BGH Beschluss v. - 4 StR 347/23

Wirksamkeit einer Rechtsmittelbeschränkung; Überwiegen eines Hangs als Hauptursache für Anlasstat

Gesetze: § 64 S 2 StGB, § 67 Abs 2 StGB, § 67 Abs 5 StGB

Instanzenzug: LG Frankenthal Az: 2 KLs 5201 Js 40654/22

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes, „vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das WaffG und Bedrohung in Tatmehrheit mit einem weiteren Verstoß gegen das WaffG“ unter Einbeziehung der Strafe aus einer rechtskräftigen Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Wegen „vorsätzlicher“ Körperverletzung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Sachbeschädigung, sowie wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, hat es ihn zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Zudem hat das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt mit einem „Vorwegvollzug von einem Jahr und neun Monaten“ angeordnet und gegen ihn eine einjährige Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis verhängt. Die auf die Bestimmung der Dauer des Vorwegvollzugs beschränkte Revision des Angeklagten erfasst auch die Unterbringungsanordnung und hat in diesem Anfechtungsumfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

21. Die grundsätzlich mögliche (vgl. ; Beschluss vom – 3 StR 458/21 Rn. 19) Revisionsbeschränkung auf die Dauer des Vorwegvollzugs eines Teils der Strafen vor der Unterbringung nach § 64 StGB ist unter den gegebenen Umständen unwirksam, soweit auch die Maßregelanordnung von der Anfechtung ausgenommen ist.

3a) Eine wirksame Rechtsmittelbeschränkung setzt nicht nur voraus, dass der nach dem Willen des Rechtsmittelführers allein angefochtene Entscheidungsteil losgelöst vom übrigen Urteilsinhalt selbständig geprüft und beurteilt werden kann (st. Rspr.; vgl. Rn. 6 mwN; Urteil vom – 1 StR 595/94, BGHSt 41, 57, 59; Urteil vom – 4 StR 126/10, BGHSt 55, 174, 175 f.), sondern erfordert auch, dass der nicht angegriffene Teil der Vorentscheidung so festgestellt und bewertet ist, dass er – unabänderlich und damit bindend geworden – eine hinreichend tragfähige Grundlage für eine eigenständige Entscheidung des Rechtsmittelgerichts zu bieten vermag (vgl. , BGHSt 62, 155 Rn. 19 mwN).

4Die vom Beschwerdeführer angegriffene Dauer des Vorwegvollzugs hängt dabei entscheidend von der voraussichtlichen Dauer der Unterbringung gemäß § 64 StGB ab (vgl. § 67 Abs. 2 Satz 3, Abs. 5 Satz 1 StGB). Für die anzunehmende Therapiedauer ist derjenige Zeitraum maßgebend, der bei prognostischer Beurteilung erforderlich erscheint, um einen Behandlungserfolg zu erzielen. Die Festlegung einer angemessenen Dauer der Unterbringung muss deshalb ihre Grundlage darin finden, dass die Maßregel als solche überhaupt Aussicht auf Erfolg bietet. Ist dies bereits dem Grunde nach nicht der Fall oder zweifelhaft, lässt sich kein angemessener Zeitraum für die Therapie bemessen und vom Revisionsgericht überprüfen (vgl. Rn. 8; Beschluss vom – 3 StR 516/07 Rn. 6 f.). Jedenfalls wenn die Erfolgsaussicht der Maßregel nach § 64 StGB in den Urteilsgründen nicht tragfähig begründet ist, scheidet eine isolierte Anfechtung der Dauer des Vorwegvollzugs aus.

5b) So liegt es hier. Die Urteilsgründe belegen die Erfolgsaussicht der Maßregel nicht, so dass nach den vorstehenden Maßgaben die Revision des Angeklagten auch die Unterbringungsanordnung erfasst.

6aa) Nach § 64 Satz 2 StGB, den der Senat in seiner am in Kraft getretenen Fassung anzuwenden hat (§ 2 Abs. 6 StGB, § 354a StPO; vgl. hierzu Rn. 1; Beschluss vom – 4 StR 364/23 Rn. 7 mwN; Urteil vom – 4 StR 136/23 Rn. 14), darf die Maßregel nur angeordnet werden, wenn aufgrund „tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten ist“, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist des § 67d Abs. 1 Satz 1 oder 3 StGB zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen. Die Anforderungen an eine günstige Behandlungsprognose sollten durch die Neufassung im Sinne einer hierfür bestehenden „Wahrscheinlichkeit höheren Grades“ moderat angehoben werden (so BR-Drucks. 687/22, S. 79). Die Beurteilung einer derartigen Erfolgsaussicht ist im Rahmen einer richterlichen Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonst maßgeblichen, also prognosegünstigen und -ungünstigen Umstände vorzunehmen (vgl. BR-Drucks. 687/22 S. 79; s. bereits zu § 64 StGB aF Rn. 13; Beschluss vom – 4 StR 347/22 Rn. 3; Beschluss vom – 2 StR 28/22 Rn. 8).

7bb) Das Landgericht hat zwar – im Rahmen des von ihm noch anzuwendenden § 64 Satz 2 StGB aF – das Erfordernis einer solchen Gesamtwürdigung erkannt, sie in den Urteilsgründen aber nicht überprüfbar vorgenommen. Die Strafkammer hat die Erwartung eines erfolgreichen Therapieabschlusses mit der stabilen Eigenmotivation des – unter Haftbedingungen – seit einigen Monaten abstinent lebenden Angeklagten begründet, der auch noch keinen (gescheiterten) Behandlungsversuch unternommen habe. Durch den zuletzt genannten Umstand fehlt es jedoch lediglich an einem (weiteren) prognoseungünstigen Umstand. Darüber hinaus hat sich das Landgericht nicht mit der langjährig verfestigten Polytoxikomanie des Angeklagten und mit dessen festgestellter dissozialer Persönlichkeitsakzentuierung auseinandergesetzt. Dessen hätte es zur Beurteilung der Behandlungsfähigkeit des Angeklagten auch über seine erklärte Behandlungsbereitschaft hinaus bedurft (vgl. auch BR-Drucks. 687/22 S. 80). Die Urteilsgründe lassen damit keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte erkennen, die eine Erfolgsaussicht der Maßregel belegen könnten.

82. Die Unterbringungsanordnung ist aus einem weiteren Grund rechtsfehlerhaft. Die bisherigen Feststellungen ergeben nicht, dass die Taten des Angeklagten im Sinne von § 64 Satz 1 StGB nF „überwiegend“ auf seinen Hang zurückgehen, alkoholische Getränke und andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen.

9a) Nach der Neuregelung muss die Substanzkonsumstörung „mehr als andere Umstände ausschlaggebend“ für die festgestellte Anlasstat sein. Eine Mitursächlichkeit des Hangs ist für die Annahme der Kausalität nur noch dann ausreichend, wenn sie „quantitativ andere Ursachen überwiegt“. Das Vorliegen eines solchen Kausalzusammenhangs muss das Tatgericht – ggf. unter sachverständiger Beratung – positiv feststellen (vgl. zum Ganzen BR-Drucks. 687/22, S. 79, zudem S. 50 ff.).

10b) Das Landgericht hat bei seiner Prüfung – seinerzeit zutreffend – diesen strengeren Anordnungsmaßstab nicht vor Augen gehabt und deshalb seine Feststellungen nicht hieran ausgerichtet. Im Fall II. 1. der Urteilsgründe hat die Strafkammer einen Symptomcharakter der Tat ohnehin verneint. Bei den die Maßregel tragenden Körperverletzungsdelikten ist das Landgericht den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen gefolgt, dass der Alkoholkonsum des Angeklagten „jedenfalls dazu beigetragen“ habe, dass dieser die Taten begangen habe. Auch wenn die Strafkammer insoweit von einer „offensichtlichen“ Ursächlichkeit ausgeht, ist damit ein Überwiegen des Hangs als Hauptursache für die maßgeblichen Anlasstaten weder festgestellt noch belegt. Aufgrund der dissozialen Persönlichkeitsakzentuierung des Angeklagten versteht sich eine derartige Kausalität des Hangs auch nicht von selbst.

11Die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt bedarf daher auch insoweit neuer Prüfung und Entscheidung, weil das Landgericht den durch die Neufassung des § 64 StGB veränderten Anordnungsmaßstab noch nicht berücksichtigen konnte. Die Aufhebung der Unterbringungsanordnung entzieht der Anordnung über den Vorwegvollzug die Grundlage. Der Senat hebt die zugehörigen Feststellungen insgesamt auf, um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen.

123. Eine weitergehende Überprüfung des angefochtenen Urteils war dem Senat verschlossen. Zwischen der Unterbringungsanordnung und dem Strafausspruch wie auch der Sperrfrist nach § 69a StGB hat das Landgericht keinen derartigen inneren Zusammenhang hergestellt, dass die Rechtsmittelbeschränkung des Angeklagten gemessen an den oben genannten Maßgaben auch insoweit unwirksam wäre.

134. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

14Sollte das neue Tatgericht abermals die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anordnen, wird es über einen Vorwegvollzug nach Maßgabe von § 67 Abs. 2 und 5 StGB nF zu entscheiden haben. Das Verschlechterungsverbot stünde auch der Verlängerung von dessen Dauer nicht entgegen (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; vgl. ).

15Die Anordnung über den Vorwegvollzug ist bei Verhängung von – wie hier – zwei Gesamtfreiheitsstrafen in demselben Urteil zudem auf beide Strafen zu beziehen (vgl. Rn. 5 f.). Auch der für eine mögliche Aussetzung der Vollstreckung der Strafreste maßgebliche Zeitpunkt (vgl. § 67 Abs. 2 Satz 3, Abs. 5 Satz 1 StGB nF) ist im Hinblick auf beide Freiheitsstrafen gemeinsam zu bestimmen, um daraufhin die Dauer des Vorwegvollzugs zu berechnen (vgl. etwa Rn. 5; Beschluss vom – 2 StR 330/18 Rn. 3).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:221123B4STR347.23.0

Fundstelle(n):
MAAAJ-56113