BGH Beschluss v. - 2 StR 138/22

Instanzenzug: Az: 28 KLs 8/21

Gründe

1Das Landgericht hat die Angeklagte wegen „gemeinschaftlichen Totschlags“ zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Mit ihrer hiergegen gerichteten Revision rügt die Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Auf die Verfahrensrügen kommt es daher nicht an.

I.

2Das Landgericht hat – soweit hier von Bedeutung – nachfolgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

31. Die 15-jährige Angeklagte K.   lernte die nicht revidierende, damals 21-jährige Mitangeklagte E.    am kennen. Nachdem sich zwischen ihnen unmittelbar eine Freundschaft entwickelt hatte, besuchte die Angeklagte die Mitangeklagte mehrfach, unter anderem auch am , zu Hause und beabsichtigte an diesem Tag, bei ihr zu übernachten. Hiermit war C.   E.    , die Mutter der Mitangeklagten, die mit dieser in einem Haushalt lebte, aufgrund diverser Krankheiten und einer Opiatabhängigkeit nur noch 36 Kilogramm wog und ganztägig bettlägerig war, nicht einverstanden. Sie forderte die Angeklagte K.   auf zu gehen. Im Laufe des sich anschließenden, über zwei Stunden andauernden Streits zwischen C.   E.      und ihrer Tochter, die sich für einen Verbleib der Angeklagten einsetzte, nahm die Mitangeklagte E.      „spontan“ das neben ihrer Mutter auf dem Bett liegende Kissen, legte es ihr auf das Gesicht und drückte es mit beiden Händen nach unten. Dabei wusste sie, dass ihre aufgrund des Streits bereits geschwächte Mutter zu Tode kommen könnte. Genau das beabsichtigte sie, auch aus tiefer Enttäuschung über die Situation und jahrelanges, verletzendes und rücksichtsloses Verhalten ihrer Mutter.

4In einem Moment, in dem C.    E.    versuchte, ihre Tochter wegzudrücken, kam die Angeklagte dazu und entschloss sich, „überwältigt von dem Anblick, völlig überfordert mit der Situation und letztlich selbst geschwächt von der gesamten Situation im Hause E.    “, spontan, ihrer Freundin zu Hilfe zu eilen. Sie trat an das Bett heran, drückte mit einer Hand das weiter auf dem Gesicht liegende Kissen nach unten und griff C.    E.      mit der anderen Hand an den Hals. Sie hatte den Entschluss gefasst, die Mutter ihrer Freundin gemeinsam mit dieser umzubringen und „sich in das bereits begonnene Geschehen einvernehmlich mit der Angeklagten E.      einzufügen“. Irgendwann nahm die Mitangeklagte E.       ihre Hände mit den Worten „Ich kann das nicht mehr. Ich will es nicht. Ich schaff es nicht“ von dem Kissen, obwohl sie nach wie vor ohne Unterbrechung dazu entschlossen war, diese zu töten. Sie verblieb unverändert am Bett; damit wollte sie gegenüber der Angeklagten K.   zum Ausdruck bringen, dass sie es nicht mehr eigenhändig über sich bringe, den gemeinsamen Entschluss zur Tötung der Mutter in die Tat umzusetzen, und daher zur Beendigung auf die bereits begonnene Umsetzung auch durch die Angeklagte K.  setze. Dementsprechend wirkte die Angeklagte auf deren Mutter ein, die weiter versuchte, sich zu wehren. Nach wenigen Augenblicken verlor C.   E.      das Bewusstsein und verstarb infolge nicht ausreichender Sauerstoffzufuhr. Die anschließend beabsichtigte Leichenbeseitigung im Rhein unter Mitwirkung des nicht revidierenden Mitangeklagten Z.    scheiterte.

52. Die Angeklagte hat ihre Täterschaft in Abrede gestellt und sich dahingehend eingelassen, dass die Mitangeklagte E.      alleine gehandelt habe. Das Landgericht hat seine Überzeugung zu ihrer Täterschaft im wesentlichen auf die Angaben der Mitangeklagten E.      , die sich mit einer geschlossenen Verteidigererklärung den getroffenen Feststellungen entsprechend eingelassen hat, gestützt und die Einlassung der Angeklagten als widerlegt angesehen.

II.

61. Die Revision ist begründet. Die Beweiswürdigung des Landgerichts betreffend die Täterschaft der Angeklagten hält – auch eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom – 2 StR 119/22 mwN) – sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

7a) Die Beweiswürdigung des Landgerichts leidet an durchgreifenden Darstellungsmängeln. §§ 261 und 267 StPO verpflichten den Tatrichter, in den Urteilsgründen darzulegen, dass seine Überzeugung auf einer umfassenden, von rational nachvollziehbaren Überlegungen bestimmten Beweiswürdigung beruht. Der Tatrichter ist – über den Wortlaut des § 267 Abs. 1 Satz 2 StPO hinaus – verpflichtet, die wesentlichen Beweiserwägungen so darzulegen, dass seine Überzeugungsbildung für das Revisionsgericht nachzuvollziehen und auf Rechtsfehler zu überprüfen ist (vgl. Senat, Beschluss vom – 2 StR 152/20, NStZ-RR 2021, 114, 115).

8aa) Hängt – wie hier – die Überzeugung von der Täterschaft einer bestreitenden Angeklagten entscheidend von der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben einer Mittäterin ab, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, die die Entscheidung zu beeinflussen geeignet sind, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. Senat, Beschlüsse vom – 2 StR 552/19 Rn. 19; vom – 2 StR 355/19 Rn. 11; vom – 2 StR 147/08, StV 2008, 451; BGH, Beschlüsse vom – 6 StR 445/22, NStZ-RR 2023, 222; vom – 1 StR 596/19, NStZ 2021, 183). Dabei kann es geboten sein, die Umstände der Entstehung und den näheren Inhalt der die Angeklagte belastenden Aussage sowie deren Entwicklung darzustellen und zu bewerten, um dem Revisionsgericht die Prüfung zu ermöglichen, ob die Überzeugungsbildung des Tatgerichts auf rational nachvollziehbaren Erwägungen beruht (vgl. Senat, Beschluss vom – 2 StR 147/08, StV 2008, 451; , NStZ-RR 2023, 222 mwN).

9bb) Dies lassen die Urteilsgründe trotz der Besonderheit der Beweissituation, die darin liegt, dass die Angeklagte in ihrer Einlassung ein Alternativtatgeschehen schildert, mit dem sie allein die Mitangeklagte E.      belastet, und die für eine Darlegung des Aussageverhaltens der Mitangeklagten im Ermittlungsverfahren Anlass gegeben hätten, vermissen.

10So vermag der Senat die Wertung des Landgerichts, dass die dreimalige Änderung des Einlassungsverhaltens der Mitangeklagten E.       während der polizeilichen Vernehmung und deren Anpassung an ihren Verlauf nicht dagegen spreche, dass ihre wiederum die Angeklagte belastende Einlassung der Wahrheit entspreche und dass dieses Einlassungsverhalten der Mitangeklagten „aus der langen Dauer der polizeilichen Vernehmung und des sich darin stets erhöhenden Drucks“ resultiere, ohne Kenntnis des konkreten Aussageverhaltens der Mitangeklagten E.       in der polizeilichen Vernehmung nicht nachzuvollziehen (vgl. auch Senat, Urteil vom – 2 StR 94/95, BGHR StPO § 261 Einlassung 6 – Beweiskraft; , NStZ-RR 2014, 15). Die Urteilsgründe lassen weder erkennen, um welche Änderungen im Einlassungsverhalten es sich im Einzelnen handelte, noch unter welchen Umständen es hierzu kam.

11Vor diesem Hintergrund verschließt sich auch die Überprüfung der für die Glaubhaftigkeit der Einlassung der Mitangeklagten E.       herangezogenen – insoweit zugleich widersprüchlichen – Wertung des Landgerichts, diese habe sich „spontan und unvorbereitet in der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung“ einen „sehr hohen Verantwortungsteil“ zugeschrieben. Ob und wie dies mit einer dreimaligen Änderung ihrer Einlassung in dieser polizeilichen Vernehmung, „bis sie die eigene und die Tatbeteiligung der Angeklagten K.   eingestand“ in Einklang steht, entzieht sich ohne Kenntnis der Aussageentwicklung sowie der Aussageinhalte einer Überprüfung des Revisionsgerichts.

12cc) Dabei hatte die Jugendkammer auch deshalb Anlass zur Darlegung der Aussageinhalte aus dem Ermittlungsverfahren (vgl. Senat, Beschluss vom – 2 StR 552/19 Rn. 20 mwN), weil sich die Einlassung der Mitangeklagten E.      in der Hauptverhandlung in einer als richtig bestätigten Verteidigererklärung erschöpfte, zu der keine Rückfragen zugelassen waren. Die Urteilsgründe geben auch insoweit Anlass zur Sorge, dass sich das Landgericht dieser besonderen Beweissituation und dem nur eingeschränkten Beweiswert einer Einlassung mittels Verteidigererklärung (vgl. Senat, Urteil vom – 2 StR 69/19, NStZ 2021, 180, 182; Rn. 13) nicht bewusst war.

13b) Die Beweiswürdigung erweist sich daneben unter weiteren Gesichtspunkten als durchgreifend rechtsfehlerhaft.

14aa) Soweit das Landgericht bereits im Ausgangspunkt ausführt, bei der Angeklagten handele es sich um die einzige Person neben der Mitangeklagten E.      , die sich im Zeitpunkt der Herbeiführung des Todes im Hause und Zimmer der Getöteten aufgehalten habe, „was sie signifikant von allen anderen potentiell denkbaren Tätern“ unterscheide, legt es seiner Beweiswürdigung von Beginn an zugrunde, dass die Mitangeklagte E.        die letztlich zum Tode führende Tathandlung nicht eigenhändig ausgeführt hat. Diese Erwägung erweist sich aber als Zirkelschluss und damit als Verstoß gegen Denkgesetze, weil das Landgericht damit letztlich die Glaubhaftigkeit der Angaben der Mitangeklagten E.       auch mit ihrer eigenen Aussage, sie habe ihre eigenhändige Tathandlung abgebrochen, begründet (vgl. , StV 2003, 542, 543).

15bb) Zudem steht zu besorgen, dass das Landgericht einen Erfahrungssatz angewendet haben könnte, den es nicht gibt, indem es ausführt, dass die Eingehung eines Entdeckungsrisikos bei der Leichenbeseitigung „nur“ mit einer vorherigen unmittelbaren Tatbeteiligung der Angeklagten erklärt werden könne. Echte, allgemeingültige Erfahrungssätze sind indes nur auf Grund allgemeiner Lebenserfahrung oder wissenschaftlicher Erkenntnisse gewonnene Regeln, die keine Ausnahme zulassen und eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit zum Inhalt haben (vgl. Senat, Beschluss vom – 2 StR 278/22 Rn. 2). Das trifft auf die Aussage des Landgerichts nicht zu. Es hat außer Acht gelassen, dass der festgestellte Sachverhalt mit mehr oder weniger hoher Wahrscheinlichkeit andere Deutungsmöglichkeiten zulässt, die es mit Blick auf den nicht revidierenden Mitangeklagten Z.   , den es wegen seiner Beteiligung an der erfolglosen Leichenbeseitigung unter anderem wegen versuchter Strafvereitelung verurteilt, selbst aufzeigt, wenn es ausführt, dass für diesen kein Grund ersichtlich sei, warum dieser bei der Leichenbeseitigung hätte mitwirken sollen, hätte die Angeklagte – seine damalige Freundin – ihn nicht darum gebeten. Alternative Deutungsmöglichkeiten nimmt das Landgericht hinsichtlich der Angeklagten insoweit nicht in den Blick.

16c) Schließlich lässt das landgerichtliche Urteil eine Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses und aller Indizien, an die angesichts der Besonderheiten der gegebenen Beweissituation besondere Sorgfaltsanforderungen zu stellen sind, vermissen (vgl. hierzu , NStZ-RR 2002, 146 mwN).

17d) Das Urteil beruht auf den aufgezeigten Beweiswürdigungsmängeln. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung und der gebotenen wertenden Gesamtschau aller be- und entlastenden Indizien zu einem abweichenden Beweisergebnis gekommen wäre. Die Verurteilung ist daher mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben (§ 353 Abs. 2 StPO).

182. Eine Erstreckung auf die nicht revidierende Mitangeklagte E.        gemäß § 357 Satz 1 StPO scheidet aus, obwohl diese als Mittäterin verurteilt wurde (vgl. , BGHSt 11, 18; SK-StPO/Wolter, 5. Aufl., § 357 Rn. 28). Unter den besonderen Gegebenheiten des Falls und unter Berücksichtigung des Umstands, dass das Landgericht einen natürlichen Tod der Verstorbenen rechtsfehlerfrei ausgeschlossen hat, kommt abweichend von der erfolgten Verurteilung als Mittäterin einzig eine Alleintäterschaft der Mitangeklagten E.      , nicht jedoch ein Freispruch in Betracht. Insoweit ist auszuschließen, dass sich die Erstreckung zu ihren Gunsten auswirken könnte (vgl. , BGHR StPO § 357 Erstreckung 3).

193. a) Der Senat weist für das weitere Verfahren darauf hin, dass das nunmehr berufene Tatgericht bei seiner Beweiswürdigung zu berücksichtigen haben wird, dass die Mitangeklagte E.        im Verfahren weitere Angaben zur Sache gegenüber dem psychiatrischen Sachverständigen gemacht hat. Ferner wird es bei der Würdigung des Verhaltens der Angeklagten, insbesondere auch nach der Tat, sowohl ihr Alter als auch ihre Lebensumstände zu bedenken haben.

20b) Schließlich merkt der Senat an, dass die im Rahmen der Strafzumessung zu Lasten der Angeklagten herangezogene Erwägung, die aufwendigen Bemühungen zur Leichenbeseitigung lassen ein gesteigertes Maß an krimineller Energie erkennen, nicht frei von rechtlichen Bedenken ist (vgl. Senat, Urteil vom – 2 StR 435/08 Rn. 9; , NStZ 1985, 21).

21c) Der neue Tatrichter wird im Übrigen im Hinblick auf die Dauer des Revisionsverfahrens über eine Kompensation wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung zu befinden haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:170823B2STR138.22.0

Fundstelle(n):
KAAAJ-50733