BGH Urteil v. - VII ZR 534/21

Instanzenzug: Az: 12 U 349/20vorgehend LG Ravensburg Az: 6 O 182/20

Tatbestand

1Die Klägerin nimmt die Beklagte als Motorenherstellerin wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Anspruch.

2Sie erwarb im März 2014 von einer Privatperson ein Fahrzeug Audi A3 Cabrio 2.0 TDI als Gebrauchtwagen zu einem Kaufpreis von 17.500 €. Es ist mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 189 ausgestattet. Dieser enthielt eine Steuerungssoftware, die erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand den Neuen Europäischen Fahrzyklus durchlief oder sich im normalen Straßenverkehr befand. Im Prüfstandsbetrieb bewirkte die Software eine im Vergleich zum Normalbetrieb erhöhte Abgasrückführungsrate, wodurch die Grenzwerte für Stickoxidemissionen der Abgasnorm Euro 5 auf dem Prüfstand eingehalten wurden ("Umschaltlogik"). Die Beklagte ist die Muttergesellschaft des VW-Konzerns, die Herstellerin des Pkws eine Tochtergesellschaft.

3Am veröffentlichte die Beklagte eine Ad-hoc-Mitteilung, in der sie über Unregelmäßigkeiten einer verwendeten Software bei Dieselmotoren informierte. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) erließ mit Bescheid vom nachträgliche Nebenbestimmungen in Bezug auf die erteilte Typgenehmigung. Die Beklagte entwickelte im Anschluss technische Maßnahmen zur Überarbeitung des klägerischen Fahrzeugs. Das KBA gab die technischen Maßnahmen für Fahrzeuge vom Typ des klägerischen Fahrzeugs frei, worüber die AUDI AG die Klägerin mit Schreiben vom April 2017 informierte.

4Über den sogenannten Dieselskandal betreffend Motoren des Typs EA 189 in Fahrzeugen des VW-Konzerns wurde ab September 2015 in den Medien ausführlich berichtet. Zudem bestand die Möglichkeit, im Internet über eine Abfrage beim Hersteller mithilfe der Fahrzeug-Identifizierungsnummer zu recherchieren, ob ein Fahrzeug von der Manipulation betroffen ist.

5Mit ihrer im Jahr 2020 erhobenen Klage hat die Klägerin die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zahlung von Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten verlangt.

6Das Landgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hatte nur in geringem Umfang Erfolg. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr auf vollständige Abweisung der Klage gerichtetes Begehren weiter.

Gründe

7Die zulässige Revision ist begründet.

I.

8Das Berufungsgericht hat - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - ausgeführt, der Schadensersatzanspruch der Klägerin aus § 826 BGB wegen der ursprünglich im Motor des Fahrzeugs installierten Prüfstandserkennungssoftware sei nicht verjährt. Die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB habe erst mit Schluss des Jahres 2017 gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB zu laufen begonnen.

9Die Beklagte habe nicht bewiesen, dass die Klägerin bereits bis zum Ende des Jahres 2016 positive Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen erlangt habe. Der Vortrag der Beklagten erschöpfe sich darin, die jeweiligen Halter der Fahrzeuge mit dem Motor EA 189 seien im Februar 2016 postalisch über das Update und den mit dem KBA abgestimmten Zeit- und Maßnahmenplan informiert worden. Dieser Vortrag sei nicht plausibel und begründe keine sekundäre Darlegungslast der Klägerin. Hätte es das behauptete Anschreiben der Beklagten aus Februar 2016 gegeben, wäre eine Bezugnahme darauf in ihrem Schreiben vom April 2017 zu erwarten gewesen. Demgegenüber habe sie in diesem Schreiben Bezug auf ein lediglich einige Wochen altes und damit erst im Jahr 2017 versandtes Schreiben genommen und dieses als Erstanschreiben zum Rückruf des klägerischen Fahrzeugs bezeichnet. Dass die Klägerin in den Jahren 2015 und 2016 keine Nachforschungen unternommen habe, um die Betroffenheit ihres Fahrzeugs vom Dieselskandal zu überprüfen, begründe auch nicht den Vorwurf grob fahrlässigen Verhaltens. Zu berücksichtigen sei, dass die Beklagte in der Ad-hoc-Mitteilung vom ausdrücklich darauf hingewiesen habe, sie arbeite mit Hochdruck daran, die Abweichungen zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb mit technischen Maßnahmen zu beseitigen, und stehe deswegen in Kontakt mit den zuständigen Behörden und dem KBA. Angesichts dieser Ankündigung habe die Klägerin darauf vertrauen dürfen, dass sich die Beklagte im Falle der Betroffenheit ihres Fahrzeugs bei ihr melde und die angekündigten technischen Maßnahmen durchführe.

II.

10Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

11Rechtsfehlerhaft ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass den von der Klägerin geltend gemachten Ansprüchen die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede nicht entgegen steht.

121. Gemäß § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist für die geltend gemachten deliktischen Ansprüche drei Jahre. Sie beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB).

13Darauf, ob die Klägerin - wie die Revision geltend macht - bereits im Jahr 2015 positive Kenntnis von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs hatte und ob das Berufungsgericht einen diesbezüglichen Beweisantritt der Beklagten fehlerhaft übergangen hat, kommt es nicht entscheidungserheblich an. Denn jedenfalls hat das Berufungsgericht zu Unrecht angenommen, die Klägerin habe die für den Verjährungsbeginn erforderliche Kenntnis ohne grobe Fahrlässigkeit im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB erst im Jahr 2017 erlangt. Grob fahrlässige Unkenntnis der Klägerin von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs lag vielmehr schon bis Ende 2016 vor. Ausgehend hiervon ist die Klageforderung verjährt.

14a) Wie der Bundesgerichtshof nach Erlass des Berufungsurteils wiederholt entschieden hat, genügt es in Fällen der vorliegenden Art für den Beginn der Verjährung gemäß § 199 Abs. 1 BGB, dass der geschädigte Fahrzeugkäufer Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal im Allgemeinen, von der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeugs und von der Relevanz dieser Betroffenheit für seine Kaufentscheidung hat, wobei letztere Kenntnis nicht gesondert festgestellt werden muss, sondern naturgemäß beim Geschädigten vorhanden ist (vgl. Rn. 12, WM 2022, 1743; Urteil vom - VII ZR 365/21 Rn. 17 m.w.N., NJW 2022, 1311).

15b) Dass die Klägerin spätestens im Jahr 2016 die angesichts der umfangreichen Medienberichterstattung regelmäßig naheliegende und nach dem festgestellten Parteivortrag auch nicht konkret in Abrede gestellte allgemeine Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal hatte, hat das Berufungsgericht seiner tatrichterlichen Überzeugungsbildung zugrunde gelegt. Es hat entsprechend dem Parteivortrag bei seiner Würdigung lediglich die Kenntnis der Klägerin von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs in Zweifel gezogen. Dagegen ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern (§ 559 Abs. 2 ZPO).

16c) Das Berufungsgericht hat indes zu Unrecht eine - gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB der positiven Kenntnis gleichstehende - grob fahrlässige Unkenntnis der Klägerin von der konkreten Betroffenheit ihres Fahrzeugs im Jahr 2016 verneint.

17aa) Die tatrichterliche Beurteilung, ob einer Partei der Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis zu machen ist, unterliegt der Nachprüfung durch das Revisionsgericht nur dahin, ob der Streitstoff umfassend, widerspruchsfrei und ohne Verstoß gegen Denk- und Erfahrungssätze gewürdigt worden ist und ob der Tatrichter den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Grades der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat (vgl. Rn. 22 m.w.N., MDR 2022, 558). Auch unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs ist die Würdigung des Berufungsgerichts, der Lauf der Verjährungsfrist sei erst durch positive Kenntnis der Klägerin im Jahr 2017 in Gang gesetzt worden, rechtsfehlerhaft.

18bb) Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB liegt dann vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis fehlt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt und auch ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder dasjenige nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen. Ihm muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung vorgeworfen werden können ( Rn. 16, WM 2022, 1743; Urteil vom - III ZR 226/20 Rn. 18, WM 2022, 984; Urteil vom - VIa ZR 8/21 Rn. 39, WM 2022, 731; Urteil vom - VII ZR 396/21 Rn. 23, MDR 2022, 558).

19Dabei bezieht sich die grob fahrlässige Unkenntnis ebenso wie die Kenntnis auf Tatsachen, auf alle Merkmale der Anspruchsgrundlage und bei der Verschuldenshaftung auf das Vertretenmüssen des Schuldners. Dagegen ist grundsätzlich nicht vorausgesetzt, dass der Gläubiger hieraus die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zieht. Ausreichend ist, wenn dem Gläubiger aufgrund der ihm grob fahrlässig unbekannt gebliebenen Tatsachen hätte zugemutet werden können, zur Durchsetzung seiner Ansprüche gegen eine bestimmte Person aussichtsreich, wenn auch nicht risikolos Klage - sei es auch nur in Form einer Feststellungsklage - zu erheben ( Rn. 17, WM 2022, 1743; Urteil vom - VII ZR 396/21 Rn. 24 m.w.N., MDR 2022, 558).

20Den Geschädigten trifft dabei im Allgemeinen weder eine Informationspflicht noch besteht für ihn eine generelle Obliegenheit, im Interesse des Schädigers an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Initiative zur Klärung von Schadenshergang oder Person des Schädigers zu entfalten. Inwieweit der Gläubiger zur Vermeidung der groben Fahrlässigkeit zu einer aktiven Ermittlung gehalten ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Das Unterlassen einer solchen Ermittlung ist nur dann als grob fahrlässig einzustufen, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Unterlassen aus der Sicht eines verständigen und auf seine Interessen bedachten Gläubigers als unverständlich erscheinen lassen. Für den Gläubiger müssen konkrete Anhaltspunkte für das Bestehen eines Anspruchs ersichtlich sein, so dass er aus verständiger Sicht gehalten ist, die Voraussetzungen des Anspruchs aufzuklären, soweit sie ihm nicht ohnehin bekannt sind ( Rn. 18, WM 2022, 1743; Urteil vom - III ZR 226/20 Rn. 18, WM 2022, 984; Urteil vom - VIa ZR 8/21 Rn. 41, WM 2022, 731; Urteil vom - VII ZR 396/21 Rn. 25, MDR 2022, 558).

21cc) Nach diesen Maßstäben ist von einer grob fahrlässigen Unkenntnis der Klägerin von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB jedenfalls bis Ende 2016 auszugehen. Ausgehend von ihrer allgemeinen Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal hatte sie spätestens bis Ende 2016 Veranlassung, die Betroffenheit ihres eigenen Fahrzeugs zu ermitteln. Nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts bestand die Möglichkeit, im Internet über eine Abfrage beim Hersteller mithilfe der Fahrzeug-Identifizierungsnummer abzuklären, ob ein Fahrzeug von den Manipulationsvorwürfen betroffen war. Weitergehender Feststellungen des Berufungsgerichts - etwa zu der Frage, ob die Klägerin von der Möglichkeit, auf der Internetplattform die Betroffenheit ihres Fahrzeugs vom sogenannten Dieselskandal festzustellen, in den Jahren 2015 und 2016 Kenntnis hatte - bedurfte es nicht. Sie wäre bei den gebotenen Nachforschungen ohne Weiteres auf die Internetseite gestoßen. Darüber hinaus hätte sie sich telefonisch oder schriftlich mit der Beklagten in Verbindung setzen können. Sie hätte sich dadurch Gewissheit über die Betroffenheit ihres Fahrzeugs durch Inanspruchnahme öffentlich verfügbarer Informationsquellen verschaffen können. Die Klägerin hat damit auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeiten, die weder besondere Kosten noch nennenswerte Mühe verursacht hätten, nicht ausgenutzt (vgl. Rn. 19, WM 2022, 1743; Urteil vom - VII ZR 679/21 Rn. 31 m.w.N., juris).

22Auch der Umstand, dass die Beklagte in der Ad-Hoc Mitteilung von ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, sie arbeite mit Hochdruck daran, die Abweichungen zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb zu beseitigen und stehe deswegen in Kontakt mit den zuständigen Behörden und dem KBA, begründete entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kein zeitlich unbegrenztes berechtigtes Vertrauen der Klägerin darauf, dass ihr Fahrzeug nicht betroffen sei, wenn die Beklagte nicht aktiv an sie herantrete (vgl. Rn. 20, WM 2022, 1743; VIa ZR 441/21 Rn. 14, NJW 2022, 2028). Angesichts der Länge des seit Bekanntwerden des sogenannten Dieselskandals verstrichenen Zeitraums bestand für die Klägerin spätestens bis Ende 2016 Anlass, diese Betroffenheit selbst zu recherchieren (vgl. Rn. 32, juris). Dies nicht getan zu haben, war grob fahrlässig.

23d) Der Klägerin, die Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal im Allgemeinen hatte und der hinsichtlich der konkreten Betroffenheit ihres Fahrzeugs grob fahrlässige Unkenntnis anzulasten ist, war es im Jahr 2016 auch zumutbar, Klage zu erheben und ihren Anspruch gegen die Beklagte gerichtlich geltend zu machen (vgl. im Einzelnen Rn. 21 ff., WM 2022, 1743; Urteil vom - VII ZR 679/21 Rn. 33 ff., juris).

24e) Die dreijährige Verjährungsfrist für die mit der Klage geltend gemachten Schadensersatzansprüche begann folglich mit dem Schluss des Jahres 2016 zu laufen und endete mit Ablauf des Jahres 2019. Bei Klageerhebung im Juli 2020 war daher bereits Verjährung eingetreten.

III.

25Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). In den sogenannten Dieselfällen scheidet ein Anspruch des Erwerbers eines Gebrauchtfahrzeugs nach § 852 Satz 1 BGB - hier noch dazu gegen die Herstellerin nur des Motors - bereits aus Rechtsgründen aus (vgl. im Einzelnen Rn. 30 ff., WM 2022, 1743; Urteil vom - VII ZR 679/21 Rn. 37 ff., BB 2022, 1170).

IV.

26Das angefochtene Urteil hat daher keinen Bestand und ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil die Sache entscheidungsreif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Weitere tatsächliche Feststellungen, welche für die jedenfalls Ende 2016 vorliegende grob fahrlässige Unkenntnis der Klägerin von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs bedeutsam sein könnten, sind weder erforderlich noch zu erwarten.

V.

27Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:100523UVIIZR534.21.0

Fundstelle(n):
ZAAAJ-43156