BGH Beschluss v. - VI ZR 277/22

Instanzenzug: Az: VI ZR 277/22vorgehend Az: 5 U 160/19vorgehend Az: 91 O 28/19

Gründe

1Die zulässige Anhörungsrüge hat in der Sache keinen Erfolg. Der Beschluss des Senats vom verletzt den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG nicht.

21. Die Gerichte sind nach Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet, das Vorbringen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Hingegen ist es nicht erforderlich, alle Einzelpunkte des Parteivortrags auch ausdrücklich zu bescheiden (BVerfGE 96, 205, 216 f.; , NJW 2005, 1432 f.). Nach § 544 Abs. 6 Satz 2 ZPO kann das Revisionsgericht von einer Begründung des Beschlusses, mit dem es über die Nichtzulassungsbeschwerde entscheidet, absehen, wenn diese nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist.

32. Von dieser Möglichkeit hat der Senat im vorliegenden Fall Gebrauch gemacht. Der Senat hat bei der Entscheidung über die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde das Vorbringen der Klägerin in vollem Umfang geprüft und im Ergebnis für nicht durchgreifend erachtet.

4a) So hat sich der Senat auch mit dem Vorbringen in der Nichtzulassungsbeschwerdebegründung befasst, das Berufungsgericht sei von einer zu hohen Schwelle in Bezug auf die Darlegungslast bei immateriellen Schäden nach Art. 82 DSGVO ausgegangen, ohne sich mit dem diesbezüglichen Meinungsstreit sowie den beim Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hierzu anhängigen Vorabentscheidungsverfahren auseinanderzusetzen und das Berufungsverfahren gegebenenfalls auszusetzen. Die Klagepartei hat insoweit die Zulassungsgründe der Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs sowie der Rechtsfortbildung geltend gemacht und die Auffassung vertreten, der Senat müsse gegebenenfalls selbst die Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegen oder das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs in anderen Vorabentscheidungsverfahren aussetzen.

5Der Senat hat das abgewartet und in seine Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde einbezogen. Nach dem genannten Urteil ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahin auszulegen, dass der bloße Verstoß gegen die Bestimmungen dieser Verordnung nicht ausreicht, um einen Schadenersatzanspruch zu begründen, sondern dass darüber hinaus der Eintritt eines Schadens erforderlich ist (VersR 2023, 920 Rn. 31 ff., 42). Weiter hat der EuGH ausgeführt, dass Art. 82 Abs. 1 DSGVO einer nationalen Regelung oder Praxis entgegensteht, die den Ersatz eines immateriellen Schadens im Sinne dieser Bestimmung davon abhängig macht, dass der der betroffenen Person entstandene Schaden einen bestimmten Grad an Erheblichkeit erreicht hat (aaO Rn. 51). Allerdings hat der Gerichtshof auch erklärt (aaO Rn. 50), dass die Ablehnung einer Erheblichkeitsschwelle nicht bedeutet, dass eine Person, die von einem Verstoß gegen die DSGVO betroffen ist, der für sie negative Folgen gehabt hat, vom Nachweis befreit wäre, dass diese Folgen einen immateriellen Schaden im Sinne von Art. 82 dieser Verordnung darstellen.

6Auch wenn damit noch nicht alle Fragen geklärt sind, wie etwa die Frage, ob negative Gefühle, wie z. B. Ärger, Unmut, Unzufriedenheit, Sorgen und Ängste, bereits einen immateriellen Schaden im Sinne der Norm darstellen (vgl. Senat, Vorlagebeschluss vom - VI ZR 97/22, juris), so steht doch inzwischen fest, dass der Betroffene, der Ersatz des immateriellen Schadens verlangt, jedenfalls geltend machen (und ggf. nachweisen) muss, dass der Verstoß gegen die DSGVO negative Folgen für ihn gehabt hat, die einen immateriellen Schaden darstellen könnten. Diese negativen Folgen muss er also zumindest benennen, wie dies etwa der Kläger in dem dem Vorlagebeschluss des Senats vom - VI ZR 97/22 zugrundeliegenden Verfahren getan hat (juris Rn. 5, 33).

7Nach diesem Maßstab war es zulassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht Vortrag der Klägerin zu negativen Folgen, die einen immateriellen Schaden darstellen könnten, in den von ihm insoweit erwähnten Schriftsatz vom oder in den Erklärungen in der mündlichen Verhandlung vom nicht gesehen hat. Die Klägerin hat ihre Klageerweiterung auf Schadensersatz "in angemessener Höhe, jedoch nicht unter 50.000 €", im Schriftsatz vom der Sache nach mit materiellen - wirtschaftlichen - Nachteilen begründet, die mit entsprechenden wirtschaftlichen Vorteilen für die Beklagten korrespondiert haben sollen und die sie mangels Kenntnis der Mails, die auf dem streitgegenständlichen E-Mail-Account eingegangen seien, nicht beziffern könne. Negative Folgen, die eventuell einen (vom EuGH noch nicht näher definierten) immateriellen Schaden begründen könnten, enthält weder der Schriftsatz vom noch sind sie aus dem Sitzungsprotokoll vom ersichtlich; jedenfalls hat die Nichtzulassungsbeschwerde nicht aufgezeigt, dass und an welcher Stelle diesbezüglicher Vortrag gehalten und vom Berufungsgericht übergangen worden sein soll. Der Vortrag zu negativen Folgen immaterieller Art erst in der Nichtzulassungsbeschwerdebegründung (S. 25 f.) vermochte eine Gehörsverletzung seitens des Berufungsgerichts nicht zu begründen.

8b) Der Senat hat sich bei seiner Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde ferner mit deren Rügen (Gehörs- und Divergenzrüge) im Zusammenhang mit der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast bei Beweisvereitelung auseinandergesetzt. Dass auch insoweit eine Vorlage an den EuGH veranlasst gewesen wäre, wurde, anders als in der Anhörungsrüge behauptet, mit der Nichtzulassungsbeschwerde nicht geltend gemacht.

93. Soweit die Anhörungsrüge nunmehr auch Gehörsverletzungen seitens des Berufungsgerichts geltend macht, die noch nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerdebegründung waren, ist hierfür im Verfahren gemäß § 321a ZPO kein Raum.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:121223BVIZR277.22.0

Fundstelle(n):
GAAAJ-57661