BGH Urteil v. - IV ZR 89/22

Instanzenzug: Az: 8 U 2854/21vorgehend LG Regensburg Az: 33 O 585/21

Tatbestand

1Der Kläger begehrt von der Beklagten - soweit für die Revisionsinstanz noch von Interesse - die Rückabwicklung eines Lebensversicherungsvertrages.

2Der Kläger beantragte im Mai 2000 bei der Beklagten den Abschluss einer kapitalbildenden Lebensversicherung mit der Versicherungsnummer…                   nebst Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung mit Versicherungsbeginn zum und einer monatlichen Prämie von 64,83 €. Die Beklagte nahm den Antrag durch Übermittlung der Police nebst Policenbegleitschreiben an.

3Auf der letzten Seite des Versicherungsscheins befindet sich unmittelbar vor der Unterschriftenzeile in einem eigenen Absatz in Fettdruck gehalten eine Widerspruchsbelehrung, die lautet:

"Sie können den Versicherungsvertrag ab Stellung des Antrags bis zum Ablauf von 14 Tagen nach Zugang des Versicherungsscheins einschließlich der Versicherungsbedingungen und der übrigen Verbraucherinformationen widersprechen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs."

4Der Kläger zahlte die vereinbarten Prämien.

5Mit Schreiben vom erklärte der Kläger den Widerspruch und forderte die Beklagte zur Rückabwicklung des Versicherungsvertrages auf. Das lehnte die Beklagte ab.

6Mit der Klage verlangt der Kläger unter anderem die Zahlung eines Betrages in Höhe von 27.315 € nebst Zinsen sowie Erstattung der Kosten eines versicherungsmathematischen Gutachtens in Höhe von 714 € nebst Zinsen.

7Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren im geltend gemachten Umfang weiter.

Gründe

8Die Revision führt im Umfang der Aufhebung zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

9I. Das Berufungsgericht hat einen Zahlungsanspruch des Klägers aufgrund erklärten Widerspruchs gemäß den §§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, 818 Abs. 1 und 2 BGB verneint. Der Versicherungsvertrag sei nach dem sogenannten Policenmodell gemäß § 5a VVG in der hier maßgeblichen, vom bis geltenden Fassung (im Folgenden: § 5a VVG a.F.) zustande gekommen. Inhaltlich erweise sich die maßgebliche Widerspruchsbelehrung auf Seite 5 des Versicherungsscheins insofern als unzureichend, als es an einem ausdrücklichen Hinweis auf die beim Widerspruch einzuhaltende Schriftform fehlte. Die Passage über die "rechtzeitige Absendung" genüge diesem Erfordernis nicht.

10Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. richtlinienkonform einschränkend auszulegen und im Bereich der Lebens- und Rentenversicherung nicht anzuwenden. Das Widerspruchsrecht des Versicherungsnehmers, der nicht ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt worden sei, bestehe im Anwendungsbereich der Zweiten und Dritten Richtlinie Lebensversicherung demgemäß grundsätzlich fort. Das gelte jedoch nicht uneingeschränkt. Zu Recht habe der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom entschieden, dass die Rücktrittsfrist bei einem Lebensversicherungsvertrag auch dann ab Inkenntnissetzung vom Vertragsschluss zu laufen beginne, wenn in den mitgeteilten Informationen nicht angegeben worden sei, dass die Rücktrittserklärung nach dem maßgeblichen nationalen Recht keiner besonderen Form bedürfe oder wenn eine Form verlangt werde, die nach dem maßgeblichen Recht nicht vorgeschrieben sei, solange dem Versicherungsnehmer durch die Informationen nicht die Möglichkeit genommen werde, sein Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben. Davon sei hier auszugehen. Dem Kläger sei die Möglichkeit, sich binnen bestimmter Frist vom Vertragsschluss lösen zu können, klar vor Augen geführt worden. Es habe nur ein Hinweis auf die notwendige Schriftform gefehlt. Dieser finde sich jedoch in § 3 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen, wo erneut über das Widerspruchsrecht belehrt worden sei, wenn auch nicht in drucktechnisch deutlicher Form. Hierdurch sei dem Versicherungsnehmer aber nicht die Möglichkeit genommen worden, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben. Die im Versicherungsschein enthaltene Belehrung habe dem Kläger insbesondere keine zusätzlichen, gesetzlich nicht vorgesehenen Voraussetzungen abverlangt oder ihn in die Irre geführt.

11II. Das hält rechtlicher Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand. Ein bereicherungsrechtlicher Anspruch aus §§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, 818 Abs. 1 BGB kann dem Kläger nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung versagt werden.

121. Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler festgestellt, dass die Beklagte den Kläger nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht belehrte. Die Widerspruchsbelehrung enthielt keinen Hinweis auf die nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. erforderliche Schriftform des Widerspruchs (Senatsurteil vom - IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 24; vgl. auch , VersR 2023, 631 Rn. 10 m.w.N. und vom - IV ZR 353/21, r+s 2023, 298 Rn. 11, zur Veröffentlichung in BGHZ 236, 163 vorgesehen).

132. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht jedoch angenommen, einem (fortbestehenden) Widerspruchsrecht des Klägers stehe entgegen, dass der Belehrungsfehler im Streitfall nicht geeignet gewesen sei, den Kläger von der Ausübung eines fristgerechten Widerspruchs abzuhalten.

14a) Wie der Senat nach Erlass der Berufungsentscheidung mit Urteil vom (IV ZR 353/21, r+s 2023, 298 Rn. 13 ff.) entschieden und im Einzelnen begründet hat, ist ein Bereicherungsanspruch nach § 242 BGB wegen rechtsmissbräuchlicher Ausübung des Widerspruchsrechts ausgeschlossen, wenn dem Versicherungsnehmer durch eine fehlerhafte Information in der Widerspruchsbelehrung nicht die Möglichkeit genommen wird, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. Unter diesen (engen) Voraussetzungen liegt ein geringfügiger Belehrungsfehler vor, der einer Ausübung des Widerspruchsrechts nach § 242 BGB entgegensteht.

15b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts wurde dem Kläger jedoch hier durch den fehlenden Hinweis auf die nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG in der ab gültigen Fassung erforderliche Schriftform des Widerspruchs die Möglichkeit genommen, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. Wie der Senat ebenfalls nach Erlass des Berufungsurteils mit Urteil vom (IV ZR 40/21, VersR 2023, 631 Rn. 13 ff.) entschieden und im Einzelnen begründet hat, liegt kein geringfügiger Belehrungsfehler im oben genannten Sinne vor, wenn eine Widerspruchsbelehrung keinen Hinweis auf die nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. erforderliche Form (hier: Schriftform) enthielt. Allein dem in der Belehrung enthaltenen Hinweis, dass zur Wahrung der Frist rechtzeitiges Absenden der Widerspruchserklärung genüge, wird der Versicherungsnehmer nicht entnehmen, dass ein Widerspruch in Schriftform erforderlich ist. Vielmehr wird er - anders als das Berufungsgericht meint - annehmen, dass ein formloser Widerspruch ebenfalls genügt (vgl. Senatsurteil vom aaO Rn. 14 ff.).

16Etwas anderes ergibt sich hier auch nicht deshalb, weil in § 3 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Hinweis auf die notwendige Schriftform enthalten ist, denn die Belehrung dort ist - wie das Berufungsgericht nicht verkannt hat - drucktechnisch nicht hervorgehoben und erfüllt damit ebenso nicht die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Belehrung (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 482/14, VersR 2017, 275 Rn. 20). Schließlich kommt es entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auch nicht darauf an, ob sich der Kläger bei anderen vertragsrelevanten Erklärungen der Schriftform bedient hat. Eine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung ist nach § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. gesetzlich vorgeschrieben. Darauf, ob der Versicherungsnehmer im Einzelfall trotz nicht ordnungsgemäßer Belehrung von seinem Widerspruchsrecht gleichwohl zutreffend Kenntnis hatte, kommt es ebenso wenig an wie auf Kausalitätserwägungen; die Frage der Ordnungsgemäßheit der Belehrung ist abstrakt zu beurteilen (vgl. Senatsbeschluss vom - IV ZR 130/15, r+s 2016, 230 Rn. 15 m.w.N.; Senatsurteil vom - IV ZR 94/14, NJW 2015, 3582 Rn. 12).

17III. Das angefochtene Urteil ist daher im Umfang der Anfechtung aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung sowie zur weiteren Sachaufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

18Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV zum Einwand von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ist im Streitfall auch unter Berücksichtigung der Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union vom (Volkswagen Bank u.a., C-33/20, C-155/20 und C-187/20, EU:C:2021:736 = NJW 2022, 40) und des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz vom (VersR 2022, 1252) nicht veranlasst, da jedenfalls der Senat vorliegend keine abschließende Entscheidung trifft und derzeit noch offen ist, ob es auf den Einwand von Treu und Glauben für eine abschließende Entscheidung ankommt (vgl. , GRUR 2016, 171 Rn. 49 m.w.N.). Das Berufungsgericht hat zunächst im Rahmen der ihm obliegenden tatrichterlichen Würdigung festzustellen, ob besonders gravierende Umstände des Einzelfalls vorliegen, mit der Folge, dass die Geltendmachung des Widerspruchsrechts ausnahmsweise Treu und Glauben widersprechen könnte (Senatsurteil vom - IV ZR 40/21, VersR 2023, 631 Rn. 25). Mit Urteil vom (IV ZR 268/21, VersR 2023, 1151) hat der Senat in diesem Zusammenhang zudem entschieden und im Einzelnen begründet, dass auch unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union daran festzuhalten ist, dass die Geltendmachung des Widerspruchsrechts gemäß § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. auch bei einer fehlenden oder fehlerhaften Widerspruchsbelehrung ausnahmsweise Treu und Glauben (§ 242 BGB) widersprechen und damit unzulässig sein kann, wenn besonders gravierende Umstände des Einzelfalles vorliegen, die vom Tatrichter festzustellen sind und zu diesem Einwand eine Vorlage nach Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht geboten ist (Senatsurteil vom aaO Rn. 9, 13 ff.).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:291123UIVZR89.22.0

Fundstelle(n):
OAAAJ-56416