BGH Beschluss v. - VIa ZR 1332/22

Instanzenzug: OLG Dresden Az: 18a U 2346/21vorgehend LG Dresden Az: 5 O 2176/20

Gründe

I.

1Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Fahrzeug mit Dieselmotor auf Schadensersatz in Anspruch.

2Sie hat vorgetragen, das Fahrzeug im Dezember 2016 für 25.000 € gekauft zu haben. Das Landgericht hat die unter anderem auf Zahlung von 23.605,50 € gerichtete Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin, nachdem es in der mündlichen Verhandlung auf deren Unzulässigkeit hingewiesen hatte, durch Urteil vom selben Tag als unzulässig verworfen, weil sie nicht in der gesetzlichen Form begründet worden sei.

II.

3Die dagegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde (§ 544 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) hat in der Sache keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, der grundsätzlichen Bedeutung und der Fortbildung des Rechts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO) sind nicht gegeben.

41. Die Revision ist nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO) zuzulassen, weil das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat. Das verletzt die Klägerin nicht in ihrem Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip).

5a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt; nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen in dem angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen zwar nicht; auch ist es für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen, ein anderes Verfahren betreffenden Textbausteinen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen. Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung in dieser Weise jede tragende Erwägung angreifen; andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (st. Rspr.; vgl. nur , NJW-RR 2020, 1187 Rn. 10 f. mwN).

6b) Entgegen der Auffassung der Beschwerde wird die Berufungsbegründung der Klägerin diesen Anforderungen nicht gerecht. Das Landgericht hat die Klage unter anderem mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin habe die Höhe ihres vermeintlichen Schadens aus dem Abschluss des Kaufvertrags nicht nachgewiesen, da offen sei, zu welchem Kaufpreis sie das Fahrzeug erworben habe. Der Kaufpreis ergebe sich insbesondere nicht aus dem mit der Klageschrift vorgelegten Kaufvertrag (Anlage K A2), welcher sich auf ein anderes Fahrzeug beziehe als jenes, auf dessen Kauf die Klägerin ihre Ansprüche stütze. Mit diesen - selbständig tragenden - Erwägungen des Landgerichts setzt sich die Berufungsbegründung nicht auseinander. Sie führt unter erneuter Vorlage desselben Kaufvertrags aus, die Klägerin habe das Fahrzeug zu einem Kaufpreis von 25.000 € erworben, ohne auf den Einwand des Landgerichts einzugehen, dieser Kaufvertrag verhalte sich zu einem anderen Fahrzeug.

72. Die Beschwerde rügt in diesem Zusammenhang erfolglos, die Revision sei zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO) wegen der Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG zuzulassen, weil das Berufungsgericht die Berufung durch Urteil am Tag der mündlichen Verhandlung auf einen Hinweis erst in der Verhandlung selbst und ohne Vertagung oder Übergang in das schriftliche Verfahren verworfen habe.

8a) Erteilt das Gericht entgegen § 139 Abs. 4 Satz 1, § 525 Satz 1 ZPO einen nach § 139 Abs. 3 ZPO erforderlichen Hinweis erst in der mündlichen Verhandlung, muss es grundsätzlich der betroffenen Partei genügend Gelegenheit zur Reaktion geben. Kann eine sofortige Äußerung nach den konkreten Umständen nicht erwartet werden, darf die mündliche Verhandlung nicht ohne weiteres geschlossen werden. Vielmehr muss das Gericht die mündliche Verhandlung dann vertagen, soweit dies im Einzelfall sachgerecht erscheint, ins schriftliche Verfahren übergehen oder, wenn von der betroffenen Partei nach § 139 Abs. 5 ZPO beantragt, einen Schriftsatznachlass gewähren. Die mündliche Verhandlung darf in dieser Situation auch dann nicht geschlossen werden, wenn die Partei einen Antrag nach § 139 Abs. 5 ZPO nicht stellt (vgl. , juris Rn. 10).

9Einer solchen Verfahrensweise bedarf es indessen dann nicht, wenn ein gerichtlicher Hinweis nach § 139 Abs. 3 und 4 Satz 1, § 525 Satz 1 ZPO entbehrlich war, weil die betroffene Partei von der Gegenseite in ausreichendem zeitlichen Abstand zur mündlichen Verhandlung bereits die nötige Unterrichtung erhalten hatte (vgl. , NJW-RR 2010, 70 Rn. 6 mwN). So verhält es sich hier, weil die Beklagte in der Berufungserwiderung auf die Mängel der Berufungsbegründung hingewiesen hatte.

10Zwar befreit ein Hinweis des Gegners das Gericht nicht von seiner Pflicht zur Erteilung eines frühzeitigen Hinweises nach § 139 Abs. 3 und 4 Satz 1 ZPO, wenn es für das Gericht offenkundig ist, dass der Prozessbevollmächtigte der Partei die Bedenken des Prozessgegners nicht zutreffend aufgenommen hat (, NJW 2012, 3035 Rn. 8 mwN). Das war hier aber nicht der Fall. Dass die Beklagte in der Berufungserwiderung über ihre Einwände gegen die Zulässigkeit der Berufung hinaus - ausdrücklich "hilfsweise" - inhaltlich zum Berufungsvorbringen Stellung genommen hat, verunklarte ihre in erster Linie erhobenen Einwände gegen die Zulässigkeit der Berufung nicht. Auch sonst sind im Streitfall Anhaltspunkte für ein Fehlverständnis der Klägerin nicht ersichtlich.

11b) Überdies genügt die von der Beschwerde erhobene Rüge einer Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG nicht den an sie zu stellenden Darlegungsanforderungen. Geht es um gerichtliche Versäumnisse im Zusammenhang mit der richterlichen Hinweispflicht, hat der Beschwerdeführer darzustellen, wie er auf die ihm eingeräumte Möglichkeit zu weiterem Vorbringen reagiert, insbesondere was er im Einzelnen vorgetragen hätte und wie er weiter vorgegangen wäre. Denn nur hierdurch wird das Rechtsmittelgericht in die Lage versetzt zu beurteilen, ob die angefochtene Entscheidung auf dem Gehörsverstoß beruht (vgl. , GRUR 2008, 1126 Rn. 12; Beschluss vom - VI ZB 4/16, NJW-RR 2016, 952 Rn. 14). Dem genügt der Vortrag der Klägerin nicht. Sie stützt sich auf den - unergiebigen - Kaufvertrag in Anlage K A2 und legt ergänzend Finanzierungsunterlagen vor, die sich indes, wie die Beschwerdeerwiderung zutreffend hervorhebt, zu einem Betrag von 39.042,18 € verhalten und Rückschlüsse auf den behaupteten Kaufpreis von 25.000 € nicht zulassen.

12c) Außerdem könnte sich der behauptete Gehörsverstoß in keinem Fall entscheidungserheblich ausgewirkt haben. Eine wie hier unzulängliche Berufungsbegründung kann nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist nicht mehr geheilt werden (vgl. , MDR 2022, 267 Rn. 28; Beschluss vom - VIa ZB 19/22, juris Rn. 11).

133. Die Revision ist schließlich nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) oder zur Fortbildung des Rechts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 1 ZPO) zuzulassen. Die von der Beschwerde aufgeworfenen Rechtsfragen, unter welchen Voraussetzungen Hinweise vor der mündlichen Verhandlung zu erteilen sind und wie zu verfahren ist, wenn Hinweise erst in der mündlichen Verhandlung erteilt werden, sind höchstrichterlich geklärt und es fehlt insoweit auch nicht an einer höchstrichterlichen Orientierungshilfe (vgl. nur , NJW 2011, 76 Rn. 35 ff.; Beschluss vom - II ZR 99/08, NJW 2009, 2378 Rn. 3 f.; Beschluss vom - VI ZR 346/18, NJW-RR 2020, 574 Rn. 9 f.; Beschluss vom - V ZR 93/22, juris Rn. 10; st. Rspr.).

14Unabhängig davon sind die Fragen auch nicht entscheidungserheblich, da die unzulängliche Berufungsbegründung - wie bereits ausgeführt - infolge des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist nicht mehr hätte geheilt werden können.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:150523BVIAZR1332.22.0

Fundstelle(n):
GAAAJ-44130