BVerwG Urteil v. - 6 C 6/21

Übergangsweise Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für Zweitwohnungen

Leitsatz

Nach der Übergangsregelung im u. a. - sind Inhaber weiterer Wohnungen auf Antrag von der Rundfunkbeitragspflicht zu befreien, wenn für ihre Hauptwohnung der Beitrag entrichtet wird. Unerheblich ist hierfür, auf welchen Inhaber das Beitragskonto für die Hauptwohnung bei der Rundfunkanstalt geführt wird.

Gesetze: Art 3 Abs 1 GG, § 2 Abs 1 RdFunkBeitrStVtr SN vom , § 2 Abs 3 RdFunkBeitrStVtr SN vom , § 8 Abs 1 S 1 RdFunkBeitrStVtr SN vom , § 8 Abs 3 RdFunkBeitrStVtr SN vom , § 44 Abs 1 S 2 AO, § 44 Abs 2 S 1 AO, § 35 BVerfGG

Instanzenzug: Sächsisches Oberverwaltungsgericht Az: 5 A 376/20 Urteilvorgehend VG Dresden Az: 2 K 1721/19 Urteil

Tatbestand

1Der verheiratete Kläger begehrt die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für seine Nebenwohnung im Zeitraum vom bis zum vor dem Hintergrund der Übergangsregelung, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom - 1 BvR 1675/16 u. a. - (BVerfGE 149, 222) zu § 2 Abs. 1 und 3 RBStV getroffen hat. Er wohnt mit seiner Ehefrau in einer Wohnung in D., die melderechtlich ihre gemeinsame Hauptwohnung ist. Diese Wohnung war im streitigen Zeitraum unter dem Namen seiner Ehefrau als Rundfunkbeitragspflichtige angemeldet. Nachdem der Kläger im Frühjahr 2018 auf eine Anfrage des Beklagten, ob für jene Wohnung der Rundfunkbeitrag entrichtet werde, nicht reagierte, meldete der Beklagte die Wohnung ab dem unter dem Namen des Klägers nochmals an. Der Kläger hält zudem eine Nebenwohnung in B., für die der Beklagte ihn ebenfalls ab dem als rundfunkbeitragspflichtig anmeldete.

2In der Folge teilten die Eheleute dem Beklagten mit, dass für die gemeinsame Hauptwohnung bereits ein auf den Namen der Ehefrau laufendes Beitragskonto bestehe. Der Beklagte meldete daraufhin eines der beiden unter dem Namen des Klägers geführten Beitragskonten wieder ab, allerdings infolge eines Versehens dasjenige für die Nebenwohnung in B., und erstattete ihm teilweise die eingezogenen Beiträge. Als der Beklagte das Versehen bemerkte, stellte er das für die Hauptwohnung geführte Konto auf die Nebenwohnung des Klägers um. Der Kläger forderte in mehreren Schreiben die Erstattung der übrigen für die Nebenwohnung eingezogenen Beiträge sowie die Übernahme der Kosten für die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts in Höhe von 83,54 €. Die Übernahme der Rechtsanwaltskosten lehnte der Beklagte ab. Im Übrigen behandelte er die Erstattungsforderung des Klägers als Antrag auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für die Nebenwohnung und lehnte diesen mit Bescheid vom ab. Das enthalte die Voraussetzung, dass Haupt- und Nebenwohnung auf dieselbe Person angemeldet sein müssten. Dies sei beim Kläger nicht der Fall. Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom zurück.

3Mit der am erhobenen Klage hat der Kläger zunächst begehrt, ihn unter Aufhebung der ablehnenden Bescheide des Beklagten von der Rundfunkbeitragspflicht für seine Nebenwohnung in B. zu befreien sowie den Beklagten zur Erstattung der vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen zu verpflichten. Nachdem der Beklagte den Kläger im Hinblick auf die Änderung seiner Verwaltungspraxis im Vorgriff auf den 23. Rundfunkänderungsstaatsvertrag ab dem von der Rundfunkbeitragspflicht für die Nebenwohnung befreit hat, haben die Beteiligten den Rechtsstreit für den Zeitraum ab November 2019 übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt. Daraufhin hat der Kläger noch beantragt, den Bescheid vom in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Kläger von der Rundfunkbeitragspflicht für die Wohnung in B. hinsichtlich des Zeitraums vom bis Oktober 2019 zu befreien, sowie den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 83,54 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

4Mit Urteil vom hat das Verwaltungsgericht das Verfahren eingestellt, soweit die Beteiligten es übereinstimmend für erledigt erklärt haben, und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom verpflichtet, den Kläger von der Rundfunkbeitragspflicht für die Nebenwohnung hinsichtlich des Zeitraums vom bis Oktober 2019 zu befreien. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat mit Urteil vom unter Änderung und Neufassung des erstinstanzlichen Urteils das Verfahren eingestellt, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht und die Ablehnung der Befreiung verletze ihn nicht in seinen Rechten. Die Voraussetzungen der als Rechtsgrundlage einzig in Betracht kommenden Überleitungsregelung im Tenor des u. a. - lägen nicht vor. Aus deren Wortlaut sowie ihrem Sinn und Zweck folge, dass ein Ehegatte die Befreiung von dem Rundfunkbeitrag für eine von ihm gehaltene Nebenwohnung nicht verlangen könne, wenn nicht er, sondern der andere Ehepartner den Rundfunkbeitrag für die gemeinsame Hauptwohnung entrichte.

5Der dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zugrundeliegende Fall habe einen abweichenden Sachverhalt betroffen. Dort sei das Beitragskonto für die Hauptwohnung auf den Namen der die Nebenwohnung bewohnenden Person geführt worden. Aus dem Wortlaut des Urteilstenors zu 1 ergäbe sich, dass derjenige seiner Rundfunkbeitragspflicht nachkomme, der "zur Leistung von Rundfunkbeiträgen herangezogen", mithin auf Zahlung in Anspruch genommen werde. Wer herangezogen werde, bestimmten die Inhaber der Wohnung durch ihre Anmeldung gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 RBStV selbst. Erst nach erfolgloser Inanspruchnahme des angemeldeten Wohnungsinhabers dürfe die Rundfunkanstalt die Daten weiterer Inhaber erheben und jene heranziehen. Bei Mehrpersonenhaushalten werde daher nur diejenige Person herangezogen, auf deren Namen das Beitragskonto geführt werde. Dem Urteil lasse sich weiter entnehmen, dass "Entrichten" gleichbedeutend sei mit "Nachkommen" und es sich hierbei um das perspektivische Gegenstück zur "Heranziehung" handele. Dabei sei nicht erforderlich, dass die herangezogene Person den Beitrag selbst entrichte. Ausreichend sei die Zahlung durch Dritte auf Rechnung der herangezogenen Person ("Fürzahler"), wobei es sich dann nach dem objektiven Empfängerhorizont um die Tilgung der Beitragsschuld der herangezogenen Person handele.

6Auf das Rechtsverhältnis der in Mehrpersonenhaushalten lebenden Personen untereinander komme es nicht an. Es sei unerheblich, ob im Innenverhältnis Ausgleichsansprüche gemäß § 426 Abs. 1 BGB bestünden. Diese wirkten sich nicht auf die Frage aus, wer der Beitragspflicht nachkomme. Die gegenteilige Ansicht übersehe die Bedeutungsgleichheit von "nachkommen", "entrichten" und "herangezogen werden". Die Bezugnahme in der Überleitungsregelung auf § 2 Abs. 3 RBStV müsse so verstanden werden, dass sie sich nur auf einen gesamtschuldnerisch haftenden Beitragsschuldner beziehe, auf dessen Rechnung der Rundfunkbeitrag für die angemeldete Hauptwohnung entrichtet werde.

7Hierfür sprächen auch Sinn und Zweck der Überleitungsregelung, die eine gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende Belastung von Zweitwohnungsinhabern mit einem weiteren Rundfunkbeitrag abzuwenden suche. Der dem Vorteilsausgleich und der Kostendeckung für eine Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen dienende Beitrag werde für die Möglichkeit erhoben, öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu empfangen. Wenn der Rundfunkbeitrag auf Rechnung des einen Ehegatten für die Hauptwohnung entrichtet werde, schöpfe dies allein bei ihm den Vorteil der Empfangsmöglichkeit in jener Wohnung ab. Entrichte der andere Ehepartner den Beitrag für die Nebenwohnung auf seine Rechnung, werde wiederum nur bei diesem der Vorteil abgeschöpft, dort öffentlichen Rundfunk zu empfangen. Deswegen fehle es an einer - verfassungswidrigen - mehrfachen Abschöpfung desselben Vorteils.

8Zwar führe die Entrichtung eines Rundfunkbeitrags durch einen Beitragspflichtigen eines Mehrpersonenhaushalts im Außenverhältnis zur Rundfunkanstalt zum Erlöschen der Beitragspflicht der übrigen gemäß § 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 RBStV i. V. m. § 44 AO gesamtschuldnerisch haftenden Haushaltsmitglieder (§ 44 Abs. 2 Satz 1 AO). Es sei unerheblich, welcher Bewohner als Beitragsschuldner angemeldet sei, weil jeder bis zur vollständigen Bezahlung den Beitrag schulde. Da aber die Rundfunkanstalt erst nach erfolgloser Inanspruchnahme des angemeldeten Beitragsschuldners weitere Inhaber heranziehen dürfe, hätten die nicht leistenden Gesamtschuldner den Vorteil der Rundfunkempfangsmöglichkeit im Außenverhältnis unentgeltlich. Dieses Verständnis werde im Übrigen von § 4a RBStV n. F. bestätigt und sei mit Art. 6 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.

9Mit der von dem Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Er rügt ein unzutreffendes vorinstanzliches Verständnis der Übergangsregelung im Tenor des u. a. - sowie von Art. 6 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG. Die Belastung des Inhabers einer Nebenwohnung mit dem Rundfunkbeitrag sei unzulässig, wenn der Rundfunkbeitrag für dessen Hauptwohnung gezahlt werde. Der Wortlaut der Übergangsregelung stelle nicht darauf ab, welcher Inhaber der Hauptwohnung den Beitrag entrichte.

10Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom abzuändern und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom zurückzuweisen.

11Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

12Er verteidigt das Berufungsurteil und führt ergänzend aus: Nach den Entscheidungsgründen des liege eine doppelte Inanspruchnahme nur vor, wenn dieselbe Person mehrfach zur Zahlung des Rundfunkbeitrags herangezogen werde. Der Kläger leiste jedoch für die Hauptwohnung keinen Rundfunkbeitrag. Art. 3 Abs. 1 GG sei nicht verletzt, weil der Kläger und seine Ehefrau auch getrennt voneinander jeweils in der Haupt- und der Nebenwohnung öffentlich-rechtlichen Rundfunk empfangen könnten. Auch eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 GG liege nicht vor, Eheleute würden gegenüber anderen Mehrpersonenhaushalten nicht benachteiligt. § 4a RBStV n. F. diene nicht der Beseitigung von Benachteiligungen von Ehepartnern, sondern setze das Fördergebot aus Art. 6 Abs. 1 GG um.

Gründe

13Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Das Berufungsurteil beruht auf einer Verletzung von revisiblem Recht im Sinne des § 137 Abs. 1 VwGO (1.). Es stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Da es für die Entscheidung in der Sache keiner weiteren tatsächlichen Feststellungen bedarf, kann sie der Senat gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO selbst treffen (2.).

141. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht die auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht gerichtete zulässige Verpflichtungsklage des Klägers als unbegründet angesehen. Die Ablehnung der Befreiung durch den Bescheid des Beklagten vom in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat einen Anspruch auf Befreiung von der Beitragspflicht für seine Zweitwohnung in B. im Zeitraum vom bis zum . Dies hat bereits das Verwaltungsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt. Der gegenteiligen Würdigung des Berufungsgerichts liegt ein zu enges Verständnis der - nach § 13 RBStV revisibles Recht betreffenden - Übergangsregelung im u. a. - zugrunde. Hierauf beruht das angefochtene Urteil (§ 137 Abs. 1 VwGO).

15Nach ständiger Rechtsprechung des Senats bestimmen Beginn und Ende der Beitragspflicht gemäß § 2 Abs. 1 und 2 Satz 1 RBStV den maßgeblichen Zeitpunkt für die Sach- und Rechtslage bei Rundfunkbeitragsbescheiden ( 6 C 10.18 - BVerwGE 167, 20 Rn. 10 m. w. N.). Das ist hier der Zeitraum vom bis zum . Entscheidend sind danach die Vorschriften des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags vom (SächsGVBl. 2011 S. 640 ff. und 2012 S. 62) in der Fassung des 21. Rundfunkänderungsstaatsvertrags (SächsGVBl. 2018 S. 159 ff. und S. 293), die vom bis zum galten, sowie des 22. Rundfunkänderungsstaatsvertrags (SächsGVBl. 2019 S. 211 ff. und S. 354), die zum in Kraft getreten sind - RBStV. Die danach anzuwendenden Bestimmungen des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags enthalten keinen Befreiungstatbestand für Inhaber von Zweitwohnungen. Zutreffend hat das Berufungsgericht deshalb in der Übergangsregelung im u. a. - (BVerfGE 149, 222) die einzig in Betracht kommende Anspruchsgrundlage für die vom Kläger begehrte Befreiung gesehen.

16Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Urteil entschieden, dass die Zustimmungsgesetze und Zustimmungsbeschlüsse der Länder zu Art. 1 des 15. Staatsvertrags zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge vom , soweit sie § 2 Abs. 1 RBStV in Landesrecht überführen, mit Art. 3 Abs. 1 GG insoweit unvereinbar sind, als Inhaber mehrerer Wohnungen über den Beitrag für eine Wohnung hinaus zur Leistung von Rundfunkbeiträgen herangezogen werden. Der Rundfunkbeitrag, der den Vorteil der individuellen Nutzungsmöglichkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks abgelte, werde zwar in grundsätzlich nicht zu beanstandender Weise anknüpfend an die Wohnungsinhaberschaft erhoben. Die dabei entstehenden Ungleichheiten erreichten nicht eine solche Qualität oder ein solches Ausmaß, dass sie verfassungsrechtlich zu beanstanden wären. Allerdings verstoße die Beitragsbemessung insoweit gegen den Grundsatz der Belastungsgleichheit, als ein Rundfunkbeitrag auch für die Inhaberschaft von Zweitwohnungen erhoben werde. Soweit Wohnungsinhaber nach dem zur Prüfung gestellten Regelungsgefüge für eine Wohnung schon zur Leistung eines Rundfunkbeitrags herangezogen worden seien, sei der Vorteil bereits abgegolten. Dieselbe Person dürfe für die Möglichkeit der privaten Rundfunknutzung nicht zu insgesamt mehr als einem vollen Beitrag herangezogen werden ( u. a. - BVerfGE 149, 222 Rn. 73 ff.).

17Gleichwohl hat das Bundesverfassungsgericht angeordnet, dass das geltende Rundfunkbeitragsrecht vorübergehend fortgelten soll, allerdings in modifizierter Weise: Das bisherige Recht ist bis zu einer Neuregelung mit der Maßgabe weiter anwendbar, dass ab dem Tag der Verkündung jenes Urteils bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung diejenigen Personen, die nachweislich als Inhaber einer Wohnung ihrer Rundfunkbeitragspflicht nach § 2 Abs. 1 und 3 RBStV nachkommen, auf Antrag von einer Beitragspflicht für weitere Wohnungen zu befreien sind. Ist über Rechtsbehelfe noch nicht abschließend entschieden, kann ein solcher Antrag rückwirkend für den Zeitraum gestellt werden, der Gegenstand des jeweils angegriffenen Festsetzungsbescheides ist. Die Gesetzgeber hat es verpflichtet, spätestens zum eine Neuregelung zu treffen ( u. a. - BVerfGE 149, 222 <224 im Tenor zu 2 und 3>).

18Bei dieser Übergangsregelung handelt es sich um eine modifizierte Fortgeltungsanordnung, die das Bundesverfassungsgericht - obschon im Urteil nicht ausdrücklich so bezeichnet - auf der Grundlage von § 35 BVerfGG getroffen hat. Ihr kommt gemäß § 31 BVerfGG Bindungswirkung zu (a.). Der Inhalt der übergangsweise geltenden Regelung ist aus dem Urteil selbst zu bestimmen (b.). Ausgehend hiervon erweist sich die Annahme des Berufungsgerichts, die Anordnung gewähre einem Ehepartner, der eine Nebenwohnung innehat, keinen Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht, wenn der andere Ehegatte den Rundfunkbeitrag für die gemeinsam bewohnte Hauptwohnung entrichte, als fehlerhaft. Vielmehr sind Inhaber weiterer Wohnungen auf Antrag von der Rundfunkbeitragspflicht zu befreien, ohne dass es darauf ankommt, auf welchen Namen das Beitragskonto einer von mehreren Wohnungsinhabern bewohnten Hauptwohnung bei der Rundfunkanstalt geführt wird (c.).

19a. Das Bundesverfassungsgericht hat auf der Grundlage von § 35 BVerfGG die Befugnis, für eine Übergangszeit die Weitergeltung einer für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärten Norm - auch mit inhaltlichen Modifizierungen - anzuordnen. Es trifft von Amts wegen, somit unabhängig von Anträgen oder Anregungen, alle Anordnungen, die erforderlich sind, um seinen ein Verfahren abschließenden Sachentscheidungen Geltung zu verschaffen ( - BVerfGE 6, 300 <303>). Das Gericht ist insbesondere befugt, über die bloße Anordnung der Fortgeltung eines als verfassungswidrig erkannten Rechts hinaus die materielle Rechtslage jenseits einer kassatorischen Entscheidung übergangsweise positiv gestaltend zu regeln (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom - 1 BvL 83/86, 24/88 - BVerfGE 84, 9 <21 ff.> und vom - 2 BvF 1/92 - BVerfGE 93, 37 <85>; Urteil vom - 1 BvR 3262/07 u. a. - BVerfGE 121, 317 <376 ff.>; Heusch, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2. Aufl. 2022, § 31 Rn. 82; Burkiczak, in: ebd., § 35 Rn. 18 m. w. N.). Hiervon hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom Gebrauch gemacht, indem es die um einen Befreiungstatbestand ergänzte befristete Fortgeltung der rundfunkbeitragsrechtlichen Regelungen angeordnet hat. Die bundesverfassungsgerichtliche Übergangsregelung entfaltet gemäß § 31 BVerfGG eine über den Einzelfall hinausgehende Bindungswirkung für alle Behörden und Gerichte (vgl. 6 A 3.05 - Buchholz 452.00 § 14 VAG Nr. 5 Rn. 26).

20b. Der Inhalt einer Übergangsregelung ist aus dem bundesverfassungsgerichtlichen Urteil selbst zu bestimmen. Denn eine Vollstreckungsanordnung nach § 35 BVerfGG bleibt ein Akt der Rechtsprechung und wird nicht selbst zu einem Gesetz (vgl. Heusch, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2. Aufl. 2022, § 31 Rn. 73). Die Heranziehung der für Rechtsnormen geltenden Auslegungsregeln kommt deswegen nicht in Betracht. Vielmehr sind Art, Maß und Inhalt einer Vollstreckungsanordnung abhängig vom Inhalt der zu vollstreckenden Sachentscheidung sowie von den konkreten Verhältnissen, unter denen diese umzusetzen ist (BVerfG, Beschlüsse vom - 1 BvB 2/51 - BVerfGE 6, 300 <303 f.> und vom - 2 BvR 1651/15, 2006/15 - BVerfGE 158, 89 Rn. 76).

21Auch wenn eine Vollstreckungsanordnung ausschließlich auf die Durchsetzung der Sachentscheidung ausgerichtet ist und dadurch begrenzt wird (BVerfG, Beschlüsse vom - 1 BvB 2/51 - BVerfGE 6, 300 <303 f.> und vom - 2 BvR 1651/15, 2006/15 - BVerfGE 158, 89 Rn. 77 m. w. N.), schließt dies Pauschalierungen des Bundesverfassungsgerichts bei der Schaffung von Übergangsregelungen nicht aus. Eine typisierende Betrachtung ist dem Bundesverfassungsgericht im Rahmen des § 35 BVerfGG nicht verwehrt (vgl. u. a. - BVerfGE 121, 317 <376 f.>). Dem Bundesverfassungsgericht ist auch unbenommen, bei der Schaffung einer Übergangsregelung an maßstabsbildende Entscheidungen des Gesetzgebers in ähnlichen Fallgestaltungen anzuknüpfen (vgl. u. a. - BVerfGE 99, 300 <304, 321 f., 331 f.> m. w. N.; 2 C 20.16 - BVerwGE 161, 297 Rn. 23 ff.). Eine pauschalierende Übergangsregelung gewährleistet umfassend, den festgestellten Verfassungsverstoß zu vermeiden. Hinzu kommt weiter, dass Verwaltungspraktikabilitätserwägungen in dem Zeitraum bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber Rechnung getragen werden kann, wenn eine Zwischenregelung mit geringerem Verwaltungsaufwand umzusetzen ist. Überdies reduziert eine für die Verwaltung handhabbare und für die Bürger überschaubare Übergangslösung auch die Wahrscheinlichkeit, dass es in dem Interimszeitraum zu Fehlentscheidungen kommt, die den Anlass für neue Rechtsstreitigkeiten bieten könnten. Der daraus resultierende Übergriff auf den Kompetenzbereich des Gesetzgebers ist hinnehmbar, wenn die Übergangsregelungen - dem Verhältnismäßigkeitsprinzip folgend - erforderlich sind, namentlich um einen sonst drohenden noch verfassungswidrigeren Zustand abzuwenden (Burmeister, in: Barczak, BVerfGG, 2018, § 35 Rn. 13). Zudem wird der Übergriff dadurch abgemildert, dass das Bundesverfassungsgericht die Vollstreckungsanordnung unter größtmöglicher Schonung des aktuellen gesetzgeberischen Willens trifft und dessen Regelungskonzept so weit als möglich erhält (vgl. - BVerfGE 93, 37 <85> und Urteil vom - 1 BvR 3262/07 u. a. - BVerfGE 121, 317 <376> m. w. N.).

22c. In Anwendung dieses Maßstabs zur Bestimmung des Inhalts einer vom Bundesverfassungsgericht getroffenen Anordnung erweist sich das berufungsgerichtliche Verständnis des Befreiungstatbestands im u. a. - als zu eng. Inhaber mehrerer Wohnungen sind aufgrund dieser Übergangsregelung auf Antrag von der Rundfunkbeitragspflicht zu befreien. Unerheblich ist hierfür, auf welchen Namen das Beitragskonto einer von mehreren Wohnungsinhabern bewohnten Hauptwohnung bei der Rundfunkanstalt geführt wird. Die verfassungsgerichtliche Übergangsregelung ist wegen ihres Wortlauts (aa.) und aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität (bb.) weit zu verstehen. Darüber hinaus hängt es oftmals vom Zufall ab, wer bei mehreren Wohnungsinhabern der Anzeigepflicht des § 8 Abs. 1 Satz 1 RBStV nachkommt, deren Erfüllung durch einen Beitragsschuldner gemäß § 8 Abs. 3 RBStV auch für die übrigen Beitragsschuldner der Wohnung wirkt (cc.). Wird ein weites Verständnis zugrundegelegt, gewährleistet die Übergangsregelung umfassend, dass Inhaber mehrerer Wohnungen nicht über einen vollen Beitrag hinaus in Anspruch genommen werden und damit der vom Bundesverfassungsgericht festgestellte Verstoß gegen den aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleiteten Grundsatz der Belastungsgleichheit vermieden wird.

23Hiervon unberührt bleibt der Gestaltungsspielraum der Gesetzgeber bei einer Neuregelung, die diese mit den Änderungen des 23. Rundfunkänderungsstaatsvertrags zum in § 4a RBStV n. F. getroffen haben (SächsGVBl. 2020 S. 195 ff. und S. 329).

24aa. Nach dem Wortlaut der Übergangsregelung sind diejenigen Personen auf Antrag von einer Beitragspflicht für weitere Wohnungen zu befreien, die nachweislich als Inhaber einer Wohnung ihrer Rundfunkbeitragspflicht nach § 2 Abs. 1 und 3 RBStV nachkommen. Das Verb "nachkommen" wird in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht näher erläutert. Nach seinem Wortsinn beschreibt "nachkommen" die Erfüllung oder Vollziehung desjenigen, was ein anderer von einem wünscht oder verlangt (Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 9. Aufl. 2019). Das Gewünschte oder Verlangte wird in der übergangsweise geltenden Regelung klar bezeichnet: Es ist die "Rundfunkbeitragspflicht nach § 2 Absatz 1 und 3 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags", der nachweislich nachgekommen werden muss. Das Verb "nachkommen" wird allein auf die in § 2 Abs. 1 und 3 RBStV normierte Beitragspflicht bezogen.

25Nach § 2 Abs. 1 RBStV ist im privaten Bereich für jede Wohnung von deren Inhaber (Beitragsschuldner) ein Rundfunkbeitrag zu entrichten. § 2 Abs. 3 Satz 1 RBStV bestimmt, dass mehrere Beitragsschuldner als Gesamtschuldner entsprechend § 44 der Abgabenordnung - AO - haften. Jeder schuldet den Rundfunkbeitrag in voller Höhe. Dieser ist insgesamt aber nur einmal zu bezahlen, weil jede Zahlung auch für die übrigen Beitragsschuldner wirkt (sogenannte Erfüllungswirkung, § 44 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 AO). Mit diesem Regelungssystem hat das Bundesverfassungsgericht die von ihm statuierte Befreiungsregelung verknüpft. Dagegen lassen seine Ausführungen nicht erkennen, dass es für die Inanspruchnahme der Befreiungsregelung für weitere Wohnungen auf die Frage ankommt, welcher Beitragsschuldner sich in einer von mehreren gemeinsam bewohnten Hauptwohnung bei der Rundfunkanstalt nach § 8 RBStV angemeldet hat.

26Die Inbezugnahme des § 2 Abs. 3 RBStV lässt - anders als das Berufungsgericht meint - erkennen, dass das Bundesverfassungsgericht seine Übergangsregelung auch für Mehrpersonenhaushalte getroffen hat. Der konkrete Fall einer Einzelperson, die Inhaber einer Haupt- und einer Nebenwohnung ist, bot für die Nennung des § 2 Abs. 3 RBStV keinen Anlass. Die Verweisung auf § 2 Abs. 3 RBStV in der Übergangsregelung ist daher so zu verstehen, dass es dem Bundesverfassungsgericht insbesondere auch auf die Erfüllungswirkung im Gesamtschuldverhältnis ankam. Sie tritt unmittelbar mit der Erfüllung der Beitragsschuld durch einen Schuldner ein (vgl. § 44 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 AO). In Mehrpersonenhaushalten kommen die verschiedenen Beitragsschuldner ihrer jeweils bestehenden Beitragspflicht schon dadurch nach, indem sie dafür Sorge tragen, dass einer von ihnen die für die Wohnung geschuldete Beitragsschuld erfüllt. Mehr verlangt das Regelungsregime des § 2 Abs. 1 und 3 RBStV nicht von ihnen.

27bb. Das nach dem Wortlaut der von dem Bundesverfassungsgericht getroffenen Anordnung naheliegende Verständnis wird durch Gründe der Verwaltungspraktikabilität gestützt.

28Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, die Gesetzgeber könnten bei einer Neuregelung die gleichheitswidrige Beitragsbelastung von Inhabern mehrerer Wohnungen dadurch beseitigen, dass sie eine antragsgebundene Befreiung von der Beitragspflicht vorsähen oder auf andere Weise sicherstellten, dass Beitragspflichtige nicht mit insgesamt mehr als einem vollen Rundfunkbeitrag belastet würden, etwa durch eine Beschränkung der Beitragspflicht auf Erstwohnungen. In der erstgenannten Hinsicht stünden den Gesetzgebern zwei Modelle zur Verfügung. Sie könnten die Befreiung von einem Nachweis der Anmeldung von Erst- und Zweitwohnung als solche abhängig machen, um Verwaltungsschwierigkeiten zu vermeiden. Sie könnten sich aber auch im Sinne einer engeren Lösung dahingehend verständigen, für solche Zweitwohnungsinhaber von einer Befreiung abzusehen, die die Entrichtung eines vollen Rundfunkbeitrags für die Erstwohnung durch sie selbst nicht nachwiesen. Für die von ihm getroffene Anordnung ist das Bundesverfassungsgericht von einer antragsgebundenen Befreiung ausgegangen ( u. a. - BVerfGE 149, 222 Rn. 111, 155). Es drängt sich auf, dass es dabei dasjenige Modell im Blick gehabt hat, das in der Übergangszeit Verwaltungsschwierigkeiten vermeidet, weil nicht geprüft werden muss, durch wen der Beitrag für die Hauptwohnung gezahlt wird.

29cc. Darüber hinaus kommt für das Verständnis der vom Bundesverfassungsgericht getroffenen Übergangsregelung auch dem Umstand Bedeutung zu, dass es oftmals vom Zufall abhängt, wer bei mehreren Wohnungsinhabern der Anzeigepflicht des § 8 Abs. 1 Satz 1 RBStV nachkommt, deren Erfüllung durch einen Beitragsschuldner gemäß § 8 Abs. 3 RBStV auch für die übrigen Beitragsschuldner der Wohnung wirkt. Denn es war bislang - abgesehen von Befreiungen und Ermäßigungen nach § 4 Abs. 1 und 2 RBStV, die sich auf bestimmte weitere Wohnungsinhaber erstrecken (§ 4 Abs. 3 RBStV) - rechtlich unerheblich, auf welchen Namen das Beitragskonto bei der Rundfunkanstalt geführt wird. Im Zusammenhang mit der Umstellung des Rundfunkgebührenrechts auf das Rundfunkbeitragsrecht im Jahre 2013 sind in großem Umfang frühere Gebührenkonten der Gebühreneinzugszentrale ohne inhaltliche Änderungen als Beitragskonten fortgeführt worden (vgl. § 14 Abs. 3 RBStV). In dem Massengeschäft des Rundfunkbeitragsrechts kam dem Umstand, wer von mehreren Bewohnern einer Wohnung nach außen gegenüber der Rundfunkanstalt auftritt, keine Bedeutung zu. Vor diesem Hintergrund wäre anzunehmen gewesen, dass das Bundesverfassungsgericht deutlich zu erkennen gegeben hätte, wenn diesem formalen Umstand bei der Übergangsregelung ausschlaggebendes Gewicht beizumessen wäre. Hierfür gibt es im Urteil keine Anhaltspunkte.

30Soweit die Vertreter des Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung erklärt haben, (auch) denjenigen Nebenwohnungsinhabern die Befreiung gewährt zu haben, die zumindest nach Erlass des Urteils des Bundesverfassungsgerichts eine Ummeldung des Beitragskontos der gemeinsam mit anderen bewohnten Hauptwohnung auf ihren Namen veranlasst hätten, führt auch dies nicht zu einer anderen Bewertung. Vielmehr verstärken sich die aufgezeigten Bedenken, weil ein solches Verständnis der Übergangsregelung dazu führen würde, dass die Gewährung der Befreiung allein davon abhängig gemacht würde, ob zumindest nach Erlass des Urteils von dieser formalen Gestaltungsmöglichkeit Gebrauch gemacht worden ist. Es erscheint ausgeschlossen, dass das Bundesverfassungsgericht ein solches Verständnis seiner Übergangsregelung beabsichtigt hat.

31Der inzwischen geltende Befreiungstatbestand in § 4a RBStV n. F., mit dem der Gesetzgeber für die Rechtslage ab dem von seinem Gestaltungsspielraum Gebrauch gemacht hat, gibt für die Deutung der zuvor geltenden bundesverfassungsgerichtlichen Befreiungsregelung nichts her.

322. Das Urteil kann auch nicht nach § 144 Abs. 4 VwGO auf Grund anderer Erwägungen aufrecht erhalten bleiben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (vgl. § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Nach den nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ist die Ehefrau des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum vom bis zum der Rundfunkbeitragspflicht für die gemeinsame Hauptwohnung in D. nachgekommen. Der Kläger erfüllt daher in Bezug auf seine Nebenwohnung in B. für diesen Zeitraum die tatbestandlichen Voraussetzungen der richterrechtlichen Befreiungsregelung. Er ist vom Beklagten insoweit von der Rundfunkbeitragspflicht zu befreien.

33Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2023:250123U6C6.21.0

Fundstelle(n):
ZAAAJ-38601