BGH Urteil v. - X ZR 50/22

Haftung des Luftfahrtunternehmens bei Flugannullierung: Recht auf eine anderweitige Beförderung zu einem späteren Zeitpunkt

Leitsatz

Das Recht auf eine anderweitige Beförderung zu einem späteren Zeitpunkt nach Art. 8 Abs. 1 Buchst. c FluggastrechteVO setzt nicht voraus, dass die gewünschte Ersatzbeförderung in zeitlichem Zusammenhang mit dem ursprünglich vorgesehenen Flug steht.

Gesetze: Art 5 Abs 1 Buchst a EGV 261/2004, Art 8 Abs 1 Buchst c EGV 261/2004

Instanzenzug: Az: I-6 U 219/21 Urteilvorgehend Az: 31 O 67/21 Urteil

Tatbestand

1Der klagende Verbraucherverband wendet sich gegen die Forderung von Zuzahlungen für Umbuchungen nach Annullierung eines Fluges.

2Das beklagte Luftfahrtunternehmen stornierte im Jahr 2020 aufgrund der Covid19-Pandemie zahlreiche Flüge. Von einem Fluggast, der für Ende März 2020 Flüge von München nach Toulouse und zurück gebucht hatte und eine Umbuchung auf Mitte Juli 2020 wünschte, verlangte die Beklagte die Zahlung eines Mehrpreises von 75 Euro. Von einem anderen Fluggast, der für den Zeitraum über Ostern 2020 Flüge in der Business bzw. First Class von Stockholm über Frankfurt am Main nach Buenos Aires und zurück gebucht hatte und eine Umbuchung auf November oder Dezember 2020 oder März 2021 wünschte, verlangte sie einen Mehrpreis von rund 3.000 Euro.

3Der Kläger hat sinngemäß beantragt, der Beklagten zu verbieten, im Falle eines annullierten Fluges dem Fluggast auf Nachfrage eine anderweitige Beförderung unter vergleichbaren Reisebedingungen zu einem späteren Zeitpunkt nach Wunsch des Fluggastes trotz verfügbarer Plätze lediglich gegen Zahlung eines Aufpreises zu ermöglichen, und die Beklagte zur Erstattung einer Abmahnpauschale von 260 Euro zu verurteilen.

4Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

5Auf die mündliche Verhandlung vom hat der Senat das Verfahren bis zur Erledigung eines vom Landgericht Düsseldorf (22 O 27/22) eingeleiteten Vorabentscheidungsverfahren beim Gerichtshof der Europäischen Union ausgesetzt. Dieses Verfahren hat sich kurz darauf ohne Entscheidung erledigt.

Gründe

6Die zulässige Revision ist begründet und führt zur antragsgemäßen Verurteilung.

7I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

8Der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Unterlassungsanspruch aus § 2 Abs. 1 Satz 1 UKlaG in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 Buchst. a und Art. 8 Abs. 1 Buchst. c FluggastrechteVO.

9Sinn und Zweck sowie Gesamtsystematik der Verordnung sprächen dafür, dass zwischen dem ursprünglich vorgesehenen und dem späteren Flug ein zeitlicher Zusammenhang bestehe. Es erscheine relativ eindeutig, dass die Verordnung auf den Schutz der Fluggäste nur während der jeweiligen Reise ziele. Für einen weitergehenden Schutz bestehe weder ein Anlass noch ein berechtigtes Interesse.

10Nichtbeförderung und Verspätung stünden in einem natürlichen Zusammenhang mit der ursprünglichen Reiseplanung. Deshalb liege es nahe, die durch die Verordnung geregelten Mindestrechte nicht nur für die Fälle der Nichtbeförderung und der Verspätung, sondern auch für den Fall der Annullierung vor dem Hintergrund der ursprünglichen Reiseplanung zu sehen. Auch bei Pauschalreisen, für die alle drei Optionen des Art. 8 Abs. 1 FluggastrechteVO eröffnet seien, sei der zeitliche Zusammenhang unverkennbar.

11Zudem sei kaum vertretbar, einem freiwillig nichtbeförderten Fluggast ein beliebiges kostenfreies Umbuchungsrecht ohne jeden Zusammenhang mit der ursprünglich gebuchten Reise einzuräumen. Eine Verspätung führe ohnehin nur zu einem Anspruch auf Erstattung und mittels Unterstützungsleistungen zu einer Fortsetzung des Flugs unter zufriedenstellenden Bedingungen, nicht aber zu einer anderweitigen Beförderung.

12Das in Erwägungsgrund 12 der Verordnung genannte Ziel, Ärgernisse und Unannehmlichkeiten zu verringern, erfordere nicht, den Fluggästen ein beliebiges kostenfreies Umbuchungsrecht einzuräumen. Die Mittel, mit denen Ärgernisse und Unannehmlichkeiten vermindert werden sollten, stünden im Zusammenhang mit der ursprünglichen Reiseplanung. Es müsse noch um die Fortsetzung der gleichen Reise gehen.

13Die vom Kläger vertretene Ansicht wahre zudem nicht hinreichend die Interessen der Luftfahrtunternehmen. Der für den Beförderungsvorgang gezahlte Preis decke nicht in jedem Fall die zu jeder beliebigen anderen Reisezeit anfallenden Kosten. Die Fluggäste hätten hingegen kein berechtigtes Interesse, die Annullierung eines Fluges für die Generierung eines mit der eigentlichen Reise nicht mehr in Zusammenhang stehenden "Schnäppchens" für eine völlig beliebige Reisezeit auszunutzen.

14II. Diese Erwägungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

151. Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass Art. 8 Abs. 1 Buchst. c FluggastrechteVO ein Verbraucherschutzgesetz im Sinne von § 2 UKlaG ist und ein Verstoß mithin zu einem Unterlassungsanspruch führen kann.

162. Ebenfalls zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die gemäß Art. 8 Abs. 1 Buchst. b und c FluggastrechteVO geschuldete anderweitige Beförderung nicht von der Zahlung eines Aufpreises abhängig gemacht werden darf.

17Art. 8 Abs. 1 FluggastrechteVO räumt dem Fluggast die Wahl ein zwischen einer vollständigen Erstattung der Flugscheinkosten oder einer anderweitigen Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zum frühestmöglichen oder - vorbehaltlich verfügbarer Plätze - zu einem späteren Zeitpunkt. Einen Gegenanspruch auf Zahlung eines zusätzlichen Entgelts oder Erbringung sonstiger Leistungen sieht die Verordnung nicht vor. Die Unterstützungsleistungen nach Art. 8 Abs. 1 FluggastrechteVO treten vielmehr an die Stelle des ursprünglich geschuldeten Flugs und sind deshalb mit der dafür vorgesehenen Vergütung abgegolten (BeckOK-FluggastrechteVO/Degott, Bearb. , Art. 8 Rn. 16; Ullenboom RRa 2023, 3, 9; Leitlinien der Kommission für die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004, Amtsblatt EU 2016 C 214 S. 4 unter 4.2).

183. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts setzt das Recht auf eine anderweitige Beförderung zu einem späteren Zeitpunkt nach Art. 8 Abs. 1 Buchst. c FluggastrechteVO nicht voraus, dass die gewünschte Ersatzbeförderung in zeitlichem Zusammenhang mit dem ursprünglich vorgesehenen Flug steht.

19a) Der Wortlaut von Art. 8 Abs. 1 Buchst. c FluggastrechteVO sieht hinsichtlich des Zeitpunkts, für den der Fluggast eine anderweitige Beförderung verlangen kann, keine festen Grenzen vor.

20Die Vorschrift überlässt die Auswahl insoweit dem Wunsch des Fluggastes. Als begrenzende Faktoren benennt sie lediglich die Vergleichbarkeit der Reisebedingungen und die Verfügbarkeit von Plätzen.

21Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung gehören zu den Reisebedingungen im Sinne dieser Vorschrift nicht die persönliche Reiseplanung oder die sonstigen Umstände, die den Fluggast zu der ursprünglichen Buchung bewogen haben, sondern lediglich die Modalitäten, unter denen die Beförderungsleistung erbracht wird. Dies wird verdeutlicht durch andere Sprachfassungen, die insoweit auf die Umstände der Beförderung (transport conditions, conditions de transport, condiciones de transporte, condizioni di trasporto, vervoersvoorwaarden) abstellen. Eine zeitliche Grenze lässt sich daraus nicht ableiten.

22b) Die Systematik der Fluggastrechteverordnung sowie der Sinn und Zweck ihrer einschlägigen Normen sprechen ebenfalls gegen das Erfordernis eines zeitlichen Zusammenhangs mit dem ursprünglich vorgesehenen Flug.

23aa) Nach Art. 8 Abs. 1 Buchst. a FluggastrechteVO kann der Fluggast die vollständige Erstattung der Flugscheinkosten verlangen. Dieses Recht hängt nicht davon ab, dass der Fluggast die Reise zu dem vorgesehenen Endziel auf anderem Wege antritt.

24Art. 8 Abs. 1 Buchst. b und c FluggastrechteVO räumen dem Fluggast die Wahl ein zwischen einer anderweitigen Beförderung zum frühestmöglichen oder zu einem späteren Zeitpunkt. Dieser Gegenüberstellung ist zu entnehmen, dass der Zeitpunkt der anderweitigen Beförderung innerhalb der Grenzen der Verfügbarkeit der Wahl des Fluggasts unterliegen soll, wie dies Art. 8 Abs. 1 Buchst. c FluggastrechteVO ausdrücklich vorsieht (vgl. dazu auch Ullenboom, RRa 2023, 3, 4).

25bb) Aus dem Umstand, dass die in Art. 8 vorgesehenen Leistungen in Art. 5 Abs. 1 als Unterstützungsleistungen bezeichnet werden, lassen sich zeitliche Einschränkungen entgegen einzelnen Stimmen in der Literatur (BeckOK-FluggastrechteVO/Degott, Bearb. , Art. 8 Rn. 16a; BeckOGK-FluggastrechteVO/Steinrötter, Bearb. , Art. 8 Rn. 33) ebenfalls nicht ableiten.

26Der Ausdruck "Unterstützungsleistungen" mag für sich gesehen das Verständnis ermöglichen, dass es ausschließlich um Leistungen geht, die die Durchführung der ursprünglich vorgesehenen Beförderung ermöglichen sollen. Diesem Verständnis steht aber schon der Umstand entgegen, dass zu den Unterstützungsleistungen nach Art. 8 Abs. 1 Buchst. a FluggastrechteVO auch die vollständige Erstattung der Flugscheinkosten gehört.

27Aus dem Regelungszusammenhang ergibt sich zudem, dass die Verordnung den Begriff "Unterstützungsleistungen" zur Abgrenzung der in Art. 8 und 9 vorgesehenen Leistungen von Ausgleichsleistungen im Sinne von Art. 7 verwendet. Den Leistungen nach Art. 8 und 9 FluggastrechteVO ist insoweit gemeinsam, dass sie der näheren Ausgestaltung bzw. der Rückabwicklung der ursprünglich vorgesehenen Beförderung dienen, während die Ausgleichsleistung nach Art. 7 die pauschale Kompensation erlittener Ärgernisse und Unannehmlichkeiten zum Ziel hat.

28cc) Dass die Verordnung eine Reihe von Regelungen enthält, die das Luftfahrtunternehmen anhalten, eine möglichst zeitnahe Ersatzbeförderung anzubieten, führt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

29Diese Regelungen stehen in Einklang mit Art. 8 Abs. 1 Buchst. b FluggastrechteVO, der dem Fluggast einen Anspruch auf anderweitige Beförderung zum frühestmöglichen Zeitpunkt gewährt.

30Den Regelungen in Art. 8 Abs. 1 Buchst. a und c FluggastrechteVO ist indes zu entnehmen, dass der Fluggast nicht gehalten ist, diesen Anspruch geltend zu machen, sondern sich stattdessen für eine Stornierung oder eine Beförderung zu einem späteren Zeitpunkt entscheiden kann. Angesichts dieses Nebeneinanders von mehreren Optionen, deren Auswahl dem Fluggast vorbehalten ist, kann dem in Art. 8 Abs. 1 Buchst. b FluggastrechteVO vorgesehenen Anspruch keine prägende Wirkung für die Ausgestaltung der beiden anderen Ansprüche beigemessen werden.

31dd) Dass die Rechte aus Art. 8 Abs. 1 FluggastrechteVO gemäß Art. 4 Abs. 1 der Verordnung auch einem Fluggast zustehen, der freiwillig auf eine Buchung verzichtet, führt ebenfalls nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

32Auch in den Fällen des Art. 4 Abs. 1 FluggastrechteVO liegt die Inanspruchnahme einer anderweitigen Beförderung nicht im Belieben des Fluggastes. Ein freiwilliger Verzicht im Sinne dieser Vorschrift setzt vielmehr voraus, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen wegen absehbarer Überbuchung versucht, einzelne Fluggäste zum Verzicht zu bewegen. Auch ein freiwilliger Verzicht im Sinne von Art. 4 Abs. 1 FluggastrechteVO beruht mithin auf dem Umstand, dass das Luftfahrtunternehmen die Beförderungsleistung nicht wie vorgesehen erbringt.

33Unabhängig davon sieht auch Art. 4 Abs. 1 FluggastrechteVO nicht vor, dass ein freiwilliger Verzicht nur dann in Betracht kommt, wenn der Fluggast eine in zeitlichem Zusammenhang stehende anderweitige Beförderungsmöglichkeit wählt. Dem Luftfahrtunternehmen obliegt insoweit zwar die Entscheidung, welche Gegenleistung es für den erbetenen Verzicht anbietet. Die Fluggäste sind aber nicht verpflichtet, solche Angebote anzunehmen.

34ee) Die in Rede stehende Beschränkung ergibt sich auch nicht aus der Regelung in Art. 6 Abs. 1 Nr. iii FluggastrechteVO, die dem Fluggast bei einer zu erwartenden Verspätung von mindestens fünf Stunden nur das Recht auf Erstattung der Flugscheinkosten gemäß Art. 8 Abs. 1 Buchst. a FluggastrechteVO einräumt.

35Die Verordnung sieht für den Fall einer Verspätung nicht durchweg dieselben Rechtsfolgen vor wie für den Fall einer Annullierung oder Nichtbeförderung. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union folgt aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung zwar für bestimmte Situationen, dass ein Fluggast auch bei einer Verspätung die nach dem Wortlaut der Verordnung nur für Annullierung und Nichtbeförderung vorgesehene Ausgleichsleistung verlangen kann. Hieraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass jede Beschränkung von Ansprüchen, die die Verordnung für den Fall einer Verspätung vorsieht, auch für den Fall einer Annullierung oder Nichtbeförderung zu gelten hat.

36Auf den Gleichbehandlungsgrundsatz lässt sich eine Übertragung des Rechtsgedankens des Art. 6 Abs. 1 Nr. iii FluggastrechteVO auf Fälle der Annullierung oder Nichtbeförderung nicht stützen. Der Fall der Verspätung unterscheidet sich von den beiden übrigen Konstellationen gerade dadurch, dass der ursprünglich vorgesehene Flug stattfindet. Von daher ist es folgerichtig, dass ein Fluggast in diesem Fall grundsätzlich nicht eine anderweitige Beförderung verlangen kann. Bei einer Annullierung oder Nichtbeförderung ist der Fluggast hingegen auf eine anderweitige Beförderung angewiesen, wenn er sein Reiseziel erreichen will.

37ff) Der vom Berufungsgericht angestellte Vergleich mit den Regeln des deutschen Werkvertragsrechts ist schon deshalb unerheblich, weil die Fluggastrechteverordnung eine autonome Regelung enthält.

38gg) Entgegen der Auffassung der Beklagten führt die Auslegung von Art. 8 Abs. 1 Buchst. c FluggastrechteVO im oben dargelegten Sinn nicht zu unzumutbaren Belastungen für die betroffenen Luftfahrtunternehmen.

39Wie auch die Beklagte im Ansatz nicht verkennt, kann die Bedeutung, die dem von der Verordnung angestrebten Ziel des Schutzes der Verbraucher und somit auch der Fluggäste zukommt, negative wirtschaftliche Folgen selbst beträchtlichen Ausmaßes für bestimmte Wirtschaftsteilnehmer rechtfertigen (, C-629/10, NJW 2013, 671 = RRa 2012, 272 Rn. 81 - Nelson; Urteil vom - C-12/11, NJW 2013, 921 = RRa 2013, 81 Rn. 48 - McDonagh/Ryanair).

40Vor diesem Hintergrund kann ein Anspruch auf anderweitige Beförderung zu einem vom Fluggast gewählten Zeitpunkt auch dann nicht als unzumutbare Belastung angesehen werden, wenn das Luftfahrtunternehmen die Plätze auf dem betreffenden Flug wegen saisonaler oder sonstiger Besonderheiten zu einem höheren Preis anbieten möchte. Bereits getätigte Buchungen durch Dritte sind ohnehin nicht betroffen, weil der Anspruch auf Art. 8 Abs. 1 Buchst. c FluggastrechteVO unter dem Vorbehalt der Verfügbarkeit von Plätzen steht. Unabhängig davon ist nicht erkennbar, dass ein zeitliches Wahlrecht des Fluggastes regelmäßig oder in einer beträchtlichen Zahl von Fällen zu Situationen der beschriebenen Art führt.

41hh) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts und der Beklagten bedarf der Tatbestand des Art. 8 Abs. 1 Buchst. c FluggastrechteVO auch nicht unter dem Aspekt der Missbrauchsgefahr einer einschränkenden Auslegung.

42Dabei kann dahingestellt bleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen die Geltendmachung von Ansprüchen aus Art. 8 Abs. 1 Buchst. c FluggastrechteVO als missbräuchlich anzusehen ist und dem Fluggast deshalb die Durchsetzung verwehrt bleiben muss. Daraus resultierenden Gefahren kann jedenfalls durch Rückgriff auf den unionsrechtlichen Grundsatz, dass sich niemand auf eine missbräuchliche oder betrügerische Anwendung des Gemeinschaftsrechts berufen kann (so etwa , NJW 1999, 2027 Rn. 24; dazu Ullenboom, RRa 2023, 3, 6), ausreichend Rechnung getragen werden.

43III. Für ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV besteht kein Anlass.

441. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat mehrfach entschieden, dass Vorschriften der Verordnung, mit denen den Fluggästen Ansprüche eingeräumt werden, weit auszulegen sind (dazu , NJW 2010, 43 = RRa 2009, 282 Rn. 45 - Sturgeon), während Begriffe in einer Bestimmung, die eine Ausnahme von einem Grundsatz oder spezifischer von gemeinschaftsrechtlichen Verbraucherschutzvorschriften darstellt, grundsätzlich eng auszulegen sind (dazu , NJW 2009, 347 = RRa 2009, 35 Rn. 17 - Wallentin-Hermann). Dies ergibt sich aus den Erwägungsgründen 1 bis 4 der Fluggastrechteverordnung, die das Ziel definieren, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen und den Erfordernissen des Verbraucherschutzes Rechnung zu tragen.

45Daraus ergibt sich hinreichend klar, dass bei einer anderweitigen Beförderung eines Fluggastes gemäß Art. 8 Abs. 1 Buchst. c FluggastrechteVO kein zeitlicher Zusammenhang zwischen dem annullierten Ausgangsflug und der gewünschten Ersatzbeförderung vorausgesetzt ist.

462. Das Vorlageersuchen des Landgerichts Frankfurt am Main (Beschluss vom - 2-24 S 142/22) gibt keine Veranlassung, den Rechtsstreit entsprechend § 148 ZPO auszusetzen.

47In diesem Ersuchen ist die Frage, ob Art. 8 Abs. 1 Buchst. c FluggastrechteVO einen zeitlichen Zusammenhang voraussetzt, nur für den Fall gestellt, dass andere, hier nicht relevante Fragen jeweils zu verneinen sind. Damit besteht - anders als bei der Vorlage, die den Senat zu der mit Beschluss vom angeordneten Aussetzung veranlasst hat - keine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich der Gerichtshof mit der für den Streitfall relevanten Frage befassen wird.

48IV. Der Senat kann abschließend entscheiden, weil die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

491. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Unterlassungsanspruch gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 UKlaG in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 Buchst. a, Art. 8 Abs. 1 Buchst. c FluggastrechteVO.

50a) Neben der bereits durch den Verstoß gegen Art. 8 Abs. 1 Buchst. c FluggastrechteVO indizierten Wiederholungsgefahr setzt ein Unterlassungsanspruch auf der Grundlage des § 2 Abs. 1 UKlaG voraus, dass er im Interesse des Verbraucherschutzes geltend gemacht wird. Hierfür ist erforderlich, dass der dem Anspruch zugrundeliegende Verstoß die Kollektivinteressen der Verbraucher berührt. Das ist der Fall, wenn der Verstoß in seinem Gewicht und in seiner Bedeutung über den Einzelfall hinausreicht und eine generelle Klärung geboten erscheinen lässt (vgl. BT-Drucks. 14/2658, 53 li. Sp.; , GRUR 2020, 654 Rn. 36 - SEPA-Lastschrift).

51Diese Voraussetzungen sind im Streitfall gegeben.

52Die Kollektivinteressen der Verbraucher sind berührt, weil der Kläger mit den angeführten Fällen unabhängig von den Personen der Fluggäste eine allgemeine, nicht nur den Einzelfall betreffende Verhaltensweise beanstandet. Das beanstandete Verhalten kommt auch für andere Fälle in Betracht und ist insbesondere nicht auf Annullierungen im Zusammenhang mit der Covid19-Pandemie beschränkt. Eine generelle Klärung ist daher geboten.

53b) Der Kläger ist gemäß § 3 Abs. 1, § 4 UKlaG anspruchsberechtigt und kann aufgrund von Verstößen gegen Art. 5 Abs. 1 Buchst. a, Art. 8 Abs. 1 Buchst. c FluggastrechteVO, wie sie sich in den vom Kläger angeführten beiden Flugreisen dargestellt haben, Unterlassung verlangen.

542. Der Anspruch des Klägers auf Zahlung der Abmahnkosten ergibt sich aus § 5 UKlaG in Verbindung mit § 13 Abs. 3 UWG. Er ist gemäß § 291 BGB zu verzinsen.

553. Die Kostentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:270623UXZR50.22.0

Fundstelle(n):
NJW 2023 S. 2880 Nr. 39
NJW 2023 S. 2883 Nr. 39
IAAAJ-44754