BGH Urteil v. - VIa ZR 604/21

Instanzenzug: Az: 16 U 27/21vorgehend Az: 16 O 125/20

Tatbestand

1Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen auf Schadensersatz in Anspruch.

2Die Klägerin erwarb am von der Beklagten als Verkäuferin einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes C 200 CDI BE, der mit einem Motor der Baureihe OM 651 ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug ist ein Thermofenster verbaut, das die Abgasrückführung bei Unterschreitung einer bestimmten Schwellentemperatur reduziert.

3Die Klägerin macht geltend, das Fahrzeug verfüge über mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen. Sie hat zuletzt die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Schlussanträge aus der Berufungsinstanz weiter, soweit sie diese auf ihre deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs gestützt hat.

Gründe

4Die Revision der Klägerin hat Erfolg.

A.

5Die Berufung der Klägerin war, was der Senat als Prozessfortsetzungsbedingung von Amts wegen zu berücksichtigen hat (vgl. , IHR 2023, 85 Rn. 12 mwN; Urteil vom - VIa ZR 737/21, juris Rn. 6), entgegen der von der Beklagten in der mündlichen Revisionsverhandlung geäußerten Auffassung zulässig. Insbesondere ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Berufungsbegründung den Mindestanforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO genügt, weil sie als Verfahrensmangel des erstinstanzlichen Verfahrens rügt, dass das Landgericht den Vortrag der Klägerin zu einer Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung mit Schriftsatz vom , den die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht übergeben hat, nicht zur Kenntnis genommen habe (vgl. VIa ZB 8/23, juris Rn. 8 ff. mwN).

B.

6Der angefochtene Beschluss ist in der Sache von Rechtsfehlern beeinflusst.

I.

7Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:

8Die Klägerin habe gegen die Beklagte keinen Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB, denn es könne nicht festgestellt werden, dass die Beklagte der Klägerin vorsätzlich in sittenwidriger Weise einen Schaden zugefügt habe. Hinsichtlich des in ihrem Fahrzeug verbauten Thermofensters trage die Klägerin nicht hinreichend dazu vor, dass die Beklagte planmäßig eine Software eingesetzt habe, die gerade nur unter Prüfbedingungen den Schadstoffausstoß mit dem Ziel der Einhaltung von Grenzwerten beeinflusse. Soweit die Klägerin in der Berufungsinstanz zu einer Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung vortrage, handele es sich um neues Vorbringen, für das kein Zulassungsgrund im Sinne von § 531 Abs. 2 ZPO vorliege. Das Vorbringen sei im Berufungsverfahren neu, weil das Landgericht im Verhandlungstermin die Bezugnahme auf den Schriftsatz vom gemäß § 137 Abs. 3 ZPO zurecht für unzulässig erklärt habe. Zudem fehle es an greifbaren Anhaltspunkten für ein Vorhandensein dieser Einrichtung gerade in dem Fahrzeug der Klägerin.

II.

9Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

101. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

112. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung des Thermofensters aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass der Berufungsentscheidung entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).

12Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , ZIP 2023, 1903 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

13Die angefochtene Entscheidung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 ZPO, weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Das Berufungsgericht hat keine tragfähigen Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage eine deliktische Haftung der Beklagten wegen einer jedenfalls fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verneint werden könnte. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

14Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:161023UVIAZR604.21.0

Fundstelle(n):
KAAAJ-52836