BGH Urteil v. - VIa ZR 181/22

Instanzenzug: Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt Az: 8 U 58/21 Urteilvorgehend LG Magdeburg Az: 10 O 503/21

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger kaufte am von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten neuen VW Tiguan Join 2.0 TDI, der mit einem ebenfalls von der Beklagten hergestellten Motor der Baureihe EA 288 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung temperaturabhängig unter Einsatz eines Thermofensters gesteuert. Weiter ist in den Motor ein SCR-Katalysator eingebaut.

3Der Kläger hat die Beklagte auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Verzugszinsen und bezifferter Deliktszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs in Anspruch genommen sowie die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge mit Ausnahme des Antrags auf Zahlung von Deliktszinsen weiter.

Gründe

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Das Fahrzeug verfüge zwar über unzulässige Abschalteinrichtungen. Mangels Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) sowie wegen fehlendem Unrechtsbewusstsein der Beklagten liege aber keine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung im Sinne des § 826 BGB vor. Die Beklagte handele nicht ohne weiteres sittenwidrig, wenn sie die Schaltkriterien für die AGR-Raten und die Ad-Blue-Dosierung an die physikalischen Randbedingungen des Neuen Europäischen Fahrzyklus, also zum Beispiel an bestimmte Temperaturen, Drücke, Drehzahlen, Lasten, Geschwindigkeiten und Beschleunigungswerte anlehne. Weitere Umstände, insbesondere Anhaltspunkte für wissentlich unterbliebene oder unrichtige Angaben der Beklagten im EG-Typgenehmigungsverfahren, die noch dazu auf ein heimliches und manipulatives Vorgehen oder eine Überlistung des KBA und damit auf einen bewussten Gesetzesverstoß hindeuteten, vermöge das Berufungsgericht nicht zu erkennen. Insbesondere habe die Beklagte hinsichtlich des Thermofensters nicht die Abhängigkeit der Abgasrückführungsrate von der Außenlufttemperatur verschleiert. Zudem fehle es an einem Schaden des Klägers, da keine Stilllegung des Fahrzeugs drohe.

7Dem Kläger stehe auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu, weil es sich bei diesen Normen nicht um auf den Schutz der Fahrzeugkäufer ausgerichtete Vorschriften handele.

II.

8Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

91. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat (vgl. , WM 2023, 1839 Rn. 12; Urteil vom - VIa ZR 535/21, zVb Rn. 12 f.). Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

102. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl.  VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).

11Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl.  VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom  VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

12Das Berufungsurteil ist demnach im Umfang des Revisionsangriffs aufzuheben, § 562 ZPO, weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Das Berufungsgericht hat keine tragfähigen Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage eine deliktische Haftung der Beklagten wegen einer jedenfalls fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verneint werden könnte.

13Insbesondere kann mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung, das KBA habe Motoren der Baureihe EA 288 geprüft, aber bisher von der Veranlassung eines Rückrufs oder anderen einschränkenden Maßnahmen abgesehen, ein Schaden des Klägers nicht verneint werden. Denn mit Rücksicht auf den geldwerten Vorteil der jederzeitigen Verfügbarkeit eines Kraftfahrzeugs genügt schon die rechtliche Möglichkeit einer Nutzungsbeschränkung, die mit der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung gegeben ist. Für die Schadensentstehung ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgebend, so dass späteren Maßnahmen des KBA schon deshalb keine Bedeutung mehr zukommen kann. Da die Beklagte wegen des enttäuschten Vertrauens des Käufers auf die Richtigkeit der Übereinstimmungsbescheinigung für die aus dem Vertragsschluss folgenden Schäden haftet, kommt es - wie bei dem nach § 826 BGB nur wahlweise eröffneten "kleinen" Schadensersatz (vgl. , BGHZ 230, 224 Rn. 23 mwN) - für den Vermögensvergleich nicht auf den Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung, sondern auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an (  VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 42).

IV.

15Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. die erforderlichen

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:041223UVIAZR181.22.0

Fundstelle(n):
PAAAJ-56660