EuGH Urteil v. - C-15/22

Leitsatz

Art. 4 Abs. 3 EUV und Art. 208 in Verbindung mit Art. 210 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Steuerpraxis nicht entgegenstehen, wonach die Befreiung des Arbeitslohns, den ein Arbeitnehmer für eine Tätigkeit im Zusammenhang mit der öffentlichen Entwicklungshilfe erzielt, von der Einkommensteuer versagt wird, wenn diese Tätigkeit aus einem Europäischen Entwicklungsfonds finanziert wird, während die Befreiung gewährt wird, wenn eine solche Tätigkeit zu mindestens 75 % durch ein für die Entwicklungszusammenarbeit zuständiges Ministerium oder durch eine dem betreffenden Mitgliedstaat gehörende private Entwicklungshilfegesellschaft finanziert wird.

Instanzenzug: ,

Gründe

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 45, 56 und 63 AEUV sowie von Art. 4 Abs. 3 EUV und Art. 208 in Verbindung mit Art. 210 AEUV.

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen einer natürlichen Person und dem Finanzamt G (Deutschland) wegen dessen Weigerung, die Einkommensteuer auf den Arbeitslohn, den diese in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige Person für eine aus dem 7. und dem 9. Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) finanzierte Tätigkeit im Ausland erzielt hat, zu erlassen, während die nationale Steuerregelung vorsieht, dass solche Einkünfte von der Einkommensteuer befreit sind, wenn die Tätigkeit im Wesentlichen aus nationalen Haushaltsmitteln finanziert wird.

Rechtlicher Rahmen

Regelung des 7. und des 9. EEF

Viertes AKP-EWG-Abkommen

3 Das am in Lomé unterzeichnete Vierte AKP-EWG-Abkommen (ABl. 1991, L 229, S. 3) enthält in seinem dritten Teil („Die Instrumente der AKP-EWG-Zusammenarbeit“) einen Titel III („Zusammenarbeit bei der Entwicklungsfinanzierung“), zu dem Art. 231 des Abkommens gehört, der Folgendes vorsieht:

„Für die Ziele dieses Titels wird als Gesamtbeitrag der Gemeinschaft der Betrag bereitgestellt, der in dem Finanzprotokoll im Anhang zu diesem Abkommen angegeben ist.“

4 Art. 233 Abs. 1 dieses Abkommens lautet:

„Die Projekte oder Programme können durch Zuschüsse, durch die Einbringung von Risikokapital aus dem Fonds, durch Darlehen der [Europäischen Investitionsbank (EIB)] aus deren Eigenmitteln oder aber durch Verbindung zweier oder mehrerer dieser Finanzierungsformen finanziert werden.“

5 Das Finanzprotokoll im Anhang zum Vierten AKP-EWG-Abkommen bestimmt in Art. 1 Abs. 1, dass sich für die im dritten Teil Titel III des Abkommens genannten Zwecke der Zusammenarbeit bei der Entwicklungsfinanzierung der Gesamtbetrag der Finanzhilfe der Europäischen Gemeinschaft für einen am beginnenden Zeitraum von fünf Jahren auf 12 Mrd. ECU beläuft.

Internes Abkommen über die Finanzierung und Verwaltung der Hilfen der Gemeinschaft im Rahmen des Vierten AKP-EWG-Abkommens

6 Der erste Erwägungsgrund des Internen Abkommens über die Finanzierung und Verwaltung der Hilfen der Gemeinschaft im Rahmen des Vierten AKP-EWG-Abkommens (ABl. 1991, L 229, S. 288) lautet:

„In dem am in Lomé unterzeichneten Vierten AKP-EWG-Abkommen, nachstehend ‚das Abkommen‘ genannt, ist der Gesamtbetrag der Hilfe der Gemeinschaft an die AKP-Staaten für den Zeitraum 1990 bis 1995 auf 12 000 Millionen ECU festgesetzt worden.“

7 Art. 1 Abs. 1 und 2 Buchst. a dieses Abkommens bestimmt:

„(1) Die Mitgliedstaaten errichten einen 7. Europäischen Entwicklungsfonds (1990) – nachstehend ‚Fonds‘ genannt.

(2) a) Der Fonds wird mit einem Betrag von 10 940 Millionen ECU ausgestattet, der von den Mitgliedstaaten [gemäß einem Aufteilungsschlüssel] finanziert wird[.]

…“

8 Art. 3 Abs. 1 des Abkommens lautet:

„Zu dem in Artikel 1 festgesetzten Betrag kommen Darlehen bis zu 1 225 Millionen ECU [hinzu], welche die [EIB] zu den von ihr gemäß ihrer Satzung festgelegten Bedingungen aus Eigenmitteln gewährt.“

9 Art. 5 des Abkommens lautet:

„Alle Finanzgeschäfte zugunsten der AKP-Staaten sowie der Länder und Gebiete in Übereinstimmung mit dem Abkommen und dem Beschluss [über die Länder und Gebiete] werden nach Maßgabe dieses Abkommens zu Lasten des Fonds abgewickelt; ausgenommen hiervon sind Darlehen, welche die [EIB] aus ihren Eigenmitteln gewährt.“

10 Art. 13 Abs. 1 des Internen Abkommens über die Finanzierung und Verwaltung der Hilfen der Gemeinschaft im Rahmen des Vierten AKP-EWG-Abkommens bestimmt:

„Die [Europäische] Kommission prüft die Vorhaben und Programme, die nach Artikel 233 des Abkommens und den entsprechenden Bestimmungen des Beschlusses für eine Finanzierung durch Zuschüsse aus dem Fonds in Betracht kommen.“

11 Art. 15 dieses Abkommens lautet:

„(1) „Die [EIB] übernimmt für Rechnung der Gemeinschaft die finanzielle Abwicklung der aus Mitteln des Fonds gewährten Hilfen in Form von Risikokapital. Dabei handelt die [EIB] im Namen und auf Gefahr der Gemeinschaft. Die Gemeinschaft hat alle daraus folgenden Rechte, insbesondere die Rechte eines Gläubigers oder Eigentümers.

(2) Die [EIB] übernimmt die finanzielle Abwicklung der aus Eigenmitteln gewährten Darlehen, für die Zinsvergütungen aus Mitteln des Fonds gezahlt werden.“

Finanzregelung 91/491/EWG

12 Art. 33 Abs. 1 der Finanzregelung 91/491/EWG des Rates vom für die Zusammenarbeit bei der Entwicklungsfinanzierung im Rahmen des Vierten AKP-EWG-Abkommens (ABl. 1991, L 266, S. 1) bestimmt:

„Zahlungen sind grundsätzlich über anerkannte Finanzinstitute zu leisten. …“

Cotonou-Abkommen

13 Art. 62 Abs. 1 des Partnerschaftsabkommens zwischen den Mitgliedern der Gruppe der Staaten in Afrika, im Karibischen Raum und im Pazifischen Ozean einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits (ABl. 2000, L 317, S. 3), das am in Cotonou unterzeichnet und durch den Beschluss 2003/159/EG des Rates vom (ABl. 2003, L 65, S. 27) im Namen der Gemeinschaft genehmigt wurde, geändert durch das mit dem Beschluss 2005/599/EG des Rates vom (ABl. 2005, L 209, S. 26) genehmigte Abkommen und das mit dem Beschluss 2010/648/EU des Rates vom (ABl. 2010, L 287, S. 1) genehmigte Abkommen (im Folgenden: Cotonou-Abkommen), bestimmt:

„Der Gesamtbetrag der Finanzhilfe der Gemeinschaft für die in diesem Abkommen genannten Zwecke und die Finanzierungsbedingungen sind im Einzelnen in den Anhängen festgelegt.“

14 In Anhang I („Finanzprotokoll“) dieses Abkommens heißt es:

„1. Der Gesamtbetrag der Finanzhilfe der Gemeinschaft für die AKP-Staaten für die im Abkommen festgelegten Zwecke beläuft sich für einen am beginnenden Zeitraum von fünf Jahren auf 15 200 Millionen Euro.

2. Die Finanzhilfe der Gemeinschaft umfasst einen Betrag von bis zu 13 500 Millionen Euro aus dem 9. [EEF].

3. Der 9. EEF wird auf die Instrumente der Zusammenarbeit aufgeteilt wie folgt:

a) 10 000 Millionen Euro in Form von Zuschüssen für den Finanzrahmen für die Unterstützung der langfristigen Entwicklung. …

4. Einen Betrag von bis zu 1 700 Millionen Euro stellt die [EIB] in Form von Darlehen aus Eigenmitteln bereit. …

6. Die [EIB] verwaltet die aus Eigenmitteln gewährten Darlehen und die aus der Investitionsfazilität finanzierten Maßnahmen. …

…“

15 Art. 1 Abs. 1 des Anhangs II („Finanzierungsbedingungen“) des Abkommens sieht vor:

„Für die Finanzierung der Maßnahmen der Investitionsfazilität (Fazilität), der Darlehen aus Eigenmitteln der [EIB] und der Sondermaßnahmen gelten die in diesem Kapitel festgelegten Bedingungen. …“

16 Art. 37 („Zahlungen“) Abs. 1 des Anhangs IV des Abkommens bestimmt:

„Zur Ausführung der Zahlungen in den Landeswährungen der AKP-Staaten können in den AKP-Staaten von und im Namen der Kommission auf die Währungen der Mitgliedstaaten oder auf Euro lautende Konten bei einer staatlichen oder halbstaatlichen Finanzinstitution eröffnet werden, die im Einvernehmen zwischen dem AKP-Staat und der Kommission ausgewählt wird. Diese Institution fungiert als nationale beauftragte Zahlstelle.“

Internes Abkommen über die Finanzierung und Verwaltung der Hilfe der Gemeinschaft im Rahmen des Cotonou-Abkommens

17 Art. 1 Abs. 1 und 2 des Internen Abkommens zwischen den im Rat vereinigten Vertretern der Regierungen der Mitgliedstaaten über die Finanzierung und Verwaltung der Hilfe der Gemeinschaft im Rahmen des Finanzprotokolls zu dem am in Cotonou, Benin, unterzeichneten Partnerschaftsabkommen zwischen den Mitgliedern der Gruppe der Staaten in Afrika, im Karibischen Raum und im Pazifischen Ozean einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits und über die Bereitstellung von Finanzhilfe für die überseeischen Länder und Gebiete, auf die der Vierte Teil des EG-Vertrags Anwendung findet (ABl. 2000, L 317, S. 355, im Folgenden: Internes Abkommen über die Finanzierung und Verwaltung der Hilfe der Gemeinschaft im Rahmen des Cotonou-Abkommens), sieht vor:

„(1) Die Mitgliedstaaten richten einen 9. Europäischen Entwicklungsfonds (2000) ein, im Folgenden: ‚9. EEF‘ genannt.

(2) Der 9. EEF ist wie folgt zusammengesetzt:

a) bis zu 13 800 Millionen [Euro] an Beiträgen der Mitgliedstaaten [gemäß einem Aufteilungsschlüssel]

…“

18 Art. 5 Abs. 1 dieses Abkommens bestimmt:

„Zu dem in Artikel 1 Absatz 2 genannten Betrag kommen bis zu 1 720 Millionen [Euro] in Form von Darlehen hinzu, welche die [EIB] aus Eigenmitteln gewährt. …“

Finanzregelung vom für den 9. Europäischen Entwicklungsfonds

19 Art. 28 der Finanzregelung vom für den 9. Europäischen Entwicklungsfonds (ABl. 2003, L 83, S. 1) bestimmt:

„Zur Ausführung der Zahlungen gemäß Artikel 37 Absätze 1 und 4 des Anhangs IV des AKP-EG-Abkommens bzw. gemäß den Durchführungsmaßnahmen des Übersee-Assoziationsbeschlusses eröffnet der Rechnungsführer Konten bei Finanzinstituten der AKP-Staaten und der [überseeischen Länder und Gebiete (im Folgenden: ÜLG)] für Zahlungen in der Landeswährung der AKP-Staaten bzw. Lokalwährung der ÜLG und bei Finanzinstituten der Mitgliedstaaten für Zahlungen in Euro und sonstigen Währungen. Gemäß Artikel 37 Absatz 2 des Anhangs IV des AKP-EG-Abkommens werden die Einlagen auf Konten bei Finanzinstituten der AKP-Staaten und der ÜLG nicht verzinst und die letztgenannten erbringen ihre Dienstleistungen unentgeltlich. Gemäß Artikel 1 Absatz 3 des Internen Abkommens [über die Finanzierung und Verwaltung der Hilfe der Gemeinschaft im Rahmen des Cotonou-Abkommens] werden Einlagen auf Konten bei Finanzinstituten der Mitgliedstaaten verzinst, und die Zinseinnahmen werden einem der Konten gutgeschrieben, die in diesem Artikel genannt sind.“

Richtlinie 88/361/EWG

20 Im einleitenden Teil des Anhangs I der Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom zur Durchführung von Artikel [63] des Vertrags (ABl. 1988, L 178, S. 5) heißt es:

„In dieser Nomenklatur werden die Kapitalbewegungen nach der ökonomischen Natur der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten, ausgedrückt in Landeswährung oder in Fremdwährungen, gegliedert.

Der in dieser Nomenklatur genannte Kapitalverkehr umfasst:

– alle für die Durchführung des Kapitalverkehrs erforderlichen Geschäfte: Abschluss und Ausführung der Transaktion und damit zusammenhängende Transferzahlungen. Die Transaktion erfolgt im Allgemeinen zwischen Gebietsansässigen verschiedener Mitgliedstaaten; es kommt jedoch vor, dass bestimmte Kapitalbewegungen von einer einzigen Person für eigene Rechnung getätigt werden (beispielsweise Vermögenstransfers von Auswanderern);

…“

21 Zu den in Anhang I aufgeführten Kapitalbewegungen gehören nach seiner Rubrik VIII „Darlehen und Finanzkredite (soweit nicht unter I, VII und XI erfasst)“ und nach seiner Rubrik XI der „Kapitalverkehr mit persönlichem Charakter“, darunter „Schenkungen und Stiftungen“.

Deutsches Recht

EStG

22 Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der auf den Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits anwendbaren Fassung (im Folgenden: EStG) sind natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, dort unbeschränkt steuerpflichtig.

23 Nach § 2 Abs. 1 EStG unterliegen Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit, die der Steuerpflichtige während seiner unbeschränkten Einkommensteuerpflicht erzielt, der Einkommensteuer.

24 § 34c Abs. 5 EStG bestimmt:

„Die obersten Finanzbehörden der Länder oder die von ihnen beauftragten Finanzbehörden können mit Zustimmung des Bundesministeriums der Finanzen die auf ausländische Einkünfte entfallende deutsche Einkommensteuer ganz oder zum Teil erlassen oder in einem Pauschbetrag festsetzen, wenn es aus volkswirtschaftlichen Gründen zweckmäßig ist oder die Anwendung des Absatzes 1 besonders schwierig ist.“

ATE

25 Am veröffentlichte das Bundesministerium der Finanzen gemäß § 34c Abs. 5 EStG im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder den Auslandstätigkeitserlass (BStBl. 1983 I S. 470, im Folgenden: ATE), der folgende Passagen enthält:

„Bei Arbeitnehmern eines inländischen Arbeitgebers … wird von der Besteuerung des Arbeitslohns abgesehen, den der Arbeitnehmer auf Grund eines gegenwärtigen Dienstverhältnisses für eine begünstigte Tätigkeit im Ausland erhält.

I. Begünstigte Tätigkeit

Begünstigt ist die Auslandstätigkeit für einen inländischen Lieferanten, Hersteller, Auftragnehmer oder Inhaber ausländischer Mineralaufsuchungs- oder ‑gewinnungsrechte im Zusammenhang mit

  1. der Planung, Errichtung, Einrichtung, Inbetriebnahme, Erweiterung, Instandsetzung, Modernisierung, Überwachung oder Wartung von Fabriken, Bauwerken, ortsgebundenen großen Maschinen oder ähnlichen Anlagen sowie dem Einbau, der Aufstellung oder Instandsetzung sonstiger Wirtschaftsgüter; außerdem ist das Betreiben der Anlagen bis zur Übergabe an den Auftraggeber begünstigt,

  2. dem Aufsuchen oder der Gewinnung von Bodenschätzen,

  3. der Beratung (Consulting) ausländischer Auftraggeber oder Organisationen im Hinblick auf Vorhaben im Sinne der Nummern 1 oder 2 oder

  4. der deutschen öffentlichen Entwicklungshilfe im Rahmen der Technischen oder Finanziellen Zusammenarbeit.

II. Dauer der begünstigten Tätigkeit

Die Auslandstätigkeit muss mindestens drei Monate ununterbrochen in Staaten ausgeübt werden, mit denen kein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung besteht, in das Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit einbezogen sind.

V. Nichtanwendung

Diese Regelung gilt nicht, wenn

  1. der Arbeitslohn aus inländischen öffentlichen Kassen – einschließlich der Kassen der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Bundesbank – gezahlt wird,

  2. die Tätigkeit in einem Staat ausgeübt wird, mit dem ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung besteht, in das Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit einbezogen sind; ist ein Abkommen für die Zeit vor seinem Inkrafttreten anzuwenden, so verbleibt es bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens bei den vorstehenden Regelungen, soweit sie für den Arbeitnehmer günstiger sind …“

Steuerpraxis

26 Nach den Angaben der deutschen Regierung wird die in Abschnitt I Nr. 4 ATE verwendete Wendung „deutsche öffentliche Entwicklungshilfe im Rahmen der Technischen oder Finanziellen Zusammenarbeit“ von der Finanzverwaltung dahin ausgelegt, dass die Entwicklungshilfemaßnahme zu mindestens 75 % durch das für die Entwicklungszusammenarbeit zuständige Bundesministerium oder durch eine staatseigene private Entwicklungshilfegesellschaft finanziert werden müsse.

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

27 Vom bis zum war die Klägerin des Ausgangsverfahrens bei einer Entwicklungshilfegesellschaft mit Sitz in Deutschland beschäftigt. Sie arbeitete im Rahmen eines Arbeitsvertrags, dessen Laufzeit der Dauer eines von ihr betreuten Projekts der Entwicklungszusammenarbeit in Afrika entsprach. Dieses Projekt wurde aus dem 7. und dem 9. EEF finanziert. In dieser Zeit behielt sie jedoch ihren Wohnsitz und den Lebensmittelpunkt in Deutschland bei, so dass sie dort unbeschränkt einkommensteuerpflichtig war.

28 Das Finanzamt Z (Deutschland) gab einem Antrag des Arbeitgebers der Klägerin des Ausgangsverfahrens auf Freistellung ihres Arbeitslohns nach dem ATE statt und stellte eine entsprechende Freistellungsbescheinigung aus. In der Folge wurde vom Arbeitgeber keine Lohnsteuer einbehalten und an die Steuerbehörden abgeführt. Die Arbeitslöhne der Klägerin wurden auch nicht in einem Drittland versteuert.

29 Im Anschluss an eine Steuerprüfung bei der Gesellschaft, für die die Klägerin des Ausgangsverfahrens tätig war, stellte das zuständige Finanzamt fest, dass das in Rede stehende Projekt der Entwicklungszusammenarbeit weder von der Bundesregierung noch von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (Deutschland) finanziert worden war, sondern aus dem 7. und dem 9. EEF. Das Finanzamt G wurde daher gebeten, den Arbeitslohn der Klägerin der Einkommensteuer zu unterwerfen.

30 Mit Bescheid vom setzte das Finanzamt G die von der Klägerin des Ausgangsverfahrens für die Steuerjahre 2011 und 2012 geschuldete Steuer fest.

31 Nach erfolglosem Einspruch gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Klage beim Finanzgericht Köln (Deutschland), das ihre Klage mit Urteil vom als unbegründet abwies. Gegen dieses Urteil legte die Klägerin beim vorlegenden Gericht, dem Bundesfinanzhof (Deutschland), Revision ein.

32 Das vorlegende Gericht hält die Revision auf der Grundlage des nationalen Rechts für unbegründet. Der ATE und die darauf beruhende Steuerpraxis könnten aber gegen den in Art. 4 Abs. 3 EUV niedergelegten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit sowie gegen die aus Art. 208 in Verbindung mit Art. 210 AEUV resultierende Pflicht der Mitgliedstaaten zur Koordinierung ihrer Entwicklungspolitik verstoßen.

33 Vor diesem Hintergrund hat der Bundesfinanzhof das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind Art. 4 Abs. 3 EUV und Art. 208 in Verbindung mit Art. 210 AEUV dahin gehend auszulegen, dass sie einer einzelstaatlichen Verwaltungspraxis entgegenstehen, nach der ein Steuerverzicht nicht in Fällen ausgesprochen wird, in denen ein Projekt der Entwicklungszusammenarbeit durch zwei EEF finanziert wird, während unter bestimmten Voraussetzungen auf die Besteuerung des Arbeitslohns verzichtet wird, den der Arbeitnehmer aufgrund eines gegenwärtigen Dienstverhältnisses für eine Tätigkeit im Zusammenhang mit der deutschen öffentlichen Entwicklungshilfe im Rahmen der technischen oder finanziellen Zusammenarbeit erzielt, die zu mindestens 75 % durch ein für die Entwicklungszusammenarbeit zuständiges Bundesministerium oder aber durch eine staatseigene private Entwicklungshilfegesellschaft finanziert wird?

Zur Vorlagefrage

Zur Zulässigkeit

34In ihren schriftlichen Erklärungen hat die deutsche Regierung Zweifel an der Zulässigkeit des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens geäußert, weil die Darstellung des rechtlichen Zusammenhangs durch das vorlegende Gericht irreführend sei, da unerwähnt bleibe, dass die Befreiung nach § 34c Abs. 5 EStG nicht dem Anteil des durch das für die Entwicklungszusammenarbeit zuständige Bundesministerium oder durch eine staatseigene Entwicklungshilfegesellschaft finanzierten Projekts entspreche, sondern dem Anteil, der nicht auf diese Weise finanziert werde. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens hat in der mündlichen Verhandlung gegen diese Regel zur Berechnung der Steuerbefreiung eingewandt, dass sie erst ab 2014, also nach dem streitgegenständlichen Zeitpunkt, gegolten habe.

35Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Fragen eines nationalen Gerichts spricht, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Die Zurückweisung des Ersuchens eines nationalen Gerichts ist dem Gerichtshof nur möglich, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom , Euro Box Promotion u. a., C-357/19, C-379/19, C-547/19, C-811/19 und C-840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 139).

36Im vorliegenden Fall geht aus dem Ersuchen des vorlegenden Gerichts hervor, dass die Zweifel, die die von ihm gestellte Frage gerechtfertigt haben, nicht die Steuerbefreiung betreffen, die einem Arbeitnehmer in Abhängigkeit davon gewährt werden kann, ob die Tätigkeit, für die er eingesetzt wird, aus nationalen öffentlichen Mitteln oder aus dem EEF finanziert wird, sondern die Möglichkeit, einen Arbeitnehmer aus diesem Grund im nationalen Recht anders zu behandeln. Folglich ist nicht offensichtlich, dass die vom vorlegenden Gericht erbetene Auslegung des Unionsrechts in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht.

37Daher ist – unterstellt, die deutsche Regierung wollte eine Einrede der Unzulässigkeit wegen Ungenauigkeiten in der Akte hinsichtlich des einschlägigen rechtlichen Kontexts erheben – diese Einrede zurückzuweisen.

Zur Beantwortung der Vorlagefrage

38Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 4 Abs. 3 EUV und Art. 208 in Verbindung mit Art. 210 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Steuerpraxis entgegenstehen, wonach die Befreiung des Arbeitslohns, den ein Arbeitnehmer für eine Tätigkeit im Zusammenhang mit der öffentlichen Entwicklungshilfe erzielt, von der Einkommensteuer versagt wird, wenn diese Tätigkeit aus einem EEF finanziert wird, während die Befreiung gewährt wird, wenn eine solche Tätigkeit zu mindestens 75 % durch ein für die Entwicklungszusammenarbeit zuständiges Ministerium oder durch eine dem betreffenden Mitgliedstaat gehörende private Entwicklungshilfegesellschaft finanziert wird.

39Angesichts dessen ist einleitend festzustellen, dass das vorlegende Gericht zwar in seiner Frage nur Art. 4 Abs. 3 EUV und Art. 208 in Verbindung mit Art. 210 AEUV erwähnt, aber in seinem Vorabentscheidungsersuchen auch auf die Verkehrsfreiheiten Bezug nimmt. Hierzu haben die Klägerin des Ausgangsverfahrens und die Kommission auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, dass eine Steuerpraxis wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende insbesondere vom Geltungsbereich der in Art. 63 Abs. 1 AEUV vorgesehenen Kapitalverkehrsfreiheit erfasst werde, während die deutsche Regierung vorgetragen hat, dass diese Freiheiten in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens nicht einschlägig seien.

40Unter diesen Umständen ist zunächst zu prüfen, ob Art. 63 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Steuerpraxis wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht.

41Insoweit ergibt sich aus der Nomenklatur für den Kapitalverkehr in Anhang I der Richtlinie 88/361, die ihren Hinweischarakter für die Definition des Begriffs des Kapitalverkehrs behalten hat (Urteil vom , UBS Real Estate, C-478/19 und C-479/19, EU:C:2021:1015, Rn. 31), dass vom sachlichen Geltungsbereich dieser Freiheit Transaktionen über Vermögenswerte oder Verbindlichkeiten erfasst werden, die in Landeswährung oder in Fremdwährungen ausgedrückt sind, darunter auch Transaktionen über Darlehen und Zuwendungen von Geldbeträgen.

42Da zu der Finanzhilfe, die aus dem 7. oder dem 9. EEF gewährt werden kann, sowohl nicht rückzahlbare Zuschüsse als auch Darlehen gehören, ist eine Steuerpraxis wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende grundsätzlich geeignet, den freien Kapitalverkehr zu beeinträchtigen.

43Nach dem Wortlaut von Art. 63 Abs. 1 AEUV setzt die Anwendbarkeit der Kapitalverkehrsfreiheit allerdings einen Kapitalfluss zwischen Mitgliedstaaten oder zwischen einem Mitgliedstaat und einem Drittland voraus.

44Insoweit hat der Gerichtshof zwar in Rn. 38 des Urteils vom , Parlament/Rat (C-316/91, EU:C:1994:76), festgestellt, dass die notwendigen Ausgaben für die Finanzhilfe im Sinne von Art. 231 des Vierten AKP-EWG-Abkommens und von Art. 1 des Finanzprotokolls im Anhang dieses Abkommens unmittelbar von den Staaten übernommen werden.

45In derselben Randnummer hat der Gerichtshof jedoch zwischen der Übernahme dieser Ausgaben durch die Mitgliedstaaten und der Verteilung der durch eine solche Übernahme ermöglichten Finanzhilfe unterschieden, denn er hat hervorgehoben, dass die Verteilung nicht von den genannten Staaten, sondern vom 7. EEF vorgenommen wurde. Ferner hat der Gerichtshof in Rn. 29 des genannten Urteils ausgeführt, dass das Vierte AKP-EWG-Abkommen sowohl von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft als auch von den Mitgliedstaaten geschlossen worden war, so dass sie – vorbehaltlich ausdrücklich vorgesehener Ausnahmen – gegenüber den AKP-Staaten gemeinsam für die Erfüllung aller eingegangenen Verpflichtungen einschließlich derjenigen, die sich auf die Finanzhilfe beziehen, verantwortlich waren. Somit wird im Vierten AKP-EWG-Abkommen zwar der Begriff „Finanzhilfe der Gemeinschaft“ gebraucht, doch er ist im Kontext dieses Abkommens so zu verstehen, dass er sich auf die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten zusammen bezieht (Rn. 30 bis 32 des genannten Urteils).

46Daraus hat der Gerichtshof in den Rn. 33 bis 37 des genannten Urteils abgeleitet, dass die mit Hilfe des 7. EEF verteilte Finanzhilfe zur Erfüllung der in Art. 231 des Vierten AKP-EWG-Abkommens erwähnten finanziellen Unterstützungspflicht diente, die der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten gemeinsam oblag, aber von den Mitgliedstaaten freiwillig allein übernommen worden war, weshalb sie den 7. EEF errichtet hatten.

47In Anbetracht dessen ist daher davon auszugehen, dass die für die Finanzhilfe notwendigen Ausgaben und allgemeiner die Kapitalausstattung des 7. EEF zwar unmittelbar von den Mitgliedstaaten übernommen werden, aber die Verteilung der Finanzhilfe durch den Fonds nicht den Mitgliedstaaten zuzurechnen ist, sondern einer Einrichtung, die durch ein zwischenstaatliches Abkommen geschaffen wurde, um anstelle der Union und der Mitgliedstaaten die von ihnen bei der Ratifizierung einer gemischten internationalen Übereinkunft gemeinsam eingegangenen Verpflichtungen zu übernehmen.

48Mithin findet der mit der Verteilung von Finanzhilfen durch den 7. EEF einhergehende Kapitalverkehr nicht zwischen Mitgliedstaaten oder zwischen einem Mitgliedstaat und einem Drittland statt, sondern zwischen dieser Einrichtung und im Prinzip einem Drittland, und kann daher nicht unter den freien Kapitalverkehr fallen.

49Gleiches gilt für die Verteilung von Finanzhilfen durch den 9. EEF, da die Bestimmungen des Cotonou-Abkommens und des Internen Abkommens über die Finanzierung und Verwaltung der Hilfe der Gemeinschaft im Rahmen des Cotonou-Abkommens in diesem Punkt den vorgenannten Bestimmungen entsprechen.

50Überdies wäre, selbst wenn die in Rede stehende Steuerpraxis vom Geltungsbereich des freien Kapitalverkehrs erfasst würde, darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung die beschränkenden Wirkungen, die eine nationale Maßnahme haben könnte, wenn sie zu ungewiss und zu mittelbar sind, nicht als geeignet angesehen werden können, eine der Verkehrsfreiheiten zu beeinträchtigen (vgl. entsprechend Urteil vom , Instituto do Cinema e do Audiovisual, C-411/21, EU:C:2022:836, Rn. 29). Eine Steuerpraxis wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende ist jedoch nicht geeignet, die aus dem 7. oder 9. EEF gewährten Finanzierungen sicher und unmittelbar zu beeinträchtigen.

51Nach alledem fällt eine Steuerpraxis wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nicht unter die Kapitalverkehrsfreiheit im Sinne von Art. 63 Abs. 1 AEUV.

52Sodann ist in Bezug auf Art. 4 Abs. 3 EUV und Art. 208 in Verbindung mit Art. 210 AEUV festzustellen, dass der 7. und der 9. EEF – wie im Wesentlichen oben in Rn. 46 dargelegt – keine Einrichtungen der Union sind. Zwar ist in Art. 4 Abs. 3 EUV der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit verankert, doch beschränkt sich sein Geltungsbereich – auch in Verbindung mit den Art. 208 und 210 AEUV – auf die Erfüllung der den Verträgen zu entnehmenden Aufgaben durch die Union und die Mitgliedstaaten.

53Der 7. und der 9. EEF wurden jedoch von den Mitgliedstaaten errichtet, um ihrer im Rahmen des Vierten AKP-EWG-Abkommens und des Cotonou-Abkommens gemeinsam mit der Union eingegangenen finanziellen Unterstützungspflicht nachzukommen.

54Da die Bestimmungen der Verträge für die Mitgliedstaaten zwingend sind, können sie sich ihrer Pflicht zu loyaler Zusammenarbeit nicht entziehen, insbesondere wenn es darum geht, dass die Union ihre Aufgaben erfüllt, zu denen nach Art. 3 EUV die strikte Einhaltung des Völkerrechts und damit der Verpflichtungen, die sie gemeinsam mit den Mitgliedstaaten bei der Ratifizierung gemischter internationaler Übereinkünfte eingegangen ist, sowie gemäß Art. 21 EUV die nachhaltige Entwicklung in Bezug auf Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt in den Entwicklungsländern gehören. Daher müssen für das Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten auf der einen sowie dem 7. und dem 9. EEF auf der anderen Seite dieselben Grundsätze gelten wie diejenigen, die gegolten hätten, wenn sich die Mitgliedstaaten nicht dazu entschlossen hätten, in Erfüllung der von ihnen gemeinsam mit der Union bei der Ratifizierung des Vierten AKP-EWG-Abkommens und des Cotonou-Abkommens eingegangenen finanziellen Verpflichtungen diese EEF zu errichten; zu ihnen gehört der in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerte Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, gegebenenfalls in Verbindung mit den Art. 208 und 210 AEUV.

55Außerdem gilt diese Pflicht zu loyaler Zusammenarbeit allgemein, unabhängig davon, ob es sich bei der betreffenden Zuständigkeit der Union um eine ausschließliche Zuständigkeit handelt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Kommission/Schweden, C-246/07, EU:C:2010:203, Rn. 71), und somit erst recht unabhängig davon, dass die Zuständigkeit – wie es gemäß Art. 4 Abs. 4 AEUV bei der Entwicklungszusammenarbeit der Fall ist – zu einem Bereich paralleler Zuständigkeiten gehört, in dem die Ausübung der Zuständigkeit durch die Union die Mitgliedstaaten nicht daran hindert, ihre Zuständigkeit auszuüben.

56Der Einzelne kann sich allerdings nur auf Bestimmungen, einschließlich der in den Verträgen vorgesehenen, berufen, die klare und unbedingte Verpflichtungen aufstellen, deren Umsetzung kein weiteres Eingreifen der Unionsbehörden oder der nationalen Behörden erfordert (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Hansa Fleisch Ernst Mundt, C-156/91, EU:C:1992:423, Rn. 13, und vom , Garlsson Real Estate u. a., C-537/16, EU:C:2018:193, Rn. 65).

57Der in Art. 4 Abs. 3 EUV aufgestellte Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit bringt, wie sich aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt, zwei positive Verpflichtungen der Mitgliedstaaten mit sich, zum einen die, der Union die Erfüllung ihrer den Verträgen zu entnehmenden Aufgaben zu erleichtern und sie dabei zu unterstützen (siehe oben, Rn. 54), und zum anderen die, alle erforderlichen Maßnahmen zur Erfüllung der Verpflichtungen aus den Verträgen oder aus Handlungen der Organe zu ergreifen, sowie eine negative Verpflichtung, und zwar die, alle Maßnahmen zu unterlassen, die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten.

58Nach der ersten dieser positiven Verpflichtungen müssen die Mitgliedstaaten zwar die von der Union festgelegten Strategien und Maßnahmen beachten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Kommission/Schweden, C-246/07, EU:C:2010:203, Rn. 75 und 76), und sie kann es daher, wenn nach einer nationalen Regelung die Gewährung eines rechtlichen oder steuerlichen Vorteils davon abhängt, dass seine Gewährung aus wirtschaftlichen Gründen zweckmäßig ist, erforderlich machen, dass der betreffende Mitgliedstaat diese Voraussetzung als erfüllt anzusehen hat, wenn die Anwendung eines solchen Vorteils den wirtschaftlichen Interessen der Union, die durch die genannten Strategien und Maßnahmen gefördert oder verteidigt werden sollen, entspricht; gleichwohl ist eine solche Verpflichtung zu ungenau, um Rechte der Einzelnen begründen zu können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Hurd, 44/84, EU:C:1986:2, Rn. 47 bis 49).

59In Bezug auf die zweite positive Verpflichtung, wonach die Mitgliedstaaten alle erforderlichen Maßnahmen zur Erfüllung der Verpflichtungen aus den Verträgen oder aus Handlungen der Organe ergreifen müssen, ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 EUV, dass diese Verpflichtung für sich allein keine subjektiven Rechte verleiht, sondern nur in Verbindung mit einer besonderen Verpflichtung der Mitgliedstaaten aufgrund der Verträge oder einer Handlung der Unionsorgane besteht, wie derjenigen in Bezug auf die Zuständigkeitsregeln.

60Anders als bei der Sachlage in der Rechtssache, zu der das Urteil vom , My (C-293/03, EU:C:2004:821, Rn. 35, 41, 42, 45 und 47), ergangen ist, geht aus der dem Gerichtshof zur Verfügung stehenden Akte nicht hervor, dass in der vorliegenden Rechtssache eine Verpflichtung des betreffenden Mitgliedstaats bestünde, die in Verbindung mit dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit zur Entstehung subjektiver Rechte Einzelner führen könnte. Die Verpflichtungen aus Art. 208 Abs. 1 und Art. 210 Abs. 1 AEUV sind nämlich ihrerseits zu allgemein, um solche Rechte begründen zu können.

61Diese Bestimmungen, mit denen die von Art. 21 EUV erfassten allgemeinen Ziele des Handelns der Union auf internationaler Ebene wie die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung in Bezug auf Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt in den Entwicklungsländern verfolgt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Kommission/Rat [Abkommen mit Armenien], C-180/20, EU:C:2021:658, Rn. 49), sehen zwar vor, dass die Mitgliedstaaten und die Union zusammenarbeiten und sich abstimmen müssen, um sicherzustellen, dass sich ihre jeweilige Entwicklungshilfepolitik gegenseitig ergänzt und verstärkt. Die genauen Modalitäten einer solchen Zusammenarbeit hängen jedoch von einer Reihe von Parametern ab, die ausschließlich von den Mitgliedstaaten und der Union vorzusehen sind. Folglich können sich zwar die Mitgliedstaaten oder die Union auf die genannten Verpflichtungen stützen, während sich der Einzelne mangels genauerer Konkretisierung der darin aufgestellten Verpflichtungen gegenüber einem Mitgliedstaat oder der Union nicht auf diese Bestimmungen berufen kann (vgl. entsprechend Urteil vom , Air Transport Association of America u. a., C-366/10, EU:C:2011:864, Rn. 75 bis 78).

62Im vorliegenden Fall kann die Entscheidung, mit der die Kommission im Namen des EEF eine Finanzhilfe gewährt, keine Konkretisierung der genannten Bestimmungen darstellen, die es dem Einzelnen ermöglichen würde, der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Steuerpraxis zu widersprechen, denn zum einen richtet sich eine derartige Entscheidung an die Entwicklungshilfeeinrichtung und nicht an ihre Beschäftigten, und zum anderen begründet sie keine Pflicht des betreffenden Mitgliedstaats, die Einkünfte der für das geförderte Entwicklungshilfeprojekt tätigen Arbeitnehmer nicht zu besteuern.

63Was schließlich die negative Verpflichtung aus Art. 4 Abs. 3 EUV anbelangt, haben die Verfasser des Vertrags bei ihrer Definition auf Termini zurückgegriffen, die ein gewisses Gewicht implizieren (die Verwirklichung der Ziele der Union „gefährden“); dies spiegelt ihre Absicht wider, den Anwendungsbereich der Verpflichtung auf Sachlagen von besonderem Gewicht zu beschränken. Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass eine Steuerpraxis wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende die Verwirklichung der Ziele der Union gefährdet, da sie die EEF weder an der Finanzierung von Entwicklungshilfeaktionen hindert noch auch nur davon abhält.

64Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 4 Abs. 3 EUV und Art. 208 in Verbindung mit Art. 210 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Steuerpraxis nicht entgegenstehen, wonach die Befreiung des Arbeitslohns, den ein Arbeitnehmer für eine Tätigkeit im Zusammenhang mit der öffentlichen Entwicklungshilfe erzielt, von der Einkommensteuer versagt wird, wenn diese Tätigkeit aus einem EEF finanziert wird, während die Befreiung gewährt wird, wenn eine solche Tätigkeit zu mindestens 75 % durch ein für die Entwicklungszusammenarbeit zuständiges Ministerium oder durch eine dem betreffenden Mitgliedstaat gehörende private Entwicklungshilfegesellschaft finanziert wird.

Kosten

65Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 4 Abs. 3 EUV und Art. 208 in Verbindung mit Art. 210 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Steuerpraxis nicht entgegenstehen, wonach die Befreiung des Arbeitslohns, den ein Arbeitnehmer für eine Tätigkeit im Zusammenhang mit der öffentlichen Entwicklungshilfe erzielt, von der Einkommensteuer versagt wird, wenn diese Tätigkeit aus einem Europäischen Entwicklungsfonds finanziert wird, während die Befreiung gewährt wird, wenn eine solche Tätigkeit zu mindestens 75 % durch ein für die Entwicklungszusammenarbeit zuständiges Ministerium oder durch eine dem betreffenden Mitgliedstaat gehörende private Entwicklungshilfegesellschaft finanziert wird.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:EU:C:2023:636

Fundstelle(n):
IAAAJ-50015