Online-Nachricht - Donnerstag, 15.06.2023

Verfahrensrecht | Doppelte Erklärung von Einnahmen als Arbeitslohn und als Betriebseinnahmen (BFH)

Werden Einnahmen eines angestellten Chefarztes aus der Erbringung wahlärztlicher Leistungen im Rahmen der Einkommensteuererklärung irrtümlich sowohl bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit als auch bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit erklärt, weil weder der Chefarzt noch sein Steuerberater erkannt haben und nach den Umständen des Streitfalls auch nicht erkennen mussten, dass diese Einnahmen bereits dem Lohnsteuerabzug unterlegen haben, liegt kein "grobes Verschulden" i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO vor (; veröffentlicht am ).

Hintergrund: Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden.

Sachverhalt: Der Kläger ist in einem Krankenhaus als Chefarzt angestellt. Für seine Tätigkeit erhielt er eine feste monatliche Vergütung. Außerdem wurde ihm in seinem Dienstvertrag das Liquidationsrecht für von ihm erbrachte wahlärztliche Leistungen eingeräumt. Im Gegenzug war der Kläger u.a. verpflichtet, einen Teil der hierfür anfallenden Gebühren an das Krankenhaus zu leisten.

In den Streitjahren erbrachte der Kläger wahlärztliche Leistungen sowohl gegenüber stationär untergebrachten Patienten als auch in ambulanten Sprechstunden. Die Abrechnung der Wahlleistungen erfolgte über ein von dem Kläger beauftragtes privates Dienstleistungsunternehmen. Die Rechnungsbeträge aus den Privatliquidationen wurden einem privaten Bankkonto des Klägers gutgeschrieben.

Die Einnahmen des Klägers aus den stationär erbrachten Wahlleistungen behandelte das Krankenhaus als Bezüge aus dem Dienstverhältnis und unterwarf diese daher dem Lohnsteuerabzug. Die Einnahmen aus der ambulanten wahlärztlichen Tätigkeit des Klägers berücksichtigte es nicht, weil es insoweit von außerhalb des Dienstverhältnisses erbrachten Leistungen des Klägers ausging. Eine Mitteilung des Krankenhauses, welche der Einnahmen aus den wahlärztlichen Leistungen dem Lohnsteuerabzug unterlegen hatten, erhielt der Kläger nicht. Die als lohnsteuerpflichtig eingestuften Einnahmen wurden in den Gehaltsmitteilungen des Klägers neben zahlreichen weiteren Angaben und ohne weitere Konkretisierung in der Zeile "Mitversteuerung" ausgewiesen.

In seinen Einkommensteuererklärungen erklärte der steuerlich vertretenen Kläger die Vergütungen aus sämtlichen wahlärztlichen Leistungen in der Einnahmen-Überschuss-Rechnung als Einnahmen bei seinen Einkünften aus selbständiger Arbeit. Das FA veranlagte den Kläger erklärungsgemäß, die Einkommensteuerbescheide wurden bestandskräftig.

Ende 2014 beantragte der Kläger eine Änderung der Bescheide für die Streitjahre gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO mit der Begründung, es sei ihm erst nachträglich bekannt geworden, dass die Einnahmen aus den stationär erbrachten Wahlleistungen vom Krankenhaus dem Lohnsteuerabzug unterworfen worden seien.

Das FA lehnte eine Änderung ab, die hiergegen gerichtete Klage hatte in erster Instanz keinen Erfolg. Das FG vertrat die Ansicht, den Kläger treffe ein grobes Verschulden i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ().

Die Richter des BFH folgten dem nicht:

  • Eine Änderung der Bescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO scheidet nicht deshalb aus, weil die fehlerhaft doppelt erfolgte Angabe der Einkünfte in den Steuererklärungen dem Kläger als grobes Verschulden zur Last fällt.

  • Als grobes Verschulden i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO hat der Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Vorliegend hat das FG den Begriff des "groben Verschuldens" i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO unzutreffend ausgelegt, weil es an die Voraussetzungen, unter denen die doppelte Erklärung der Einnahmen aus den stationären Wahlleistungen als entschuldbar anzusehen ist, zu hohe Anforderungen gestellt hat.

  • Das FG hat seine Würdigung für das Vorliegen eines groben Verschuldens des Klägers u.a. darauf gestützt, dass es nach der zwischen dem Kläger und dem Krankenhausträger getroffenen vertraglichen Vereinbarung nahegelegen habe, die Einnahmen aus der Erbringung von Wahlleistungen gegenüber stationär untergebrachten Patienten dem Dienstverhältnis zuzuordnen, da die Erbringung und Vergütung dieser Leistungen im Dienstvertrag geregelt worden seien, während der Arbeitgeber dem Kläger für die Erbringung der ambulanten Wahlleistungen eine Nebentätigkeitserlaubnis erteilt habe.

  • Die Annahme des FG, dem Kläger habe sich die doppelte steuerliche Erfassung seiner Einnahmen aus den stationären Wahlleistungen bei Angabe der Einnahmen aus sämtlichen Wahlleistungen in der Gewinnermittlung aufdrängen müssen, weil diese bei zutreffender Auslegung der dienstvertraglichen Regelungen nur bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit hätten erfasst werden dürfen, berücksichtigt nicht hinreichend, dass die Frage, ob wahlärztliche Leistungen innerhalb oder außerhalb des Dienstverhältnisses erbracht werden, nach der Rechtsprechung des BFH nur aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalls beantwortet werden kann (vgl. , BStBl II 2006, 94).

  • Für die hiernach erforderliche Gesamtwürdigung ist u.a. bedeutsam, ob die Tätigkeit zur Erbringung der wahlärztlichen Leistungen zu den gegenüber dem Krankenhausträger vertraglich geschuldeten Dienstaufgaben gehört, ob der Arzt nach dem Dienstvertrag - mit Ausnahme der rein ärztlichen Tätigkeit - den Weisungen des Krankenhausträgers unterliegt und hinsichtlich der Erbringung der wahlärztlichen Leistungen in den geschäftlichen Organismus des Krankenhauses eingebunden ist und inwieweit Unternehmerinitiative und Unternehmerrisiko vorliegen bzw. fehlen (, BFH/NV 2009, 1814).

  • Ausgehend hiervon mag die Zuordnung der Einnahmen aus den stationär erbrachten Wahlleistungen des Klägers zu seinen Einkünften aus selbständiger Arbeit im Rahmen der Einkommensteuererklärungen der Streitjahre rechtlich fehlerhaft gewesen sein. Beruht eine fehlerhafte Steuererklärung jedoch, wie das FG angenommen hat, (auch) auf einem Rechtsirrtum, ist dies dem Steuerpflichtigen in der Regel nicht als grobes Verschulden anzulasten.

  • Auf einen die grobe Fahrlässigkeit ausschließenden, entschuldbaren Rechtsirrtum kann sich der Steuerpflichtige nach der Rechtsprechung des BFH regelmäßig nur dann nicht berufen, wenn er eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf einen bestimmten Vorgang bezogene und für ihn verständliche Frage bewusst nicht beantwortet (vgl. ; v. - IX R 18/14, BStBl II 2017, 7 und v. - X R 8/11). Ein solcher Fall liegt hier unstreitig nicht vor.

  • Auch ist dem Kläger kein grobes Verschulden dahingehend vorzuwerfen, indem er es unterließ, die Lohnsteuerbescheinigungen und die monatlichen Gehaltsabrechnungen daraufhin abzugleichen, ob abweichend von seinen im Dienstvertrag vereinbarten Vergütungsbestandteilen auch Einnahmen aus der stationären wahlärztlichen Tätigkeit von seinem Arbeitgeber dem Lohnsteuerabzug unterworfen worden waren.

  • Zwar hätte dem Kläger, wie das FG zu Recht ausgeführt hat, auffallen müssen, dass in den monatlichen Gehaltsabrechnungen unter dem Titel "Bruttounwirksam" mit der Bezeichnung "Mitversteuerung" weitere Beträge aufgeführt waren. Das FG hätte bei der Gewichtung und Abwägung des dem Kläger insoweit zur Last fallenden Verschuldens aber auch berücksichtigen müssen, dass der Kläger keine Mitteilung erhalten hatte, als das Krankenhaus dazu übergegangen war, die Einnahmen aus den stationär erbrachten Wahlleistungen - anders als die Einnahmen aus der ambulanten Tätigkeit - dem Lohnsteuerabzug zu unterwerfen.

  • Auch liegt kein dem Kläger zuzurechnendes grobes Verschulden des steuerlichen Beraters vor.

  • Insbesondere begründet der Umstand, dass der Berater die Angaben in der Einkommensteuererklärung zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit nur anhand der Lohnsteuerbescheinigungen erstellt und nicht auch die monatlichen Gehaltsabrechnungen vom Kläger angefordert hat, nicht den Vorwurf der groben Sorgfaltspflichtverletzung. Der steuerliche Berater der Kläger hatte keinen Anlass, die Richtigkeit der Lohnsteuerbescheinigungen in Zweifel zu ziehen. Eine weitere Überprüfung der in der Steuererklärung gemachten Angaben anhand der monatlichen Lohnsteuerbescheinigungen musste sich dem steuerlichen Berater der Kläger daher nicht aufdrängen.

Quelle: ; NWB Datenbank (il)

Fundstelle(n):
NWB YAAAJ-41986