BGH Beschluss v. - 6 StR 495/23

Adhäsionsverfahren: Geltendmachung eines fremden Anspruchs im eigenen Namen

Leitsatz

Antragsberechtigt im Adhäsionsverfahren ist auch, wer einen fremden Anspruch im eigenen Namen im Wege sogenannter gewillkürter Prozessstandschaft geltend macht.

Gesetze: § 403 S 2 StPO

Instanzenzug: LG Stade Az: 201 KLs 8/23

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in 23 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt sowie eine Einziehungs- und zwei Adhäsionsentscheidungen getroffen. Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).

21. Die auf die Sachrüge hin veranlasste umfassende Überprüfung hat hinsichtlich des Schuld- und Strafausspruchs sowie der Einziehungsentscheidung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

32. Die Adhäsionsentscheidungen haben ebenfalls Bestand. Auch soweit der Angeklagte unter Ziffer 4 der Urteilsformel zur Zahlung von Schadensersatz an die b.      GmbH verurteilt worden ist, liegt ein wirksamer Adhäsionsantrag und damit die für das Annexverfahren von Amts wegen zu prüfende notwendige Verfahrensvoraussetzung vor (vgl. , NStZ 1988, 470).

4a) Zwar hat die geschädigte Gesellschaft den Anspruch nicht selbst geltend gemacht (§ 403 Satz 1 StPO); es liegt allerdings ein näher begründeter Antrag von a.            GmbH vor, den Angeklagten zur Zahlung von Schadensersatz an ihre Tochtergesellschaft, die b.       GmbH, zu verurteilen.

5b) Anlass zu näherer Erörterung gibt insoweit allein die hier an § 403 Satz 2 StPO zu messende Antragsbefugnis.

6aa) Nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut ist hiernach antragsbefugt, wer einen aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruch geltend macht. Diese Ergänzung des § 403 StPO wurde eingefügt durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung anderer Vorschriften vom (BGBl. I S. 2099, 2105); sie begründet – korrespondierend mit der bislang zum Entschädigungsrecht des Verletzten ergangenen Rechtsprechung (BT-Drucks. 19/27654, S. 106 f.) – eine Antragsbefugnis auch für Personen, die nicht unmittelbare oder mittelbare Verletzte der Tat oder deren Erben sind (vgl. § 403 Satz 1 StPO). Der Gesetzgeber hat die Antragsberechtigung insoweit von der – durch dasselbe Reformgesetz eingefügten – Legaldefinition des Verletztenbegriffs in § 373b StPO entkoppelt (vgl. BT-Drucks. aaO), um den Kreis der Berechtigten nicht auf die Verletzten nach § 373b StPO zu beschränken (vgl. KMR-StPO/Nepomuck, 118. Lfg., § 403 Rn. 1; LR/Wenske, 27. Aufl., § 403 Rn. 2; SSW-StPO/Schöch/Werner, 5. Aufl., § 403 Rn. 1).

7Der Antragssteller nach § 403 Satz 2 StPO kann deshalb etwa als Rechtsnachfolger des Verletzten, namentlich im Wege des vertraglichen (vgl. § 398 BGB) oder gesetzlichen Forderungsübergangs (vgl. § 116 Abs. 1 SGB X), einen eigenen Anspruch oder – nach Ermächtigung durch den Verletzten – einen fremden Anspruch im eigenen Namen geltend machen (sogenannter gewillkürte Prozessstandschaft).

8Dieses Normverständnis wird über den Gesetzeswortlaut hinaus durch die Regelungssystematik des Fünften Buches der Strafprozessordnung belegt (vgl. LR/Wenske, aaO; aA KMR-StPO/Nepomuck, aaO, Rn. 3; Meyer-Goßner/Schmitt, 66. Aufl., § 403 Rn. 4; SSW-StPO/Schöch/Werner, aaO, Rn. 3). Hiernach bestehen für Adhäsionskläger, die nicht Verletzte der Tat und damit prozessual nicht in gleicher Weise wie diese schutzwürdig sind, eigene, allerdings stark begrenzte Verfahrensrechte. So sind insbesondere die §§ 406d ff. StPO schon mangels Verletzteneigenschaft (§ 373b StPO) grundsätzlich nicht anwendbar (vgl. BT-Drucks. aaO, S. 108). Allein das Akteneinsichtsrecht ist für die nach § 403 Satz 2 StPO Antragsberechtigten zur Anspruchsdurchsetzung spezifisch geregelt (vgl. § 406e Abs. 4 StPO; LR/Wenske, aaO sowie § 406e Rn. 47). Dem steht auch die Gesetzesgenese nicht entgegen (aA BeckOK-StPO/Ferber, 49. Ed., § 403 Rn. 1). Der Gesetzgeber wollte mit § 403 Satz 2 StPO eine Antragsberechtigung für Personen sicherstellen, die nur mittelbar durch die Tat geschädigt sind (vgl. BT-Drucks. aaO, S. 106). Hingegen ist den Gesetzesmaterialien – insbesondere im Lichte der vorgenannten gewichtigen normativen Gesichtspunkte – kein Anhalt dafür zu entnehmen, dass er sich ausdrücklich gegen eine erweiterte Antragsbefugnis ausgesprochen hat.

9bb) Das Antragsrecht ergibt sich hier aus dem Gesichtspunkt der Prozessstandschaft.

10(1) Eine gewillkürte Prozessstandschaft ist zulässig, wenn der Prozessführende vom Rechtsinhaber zu dieser Art der Prozessführung ermächtigt worden ist und er ein eigenes schutzwürdiges Interesse an ihr hat (vgl. , BGHZ 4, 153, 164 ff.; Urteile vom – VII ZR 217/58, BGHZ 30, 162, 166; vom – VII ZR 337/84, BGHZ 96, 151, 152; vom – V ZR 125/15, NJW 2017, 486). Das schutzwürdige Eigeninteresse ist gegeben, wenn die Entscheidung Einfluss auf die eigene Rechtslage des Prozessführungsbefugten hat (vgl. , NJW-RR 1988, 126, 127; vom – III ZR 164/08, NJW 2009, 1213, 1215). Es kann auch durch ein wirtschaftliches Interesse begründet werden (vgl. , BGHZ 119, 237, 242). Eine solche Prozessführungs-befugnis ist im Zivilprozess (vgl. , BGHZ 161, 161, 165; vom – V ZR 182/86, NJW-RR 1988, 126, 127), aber auch im Adhäsionsverfahren von Amts wegen zu prüfen.

11(2) Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Senat vermag der Antragsschrift noch tragfähige Ausführungen zum Verhältnis der Gesellschaften zueinander, insbesondere zum bestehenden wirtschaftlichen Interesse (vgl. , NJW-RR 1995, 358, 361) und der erteilten Ermächtigung, zu entnehmen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:141123B6STR495.23.0

Fundstelle(n):
NJW 2024 S. 10 Nr. 3
CAAAJ-55769