BVerwG Urteil v. - 6 C 9/21

Instanzenzug: Sächsisches Oberverwaltungsgericht Az: 5 A 370/20 Urteilvorgehend VG Dresden Az: 2 K 1301/19 Urteil

Tatbestand

1Der verheiratete Kläger begehrt die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für seine Nebenwohnung im Zeitraum vom bis zum vor dem Hintergrund der Übergangsregelung, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom - 1 BvR 1675/16 u. a. - (BVerfGE 149, 222) zu § 2 Abs. 1 und 3 RBStV getroffen hat. Zugleich erstrebt er die Aufhebung des Bescheides, mit dem der Beklagte für die Nebenwohnung Rundfunkbeiträge für den Zeitraum vom 1. Juli bis zum festgesetzt hat. Er wohnt mit seiner Ehefrau in einer Wohnung in D., die melderechtlich ihre gemeinsame Hauptwohnung ist. Diese Wohnung war im streitigen Zeitraum unter dem Namen seiner Ehefrau als Rundfunkbeitragspflichtige angemeldet. Der Kläger hält zudem eine Nebenwohnung in O., für die er sich als rundfunkbeitragspflichtig angemeldet hatte. Mit Schreiben vom beantragte er seine Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für die Nebenwohnung und forderte eine Erstattung gezahlter Rundfunkbeiträge in Höhe von 420 €. Die weitere Beitragszahlung für die Nebenwohnung stellte er zunächst ein. Der Beklagte forderte den Kläger daraufhin unter dem vergeblich zur Zahlung von Rundfunkbeiträgen für die Nebenwohnung für den Zeitraum von Juli bis September 2018 auf. Mit Schreiben vom teilte der Beitragsservice von ARD, ZDF und Deutschlandradio dem Kläger mit, dass die Voraussetzungen für eine Befreiung des Klägers von der Beitragspflicht für die Nebenwohnung nicht vorlägen. Der Beklagte setzte gegen den Kläger mit Bescheid vom für die Nebenwohnung Rundfunkbeiträge für den Zeitraum vom 1. Juli bis zum in Höhe von 52,50 € und einen Säumniszuschlag in Höhe von 8 € Euro fest.

2Der Kläger teilte dem Beitragsservice unter dem mit, dass er den Rundfunkbeitrag für die Nebenwohnung nicht mehr bezahlen werde, und legte mit Schreiben vom Widerspruch gegen den Beitragsfestsetzungsbescheid vom ein. Der Beklagte behandelte das Schreiben vom als Widerspruch gegen sein als Bescheid gewertetes Schreiben vom und wies diesen mit Widerspruchsbescheid vom zurück. Der Kläger habe nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts keinen Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für die Nebenwohnung, weil er nicht auch als Beitragsschuldner für die Hauptwohnung angemeldet sei. Mit weiterem Widerspruchsbescheid vom wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Beitragsfestsetzungsbescheid vom zurück. Der Festsetzungsbescheid sei rechtmäßig, da der Kläger die fälligen Beiträge nicht gezahlt habe. In der Folge zahlte der Kläger die rückständigen Rundfunkbeiträge und die Rundfunkbeiträge bis einschließlich Dezember 2019.

3Mit der am erhobenen Klage hat sich der Kläger gegen den Festsetzungsbescheid des Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom gewandt und unter Aufhebung entgegenstehender Bescheide die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für seine Nebenwohnung begehrt. Nachdem der Beklagte dem Befreiungsbegehren mit Bescheid vom im Hinblick auf die Änderung seiner Verwaltungspraxis im Vorgriff auf den 23. Rundfunkänderungsstaatsvertrag ab dem nachgekommen ist, haben die Beteiligten insoweit übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache teilweise für erledigt erklärt. Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom das Verfahren eingestellt, soweit der Kläger die Befreiung ab November 2019 beantragt hat, die Bescheide vom 1. und in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom (gemeint: 2019) aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, den Kläger von der Rundfunkbeitragspflicht hinsichtlich der Zweitwohnung in O. ab dem 20. Juni (gemeint: Juli) 2018 bis Oktober 2019 zu befreien.

4Das Oberverwaltungsgericht hat mit Urteil vom unter Änderung und Neufassung des erstinstanzlichen Urteils das Verfahren eingestellt, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, und die Klage abgewiesen. Die Berufung des Beklagten sei begründet.

5Dem Kläger stehe kein Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für seine Nebenwohnung für den genannten Zeitraum zu und die Ablehnung der Befreiung sowie der Festsetzungsbescheid verletzten ihn nicht in seinen Rechten. Die Voraussetzungen der als Anspruchsgrundlage einzig in Betracht kommenden Überleitungsregelung im Tenor des u. a. - lägen nicht vor. Aus deren Wortlaut sowie ihrem Sinn und Zweck folge, dass ein Ehegatte die Befreiung von dem Rundfunkbeitrag für eine von ihm gehaltene Nebenwohnung nicht verlangen könne, wenn nicht er, sondern der andere Ehepartner den Rundfunkbeitrag für die gemeinsame Hauptwohnung entrichte.

6Der dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zugrundeliegende Fall habe einen abweichenden Sachverhalt betroffen. Dort sei das Beitragskonto für die Hauptwohnung auf den Namen der die Nebenwohnung bewohnenden Person geführt worden. Aus dem Wortlaut des Urteilstenors zu 1 ergäbe sich, dass derjenige seiner Rundfunkbeitragspflicht nachkomme, der "zur Leistung von Rundfunkbeiträgen herangezogen", mithin auf Zahlung in Anspruch genommen werde. Wer herangezogen werde, bestimmten die Inhaber der Wohnung durch ihre Anmeldung gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 RBStV selbst. Erst nach erfolgloser Inanspruchnahme des angemeldeten Wohnungsinhabers dürfe die Rundfunkanstalt die Daten weiterer Inhaber erheben und jene heranziehen. Bei Mehrpersonenhaushalten werde daher nur diejenige Person herangezogen, auf deren Namen das Beitragskonto geführt werde. Dem Urteil lasse sich weiter entnehmen, dass "Entrichten" gleichbedeutend sei mit "Nachkommen" und es sich hierbei um das perspektivische Gegenstück zur "Heranziehung" handele. Dabei sei nicht erforderlich, dass die herangezogene Person den Beitrag selbst entrichte. Ausreichend sei die Zahlung durch Dritte auf Rechnung der herangezogenen Person ("Fürzahler"), wobei es sich dann nach dem objektiven Empfängerhorizont um die Tilgung der Beitragsschuld der herangezogenen Person handele.

7Auf das Rechtsverhältnis der in Mehrpersonenhaushalten lebenden Personen untereinander komme es nicht an. Es sei unerheblich, ob im Innenverhältnis Ausgleichsansprüche gemäß § 426 Abs. 1 BGB bestünden. Diese wirkten sich nicht auf die Frage aus, wer der Beitragspflicht nachkomme. Die gegenteilige Ansicht übersehe die Bedeutungsgleichheit von "nachkommen", "entrichten" und "herangezogen werden". Die Bezugnahme in der Überleitungsregelung auf § 2 Abs. 3 RBStV müsse so verstanden werden, dass sie sich nur auf einen gesamtschuldnerisch haftenden Beitragsschuldner beziehe, auf dessen Rechnung der Rundfunkbeitrag für die angemeldete Hauptwohnung entrichtet werde.

8Hierfür sprächen auch Sinn und Zweck der Überleitungsregelung, die eine gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende Belastung von Zweitwohnungsinhabern mit einem weiteren Rundfunkbeitrag abzuwenden suche. Der dem Vorteilsausgleich und der Kostendeckung für eine Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen dienende Beitrag werde für die Möglichkeit erhoben, öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu empfangen. Wenn der Rundfunkbeitrag auf Rechnung des einen Ehegatten für die Hauptwohnung entrichtet werde, schöpfe dies allein bei ihm den Vorteil der Empfangsmöglichkeit in jener Wohnung ab. Entrichte der andere Ehepartner den Beitrag für die Nebenwohnung auf seine Rechnung, werde wiederum nur bei diesem der Vorteil abgeschöpft, dort öffentlichen Rundfunk zu empfangen. Deswegen fehle es an einer - verfassungswidrigen - mehrfachen Abschöpfung desselben Vorteils.

9Zwar führe die Entrichtung eines Rundfunkbeitrags durch einen Beitragspflichtigen eines Mehrpersonenhaushalts im Außenverhältnis zur Rundfunkanstalt zum Erlöschen der Beitragspflicht der übrigen gemäß § 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 RBStV i. V. m. § 44 AO gesamtschuldnerisch haftenden Haushaltsmitglieder (§ 44 Abs. 2 Satz 1 AO). Es sei unerheblich, welcher Bewohner als Beitragsschuldner angemeldet sei, weil jeder bis zur vollständigen Bezahlung den Beitrag schulde. Da aber die Rundfunkanstalt erst nach erfolgloser Inanspruchnahme des angemeldeten Beitragsschuldners weitere Inhaber heranziehen dürfe, hätten die nicht leistenden Gesamtschuldner den Vorteil der Rundfunkempfangsmöglichkeit im Außenverhältnis unentgeltlich. Dieses Verständnis werde im Übrigen von § 4a RBStV n. F. bestätigt und sei mit Art. 6 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.

10Ferner sei der Beitragsfestsetzungsbescheid des Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom rechtmäßig. Der Kläger habe für den Zeitraum vom 1. Juli bis zum die für diesen Zeitraum fälligen Rundfunkbeiträge in Höhe von 52,50 € sowie - mangels rechtzeitiger Zahlung - auch den Säumniszuschlag in Höhe von 8 € geschuldet. Er sei nicht von der Rundfunkbeitragspflicht befreit gewesen, ihm habe auch kein Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht zugestanden.

11Mit der vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Das berufungsgerichtliche Verständnis der Übergangsregelung im Tenor des u. a. - sei fehlerhaft. Er, der Kläger, komme seiner Rundfunkbeitragspflicht über seine Ehefrau nach und entrichte so den Rundfunkbeitrag für die Hauptwohnung. Darauf, wer die Wohnung bei dem Beklagten angemeldet habe, komme es nicht an. Er sei als Wohnungsinhaber für die Hauptwohnung zusammen mit seiner Ehefrau Beitragsschuldner in Gesamtschuld und werde deshalb mit einem vollen Rundfunkbeitrag für die Hauptwohnung sowie einem weiteren Beitrag für die Nebenwohnung "belastet". Zum Rundfunkbeitrag werde er somit mehrfach herangezogen. Das Bundesverfassungsgericht differenziere nicht, welcher der Bewohner den Beitrag entrichte. Der Rundfunkbeitrag werde wohnungsbezogen erhoben und sei als abstrakt zu bestimmender personenbezogener Vorteil für alle Wohnungsinhaber als Adressaten des Rundfunkangebotes gleich. Das Innehaben einer Nebenwohnung erhöhe diesen Vorteil nicht, und zwar unabhängig von der Zahl der in der Wohnung lebenden Personen. Das Berufungsurteil verletze Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG. Es sei Eheleuten überlassen, wer den Rundfunkbeitrag entrichte.

12Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom abzuändern und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom zurückzuweisen.

13Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

14Er verteidigt das Berufungsurteil und führt ergänzend aus: Nach den Entscheidungsgründen des liege eine doppelte Inanspruchnahme nur vor, wenn dieselbe Person mehrfach zur Zahlung des Rundfunkbeitrags herangezogen werde. Dem stehe der vom Kläger verwendete Begriff der Belastung gleich. Die Ehefrau des Klägers sei Beitragsschuldnerin für die Hauptwohnung. Ihre Zahlung wirke nur als Erfüllung der gegen sie gerichteten Forderung und habe für den Kläger lediglich schuldbefreiende Wirkung. Da der Kläger für die Wohnung in D. keinen Rundfunkbeitrag leiste, führe § 2 Abs. 3 Satz 1 RBStV in Bezug auf die vom Kläger genutzte Zweitwohnung in O. zu keiner weiteren Entlastung. Soweit das Bundesverfassungsgericht von einer wohnungsbezogenen Erhebung des Rundfunkbeitrags spreche, meine dies nur, dass der Rundfunkbeitrag nicht "pro Kopf" erhoben werde, sondern die typisierende Erfassung des mit dem Rundfunkbeitrag abzugeltenden Vorteils an das Innehaben einer Wohnung anknüpfe. Art. 3 Abs. 1 GG sei nicht verletzt, weil der Kläger und seine Ehefrau auch getrennt voneinander jeweils in der Haupt- und der Nebenwohnung öffentlich-rechtlichen Rundfunk empfangen könnten. Auch eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 GG liege nicht vor, Eheleute würden gegenüber anderen Mehrpersonenhaushalten nicht benachteiligt. § 4a RBStV n. F. diene nicht der Beseitigung von Benachteiligungen von Ehepartnern, sondern setze das Fördergebot aus Art. 6 Abs. 1 GG um.

Gründe

15Die zulässige Revision des Klägers ist überwiegend begründet. Zu Recht hat das Berufungsgericht die auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht gerichtete Verpflichtungsklage sowie die gegen den Festsetzungsbescheid erhobene Anfechtungsklage als zulässig angesehen (1.). Das angefochtene Urteil beruht jedoch auf einer Verletzung revisiblen Rechts im Sinne des § 137 Abs. 1 VwGO, soweit es die Verpflichtungsklage als unbegründet erachtet hat (2.). Demgegenüber hat das Anfechtungsbegehren des Klägers in der Sache keinen Erfolg. Insoweit ist die Revision unbegründet und nach § 144 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen (3.).

161. Der Kläger macht in gemäß § 44 VwGO zulässiger objektiver Klagehäufung zwei Begehren gegen die beklagte Rundfunkanstalt geltend: Soweit es ihm auf die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für seine Zweitwohnung ankommt, handelt es sich um eine statthafte und auch sonst zulässige Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO). Die Befreiung ist ihm gegenüber mit Schreiben des Beitragsservice von ARD, ZDF und Deutschlandradio vom abgelehnt worden. Infolge des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom ist jenes Schreiben als Verwaltungsakt anzusehen, weil es darin mehrfach als "Bescheid" bezeichnet und überdies der Widerspruch nicht als unstatthaft, sondern als unbegründet zurückgewiesen worden ist. Der Beklagte hat das Schreiben damit selbst als Bescheid aufgefasst. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Widerspruchsbescheid eine schlichte Willenserklärung in einen Verwaltungsakt umgestalten (vgl. 8 C 21.86 - BVerwGE 78, 3 <4 f.>, vom - 10 A 1.91 - Buchholz 232 § 87 BBG Nr. 65 S. 6, vom - 10 A 1.94 - BVerwGE 100, 206 <207 f.> und vom - 9 C 2.11 - BVerwGE 140, 245 Rn. 20). Daneben begehrt der Kläger die Aufhebung des Festsetzungsbescheides vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom . Insoweit ist die Anfechtungsklage zulässig (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO).

172. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht die Verpflichtungsklage des Klägers als unbegründet angesehen. Die Ablehnung der Befreiung durch den Bescheid des Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat einen Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für seine Zweitwohnung in O. im Zeitraum vom bis zum . Dies hat bereits das Verwaltungsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt. Der gegenteiligen Würdigung des Berufungsgerichts liegt ein zu enges Verständnis der - nach § 13 RBStV revisibles Recht betreffenden - Übergangsregelung im u. a. - zugrunde. Hierauf beruht das angefochtene Urteil (§ 137 Abs. 1 VwGO).

18Nach ständiger Rechtsprechung des Senats bestimmen Beginn und Ende der Beitragspflicht gemäß § 2 Abs. 1 und 2 Satz 1 RBStV den maßgeblichen Zeitpunkt für die Sach- und Rechtslage bei Rundfunkbeitragsbescheiden ( 6 C 10.18 - BVerwGE 167, 20 Rn. 10 m. w. N.). Das ist hier der Zeitraum vom bis zum . Entscheidend sind danach die Vorschriften des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags vom (SächsGVBl. 2011 S. 640 ff. und 2012 S. 62) in der Fassung des 21. Rundfunkänderungsstaatsvertrags (SächsGVBl. 2018 S. 159 ff. und S. 293), die vom bis zum galten, sowie des 22. Rundfunkänderungsstaatsvertrags (SächsGVBl. 2019 S. 211 ff. und S. 354), die zum in Kraft getreten sind - RBStV. Die danach anzuwendenden Bestimmungen des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags enthalten keinen Befreiungstatbestand für Inhaber von Zweitwohnungen. Zutreffend hat das Berufungsgericht deshalb in der Übergangsregelung im u. a. - (BVerfGE 149, 222) die einzig in Betracht kommende Anspruchsgrundlage für die vom Kläger begehrte Befreiung gesehen.

19Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Urteil entschieden, dass die Zustimmungsgesetze und Zustimmungsbeschlüsse der Länder zu Art. 1 des 15. Staatsvertrags zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge vom , soweit sie § 2 Abs. 1 RBStV in Landesrecht überführen, mit Art. 3 Abs. 1 GG insoweit unvereinbar sind, als Inhaber mehrerer Wohnungen über den Beitrag für eine Wohnung hinaus zur Leistung von Rundfunkbeiträgen herangezogen werden. Der Rundfunkbeitrag, der den Vorteil der individuellen Nutzungsmöglichkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks abgelte, werde zwar in grundsätzlich nicht zu beanstandender Weise anknüpfend an die Wohnungsinhaberschaft erhoben. Die dabei entstehenden Ungleichheiten erreichten nicht eine solche Qualität oder ein solches Ausmaß, dass sie verfassungsrechtlich zu beanstanden wären. Allerdings verstoße die Beitragsbemessung insoweit gegen den Grundsatz der Belastungsgleichheit, als ein Rundfunkbeitrag auch für die Inhaberschaft von Zweitwohnungen erhoben werde. Soweit Wohnungsinhaber nach dem zur Prüfung gestellten Regelungsgefüge für eine Wohnung schon zur Leistung eines Rundfunkbeitrags herangezogen worden seien, sei der Vorteil bereits abgegolten. Dieselbe Person dürfe für die Möglichkeit der privaten Rundfunknutzung nicht zu insgesamt mehr als einem vollen Beitrag herangezogen werden ( u. a. - BVerfGE 149, 222 Rn. 73 ff.).

20Gleichwohl hat das Bundesverfassungsgericht angeordnet, dass das geltende Rundfunkbeitragsrecht vorübergehend fortgelten soll, allerdings in modifizierter Weise: Das bisherige Recht ist bis zu einer Neuregelung mit der Maßgabe weiter anwendbar, dass ab dem Tag der Verkündung jenes Urteils bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung diejenigen Personen, die nachweislich als Inhaber einer Wohnung ihrer Rundfunkbeitragspflicht nach § 2 Abs. 1 und 3 RBStV nachkommen, auf Antrag von einer Beitragspflicht für weitere Wohnungen zu befreien sind. Ist über Rechtsbehelfe noch nicht abschließend entschieden, kann ein solcher Antrag rückwirkend für den Zeitraum gestellt werden, der Gegenstand des jeweils angegriffenen Festsetzungsbescheides ist. Die Gesetzgeber hat es verpflichtet, spätestens zum eine Neuregelung zu treffen ( u. a. - BVerfGE 149, 222 <224 im Tenor zu 2 und 3>).

21Bei dieser Übergangsregelung handelt es sich um eine modifizierte Fortgeltungsanordnung, die das Bundesverfassungsgericht - obschon im Urteil nicht ausdrücklich so bezeichnet - auf der Grundlage von § 35 BVerfGG getroffen hat. Ihr kommt gemäß § 31 BVerfGG Bindungswirkung zu (a.). Der Inhalt der übergangsweise geltenden Regelung ist aus dem Urteil selbst zu bestimmen (b.). Ausgehend hiervon erweist sich die Annahme des Berufungsgerichts, die Anordnung gewähre einem Ehepartner, der eine Nebenwohnung innehat, keinen Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht, wenn der andere Ehegatte den Rundfunkbeitrag für die gemeinsam bewohnte Hauptwohnung entrichte, als fehlerhaft. Vielmehr sind Inhaber weiterer Wohnungen auf Antrag von der Rundfunkbeitragspflicht zu befreien, ohne dass es darauf ankommt, auf welchen Namen das Beitragskonto einer von mehreren Wohnungsinhabern bewohnten Hauptwohnung bei der Rundfunkanstalt geführt wird (c.).

22a. Das Bundesverfassungsgericht hat auf der Grundlage von § 35 BVerfGG die Befugnis, für eine Übergangszeit die Weitergeltung einer für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärten Norm - auch mit inhaltlichen Modifizierungen - anzuordnen. Es trifft von Amts wegen, somit unabhängig von Anträgen oder Anregungen, alle Anordnungen, die erforderlich sind, um seinen ein Verfahren abschließenden Sachentscheidungen Geltung zu verschaffen ( - BVerfGE 6, 300 <303>). Das Gericht ist insbesondere befugt, über die bloße Anordnung der Fortgeltung eines als verfassungswidrig erkannten Rechts hinaus die materielle Rechtslage jenseits einer kassatorischen Entscheidung übergangsweise positiv gestaltend zu regeln (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom - 1 BvL 83/86, 24/88 - BVerfGE 84, 9 <21 ff.> und vom - 2 BvF 1/92 - BVerfGE 93, 37 <85>; Urteil vom - 1 BvR 3262/07 u. a. - BVerfGE 121, 317 <376 ff.>; Heusch, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2. Aufl. 2022, § 31 Rn. 82; Burkiczak, in: ebd., § 35 Rn. 18 m. w. N.). Hiervon hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom Gebrauch gemacht, indem es die um einen Befreiungstatbestand ergänzte befristete Fortgeltung der rundfunkbeitragsrechtlichen Regelungen angeordnet hat. Die bundesverfassungsgerichtliche Übergangsregelung entfaltet gemäß § 31 BVerfGG eine über den Einzelfall hinausgehende Bindungswirkung für alle Behörden und Gerichte (vgl. 6 A 3.05 - Buchholz 452.00 § 14 VAG Nr. 5 Rn. 26).

23b. Der Inhalt einer Übergangsregelung ist aus dem bundesverfassungsgerichtlichen Urteil selbst zu bestimmen. Denn eine Vollstreckungsanordnung nach § 35 BVerfGG bleibt ein Akt der Rechtsprechung und wird nicht selbst zu einem Gesetz (vgl. Heusch, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2. Aufl. 2022, § 31 Rn. 73). Die Heranziehung der für Rechtsnormen geltenden Auslegungsregeln kommt deswegen nicht in Betracht. Vielmehr sind Art, Maß und Inhalt einer Vollstreckungsanordnung abhängig vom Inhalt der zu vollstreckenden

Sachentscheidung sowie von den konkreten Verhältnissen, unter denen diese umzusetzen ist (BVerfG, Beschlüsse vom - 1 BvB 2/51 - BVerfGE 6, 300 <303 f.> und vom - 2 BvR 1651/15, 2006/15 - BVerfGE 158, 89 Rn. 76).

24Auch wenn eine Vollstreckungsanordnung ausschließlich auf die Durchsetzung der Sachentscheidung ausgerichtet ist und dadurch begrenzt wird (BVerfG, Beschlüsse vom - 1 BvB 2/51 - BVerfGE 6, 300 <303 f.> und vom - 2 BvR 1651/15, 2006/15 - BVerfGE 158, 89 Rn. 77 m. w. N.), schließt dies Pauschalierungen des Bundesverfassungsgerichts bei der Schaffung von Übergangsregelungen nicht aus. Eine typisierende Betrachtung ist dem Bundesverfassungsgericht im Rahmen des § 35 BVerfGG nicht verwehrt (vgl. u. a. - BVerfGE 121, 317 <376 f.>). Dem Bundesverfassungsgericht ist auch unbenommen, bei der Schaffung einer Übergangsregelung an maßstabsbildende Entscheidungen des Gesetzgebers in ähnlichen Fallgestaltungen anzuknüpfen (vgl. u. a. - BVerfGE 99, 300 <304, 321 f., 331 f.> m. w. N.; 2 C 20.16 - BVerwGE 161, 297 Rn. 23 ff.). Eine pauschalierende Übergangsregelung gewährleistet umfassend, den festgestellten Verfassungsverstoß zu vermeiden. Hinzu kommt weiter, dass Verwaltungspraktikabilitätserwägungen in dem Zeitraum bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber Rechnung getragen werden kann, wenn eine Zwischenregelung mit geringerem Verwaltungsaufwand umzusetzen ist. Überdies reduziert eine für die Verwaltung handhabbare und für die Bürger überschaubare Übergangslösung auch die Wahrscheinlichkeit, dass es in dem Interimszeitraum zu Fehlentscheidungen kommt, die den Anlass für neue Rechtsstreitigkeiten bieten könnten. Der daraus resultierende Übergriff auf den Kompetenzbereich des Gesetzgebers ist hinnehmbar, wenn die Übergangsregelungen - dem Verhältnismäßigkeitsprinzip folgend - erforderlich sind, namentlich um einen sonst drohenden noch verfassungswidrigeren Zustand abzuwenden (Burmeister, in: Barczak, BVerfGG, 2018, § 35 Rn. 13). Zudem wird der Übergriff dadurch abgemildert, dass das Bundesverfassungsgericht die Vollstreckungsanordnung unter größtmöglicher Schonung des aktuellen gesetzgeberischen Willens trifft und dessen Regelungskonzept so weit als möglich erhält (vgl. - BVerfGE 93, 37 <85> und Urteil vom - 1 BvR 3262/07 u. a. - BVerfGE 121, 317 <376> m. w. N.).

25c. In Anwendung dieses Maßstabs zur Bestimmung des Inhalts einer vom Bundesverfassungsgericht getroffenen Anordnung erweist sich das berufungsgerichtliche Verständnis des Befreiungstatbestandes im u. a. - als zu eng. Inhaber mehrerer Wohnungen sind aufgrund dieser Übergangsregelung auf Antrag von der Rundfunkbeitragspflicht zu befreien. Unerheblich ist hierfür, auf welchen Namen das Beitragskonto einer von mehreren Wohnungsinhabern bewohnten Hauptwohnung bei der Rundfunkanstalt geführt wird. Die verfassungsgerichtliche Übergangsregelung ist wegen ihres Wortlauts (aa.) und aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität (bb.) weit zu verstehen. Darüber hinaus hängt es oftmals vom Zufall ab, wer bei mehreren Wohnungsinhabern der Anzeigepflicht des § 8 Abs. 1 Satz 1 RBStV nachkommt, deren Erfüllung durch einen Beitragsschuldner gemäß § 8 Abs. 3 RBStV auch für die übrigen Beitragsschuldner der Wohnung wirkt (cc.). Wird ein weites Verständnis zugrundegelegt, gewährleistet die Übergangsregelung umfassend, dass Inhaber mehrerer Wohnungen nicht über einen vollen Beitrag hinaus in Anspruch genommen werden und damit der vom Bundesverfassungsgericht festgestellte Verstoß gegen den aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleiteten Grundsatz der Belastungsgleichheit vermieden wird.

26Hiervon unberührt bleibt der Gestaltungsspielraum der Gesetzgeber bei einer Neuregelung, die diese mit den Änderungen des 23. Rundfunkänderungsstaatsvertrags zum in § 4a RBStV n. F. getroffen haben (SächsGVBl. 2020 S. 195 ff. und S. 329).

27aa. Nach dem Wortlaut der Übergangsregelung sind diejenigen Personen auf Antrag von einer Beitragspflicht für weitere Wohnungen zu befreien, die nachweislich als Inhaber einer Wohnung ihrer Rundfunkbeitragspflicht nach § 2 Abs. 1 und 3 RBStV nachkommen. Das Verb "nachkommen" wird in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht näher erläutert. Nach seinem Wortsinn beschreibt "nachkommen" die Erfüllung oder Vollziehung desjenigen, was ein anderer von einem wünscht oder verlangt (Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 9. Aufl. 2019). Das Gewünschte oder Verlangte wird in der übergangsweise geltenden Regelung klar bezeichnet: Es ist die "Rundfunkbeitragspflicht nach § 2 Absatz 1 und 3 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags", der nachweislich nachgekommen werden muss. Das Verb "nachkommen" wird allein auf die in § 2 Abs. 1 und 3 RBStV normierte Beitragspflicht bezogen.

28Nach § 2 Abs. 1 RBStV ist im privaten Bereich für jede Wohnung von deren Inhaber (Beitragsschuldner) ein Rundfunkbeitrag zu entrichten. § 2 Abs. 3 Satz 1 RBStV bestimmt, dass mehrere Beitragsschuldner als Gesamtschuldner entsprechend § 44 der Abgabenordnung - AO - haften. Jeder schuldet den Rundfunkbeitrag in voller Höhe. Dieser ist insgesamt aber nur einmal zu bezahlen, weil jede Zahlung auch für die übrigen Beitragsschuldner wirkt (sogenannte Erfüllungswirkung, § 44 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 AO). Mit diesem Regelungssystem hat das Bundesverfassungsgericht die von ihm statuierte Befreiungsregelung verknüpft. Dagegen lassen seine Ausführungen nicht erkennen, dass es für die Inanspruchnahme der Befreiungsregelung für weitere Wohnungen auf die Frage ankommt, welcher Beitragsschuldner sich in einer von mehreren gemeinsam bewohnten Hauptwohnung bei der Rundfunkanstalt nach § 8 RBStV angemeldet hat.

29Die Inbezugnahme des § 2 Abs. 3 RBStV lässt - anders als das Berufungsgericht meint - erkennen, dass das Bundesverfassungsgericht seine Übergangsregelung auch für Mehrpersonenhaushalte getroffen hat. Der konkrete Fall einer Einzelperson, die Inhaber einer Haupt- und einer Nebenwohnung ist, bot für die Nennung des § 2 Abs. 3 RBStV keinen Anlass. Die Verweisung auf § 2 Abs. 3 RBStV in der Übergangsregelung ist daher so zu verstehen, dass es dem Bundesverfassungsgericht insbesondere auch auf die Erfüllungswirkung im Gesamtschuldverhältnis ankam. Sie tritt unmittelbar mit der Erfüllung der Beitragsschuld durch einen Schuldner ein (vgl. § 44 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 AO). In Mehrpersonenhaushalten kommen die verschiedenen Beitragsschuldner ihrer jeweils bestehenden Beitragspflicht schon dadurch nach, indem sie dafür Sorge tragen, dass einer von ihnen die für die Wohnung geschuldete Beitragsschuld erfüllt. Mehr verlangt das Regelungsregime des § 2 Abs. 1 und 3 RBStV nicht von ihnen.

30bb. Das nach dem Wortlaut der von dem Bundesverfassungsgericht getroffenen Anordnung naheliegende Verständnis wird durch Gründe der Verwaltungspraktikabilität gestützt.

31Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, die Gesetzgeber könnten bei einer Neuregelung die gleichheitswidrige Beitragsbelastung von Inhabern mehrerer Wohnungen dadurch beseitigen, dass sie eine antragsgebundene Befreiung von der Beitragspflicht vorsähen oder auf andere Weise sicherstellten, dass Beitragspflichtige nicht mit insgesamt mehr als einem vollen Rundfunkbeitrag belastet würden, etwa durch eine Beschränkung der Beitragspflicht auf Erstwohnungen. In der erstgenannten Hinsicht stünden den Gesetzgebern zwei Modelle zur Verfügung. Sie könnten die Befreiung von einem Nachweis der Anmeldung von Erst- und Zweitwohnung als solche abhängig machen, um Verwaltungsschwierigkeiten zu vermeiden. Sie könnten sich aber auch im Sinne einer engeren Lösung dahingehend verständigen, für solche Zweitwohnungsinhaber von einer Befreiung abzusehen, die die Entrichtung eines vollen Rundfunkbeitrags für die Erstwohnung durch sie selbst nicht nachwiesen. Für die von ihm getroffene Anordnung ist das Bundesverfassungsgericht von einer antragsgebundenen Befreiung ausgegangen ( u. a. - BVerfGE 149, 222 Rn. 111, 155). Es drängt sich auf, dass es dabei dasjenige Modell im Blick gehabt hat, das in der Übergangszeit Verwaltungsschwierigkeiten vermeidet, weil nicht geprüft werden muss, durch wen der Beitrag für die Hauptwohnung gezahlt wird.

32cc. Darüber hinaus kommt für das Verständnis der vom Bundesverfassungsgericht geschaffenen Übergangsregelung auch dem Umstand Bedeutung zu, dass es oftmals vom Zufall abhängt, wer bei mehreren Wohnungsinhabern der Anzeigepflicht des § 8 Abs. 1 Satz 1 RBStV nachkommt, deren Erfüllung durch einen Beitragsschuldner gemäß § 8 Abs. 3 RBStV auch für die übrigen Beitragsschuldner der Wohnung wirkt. Denn es war bislang - abgesehen von Befreiungen und Ermäßigungen nach § 4 Abs. 1 und 2 RBStV, die sich auf bestimmte weitere Wohnungsinhaber erstrecken (§ 4 Abs. 3 RBStV) - rechtlich unerheblich, auf welchen Namen das Beitragskonto bei der Rundfunkanstalt geführt wird. Im Zusammenhang mit der Umstellung des Rundfunkgebührenrechts auf das Rundfunkbeitragsrecht im Jahre 2013 sind in großem Umfang frühere Gebührenkonten der Gebühreneinzugszentrale ohne inhaltliche Änderungen als Beitragskonten fortgeführt worden (vgl. § 14 Abs. 3 RBStV). In dem Massengeschäft des Rundfunkbeitragsrechts kam dem Umstand, wer von mehreren Bewohnern einer Wohnung nach außen gegenüber der Rundfunkanstalt auftritt, keine Bedeutung zu. Vor diesem Hintergrund wäre anzunehmen gewesen, dass das Bundesverfassungsgericht deutlich zu erkennen gegeben hätte, wenn diesem formalen Umstand bei der Übergangsregelung ausschlaggebendes Gewicht beizumessen wäre. Hierfür gibt es im Urteil keine Anhaltspunkte.

33Soweit die Vertreter des Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung erklärt haben, (auch) denjenigen Nebenwohnungsinhabern die Befreiung gewährt zu haben, die zumindest nach Erlass des Urteils des Bundesverfassungsgerichts eine Ummeldung des Beitragskontos der gemeinsam mit anderen bewohnten Hauptwohnung auf ihren Namen veranlasst hätten, führt auch dies nicht zu einer anderen Bewertung. Vielmehr verstärken sich die aufgezeigten Bedenken, weil ein solches Verständnis der Übergangsregelung dazu führen würde, dass die Gewährung der Befreiung allein davon abhängig gemacht würde, ob zumindest nach Erlass des Urteils von dieser formalen Gestaltungsmöglichkeit Gebrauch gemacht worden ist. Es erscheint ausgeschlossen, dass das Bundesverfassungsgericht ein solches Verständnis seiner Übergangsregelung beabsichtigt hat.

34Der inzwischen geltende Befreiungstatbestand in § 4a RBStV n. F., mit dem der Gesetzgeber für die Rechtslage ab dem von seinem Gestaltungsspielraum Gebrauch gemacht hat, gibt für die Deutung der zuvor geltenden bundesverfassungsgerichtlichen Befreiungsregelung nichts her.

35Das Urteil kann insoweit auch nicht nach § 144 Abs. 4 VwGO auf Grund anderer Erwägungen aufrecht erhalten bleiben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (vgl. § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Nach den nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ist die Ehefrau des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum vom bis zum der Rundfunkbeitragspflicht für die gemeinsame Hauptwohnung in D. nachgekommen. Der Kläger erfüllt daher in Bezug auf seine Nebenwohnung in O. für diesen Zeitraum die tatbestandlichen Voraussetzungen der richterrechtlichen Befreiungsregelung. Er ist vom Beklagten insoweit von der Rundfunkbeitragspflicht zu befreien.

363. Hingegen ist die Anfechtungsklage unbegründet. Der Beitragsfestsetzungsbescheid des Beklagten vom in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

37Ermächtigungsgrundlage für die Festsetzung des Rundfunkbeitrags im Zeitraum vom 1. Juli bis zum sind § 2 Abs. 1, § 7 Abs. 3 Satz 1 und 2 i. V. m. § 10 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 6 Satz 1 RBStV. Nach § 2 Abs. 1 RBStV ist im privaten Bereich für jede Wohnung von deren Inhaber (Beitragsschuldner) ein Rundfunkbeitrag zu entrichten. Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 RBStV ist Inhaber einer Wohnung jede volljährige Person, die die Wohnung selbst bewohnt. Nach Satz 2 wird als Inhaber jede Person vermutet, die dort nach dem Melderecht gemeldet oder im Mietvertrag für die Wohnung als Mieter genannt ist. Der Rundfunkbeitrag ist monatlich geschuldet und für jeweils drei Monate zu leisten (§ 7 Abs. 3 Satz 1 und 2 RBStV). Rückständige Beiträge werden durch die zuständige Landesrundfunkanstalt festgesetzt; die Festsetzungsbescheide werden im Verwaltungsvollstreckungsverfahren vollstreckt (§ 10 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 6 Satz 1 RBStV). Der Beklagte hat Änderungen der maßgeblichen Sach- und Rechtslage (nur) bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere für Befreiungen von der Rundfunkbeitragspflicht, die auf Antrag des Beitragsschuldners nach Erlass des Festsetzungsbescheides und vor Abschluss des Widerspruchsverfahrens erteilt werden ( 6 C 10.18 - BVerwGE 167, 20 Rn. 10).

38Die Voraussetzungen für die Beitragspflicht des Klägers im Zeitraum von 1. Juli bis zum lagen vor. Er war als Inhaber seiner Nebenwohnung Beitragsschuldner (§ 2 Abs. 1 und 2 Satz 1 RBStV). Der Rundfunkbeitrag betrug im maßgeblichen Zeitraum monatlich 17,50 €. Die festgesetzten Beiträge für die drei Monate i. H. v. insgesamt 52,50 € waren rückständig (§ 10 Abs. 5 Satz 1 RBStV). Der Kläger war auch nicht aufgrund eines von dem Beklagten vor Abschluss des Verwaltungsverfahrens erlassenen Bescheides von der Beitragspflicht befreit.

39Unerheblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Beitragsfestsetzung ist, ob dem Kläger nach der letzten Verwaltungsentscheidung über die Festsetzung ein Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht zuerkannt wird. Erstreckt sich in diesem Fall die Befreiung rückwirkend ganz oder teilweise auf den Zeitraum des Beitragsfestsetzungsbescheides, wird die ursprünglich rechtmäßige Festsetzung rückständiger Rundfunkbeiträge unrichtig, weil eine Befreiung die Beitragspflicht für den von ihr erfassten Zeitraum entfallen lässt. Der Festsetzungsbescheid wird im Umfang der zeitlichen Übereinstimmung von Festsetzung und Befreiung rechtswidrig, so dass er insoweit von der Rundfunkanstalt aufzuheben ist (vgl. 6 C 10.18 - BVerwGE 167, 20 Rn. 13 m. w. N.). Mit der Erteilung der Befreiung ist der Beklagte deshalb verpflichtet, den Festsetzungsbescheid des Klägers aufzuheben.

40Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2023:250123U6C9.21.0

Fundstelle(n):
HAAAJ-38701