Feststellungen zu Wirkstoffgehalt und Wirkstoffmenge der Drogen in diesen Fällen niedrigere Strafen zugemessen hätte, sodass die hierfür verhängten Einzelstrafen aufzuheben sind.

9b) Auch der Ausspruch über die Einzelstrafe im Fall IV.8 der Urteilsgründe leidet unabhängig davon, dass die Strafkammer bei der Zumessung von einem unzutreffenden Schuldspruch ausgegangen ist, an einem durchgreifenden Rechtsfehler. Denn das Landgericht hat die Strafe dem nach § 27 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG entnommen, ohne zuvor erkennbar geprüft zu haben, ob ein minder schwerer Fall nach § 29a Abs. 2 BtMG unter ergänzender Berücksichtigung des gesetzlich vertypten Milderungsgrundes des § 27 Abs. 2 StGB in Betracht kommt (vgl. zur Prüfungsreihenfolge bei minder schweren Fällen BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 287/22, vom – 4 StR 18/22 jeweils mwN).

10c) Die Aufhebung der Einzelstrafen entzieht dem Ausspruch über die Gesamtstrafe die Grundlage. Die Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen sind möglich, sofern sie zu den bereits getroffenen Feststellungen nicht in Widerspruch treten; zu den Wirkstoffgehalten der gehandelten Betäubungsmittel sind solche wie dargestellt erforderlich.

114. Der Ausspruch zur Einziehung des Wertes von Taterträgen in den Fällen III.3 bis 7 der Urteilsgründe wird durch die Feststellungen nicht getragen. Die vorhandenen Feststellungen beruhen zudem ihrerseits teilweise auf einer rechtsfehlerhaften Schätzung.

12a) Im Urteil fehlt es an der für eine Einziehung des Wertes von Taterträgen gemäß § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB erforderlichen Feststellung, dass gerade der Angeklagte die Verkaufserlöse in voller Höhe erlangt hat. Zwar lässt sich dem Zusammenhang der Urteilsgründe noch entnehmen, dass die eingeführten Betäubungsmittel in Deutschland vollständig verkauft wurden. Dies legt nahe, dass jedenfalls dem hierbei allein tätigen Mitangeklagten I.   die Veräußerungserlöse zugeflossen sind. Es ist jedoch nicht festgestellt, inwieweit auch der Angeklagte Zugriff auf diese Gelder oder Teile hiervon erlangt hat. Solche Feststellungen wären hier jedoch erforderlich gewesen, weil sich der Angeklagte im Tatzeitraum in Spanien aufhielt und mit dem Verkauf des Cannabis nicht betraut war. Einem Tatbeteiligten kann die Gesamtheit des aus der Tat Erlangten mit der Folge einer gesamtschuldnerischen Haftung zugerechnet werden, wenn sich die Beteiligten einig sind, dass jedem die Mitverfügungsgewalt hierüber zukommen soll, und der Tatbeteiligte zumindest faktische oder wirtschaftliche Mitverfügungsgewalt über den Vermögensgegenstand erlangt. Allein die mittäterschaftliche Tatbeteiligung des Angeklagten belegt dagegen für sich betrachtet noch keine tatsächliche Verfügungsgewalt im Sinne von § 73 StGB (vgl. nur , StV 2022, 12 mwN).

13b) Das Landgericht hat die Höhe der Veräußerungserlöse mit 3.500 Euro pro Kilogramm Cannabis angesetzt. Die zugrunde liegende Schätzung nach § 73d Abs. 2 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

14Eine Schätzung nach § 73d Abs. 2 StGB kommt nur in Betracht, wenn die Werte, die für §§ 73 bis 73d StGB maßgebend sind, nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden können oder ihre Ermittlung einen unverhältnismäßigen Aufwand an Zeit oder Kosten erfordert. Mit Ergebnissen der Beweisaufnahme darf die Schätzung nicht im Widerspruch stehen. Auch bei einer Schätzung hat sich das Tatgericht aufgrund des gesamten Ergebnisses der Beweisaufnahme eine Überzeugung von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der maßgeblichen Umstände zu bilden, um die Festsetzung eines der Wirklichkeit nahekommenden Schätzwertes zu ermöglichen. Dabei ist für die Ermittlung der Tatsachengrundlagen der Schätzung – nicht dagegen für die Schätzung selbst – der Zweifelssatz anzuwenden. Die Grundlagen, auf welche sich die Schätzung stützt, müssen festgestellt und erwiesen sein sowie im Urteil mitgeteilt werden (zum Ganzen , NStZ-RR 2019, 142 mwN). Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht.

15So nehmen die Urteilsgründe auf Chatverläufe Bezug, in denen sich der Angeklagte und der Mitangeklagte I.   nicht nur über die erwünschten, sondern offenbar auch über die in einzelnen Fällen tatsächlich erlangten Verkaufspreise austauschten. Denn laut den enthaltenen Äußerungen konnten teilweise Preise von 2.500 Euro und teilweise Preise von bis zu 4.500 Euro pro Kilogramm Marihuana erzielt werden. Wenn aber für einzelne der gehandelten Mengen, die im vorliegenden Fall aus ohnehin nicht mehr als fünf Taten stammen, ein konkreter Verkaufspreis feststellbar ist, so ist dem Tatgericht die Möglichkeit einer Schätzung insoweit nicht eröffnet. Dies liegt hier nahe, nachdem das Landgericht die Chatinhalte seiner Beweiswürdigung ansonsten durchgehend zugrunde gelegt hat.

16Hinzu kommt, dass die vorgenommene Schätzung zu einzelnen Feststellungen in Widerspruch steht. Die Strafkammer hat den in allen Fällen erzielten durchschnittlichen Verkaufspreis pro Kilogramm Marihuana mit 3.500 Euro angesetzt. Zur Berechnung dieses Wertes hat sie das arithmetische Mittel zwischen dem für „minderwertige“ Qualität erzielten Verkaufspreis von 2.500 Euro pro Kilogramm und dem für „gute“ Qualität erreichten Erlös von 4.500 Euro pro Kilogramm gebildet. Sie ist damit rechnerisch davon ausgegangen, dass die in den Fällen III.3 bis 7 der Urteilsgründe insgesamt veräußerte Menge von 45 Kilogramm Marihuana je zur Hälfte für 2.500 und für 4.500 Euro pro Kilogramm verkauft werden konnte. Dem steht jedoch gegenüber, dass nach den Feststellungen lediglich ein „geringer Anteil“ der Betäubungsmittel von durchschnittlicher bis guter Qualität gewesen ist. In die gleiche Richtung gehen Ausführungen zur Beweiswürdigung, wonach der Mitangeklagte I.   in einem Chatverlauf „regelmäßig“ angemerkt habe, das Cannabis wegen dessen schlechter Qualität nur für 2.500 Euro pro Kilogramm verkaufen zu können, sowie zur Strafzumessung, wonach das Cannabis „zu einem großen Teil“ von schlechter Qualität gewesen sei.

175. Die Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen III.3 bis 7 der Urteilsgründe sowie in der Folge auch des Gesamtstrafenausspruchs ist gemäß § 357 Satz 1 StPO auf den nicht revidierenden und für dieselben Taten als Mittäter verurteilten Mitangeklagten      I.   zu erstrecken, da es auch insoweit an einer Mitteilung der Wirkstoffgehalte der gehandelten Betäubungsmittel fehlt und die Entscheidung damit aufgrund desselben Feststellungsmangels zu beanstanden wäre (vgl. zum Maßstab KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 357 Rn. 14; LR/Franke, StPO, 26. Aufl., § 357 Rn. 21). Gleiches gilt für die Aufhebung des Ausspruchs über die Einziehung des Wertes von Taterträgen in den Fällen III.3 bis 7 der Urteilsgründe, da jedenfalls die Höhe des Einziehungsbetrags auf derselben rechtsfehlerhaften Schätzung wie beim Angeklagten beruht.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:160124B5STR506.23.0

Fundstelle(n):
IAAAJ-58359