BVerwG Urteil v. - 3 C 2/23, 3 C 2/23 (3 C 19/19)

Abgrenzung von Arzneimittel und stofflichem Medizinprodukt (Nasenspray)

Leitsatz

1. Ein als stoffliches Medizinprodukt vertriebenes Erzeugnis kann ein Präsentationsarzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Arzneimittelgesetzes und Art. 1 Nr. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/83/EG sein.

2. Auch eine nicht rezeptorvermittelte Wirkweise kann im Einzelfall vom Begriff der pharmakologischen Wirkung im Sinne von § 3 Nr. 1 Buchst. a des Medizinproduktegesetzes und Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42/EWG erfasst sein.

3. Der Hersteller, der ein Erzeugnis als Medizinprodukt vertreiben möchte, muss die Erfüllung der Voraussetzungen für das Vorliegen eines solchen Produkts nachweisen.

Gesetze: § 2 Abs 1 Nr 1 AMG, § 2 Abs 3 Nr 7 AMG, § 21 Abs 4 AMG, § 77 Abs 1 AMG, § 2 Abs 5 Nr 1 MPG, § 3 Nr 1 Buchst a MPG, § 137 VwGO, Art 1 Nr 2 Buchst a EGRL 83/2001, Art 1 Abs 2 Buchst a EWGRL 42/93, Art 1 Abs 5 Buchst c EWGRL 42/93

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: 13 A 3290/17 Urteilvorgehend Az: 7 K 6236/14 Urteil

Tatbestand

1Der Rechtsstreit betrifft die Abgrenzung von stofflichen Medizinprodukten und Arzneimitteln.

2Die Klägerin stellt das Nasenspray "..." her und bringt es als Medizinprodukt auf den Markt. Ausweislich der Gebrauchsinformation enthält es pro 1,0 g Lösung 25,00 mg ... (...), 0,25 mg Aloe vera Gel, ... sowie Wasser. In der Gebrauchsinformation vom Januar 2011 heißt es unter anderem, das Präparat eigne sich bei Reizungen der Nasenschleimhaut bedingt durch eine virale Rhinitis. Es pflege außerdem die gereizte Nasenschleimhaut und unterstütze deren Regenerierung während des Schnupfens. In einer Gebrauchsinformation mit Stand von September 2011 wird das Erzeugnis u. a. zur Behandlung von Schnupfen ausgewiesen.

3Mit Bescheid vom stellte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nach § 21 Abs. 4 des Arzneimittelgesetzes (AMG) fest, dass es sich bei dem Präparat um ein zulassungspflichtiges Arzneimittel handele. Es erfülle die Voraussetzungen eines Funktionsarzneimittels nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AMG. Die bestimmungsgemäße Hauptwirkung des Präparats werde mit den Bestandteilen ... und ... auf pharmakologische Weise erreicht. Das Produkt sei außerdem ein Präsentationsarzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG. Der hiergegen gerichtete Widerspruch der Klägerin wurde mit Bescheid vom zurückgewiesen.

4Klage und Berufung der Klägerin sind ebenfalls erfolglos geblieben. Das Oberverwaltungsgericht hat im Urteil vom ausgeführt, das Produkt der Klägerin erfülle aufgrund der Angaben in der Gebrauchsanweisung und auf der Verpackung die Voraussetzungen eines Präsentationsarzneimittels nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG. Der Begriff des Präsentationsarzneimittels finde auch dann Anwendung, wenn ein Erzeugnis als stoffliches Medizinprodukt auf den Markt gebracht werde. Zugleich sei eine nicht-pharmakologische Wirkungsweise im Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG in Verbindung mit § 2 Abs. 5 Nr. 1 und § 3 Nr. 1 des Medizinproduktegesetzes (MPG) auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nach dem Stand der Wissenschaft nicht erwiesen; die Wirkweise des Erzeugnisses sei letztlich offen. Damit bleibe es bei der Arzneimitteleigenschaft nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG.

5Zur Begründung ihrer Revision trägt die Klägerin im Wesentlichen vor: Der Begriff des Präsentationsarzneimittels sei auf stoffliche Medizinprodukte nicht anwendbar. Die anderslautende Auffassung des Berufungsgerichts führe zu einem Vorrang des Arzneimittelrechts, der der gesetzlichen Systematik nicht entspreche und dem Hersteller die Beweislast für eine nicht-pharmakologische Wirkung aufbürde. Auch habe das Oberverwaltungsgericht den Begriff der nicht-pharmakologischen Hauptwirkung unzutreffend ausgelegt. Darüber hinaus habe es gegen seine gesetzliche Amtsermittlungspflicht verstoßen.

6Mit Beschluss vom (3 C 19.19) hat der Senat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Abgrenzung von Medizinprodukten und Arzneimitteln zur Vorabentscheidung vorgelegt. Mit Urteil vom (C-495/21 und C-496/21) hat der Gerichtshof über das Vorabentscheidungsersuchen entschieden.

7Die Klägerin hat hierzu Stellung genommen. Sie wiederholt und vertieft ihr ursprüngliches Revisionsvorbringen und trägt ergänzend vor, der Gerichtshof habe die aus ihrer Sicht zentrale Frage nach den Kriterien für die Abgrenzung von pharmakologischen und nicht-pharmakologischen Mitteln nicht beantwortet und sich nicht mit der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in den freien Warenverkehr und ihre Eigentums- und Bestandsschutzrechte befasst.

8Die Beklagte tritt der Revision weiterhin entgegen.

Gründe

9Die zulässige Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das angegriffene Urteil beruht nicht auf einem Verstoß gegen Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die zulässige Klage ist unter Zugrundelegung der bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

101. Rechtsgrundlage für den angegriffenen Bescheid ist, wovon auch das Oberverwaltungsgericht ausgegangen ist, § 21 Abs. 4 Satz 1 des Arzneimittelgesetzes (AMG) in der bei Abschluss des Verwaltungsverfahrens (vgl. 3 C 4.18 - BVerwGE 167, 1 Rn. 12 und vom - 3 C 20.20 - BVerwGE 173, 262 Rn. 13) geltenden Fassung des Änderungsgesetzes vom (BGBl. I S. 261). Hiernach entscheidet das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) als nach § 77 Abs. 1 AMG zuständige Bundesoberbehörde auf Antrag einer zuständigen Landesbehörde unter anderem über die Zulassungspflicht eines Arzneimittels.

112. Das Berufungsgericht hat ohne Verstoß gegen revisibles Recht bejaht, dass es sich bei dem von der Klägerin hergestellten und vertriebenen Nasenspray um ein zulassungspflichtiges Arzneimittel handelt. Ausgehend von seinen tatsächlichen Feststellungen begegnet es keinen durchgreifenden Bedenken, dass es das Nasenspray als Präsentationsarzneimittel (a) eingeordnet hat, das nicht nach § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG von der Anwendung des Arzneimittelgesetzes ausgenommen ist (b).

12a) Das Oberverwaltungsgericht hat ohne Rechtsverstoß angenommen, dass das Nasenspray ein Präsentationsarzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG ist.

13aa) Bestimmungen zum Präsentationsarzneimittel finden sich sowohl im Arzneimittelgesetz als auch in der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 311 S. 67) in der hier maßgeblichen Fassung der Richtlinie 2012/26/EU vom (ABl. L 299 S. 1). Die Begriffsbestimmungen im Arzneimittelgesetz sind im Lichte der Vorgaben des Unionsrechts auszulegen (vgl. 3 C 20.20 - BVerwGE 173, 262 Rn. 18). Unter den Begriff des Präsentationsarzneimittels im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG und Art. 1 Nr. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/83/EG fallen Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die zur Anwendung im oder am menschlichen Körper bestimmt sind und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind.

14bb) Das Oberverwaltungsgericht hat die so definierte Kategorie des Präsentationsarzneimittels zutreffend auch dann für anwendbar gehalten, wenn ein Erzeugnis als Medizinprodukt vertrieben wird. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat im Vorabentscheidungsverfahren entschieden, dass auch ein als Medizinprodukt vertriebenes Erzeugnis ein Präsentationsarzneimittel sein kann ( [ECLI:​EU:​C:​2023:​34] und C-496/21 - Rn. 49). Der Einwand der Klägerin, damit werde ihr systemwidrig die Beweislast für das Vorliegen eines Medizinproduktes auferlegt, greift nicht durch. Der Gerichtshof hat klargestellt, dass ein Hersteller, der ein Erzeugnis als Medizinprodukt vertreiben möchte, die Erfüllung der Voraussetzungen für das Vorliegen eines solchen Produkts nachweisen muss (vgl. und C-496/21 - Rn. 38).

15cc) Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, dass das von der Klägerin hergestellte Nasenspray als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt ist, begegnet keinen Bedenken.

16(1) Der vom Berufungsgericht zugrunde gelegte Maßstab, wonach ein Erzeugnis als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt ist, wenn es entweder ausdrücklich als solches bezeichnet wird oder bei einem durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbraucher schlüssig, aber mit Gewissheit der Eindruck entsteht, dass das Erzeugnis nach seiner Aufmachung in Bezug auf bestimmte Erkrankungen eine heilende, vorbeugende oder Leiden lindernde Wirkung hat, entspricht der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ( [ECLI:​EU:​C:​2007:​678] - Rn. 44, 46; bestätigt mit Urteil vom - C-495/21 und C-496/21 - Rn. 45 f.) und des erkennenden Senats (vgl. 3 C 20.20 - BVerwGE 173, 262 Rn. 20). Gleiches gilt für das vom Oberverwaltungsgericht angenommene Erfordernis einer Gesamtbetrachtung (vgl. und C-496/21 - Rn. 48; 3 C 20.20 - BVerwGE 173, 262 Rn. 20). Der Gerichtshof hat in seiner Entscheidung im Vorabentscheidungsverfahren auch bestätigt, dass im Rahmen dieser Gesamtbetrachtung die Präsentation des Erzeugnisses, die Bezugnahmen auf Wechselwirkungen mit Arzneimitteln und auf unerwünschte Wirkungen sowie die Apothekenexklusivität als relevante Kriterien herangezogen werden können (vgl. und C-496/21 - Rn. 48). Das im Vorlagebeschluss angesprochene Kriterium der Inanspruchnahme einer spezifisch arzneilichen Wirkung hat er nicht aufgegriffen und dadurch deutlich gemacht, dass es für die Bejahung eines Präsentationsarzneimittels in Abgrenzung zum Medizinprodukt hierauf nicht ankommt.

17(2) Von diesem Maßstab ausgehend tragen die nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit das Revisionsgericht nach § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts die Qualifizierung des Nasensprays der Klägerin als Präsentationsarzneimittel. Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass in der Gebrauchsanweisung mit Stand von Januar 2011 das Präparat eingangs als Medizinprodukt bezeichnet und sodann als "Rhinologikum/Adstringens" beschrieben werde, das sich zur Behandlung bei Reizungen der Nasenschleimhaut bedingt durch eine virale Rhinitis eigne. Eine virale Rhinitis sei ein krankhafter, insbesondere bei akutem Schnupfen auftretender Zustand, der mit arzneilichen Nasensprays behandelt werden könne; gleiches gelte für die durch eine Rhinitis bedingte Reizung der Nasenschleimhaut. In der Gebrauchsanweisung werde zudem Bezug genommen auf "Wechselwirkungen" mit anderen Mitteln und "unerwünschte Wirkungen", die der Angabe von Risiken und Nebenwirkungen in Packungsbeilagen glichen, die Verbraucherinnen und Verbraucher von Arzneimitteln kennen würden. Die Gebrauchsanweisung schließe mit der Angabe "Apothekenpflichtiges Medizinprodukt". Diese Vertriebsform sei der Verbraucherseite von Arzneimitteln bekannt, während reine Salzwasser- oder Meerwasserpräparate auch in Drogerien erhältlich seien. In der Gebrauchsanweisung mit Stand von September 2011 werde das Präparat zudem als Mittel "zur unterstützenden Behandlung bei Schnupfen" und "zur Behandlung bei Schnupfen" beschrieben.

18Hiervon ausgehend begegnet die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, in der Gebrauchsanweisung stelle die Klägerin einen eindeutigen Krankheitsbezug her und weise ihrem Produkt eine die Krankheitssymptome lindernde Bestimmung zu, so dass bei einem durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbraucher der Eindruck entstehe, dass das Erzeugnis wie ein Arzneimittel zur Heilung oder Linderung einer Krankheit bestimmt sei, keinen Bedenken. Das gilt auch für die Einschätzung, die Apothekenpflicht und der Hinweis auf Wechselwirkungen und unerwünschte Wirkungen sprächen aus Verbrauchersicht für das Vorliegen eines Arzneimittels.

19b) Ebenfalls ohne Verstoß gegen Bundesrecht hat das Oberverwaltungsgericht entschieden, dass das Nasenspray der Klägerin nicht gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG von der Geltung des Arzneimittelgesetzes ausgenommen ist.

20aa) Nach dieser Vorschrift sind Medizinprodukte und Zubehör für Medizinprodukte im Sinne des § 3 des Medizinproduktegesetzes keine Arzneimittel, es sei denn, es handelt sich - hier nicht einschlägig - um in vivo-Diagnostika. Nach § 3 Nr. 1 Buchst. a des Medizinproduktegesetzes (MPG) in der insoweit maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetz - GKV-FQW) vom (BGBl. I S. 1133) sind Medizinprodukte unter anderem alle Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die vom Hersteller zur Anwendung für Menschen mittels ihrer Funktionen zum Zwecke der Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten zu dienen bestimmt sind und deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologisch oder immunologisch wirkende Mittel noch durch Metabolismus erreicht wird, deren Wirkungsweise aber durch solche Mittel unterstützt werden kann. Der Wortlaut der Bestimmung entspricht damit der Formulierung des Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte (ABl. L 169 S. 1) in der durch Richtlinie 2007/47/EG (ABl. L 247 S. 21) geänderten Fassung. Nach Art. 1 Abs. 5 Buchst. c der Richtlinie 93/42/EWG ist bei der Entscheidung, ob ein Produkt in den Geltungsbereich der Arzneimittelrichtlinie 2001/83/EG oder den der für Medizinprodukte geltenden Vorschriften fällt, insbesondere die hauptsächliche Wirkungsweise des Produkts zu berücksichtigen. Dem entspricht die in § 2 Abs. 5 Nr. 1 MPG getroffene Regelung. Der Gerichtshof hat in seinem Urteil im Vorabentscheidungsverfahren klargestellt, dass trotz der Formulierung "insbesondere" die Wirkungsweise das entscheidende Kriterium zur Abgrenzung von Medizinprodukten und Arzneimitteln ist. Bei Fehlen wissenschaftlicher Erkenntnisse, die den Nachweis ermöglichen würden, dass die bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologische oder immunologische Mittel noch metabolisch erreicht wird, kann ein Erzeugnis nicht als Medizinprodukt eingestuft werden (vgl. und C-496/21 - Rn. 40 f.).

21bb) Das Berufungsgericht hat ohne Verletzung von Bundesrecht angenommen, dass nicht festgestellt werden kann, dass die bestimmungsgemäße Hauptwirkung des Produktes der Klägerin durch nicht-pharmakologische Mittel erreicht wird.

22(1) Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, dass eine pharmakologische Wirkung nicht nur in Betracht kommt, wenn eine Substanz vom menschlichen Körper absorbiert wird und auf diese Weise in Wechselwirkung mit körpereigenen Molekülen tritt, sondern auch, wenn sie an der Oberfläche etwa von Schleimhäuten verbleibt und mit dort vorhandenen sonstigen Zellmolekülen reagiert. Auch nicht rezeptorvermittelte Wirkweisen könnten vom Begriff der pharmakologischen Wirkung erfasst sein, vorausgesetzt die Substanz habe einen nennenswerten Einfluss auf die physiologischen Funktionen des menschlichen Körpers und beeinflusse diese gezielt (UA S. 39 f.).

23Dass diese Auslegung mit revisiblem Recht vereinbar ist, kann der Senat ohne erneute Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union entscheiden. Zwar hat dieser die erste Frage des Vorlagebeschlusses, die den Begriff der pharmakologischen Wirkung betraf, unbeantwortet gelassen. Dass - anders als die Klägerin vorträgt - vom Begriff der pharmakologischen Wirkung auch nicht rezeptorvermittelte Wirkweisen erfasst sein können, lässt sich aber auf Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs bejahen. Dieser hat in einem eine Mundspüllösung betreffenden Verfahren entschieden, dass vom Vorliegen einer pharmakologischen Wirkung einer Substanz nicht nur dann ausgegangen werden kann, wenn es zu einer Wechselwirkung zwischen den Molekülen dieser Substanz und einem zellulären Bestandteil des Körpers des Anwenders kommt, sondern dass eine Wechselwirkung zwischen dieser Substanz und einem beliebigen im Körper des Anwenders vorhandenen zellulären Bestandteil genügt ( [ECLI:​EU:​C:​2012:​548] - Rn. 31 ff.); hierauf hat das Berufungsgericht Bezug genommen. Hätte der Gerichtshof diese Rechtsprechung für Konstellationen der vorliegenden Art einschränken wollen, wäre ein entsprechender Hinweis in seiner Vorabentscheidung zu erwarten gewesen.

24(2) In tatsächlicher Hinsicht hat das Oberverwaltungsgericht in Auseinandersetzung mit den von der Klägerin vorgelegten Gutachten und Stellungnahmen der Beklagten ausgeführt, dass die Wirkweise des Nasensprays offen bleibe. Für die von der Klägerin behaupteten (physikalischen) Wirkweisen des Produkts fehle es an wissenschaftlichen Nachweisen. Die Annahmen des von ihr beauftragten Dr. S. beruhten ausschließlich auf theoretischen Reaktionsmöglichkeiten aufgrund chemischer Eigenschaften des Wirkstoffs. Weder für die Entstehung einer mechanischen Barriere über der Nasenschleimhaut noch für eine Schrumpfung der Nasenschleimhaut gebe es wissenschaftliche Belege. Den Annahmen der Klägerin setze die Beklagte Erkenntnisse aus der wissenschaftlichen Fachliteratur entgegen. Neben den von der Klägerin behaupteten Wirkweisen ihres Produkts sei danach auch möglich, dass der Inhaltsstoff ... mit Proteinmolekülen in der Membran von Zellen der Nasenschleimhaut reagiere, wodurch diese denaturiert würden und Aufbau und Funktion der Zellmembran beeinflussten. Ob dieser Wirkmechanismus tatsächlich ausgelöst werde, sei aber offen; die insoweit vorgelegte Fachliteratur sei älteren Datums. Die von der Klägerin beigebrachten Gutachten widerlegten die Annahmen der Beklagten nicht; die Untersuchung der ... GmbH belege sogar eine gewisse zellschädigende Wirkung des Präparats. Sonstige wissenschaftliche Daten, die eindeutigen Aufschluss über die Wirkweise des Produkts geben könnten, seien nicht ersichtlich. Es sei in einer solchen Lage nicht Aufgabe der Verwaltungsgerichte, weitere Ermittlungen anzustellen, was auf die Durchführung einer klinischen Studie hinauslaufen würde.

25Diese Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts greift die Klägerin mit ihrem Revisionsvorbringen nicht durchgreifend an.

26(a) Ihre Verfahrensrüge, das Oberverwaltungsgericht habe gegen § 86 Abs. 1 VwGO verstoßen, weil es kein (weiteres) Sachverständigengutachten eingeholt habe, greift nicht durch. Einen förmlichen Beweisantrag hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht nicht gestellt. Ihren Darlegungen kann auch nicht entnommen werden, dass sich dem Gericht weitere Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen. Die Klägerin benennt bereits keine konkrete Tatsachenbehauptung, zu der Beweis hätte erhoben werden sollen, und legt nicht dar, auf welche Weise ein weiteres Sachverständigengutachten über die im Verfahren vorgelegten Gutachten und Stellungnahmen hinaus zur Sachverhaltsklärung hätte beitragen können. Dies gilt auch, soweit die Klägerin annimmt, das Gericht habe zur Auswertung der Studie der ... GmbH einen Sachverständigen hinzuziehen müssen. Soweit die Klägerin rügt, dass das Oberverwaltungsgericht die Akten aus dem vergleichbare Produkte der Klägerin betreffenden Nachzulassungsverfahren nicht beigezogen hat, trägt sie ebenfalls nicht vor, welche Erkenntnisse sich hieraus hätten ergeben sollen.

27(b) Auch ein Verstoß gegen die Hinweispflicht des Gerichts nach § 86 Abs. 3 VwGO ist nicht erkennbar. Eine Pflicht des Gerichts, die Beteiligten auf die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinzuweisen, besteht nicht (vgl. 6 B 6.04 - juris Rn. 88 m. w. N.). Das Berufungsgericht musste demgemäß - anders als die Klägerin geltend macht - weder darauf hinweisen, dass es den Einwänden der Beklagten folgen würde, noch darauf, welche Beweisführung seiner Auffassung nach auf Seiten der Klägerin erforderlich gewesen wäre.

28(c) Soweit die Klägerin ausführt, das Berufungsgericht hätte die Einwände der Beklagten nicht als geeignet erachten dürfen, die von ihr vorgelegten Gutachten zu erschüttern, greift sie die Beweiswürdigung des Gerichts selbst an. Das Vorliegen eines nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO beachtlichen Mangels bei der Beweiswürdigung, der voraussetzt, dass das Tatsachengericht den ihm bei der Tatsachenfeststellung durch den Grundsatz freier Beweiswürdigung eröffneten Wertungsrahmen verlassen hat, insbesondere durch Nichtbeachtung der Denkgesetze, gesetzlicher Beweisregeln oder allgemeiner Erfahrungssätze oder auch durch eine objektiv willkürliche oder aktenwidrige Sachverhaltswürdigung (vgl. 6 C 7.20 - BVerwGE 175, 76 Rn. 40), zeigt das Revisionsvorbringen nicht auf. Dass unter Umständen auch ein anderes Ergebnis der Beweiswürdigung möglich gewesen wäre, reicht für einen derartigen Verstoß nicht aus. Das Oberverwaltungsgericht hat insbesondere die Anforderungen an den Beweis der nicht-pharmakologischen Wirkung entgegen der Auffassung der Klägerin nicht überspannt. Es hat nicht die bloße Vermutung einer pharmakologischen Wirkung für die Nichterweislichkeit einer nicht-pharmakologischen Wirkweise ausreichen lassen, sondern unter anderem darauf abgestellt, dass die von der Klägerin vorgelegte Untersuchung der ... GmbH eine gewisse zellschädigende Wirkung des Präparats belege, was für die von der Beklagten vorgetragene Zelldenaturierung spreche. Eine andere Erklärung für die beobachtete zellschädigende Wirkung hat die Klägerin im Verfahren nicht vorgetragen. Zudem hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass auch nach den Ausführungen des Gutachters der Klägerin, Dr. S., die von der Beklagten angenommene Denaturierung nicht ausgeschlossen sei. Soweit er annehme, eine direkte Reaktion des aus dem Depot freigesetzten ... mit membranständigen Proteinen der Nasenschleimhaut sei unwahrscheinlich, weil lösliche Proteine des Nasensekrets in einer solchen Menge vorhanden seien, dass der Wirkstoff eine zur Eiweißfällung führende Bindung lediglich mit diesen eingehe bzw. dass das Nasensekret eine direkte Wechselwirkung mit der Nasenschleimhaut räumlich verhindere, handele es sich um eine bloße Hypothese. Dass das Oberverwaltungsgericht dieser Hypothese ohne wissenschaftliche Bestätigung nicht folgen wollte, stellt keine Überspannung der Beweisanforderungen dar.

29(3) Es begegnet keinen Bedenken, dass das Berufungsgericht hiervon ausgehend angenommen hat, dass eine der nach seinen Feststellungen in Betracht kommenden Wirkweisen des Nasensprays - die Denaturierung von Zellen der Nasenschleimhaut - als pharmakologisch zu qualifizieren wäre. Es hat in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, dass Stoffe, die die Permeabilität der Zellmembran steigern, als nicht rezeptorvermittelte Arzneistoffe anerkannt sind. Der vorliegend diskutierte umgekehrte Mechanismus, nämlich eine Verringerung der Permeabilität der Zellmembran durch Proteindenaturierung, also eine Abdichtung und Schrumpfung der Nasenschleimhaut, stelle keine wesentlich andere Beeinflussung der Funktionsbedingungen des menschlichen Körpers dar. Die Denaturierung von Membranproteinen bedeute einen Eingriff in die Sekundärstruktur (räumliche Anordnung) der Proteine, die zu einer Veränderung oder zu einem Verlust ihrer biologischen Funktionen führe. Da die Membranproteine eine entscheidende Rolle bei nahezu allen zellulären Funktionen spielten, könne ein Verlust oder eine Veränderung der biologischen Funktion erhebliche und schwer überschaubare Wirkungen und Folgewirkungen hervorrufen (UA S. 44 f.). Diese tatsächlichen Feststellungen hat die Klägerin nicht mit Verfahrensrügen angegriffen. Die Schlussfolgerung des Oberverwaltungsgerichts, dass diese Folgen die Annahme einer pharmakologischen Wirkung rechtfertigen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

30cc) Ist damit das Oberverwaltungsgericht ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass eine nicht-pharmakologische Wirkung des Nasensprays nicht festgestellt werden kann, so hat es im Folgenden ebenfalls im Einklang mit revisiblem Recht angenommen, dass die Nichterweislichkeit dieser Voraussetzung der Anerkennung als Medizinprodukt entgegensteht und damit zu Lasten der Klägerin geht.

31Diese Beweislastverteilung hat der Gerichtshof im Vorabentscheidungsverfahren bestätigt (vgl. und C-496/21 - Rn. 38). Ihre Anwendung führt auch nicht zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit und in Grundrechte der Hersteller (Art. 16, 17 GrCh; Art. 12, 14 GG). Soweit die Schutzbereiche dieser Vorschriften überhaupt eröffnet sind, ist der Eingriff jedenfalls verhältnismäßig. Die aus der dargestellten Beweislastverteilung folgende Anwendung des Arzneimittelrechts auf Produkte, bei denen der Hersteller eine nicht-pharmakologische Wirkung nicht nachweisen kann, dient dem Gesundheitsschutz. Die Anwendung des Arzneimittelregimes ist zur Förderung dieses Zweckes auch geeignet. Dies folgt zum einen aus der Erwägung, dass von Produkten, die ihre bestimmungsgemäße Hauptwirkung weder durch pharmakologische oder immunologische Mittel noch metabolisch erreichen, eine geringere Gefährlichkeit als von Arzneimitteln ausgeht (vgl. und C-496/21 - Rn. 39). Eine geringere Gefährlichkeit kann jedoch nur dann angenommen werden, wenn sicher feststeht, dass das fragliche Produkt keine mit einem erhöhten Gefahrenpotential verbundenen Wirkweisen hat. Zum anderen wird durch die Anwendung des Arzneimittelrechts gewährleistet, dass keine Erzeugnisse auf den Markt gelangen, denen die Verbraucher aufgrund ihrer Aufmachung als Arzneimittel zwar eine entsprechende Wirksamkeit zuschreiben, deren Wirkungsweise aber unbekannt und nicht in einem arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahren überprüft worden ist (vgl. dazu und C-496/21 - Rn. 42). Ein milderes, gleich geeignetes Mittel ist nicht erkennbar. Die Anwendung des Arzneimittelrechts ist auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Hierdurch wird ein erheblicher Beitrag zur Förderung des Gesundheitsschutzes geleistet, gegenüber dem die wirtschaftlichen Interessen der Hersteller zurücktreten.

323. Soweit die Klägerin vorträgt, ein vergleichbares Produkt eines anderen Herstellers werde ohne Beanstandungen durch die Behörden als Medizinprodukt vertrieben, kann sie - ungeachtet des Fehlens tatsächlicher Feststellungen hierzu - aus dieser vermeintlichen Ungleichbehandlung für sich bereits deshalb nichts herleiten, weil ein Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht nicht besteht.

334. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2023:140923U3C2.23.0

Fundstelle(n):
JAAAJ-55275