BGH Beschluss v. - StB 59/22

Gründe

I.

1Der Generalbundesanwalt führt gegen zahlreiche Beschuldigte ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung und weiterer Straftaten. Auf seinen Antrag hat der Ermittlungsrichter des ) die Durchsuchung der Person des Betroffenen, der von diesem genutzten Wohn-, Keller-, sonstigen Nebenräume und Garagen sowie des auf ihn zugelassenen Kraftfahrzeugs zum Zwecke der Sicherstellung näher beschriebener Beweismittel angeordnet. Die Durchsuchung ist am vollzogen worden. Dabei sind ein Smartphone und ein Tablet in Verwahrung genommen worden; deren Durchsicht dauert noch an.

2Der Betroffene wendet sich mit seiner Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss und die Sicherstellungen. Er begehrt die „Aufhebung des Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses vom “ und die Herausgabe der sichergestellten Gegenstände. Er macht insoweit Verstöße gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geltend. Insbesondere sei die Sicherstellung der beiden Asservate aufgrund der bereits durchgeführten Telefonüberwachungen der Beschuldigten nicht erforderlich gewesen. Auch habe die Verdachtslage die Durchsuchung beim Betroffenen nicht gerechtfertigt.

3Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Soweit der Generalbundesanwalt am beantragt hat, gemäß § 94 Abs. 1, § 98 Abs. 2 Satz 2 (entsprechend), §§ 102, 162 Abs. 1, § 169 Abs. 1 Satz 2 StPO die vorläufige Sicherstellung der am in den Wohnräumen des Betroffenen erlangten Asservate zum Zwecke der Durchsicht nach § 110 StPO anzuordnen, hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hierüber noch nicht entschieden.

II.

4Das Rechtsmittel ist gemäß § 304 Abs. 5 StPO zulässig, aber unbegründet, soweit es sich gegen die Durchsuchungsanordnung richtet. Soweit der Betroffene die Herausgabe seiner elektronischen Datenträger verlangt, ist eine Entscheidung des Senats derzeit nicht veranlasst. Für den Antrag des Generalbundesanwalts auf gerichtliche Entscheidung über die vorläufige Sicherstellung zum Zwecke der Durchsicht nach § 110 StPO ist der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs zuständig.

51. Die Beschwerde ist zulässig, soweit sie sich gegen die Durchsuchungsanordnung als solche richtet (§ 304 Abs. 5 StPO). Das Beschwerdeziel ist noch nicht prozessual überholt und daher nicht in einen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der angegriffenen Maßnahmen umzudeuten. Angesichts der noch nicht abgeschlossenen Durchsicht der vorläufig sichergestellten Beweismittel dauert die Durchsuchungsmaßnahme weiterhin an (vgl. BGH, Beschlüsse vom - StB 6/21 u.a., NJW 2022, 795 Rn. 5; vom - StB 12/97, juris; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 65. Aufl., § 110 Rn. 10 mwN).

62. Das Rechtsmittel ist jedoch unbegründet. Die Voraussetzungen für den Erlass der Durchsuchungsanordnung (§§ 103, 105 StPO) lagen vor.

7a) Gegen die Beschuldigten lag ein die Durchsuchung nach § 102 StPO rechtfertigender Anfangsverdacht vor, sich mitgliedschaftlich an einer Vereinigung beteiligt zu haben, deren Zwecke oder deren Tätigkeit auf die Begehung von Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) gerichtet gewesen seien, oder eine solche unterstützt zu haben.

8aa) Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen durchzuführenden Durchsuchung genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen wurde und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer an dieser Tat in Betracht kommt. Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es - unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit - nicht (st. Rspr.; vgl. , NJW 2007, 1443 Rn. 15; BGH, Beschlüsse vom - StB 29/22, NStZ 2022, 692 Rn. 6; vom - StB 8/15, BGHR StPO § 102 Tatverdacht 3 Rn. 4; vom - StB 26/08, BGHR StPO Tatverdacht 2 Rn. 5).

9bb) Gemessen hieran lagen zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses sachlich zureichende Gründe für die Anordnung der Durchsuchung vor. Es bestand der Anfangsverdacht, dass sich die Beschuldigten an einer terroristischen Vereinigung gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB beteiligten oder sie gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1 StGB unterstützten.

10(1) Nach dem maßgeblichen Erkenntnisstand zum Zeitpunkt der Anordnung der Durchsuchung (vgl. hierzu , NJW 2011, 291 Rn. 28) war im Sinne eines Anfangsverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

11Die Beschuldigten gehörten der sogenannten Reichsbürger- und QAnon-Bewegung an. Sie schlossen sich spätestens Ende November 2021 zu einer auf längere Dauer angelegten Organisation zusammen, die sich zum Ziel setzte, die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland - insbesondere durch den Einsatz militärischer Mittel und Gewalt gegen staatliche Repräsentanten - zu überwinden und durch eine eigene, bereits in Grundzügen ausgearbeitete Staatsform zu ersetzen. Dabei rechneten sie mit der Tötung von Personen und nahmen dies billigend in Kauf. Sie lehnten die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland und deren Institutionen ab. Auf der Grundlage einer entsprechenden gemeinsamen Gesinnung erwarteten sie an einem konkreten und unmittelbar bevorstehenden, aber noch nicht festgelegten „Tag X“ einen Angriff auf die oberste Ebene der staatlichen Führung der Bundesrepublik Deutschland durch die sogenannte Allianz, einen Geheimbund bestehend aus Angehörigen ausländischer Regierungen, Streitkräfte und Geheimdienste.

12Zum Zwecke der Umsetzung ihrer Umsturzpläne schufen die Mitglieder der Gruppierung organisatorische, hierarchische und verwaltungsähnliche Strukturen mit einem „Rat“ als zentralem Gremium und einem „militärischen Arm“. Dieser sollte nach dem Angriff durch die „Allianz“ die noch verbleibenden Institutionen und Repräsentanten des Staates bekämpfen und die Macht durch ein deutschlandweites Netz von Heimatschutzkompanien absichern. Ferner plante der engste Führungszirkel der Vereinigung das gewaltsame Eindringen einer bewaffneten Gruppe in das Reichstagsgebäude mit dem Ziel, Abgeordnete, Kabinettsmitglieder sowie deren Mitarbeiter zu verhaften und abzuführen, wobei sie hierfür bereits in konkrete Vorbereitungshandlungen eingetreten waren.

13(2) Der Anfangsverdacht gründet sich im Wesentlichen auf Erkenntnisse des Bundeskriminalamts, der Landeskriminalämter Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Rheinland-Pfalz und Sachsen, der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder sowie des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst, die maßgeblich auf G 10-Maßnahmen - insbesondere Telefonüberwachung und Observation nach § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a, Abs. 2 G 10 i.V.m. § 129a Abs. 1 StGB - zurückzuführen sind. Die Ergebnisse dieser Maßnahmen sind für die Zwecke der Strafverfolgung freigegeben und gemäß § 4 Abs. 4 Nr. 2 G 10, § 161 Abs. 2 Satz 1 StPO in das Ermittlungsverfahren überführt worden.

14Zu den weiteren Einzelheiten der den Tatverdacht gegen die Beschuldigten begründenden Umstände wird auf die Ausführungen im Durchsuchungsbeschluss des Ermittlungsrichters des sowie die Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom selben Tag verwiesen.

15(3) In rechtlicher Hinsicht sind die den Beschuldigten vorgeworfenen Handlungen als mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung und Unterstützung einer solchen gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 StGB zu werten (vgl. im Einzelnen , juris Rn. 22 ff.). Ob die Beschuldigten daneben verdächtig sind, sich zugleich wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens gemäß § 83 Abs. 1 StGB strafbar gemacht zu haben, bedarf hier keiner Entscheidung.

16(4) Die Strafgerichtsbarkeit des Bundes und damit Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs für den Erlass des Durchsuchungsbeschlusses ergibt sich aus § 169 Abs. 1 StPO, § 120 Abs. 1 Nr. 6, § 142 Abs. 1 Nr. 1, § 142a Abs. 1 Satz 1 GVG.

17b) Es lagen zum Zeitpunkt der Anordnung der Durchsuchung auch hinreichende Tatsachen dafür vor, dass beim Betroffenen bestimmte Beweismittel im Sinne des § 103 Abs. 1 Satz 1 StPO aufgefunden werden können.

18aa) Eine Ermittlungsdurchsuchung, die eine nichtverdächtige Person betrifft, setzt nach § 103 Abs. 1 Satz 1 StPO Tatsachen dahin voraus, dass sich das gesuchte Beweismittel in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Es müssen konkrete Gründe im Zeitpunkt der Anordnung, mithin aus ex ante-Sicht dafür sprechen (vgl. , NJW 2019, 3633 Rn. 35; BGH, Beschlüsse vom - StB 6/21 u.a., NJW 2022, 795 Rn. 11; vom - StB 6/19, juris Rn. 8; vom - StB 51/78, BGHSt 28, 57, 59), dass der gesuchte Beweisgegenstand in den Räumlichkeiten des Unverdächtigen gefunden werden kann (, BVerfGK 1, 126, 132; BGH, Beschlüsse vom - StB 9/99, BGHR StPO § 103 Gegenstände 1; vom - StB 1/89, BGHR StPO § 103 Tatsachen 1; vom - 1 BGs 1143/88, BGHR StPO § 103 Tatsachen 2; Beschluss vom - StB 51/78, BGHSt 28, 57, 59; KK-StPO/Henrichs/Weingast, 9. Aufl., § 103 Rn. 5; LR/Tsambikakis, StPO, 27. Aufl., § 103 Rn. 14).

19Diese Voraussetzungen waren hier erfüllt. Ausweislich der zum Zeitpunkt der Durchsuchungsanordnung vorliegenden Ermittlungsergebnisse versuchten die Beschuldigten E.   und W.    im Rahmen ihrer Vorbereitungshandlungen für ein gewaltsames Eindringen in das Reichstagsgebäude, den Betroffenen sowohl über den Messenger-Dienst Telegram als auch telefonisch zu rekrutieren. Dieser ist ein umfassend und vielfach speziell ausgebildeter Kommandosoldat mit Einsatzerfahrungen unter anderem in Afghanistan, der zudem über einen langjährigen Verwendungsaufbau im Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr (KSK) verfügt. Ein erster telefonischer Kontakt zwischen ihm und dem Beschuldigten E.   fand am statt. Auch der Beschuldigte W.    trat ausweislich des Vermerks des Bundeskriminalamts vom über einen „           “ am mittels des Messenger-Dienstes Telegram an ihn heran. Zudem fanden sich auf dem Tablet des Beschuldigten W.    weitere Kontaktspuren zu ihm. Aufgrund dieser Umstände bestand damit entgegen seinem Beschwerdevorbringen eine Auffindewahrscheinlichkeit für Gegenstände, die zu einer weiteren Aufklärung des verfahrensgegenständlichen Sachverhalts beitragen können. Hierzu zählen insbesondere elektronische Kommunikationsmittel, die nicht nur Aufschluss über die inhaltliche Kommunikation zwischen den Beschuldigten und ihm, sondern auch über etwaige weitere Kontaktpersonen innerhalb der Vereinigung erbringen können.

20bb) Die Durchsuchung bei einer nichtverdächtigen Person setzt - anders als im Fall des § 102 StPO für die Durchsuchung beim Tatverdächtigen, bei dem eine allgemeine Aussicht genügt, irgendwelche relevanten Beweismittel zu finden - nach § 103 StPO überdies voraus, dass hinreichend individualisierte (bestimmte) Beweismittel für die aufzuklärende Straftat gesucht werden. Diese Gegenstände müssen im Durchsuchungsbeschluss so weit konkretisiert werden, dass weder bei dem Betroffenen noch bei dem die Durchsuchung vollziehenden Beamten Zweifel über die zu suchenden und zu beschlagnahmenden Gegenstände entstehen können (, NStZ 2002, 215 Rn. 3). Ausreichend ist dafür allerdings, dass die Beweismittel der Gattung nach näher bestimmt sind; nicht erforderlich ist, dass sie in allen Einzelheiten bezeichnet werden (BGH, Beschlüsse vom - StB 29/22, NStZ 2022, 692 Rn. 14; vom - StB 14/18, juris Rn. 16; vom - StB 9/99, BGHR StPO § 103 Gegenstände 1; jeweils mwN).

21Diesen Anforderungen wird der angefochtene Beschluss ebenfalls gerecht. Es wurden die zu sichernden Gegenstände, insbesondere elektronische Kommunikationsmittel, Dokumente und Unterlagen, auch in digitaler Form, Waffen sowie militärische Ausrüstungsgegenstände, dahin konkretisiert, dass sie mit der terroristischen Vereinigung in Zusammenhang stehen mussten. Durch diese Einschränkung der möglicherweise aufzufindenden Beweismittel war den durchsuchenden Beamten hinreichend deutlich aufgezeigt, worauf sie ihr Augenmerk zu richten hatten. Im Übrigen unterliegen Schriftstücke und elektronische Speichermedien vor ihrer Beschlagnahme oder sonstigen Sicherstellung nach § 110 Abs. 1 StPO der Durchsicht durch die Staatsanwaltschaft oder von ihr beauftragte Ermittlungspersonen. Dies ermöglicht die Überprüfung, welche Dokumente oder Dateien als Beweismittel in Betracht kommen und deshalb sicherzustellen oder nach § 110 Abs. 3 Satz 2 StPO zu sichern sind. Um diese Durchsicht zu gewährleisten, kann auch die Mitnahme einer Gesamtheit von Daten zulässig sein (vgl. , NJW 2014, 3085 Rn. 44 f.; , NStZ 2003, 670 Rn. 7).

22c) Die Anordnung der Durchsuchung entsprach entgegen dem Vorbringen des Betroffenen - auch unter Berücksichtigung seiner grundrechtlich durch Art. 13 Abs. 1 GG geschützten Belange - dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

23aa) Sie war zur weiteren Aufklärung einer Beteiligung der Beschuldigten an dem Tatgeschehen geeignet und erforderlich, da unter den gegebenen Umständen zu erwarten war, dass die Durchsuchung zum Auffinden von Gegenständen, insbesondere von elektronischen Kommunikationsmitteln, führen würde, die nicht nur eine inhaltliche Kommunikation zwischen den Beschuldigten und dem Betroffenen nachweisen oder widerlegen, sondern auch Aufschluss über weitere Kontaktpersonen innerhalb der Vereinigung erbringen können. Der Umstand, dass die Ermittlungsbehörden bereits über andere Beweismittel verfügten, stellt entgegen der Rechtsauffassung des Betroffenen die Erforderlichkeit der Maßnahme nicht in Frage (vgl. , juris Rn. 17).

24bb) Die Anordnung der Durchsuchung stand zudem in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung und Schwere der aufzuklärenden Straftat. Die von der in Rede stehenden Gruppierung ausgehende Gefahr ist entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers erheblich. Dies zeigt sich insbesondere in den konkreten vielfältigen Vorbereitungshandlungen der Beschuldigten W.    und E.   für eine bewaffnete Erstürmung des Reichstagsgebäudes durch eine Gruppe von bis zu 16 Personen, vornehmlich aus den Reihen aktiver oder ehemaliger Angehöriger des KSK oder anderer Spezialeinheiten der Bundeswehr sowie Polizei, und dem geplanten, zudem in Teilen bereits umgesetzten Aufbau von militärischen „Heimatschutzkompanien“ im gesamten Bundesgebiet.

253. Soweit der Betroffene die Herausgabe seiner elektronischen Datenträger verlangt, hat der Generalbundesanwalt zutreffend einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung über die vorläufige Sicherstellung zum Zwecke der Durchsicht nach § 110 Abs. 1 und 3 StPO gestellt, für den der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs zuständig ist (vgl. u.a., juris Rn. 3).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:200423BSTB59.22.0

Fundstelle(n):
DAAAJ-39894