EuGH Urteil v. - C-114/22

Gründe

Zur Vorlagefrage

21Einleitend ist festzustellen, dass der Direktor der Finanzverwaltung der Auffassung ist, das Vorabentscheidungsersuchen müsse gemäß Art. 94 Buchst. a der Verfahrensordnung des Gerichtshofs mit der Begründung für unzulässig erklärt werden, dass in ihm weder der maßgebliche Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits noch die tatsächlichen Umstände, auf denen die Vorlagefrage beruhe, dargestellt würden, da nicht die Gründe erläutert würden, weshalb das in Rede stehende Geschäft zum Schein erfolgt sei.

22Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung gemäß Art. 94 dieser Verfahrensordnung eine Auslegung des Unionsrechts, die für das nationale Gericht von Nutzen ist, nur dann möglich ist, wenn das vorlegende Gericht den tatsächlichen und rechtlichen Kontext, in dem sich seine Fragen stellen, darlegt oder zumindest die tatsächlichen Annahmen, auf denen diese beruhen, erläutert. Außerdem muss die Vorlageentscheidung die genauen Gründe angeben, aus denen dem nationalen Gericht die Auslegung des Unionsrechts fraglich und die Vorlage einer Vorabentscheidungsfrage an den Gerichtshof erforderlich erscheint (Urteil vom , Suzlon Wind Energy Portugal, C-605/20, EU:C:2022:116, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

23Im vorliegenden Fall trifft es zu, dass das vorlegende Gericht keine Informationen über die Gründe vorgelegt hat, weshalb das im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehende Geschäft vom Direktor der Finanzverwaltung als Scheingeschäft angesehen wurde. Dagegen erläutert es knapp aber eindeutig den Inhalt von dessen Bescheid, mit dem das Recht auf Vorsteuerabzug versagt wird, das Gegenstand dieses Rechtsstreits ist, und stellt genau die Gründe dar, weshalb es Zweifel an der Vereinbarkeit der Bestimmung des nationalen Rechts, die die Rechtsgrundlage dieses Bescheids bildet, mit der Richtlinie 2006/112 und den Grundsätzen der Steuerneutralität und der Verhältnismäßigkeit hat.

24Folglich ist das Vorabentscheidungsersuchen zulässig.

25Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 167, Art. 168 Buchst. a, Art. 178 Buchst. a und Art. 273 der Richtlinie 2006/112 in Verbindung mit den Grundsätzen der Steuerneutralität und der Verhältnismäßigkeit dahin auszulegen sind, dass sie nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehen, nach denen dem Steuerpflichtigen das Recht auf Vorsteuerabzug allein deshalb versagt wird, weil das betreffende Geschäft in Anwendung der Bestimmungen des nationalen Zivilrechts als Scheingeschäft eingestuft wird und nichtig ist, ohne dass dargetan werden muss, dass es auf einer Mehrwertsteuerhinterziehung oder einem Rechtsmissbrauch beruht.

26Wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, wird diese Frage im Kontext eines Rechtsstreits gestellt, in dem der Direktor der Finanzverwaltung den Einspruch des Steuerpflichtigen gegen einen Bescheid zurückgewiesen hat, mit dem das Recht auf Vorsteuerabzug wegen des fiktiven Charakters der auf der Eingangsstufe erfolgten Markenübertragung versagt wurde, und sich dabei auf eine Bestimmung des Mehrwertsteuergesetzes gestützt hat, nach der das Recht auf Vorsteuerabzug zu versagen ist, wenn auf den in Rede stehenden steuerbaren Umsatz eine Vorschrift des Zivilgesetzbuchs anwendbar ist, nach der die Willenserklärung, die gegenüber der anderen Partei mit deren Einverständnis zum Schein abgegeben wurde, nichtig ist.

27In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs das Recht der Steuerpflichtigen, von der von ihnen geschuldeten Mehrwertsteuer die Mehrwertsteuer abzuziehen, die für die Gegenstände und Dienstleistungen, die sie für eine steuerbare Tätigkeit erworben oder empfangen haben, als Vorsteuer geschuldet wird oder entrichtet wurde, einen fundamentalen Grundsatz des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems darstellt. Das in den Art. 167 ff. der Richtlinie 2006/112 vorgesehene Recht auf Vorsteuerabzug ist somit integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer und kann grundsätzlich nicht eingeschränkt werden, sofern die materiellen wie auch formalen Anforderungen oder Bedingungen, denen dieses Recht unterliegt, von den Steuerpflichtigen, die es ausüben wollen, eingehalten werden (Urteile vom , Kommission/Ungarn, C-274/10, EU:C:2011:530, Rn. 42 und 43, und vom , Finanzamt M [Umfang des Rechts auf Vorsteuerabzug], C-596/21, EU:C:2022:921, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28Durch die Regelung über den Vorsteuerabzug soll der Unternehmer vollständig von der im Rahmen aller seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet folglich die Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten grundsätzlich selbst der Mehrwertsteuer unterliegen (Urteile vom , Rompelman, 268/83, EU:C:1985:74, Rn. 19, vom , Mahagében und Dávid, C-80/11 und C-142/11, EU:C:2012:373, Rn. 39, sowie vom , Finanzamt M [Umfang des Rechts auf Vorsteuerabzug], C-596/21, EU:C:2022:921, Rn. 22).

29Das Recht auf Vorsteuerabzug unterliegt jedoch der Einhaltung sowohl materieller als auch formaler Anforderungen oder Bedingungen.

30Die für die Entstehung dieses Rechts erforderlichen materiellen Anforderungen oder Bedingungen werden in Art. 168 der Richtlinie 2006/112 aufgezählt. Um das Recht auf Vorsteuerabzug in Anspruch nehmen zu können, ist es danach zum einen erforderlich, dass der Betreffende „Steuerpflichtiger“ im Sinne dieser Richtlinie ist, und zum anderen, dass die zur Begründung dieses Rechts angeführten Gegenstände oder Dienstleistungen von ihm auf einer nachfolgenden Umsatzstufe für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden und, wie in Buchst. a dieses Artikels bestimmt wird, auf einer vorausgehenden Umsatzstufe von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert oder erbracht worden sind.

31Des Weiteren entsteht gemäß Art. 167 der Richtlinie 2006/112 das Recht auf Vorsteuerabzug, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht, wobei der Steueranspruch nach Art. 63 dieser Richtlinie zu dem Zeitpunkt eintritt, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird. Daraus folgt, dass das Recht auf Vorsteuerabzug grundsätzlich vom Nachweis der tatsächlichen Bewirkung des Umsatzes abhängt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , António Jorge, C-536/03, EU:C:2005:323, Rn. 24 und 25, vom , SGI und Valériane, C-459/17 und C-460/17, EU:C:2018:501, Rn. 34 und 35, sowie vom , Raiffeisen Leasing, C-235/21, EU:C:2022:739, Rn. 40). Ohne tatsächliche Bewirkung der Lieferung des Gegenstands oder der Dienstleistung kann somit kein Recht auf Vorsteuerabzug entstehen.

32Der Gerichtshof hat im Übrigen bereits entschieden, dass es dem Mechanismus der Mehrwertsteuer immanent ist, dass ein fiktiver Umsatz nicht zum Vorsteuerabzug berechtigen kann, da er in keinerlei Verbindung zu den auf der Ausgangsstufe versteuerten Umsätzen stehen kann (Urteil vom , EN.SA., C-712/17, EU:C:2019:374, Rn. 24 und 25 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

33Somit kann erstens die Weigerung, einem Steuerpflichtigen unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden ein Recht auf Vorsteuerabzug einzuräumen, mit der Feststellung gerechtfertigt werden, dass der Nachweis der tatsächlichen Bewirkung des Umsatzes, der zur Begründung des Rechts auf Vorsteuerabzug geltend gemacht wird, nicht erbracht ist.

34Um das Recht auf Vorsteuerabzug unter solchen Umständen grundsätzlich bejahen zu können, muss nämlich geprüft werden, ob die Markenübertragung, die zur Stützung dieses Rechts geltend gemacht wird, tatsächlich durchgeführt wurde und ob die betreffenden Marken vom Steuerpflichtigen für seine besteuerten Umsätze benutzt wurden.

35In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Beweislast beim Steuerpflichtigen liegt, der durch objektive Nachweise belegen muss, dass ihm ein Steuerpflichtiger auf einer vorausgehenden Umsatzstufe tatsächlich Gegenstände geliefert oder Dienstleistungen erbracht hat, die seinen der Mehrwertsteuer unterliegenden Umsätzen dienten und für die er tatsächlich Mehrwertsteuer entrichtet hat (Urteile vom , Vădan, C-664/16, EU:C:2018:933, Rn. 44, vom , Ferimet, C-281/20, EU:C:2021:910, Rn. 39, und vom , DGRFP Cluj, C-519/21, EU:C:2023:106, Rn. 100).

36Was die Würdigung der zum Nachweis des Vorliegens des steuerpflichtigen Umsatzes vorgelegten Beweise betrifft, so ist sie vom nationalen Gericht gemäß den Beweisregeln des nationalen Rechts anhand einer umfassenden Beurteilung aller Gesichtspunkte und tatsächlichen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen (Urteil vom , Mecsek-Gabona, C-273/11, EU:C:2012:547, Rn. 53, und Beschluss vom , A.T.S. 2003, C-289/22, EU:C:2023:26, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37Wenn sich im Ausgangsverfahren aus dieser Würdigung, die das vorlegende Gericht vorzunehmen hat, ergibt, dass die geltend gemachte Markenübertragung nicht tatsächlich durchgeführt wurde, kann kein Recht auf Vorsteuerabzug entstehen.

38In diesem Kontext kann, wie die polnische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen geltend macht, das vorlegende Gericht den Umstand – sein Vorliegen unterstellt – berücksichtigen, dass sich die Parteien trotz des scheinbaren Abschlusses eines Kaufvertrags in Wirklichkeit weiterhin so verhielten, als wäre der Veräußerer immer noch Inhaber der in Rede stehenden Marken und W. nur ihr Fremdbesitzer.

39Wenn hingegen aus dieser Gesamtwürdigung hervorgeht, dass die Übertragung tatsächlich durchgeführt wurde und die übertragenen Marken vom Steuerpflichtigen auf einer nachfolgenden Umsatzstufe für seine besteuerten Umsätze benutzt wurden, kann ihm das Recht auf Vorsteuerabzug grundsätzlich nicht versagt werden.

40Allerdings kann zweitens dem Steuerpflichtigen dieses Recht versagt werden, wenn aufgrund der objektiven Sachlage feststeht, dass dieses Recht in einer Weise geltend gemacht wird, die eine Steuerhinterziehung oder einen Rechtsmissbrauch darstellt.

41Es ist nämlich darauf hinzuweisen, dass die Bekämpfung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen ein Ziel ist, das von der Richtlinie 2006/112 anerkannt und gefördert wird, und dass der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, dass eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Unionsrecht nicht erlaubt ist. Auch wenn die materiellen Voraussetzungen für das Recht auf Vorsteuerabzug erfüllt sind, haben die nationalen Behörden und Gerichte dieses Recht daher zu versagen, wenn aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass es in einer Weise geltend gemacht wird, die eine Steuerhinterziehung oder einen Rechtsmissbrauch darstellt (Urteile vom , Fini H, C-32/03, EU:C:2005:128, Rn. 34 und 35, vom , Paper Consult, C-101/16, EU:C:2017:775, Rn. 43, sowie vom , Aquila Part Prod Com, C-512/21, EU:C:2022:950, Rn. 26).

42In Bezug auf Steuerhinterziehung ist das Recht auf Vorsteuerabzug nach ständiger Rechtsprechung nicht nur dann zu versagen, wenn der Steuerpflichtige selbst eine Hinterziehung begeht, sondern auch dann, wenn aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der Steuerpflichtige, dem die Gegenstände geliefert oder die Dienstleistungen erbracht wurden, die als Grundlage für die Begründung des Rechts auf Vorsteuerabzug dienen, wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt hat, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Bonik, C-285/11, EU:C:2012:774, Rn. 40, vom , Ferimet, C-281/20, EU:C:2021:910, Rn. 48, und vom , Aquila Part Prod Com, C-512/21, EU:C:2022:950, Rn. 27).

43Da die Versagung des Vorsteuerabzugsrechts eine Ausnahme von dem Grundprinzip ist, das dieses Recht darstellt, obliegt es den Steuerbehörden, die objektiven Umstände rechtlich hinreichend nachzuweisen, die den Schluss zulassen, dass der Steuerpflichtige eine Mehrwertsteuerhinterziehung begangen hat oder wusste oder hätte wissen müssen, dass der zur Begründung dieses Rechts geltend gemachte Umsatz in eine Steuerhinterziehung einbezogen war. Es obliegt sodann den nationalen Gerichten, zu prüfen, ob die betreffenden Steuerbehörden diese objektiven Umstände nachgewiesen haben (Beschluss vom , A.T.S. 2003, C-289/22, EU:C:2023:26, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44In Bezug auf Rechtsmissbrauch setzt nach ständiger Rechtsprechung die Feststellung einer missbräuchlichen Praxis auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer zum einen voraus, dass die fraglichen Umsätze trotz formaler Anwendung der Bedingungen der einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 2006/112 und des zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Rechts einen Steuervorteil zum Ergebnis haben, dessen Gewährung dem mit diesen Bestimmungen verfolgten Ziel zuwiderliefe, und zum anderen, dass aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich ist, dass mit den fraglichen Umsätzen im Wesentlichen lediglich ein Steuervorteil bezweckt wird (Urteile vom , Halifax u. a., C-255/02, EU:C:2006:121, Rn. 74 und 75, vom , WebMindLicenses, C-419/14, EU:C:2015:832, Rn. 36, und vom , HA.EN., C-227/21, EU:C:2022:687, Rn. 35).

45Was die Frage anbelangt, ob das wesentliche Ziel eines Umsatzes nur in der Erlangung des Steuervorteils besteht, ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof im Bereich der Mehrwertsteuer bereits entschieden hat, dass der Steuerpflichtige bei einer Wahlmöglichkeit zwischen zwei Umsätzen nicht verpflichtet ist, den Umsatz zu wählen, der die höhere Mehrwertsteuerzahlung nach sich zieht, sondern vielmehr das Recht hat, seine Tätigkeit so zu gestalten, dass er seine Steuerschuld in Grenzen hält. Somit können die Steuerpflichtigen die Organisationsstrukturen und die Geschäftsmodelle, die sie als für ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten und zur Begrenzung ihrer Steuerlast am besten geeignet erachten, im Allgemeinen frei wählen (Urteil vom , WebMindLicenses, C-419/14, EU:C:2015:832, Rn. 42, und Beschluss vom , A.T.S. 2003, C-289/22, EU:C:2023:26, Rn. 40).

46Der im Bereich der Mehrwertsteuer geltende Grundsatz des Verbots missbräuchlicher Praktiken verbietet somit rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen, die allein zu dem Zweck erfolgen, einen Steuervorteil zu erlangen, dessen Gewährung den Zielen der Richtlinie 2006/112 zuwiderliefe (Urteile vom , ICI, C-264/96, EU:C:1998:370, Rn. 26, und vom , Tanoarch, C-504/10, EU:C:2011:707, Rn. 51, sowie Beschluss vom , A.T.S. 2003, C-289/22, EU:C:2023:26, Rn. 41).

47Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten nach Art. 273 der Richtlinie 2006/112 erlassen dürfen, um eine genaue Erhebung der Mehrwertsteuer sicherzustellen und um Steuerhinterziehung zu vermeiden, nicht über das zur Erreichung dieser Ziele Erforderliche hinausgehen dürfen. Sie dürfen daher nicht so eingesetzt werden, dass sie systematisch das Recht auf Vorsteuerabzug und damit die Neutralität der Mehrwertsteuer in Frage stellen (Urteil vom , Kemwater ProChemie, C-154/20, EU:C:2021:989, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

48Im vorliegenden Fall ist zum einen festzustellen, dass aus den Erläuterungen des vorlegenden Gerichts nicht hervorgeht, dass die Gesichtspunkte, anhand deren ein Rechtsgeschäft, das einen mehrwertsteuerpflichtigen Umsatz betrifft, nach den Vorschriften des nationalen Zivilrechts als Scheingeschäft und damit nichtig eingestuft werden kann, mit den Gesichtspunkten zusammenfallen, die es gemäß den Angaben in den Rn. 33 bis 38 des vorliegenden Urteils ermöglichen, einen mehrwertsteuerpflichtigen wirtschaftlichen Vorgang nach Maßgabe des Unionsrechts als fiktiv einzustufen und somit die Weigerung, dem Steuerpflichtigen ein Recht auf Vorsteuerabzug einzuräumen, gemäß der in Rn. 32 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung zu rechtfertigen. Eine solche Nichtigkeit kann daher diese Weigerung grundsätzlich nicht rechtfertigen.

49Zum anderen geht aus den Feststellungen des vorlegenden Gerichts hervor, dass die in Rede stehenden nationalen Rechtsvorschriften allgemein jede Situation erfassen, in der der Steuerpflichtige ein nach dem Zivilgesetzbuch als Scheingeschäft eingestuftes und damit nichtiges Rechtsgeschäft abgeschlossen hat, ohne dass es erforderlich wäre, unabhängig von den anwendbaren Vorschriften des Zivilrechts und anhand objektiver Umstände nachzuweisen, dass dieses Recht in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht wurde. Zwar kann der nach den Bestimmungen des nationalen Zivilrechts fiktive Charakter des zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Aussteller der Rechnung geschlossenen Vertrags ein Indiz für eine betrügerische oder missbräuchliche Praxis im Sinne und für die Anwendung der Richtlinie 2006/112 darstellen, eine solche Praxis kann jedoch nicht allein aus diesem Umstand abgeleitet werden.

50Unter diesen Umständen ist nach alledem festzustellen, dass nationale Rechtsvorschriften wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden dadurch, dass sie vorsehen, dass die in einer zivilrechtlichen Vorschrift vorgesehene Nichtigkeit eines als Scheingeschäft eingestuften Rechtsgeschäfts die Versagung des Rechts auf Vorsteuerabzug nach sich zieht, ohne dass dargetan werden muss, dass die Voraussetzungen dafür, einen steuerbaren wirtschaftlichen Vorgang nach Maßgabe des Unionsrechts als fiktiven Umsatz einzustufen, erfüllt sind oder dass, wenn dieser Umsatz tatsächlich bewirkt wurde, dieses Recht auf Vorsteuerabzug in betrügerischer Weise oder missbräuchlich ausgeübt wurde, über das hinausgehen, was zur Erreichung der Ziele der Richtlinie 2006/112, die genaue Erhebung der Mehrwertsteuer sicherzustellen und Steuerhinterziehung zu vermeiden, notwendig ist.

51Auf die Vorlagefrage ist daher zu antworten, dass Art. 167, Art. 168 Buchst. a, Art. 178 Buchst. a und Art. 273 der Richtlinie 2006/112 im Licht der Grundsätze der Steuerneutralität und der Verhältnismäßigkeit dahin auszulegen sind, dass sie nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehen, nach denen dem Steuerpflichtigen das Recht auf Vorsteuerabzug allein deshalb versagt wird, weil ein steuerbarer wirtschaftlicher Vorgang in Anwendung der Bestimmungen des nationalen Zivilrechts als Scheingeschäft eingestuft wird und nichtig ist, ohne dass dargetan werden muss, dass die Voraussetzungen dafür, diesen Vorgang nach Maßgabe des Unionsrechts als fiktiven Umsatz einzustufen, erfüllt sind oder dass, wenn dieser Umsatz tatsächlich bewirkt wurde, er auf einer Mehrwertsteuerhinterziehung oder einem Rechtsmissbrauch beruht.

Kosten

52Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zehnte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 167, Art. 168 Buchst. a, Art. 178 Buchst. a und Art. 273 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2010/45/EU des Rates vom geänderten Fassung sind im Licht der Grundsätze der Steuerneutralität und der Verhältnismäßigkeit

dahin auszulegen, dass

sie nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehen, nach denen dem Steuerpflichtigen das Recht auf Vorsteuerabzug allein deshalb versagt wird, weil ein steuerbarer wirtschaftlicher Vorgang in Anwendung der Bestimmungen des nationalen Zivilrechts als Scheingeschäft eingestuft wird und nichtig ist, ohne dass dargetan werden muss, dass die Voraussetzungen dafür, diesen Vorgang nach Maßgabe des Unionsrechts als fiktiven Umsatz einzustufen, erfüllt sind oder dass, wenn dieser Umsatz tatsächlich bewirkt wurde, er auf einer Mehrwertsteuerhinterziehung oder einem Rechtsmissbrauch beruht.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
ZAAAJ-43237