BGH Urteil v. - IV ZR 150/21

Instanzenzug: Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen Az: 3 U 20/20vorgehend Az: 6 O 1627/19

Tatbestand

1Der Kläger begehrt die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung eines Lebensversicherungsvertrages.

2Dieser Vertrag wurde nach den Feststellungen des Berufungsgerichts mit Versicherungsbeginn zum im sogenannten Policenmodell gemäß § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden: § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. Der Kläger erhielt von der Beklagten den Versicherungsschein vom mit einem Begleitschreiben vom selben Tag, das folgende Widerspruchsbelehrung enthielt:

"Dem Abschluß dieses Vertrages können Sie innerhalb von 14 Tagen ab Zugang der beigefügten Unterlagen widersprechen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs."

3Mit Schreiben vom erklärte der Kläger den Widerspruch gegen den Abschluss des Vertrages.

4Mit der Klage hat er - soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung - die Rückzahlung aller von ihm geleisteten Beiträge abzüglich des ausgezahlten Rückkaufswerts zuzüglich einer Nutzungsentschädigung, insgesamt 25.365,78 €, nebst Zinsen verlangt. Nach seiner Auffassung ist der Versicherungsvertrag mangels ordnungsgemäßer Belehrung über das Widerspruchsrecht nicht wirksam zustande gekommen. Er habe den Widerspruch noch im Jahr 2019 erklären können.

5Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren im vorgenannten Umfang weiter.

Gründe

6Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils im angefochtenen Umfang und insoweit zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

7I. Dieses hat Bereicherungsansprüche des Klägers verneint. Es fehle zwar an einem Rechtsgrund für die geleisteten Beiträge, weil der Widerspruch des Klägers nicht verfristet gewesen sei. Er sei nicht ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht gemäß § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. belehrt worden. Denn es finde sich in der Belehrung im Policenbegleitschreiben kein ausdrücklicher Hinweis darauf, dass der Widerspruch schriftlich zu erheben sei. Die notwendige Belehrung über das gesetzliche Formerfordernis sei auch nicht dadurch erfolgt, dass dem Kläger mitgeteilt worden sei, zur Wahrung der Frist genüge "die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs". Auch sei der Kläger nicht nachträglich durch das Schreiben der Beklagten vom belehrt worden. Es sei bereits zweifelhaft, ob eine solche Nachbelehrung überhaupt den Fristbeginn auslösen könne. Jedenfalls sei die Beklagte beweisfällig hinsichtlich des vom Kläger bestrittenen Zugangs der Belehrung geblieben.

8Das Berufen auf die fehlerhafte Belehrung und die Geltendmachung des Widerspruchsrechts sowie das Verlangen nach einer bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung des Versicherungsvertrages stelle sich jedoch nach Treu und Glauben als unzulässig dar. Die Belehrung sei nur geringfügig fehlerhaft und habe dem Kläger als Versicherungsnehmer entsprechend der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht die Möglichkeit genommen, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. Aufgrund der Formulierung der Belehrung sei dem Kläger bei Erhalt des Versicherungsscheins und der übrigen Unterlagen klar gewesen, dass er habe widersprechen können. Ihm sei aufgrund des Hinweises auf eine "Absendung" der Erklärung zudem klar gewesen, dass ein Telefonanruf nicht genügen würde, sondern es einer Verschriftlichung bedurft habe.

9II. Das hält rechtlicher Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand. Bereicherungsrechtliche Ansprüche auf Rückzahlung der Prämien und Herausgabe von Nutzungen aus §§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, 818 Abs. 1 BGB können dem Kläger mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht versagt werden.

101. Allerdings hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler und von der Revisionserwiderung unangegriffen festgestellt, dass die Beklagte den Kläger nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht belehrte. Die Widerspruchsbelehrung enthielt keinen Hinweis auf die nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG in der ab dem gültigen Fassung erforderliche Schriftform des Widerspruchs. Dieses Formerfordernis konnte der Kläger nicht aus der Formulierung entnehmen, dass zur Wahrung der Frist die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs genüge. Der Belehrung lässt sich ebenfalls nicht entnehmen, dass die Schriftform abbedungen und dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit eines Widerspruchs auch in mündlicher Form eingeräumt werden sollte (vgl. , VersR 2023, 631 Rn. 10; vom - IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 24; jeweils m.w.N.).

112. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht jedoch angenommen, einem fortbestehenden Widerspruchsrecht des Klägers stehe entgegen, dass ein nur geringfügiger Belehrungsfehler vorliege.

12a) Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils mit Urteil vom (IV ZR 353/21, r+s 2023, 298 Rn. 13 ff., zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen) entschieden und im Einzelnen begründet hat, ist ein Bereicherungsanspruch nach § 242 BGB wegen rechtsmissbräuchlicher Ausübung des Widerspruchsrechts ausgeschlossen, wenn dem Versicherungsnehmer durch eine fehlerhafte Information in der Widerspruchsbelehrung nicht die Möglichkeit genommen wird, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. Unter diesen (engen) Voraussetzungen liegt ein geringfügiger Belehrungsfehler vor, der einer Ausübung des Widerspruchsrechts nach § 242 BGB entgegensteht.

13b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts wurde dem Kläger jedoch durch den fehlenden Hinweis auf die nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG in der ab dem gültigen Fassung erforderliche Schriftform des Widerspruchs die Möglichkeit genommen, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils mit Urteil vom (IV ZR 40/21, VersR 2023, 631 Rn. 13 ff.) entschieden und im Einzelnen begründet hat, liegt kein geringfügiger Belehrungsfehler im oben genannten Sinne vor, wenn eine Widerspruchsbelehrung keinen Hinweis auf die nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. erforderliche Form (hier: Schriftform) enthält. Allein dem in der Belehrung enthaltenen Hinweis, dass zur Wahrung der Frist die rechtzeitige Absendung der Widerspruchserklärung genüge, wird der Versicherungsnehmer nicht entnehmen, dass ein Widerspruch in Schriftform erforderlich ist. Vielmehr wird er - anders als das Berufungsgericht meint - annehmen, dass ein formloser Widerspruch ebenfalls genügt (vgl. Senatsurteil vom aaO Rn. 16 ff. m.w.N.).

14III. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

151. Die Sache ist noch nicht zur Endentscheidung reif, weil das Berufungsgericht noch keine Feststellungen zu dem Vortrag der Beklagten, der Kläger habe mit Schreiben vom eine ordnungsgemäße Nachbelehrung erhalten, getroffen hat. Wie der Senat mit Urteil vom (IV ZR 40/21, VersR 2023, 631 Rn. 24) entschieden und im Einzelnen begründet hat, kann eine solche Nachbelehrung, unabhängig davon, ob sie geeignet ist, die Widerspruchsfrist nach § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. noch in Gang zu setzen, als besonders gravierender Umstand gewertet werden, sodass dem Versicherungsnehmer die Geltendmachung eines Bereicherungsanspruchs nach § 242 BGB verwehrt wäre. Dies setzt vor allem voraus, dass die Nachbelehrung die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Belehrung - abgesehen vom Zeitpunkt der Erteilung - nach § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. erfüllt und einen hinreichend deutlichen Bezug zu dem Vertrag enthält, dessen Abschluss der Versicherungsnehmer noch widersprechen konnte.

16Für den vom Kläger bestrittenen Zugang der Nachbelehrung hat das Berufungsgericht die Beklagte, wie die Revisionserwiderung zu Recht im Wege der Gegenrüge geltend macht, verfahrensfehlerhaft für beweisfällig gehalten. Die Beklagte hat den Zugang der Nachbelehrung bereits erstinstanzlich in der Klageerwiderung durch Parteivernehmung des Klägers unter Beweis gestellt (vgl. Klageerwiderung S. 8; Schriftsatz der Beklagten vom S. 5). Dieses Beweisangebot der Beklagten, die in erster Instanz obsiegt hatte, war auch in der Berufungsinstanz zu beachten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gelangt mit einem zulässigen Rechtsmittel grundsätzlich der gesamte aus den Akten ersichtliche Prozessstoff erster Instanz ohne Weiteres in den zweiten Rechtszug und wird damit Gegenstand des Berufungsverfahrens. Es bedarf hierzu weder eines erneuten Vortrags der Parteien noch einer Bezugnahme auf den erstinstanzlichen Vortrag (, juris Rn. 17 m.w.N.). Nach der Zurückverweisung wird das Berufungsgericht die von der Beklagten beantragte Parteivernehmung des Klägers nachzuholen haben.

172. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV zum Einwand von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ist im Streitfall auch unter Berücksichtigung der Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union vom (Volkswagen Bank u.a., C-33/20, C-155/20 und C-187/20, EU:C:2021:736 = NJW 2022, 40) und des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz vom (VersR 2022, 1252) vorliegend schon deshalb nicht veranlasst, da der Senat keine abschließende Entscheidung trifft und derzeit noch offen ist, ob es auf den Einwand von Treu und Glauben für eine abschließende Entscheidung ankommt (vgl. , GRUR 2016, 171 Rn. 49 m.w.N.). Das Berufungsgericht hat zunächst im Rahmen der ihm obliegenden tatrichterlichen Würdigung festzustellen, ob besonders gravierende Umstände des Einzelfalls vorliegen, mit der Folge, dass die Geltendmachung des Widerspruchsrechts ausnahmsweise Treu und Glauben widersprechen könnte (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 40/21, VersR 2023, 631 Rn. 21).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:060923UIVZR150.21.0

Fundstelle(n):
YAAAJ-49007