BGH Beschluss v. - 4 StR 288/22

Instanzenzug: LG Bochum Az: II-9 KLs 41/20

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zehn Fällen und wegen versuchten sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf eine Verfahrensbeanstandung und auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Die auf die Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils führt zu einer Änderung des Schuldspruchs im Fall II.2.c) (Tat Nr. 10) der Urteilsgründe; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

21. Der Schuldspruch wegen versuchten sexuellen Missbrauchs von Kindern im Fall II.2.c) (Tat Nr. 10) der Urteilsgründe hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

3a) Nach den Feststellungen näherte sich der Angeklagte in seiner Wohnung der zur Tatzeit im Sommer 2006/2007 acht oder neun Jahre alten Geschädigten vollständig entkleidet und mit erigiertem Penis. Dabei forderte er sie auf, seinen erigierten Penis zu berühren. Dieser Aufforderung kam die Geschädigte ‒ anders als bei einer früheren Gelegenheit (vgl. Fall II.2.c) ‒ Tat Nr. 9 der Urteilsgründe) ‒ nicht nach, sondern warf dem Angeklagten eine Socke zu, die dieser über seinen Penis zog.

4b) Das Landgericht hat dieses Verhalten als versuchten sexuellen Missbrauch von Kindern im Sinne des § 176 Abs. 1 und Abs. 6 StGB in der ab gültigen Fassung gewertet. Dieser Schuldspruch begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

5Der Senat kann offenlassen, ob die ‒ knappen ‒ Feststellungen unter den hier gegebenen besonderen Umständen die Annahme eines unmittelbaren Ansetzens zur Tatbestandsverwirklichung im Sinne des § 22 StGB tragen. Wäre die Vornahme der sexuellen Handlung nach der Vorstellung des Angeklagten von der Bereitschaft der Geschädigten abhängig, sich auf sein Ansinnen einzulassen, könnte hierin ein wesentlicher Zwischenakt liegen mit der Folge, dass die Schwelle zum Versuch noch nicht überschritten wäre (vgl. ‒ 6 StR 485/21 Rn. 6).

6Jedenfalls hat das Landgericht die Möglichkeit eines Rücktritts vom Versuch (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB) nicht erörtert, obwohl hierzu Anlass bestand. Den Urteilsgründen kann auch unter Berücksichtigung ihres Zusammenhangs nicht entnommen werden, ob sich der Angeklagte vorstellte, die Geschädigte noch zur Vornahme der sexuellen Handlung (Berühren seines Geschlechtsteils) veranlassen zu können, oder ob er sein Vorhaben als gescheitert ansah. Bei dieser Sachlage kann nicht geprüft und entschieden werden, ob ‒ wovon das Landgericht ersichtlich ohne nähere Begründung ausgegangen ist ‒ ein fehlgeschlagener Versuch vorliegt oder ein zur Straflosigkeit führender Rücktritt vom unbeendeten Versuch in Betracht kommt (vgl. Rn. 7 mwN).

72. Das rechtsfehlerfrei festgestellte Geschehen im Fall II.2.c) (Tat Nr. 10) der Urteilsgründe erfüllt jedoch den Tatbestand des (vollendeten) sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB (in der ab gültigen Fassung).

8a) Gemäß § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB aF macht sich strafbar, wer sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt, sofern sie erheblich im Sinne des § 184f Nr. 1 StGB in der ab gültigen Fassung (jetzt § 184h Nr. 1 StGB) sind und das Kind den Vorgang wahrnimmt (§ 184f Nr. 2 StGB in der ab gültigen Fassung; jetzt § 184h Nr. 2 StGB). Darüber hinaus ist erforderlich, dass der Täter die andere Person in der Weise in das sexuelle Geschehen einbezieht, dass für ihn gerade die Wahrnehmung der sexuellen Handlung durch das Tatopfer von Bedeutung ist (vgl. Rn. 3; Urteil vom – 4 StR 699/10, NStZ 2011, 633 Rn. 4 mwN).

9b) Der Generalbundesanwalt hat in seiner Zuschrift insoweit ausgeführt:

„Dadurch, dass der Angeklagte der Geschädigten seinen entkleideten und erigierten Penis gezeigt hatte, hat er sexuelle Handlungen vor einem Kind vorgenommen. Durch das Ansinnen, den Penis anzufassen, war die Wahrnehmung durch das Kind für den Angeklagten auch von handlungsleitender Bedeutung […].“

10Dem schließt sich der Senat an und ändert – da weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind – den Schuldspruch entsprechend ab. § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können. Auch § 358 Abs. 2 StPO steht der Verschärfung des Schuldspruchs nicht entgegen (vgl. Rn. 4; Urteil vom – 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5 Rn. 9).

113. Die Schuldspruchänderung lässt den Ausspruch über die Einzelstrafe und damit auch den Ausspruch über die Gesamtstrafe unberührt, da auszuschließen ist, dass das Landgericht eine niedrigere Einzelstrafe verhängt hätte. Die Einzelstrafe von sechs Monaten ist ersichtlich an der Strafrahmenuntergrenze orientiert, die bei dem nach § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 176 Abs. 1, Abs. 6 StGB aF einen Monat beträgt und daher milder ist als die Untergrenze des Strafrahmens aus § 176 Abs. 4 StGB aF, der bei drei Monaten beginnt.

124. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:130623B4STR288.22.0

Fundstelle(n):
VAAAJ-44660