BGH Beschluss v. - AK 27/22

Versuchter Mord: Anforderungen an das Mordmerkmal des niedrigen Beweggrundes

Gesetze: § 211 Abs 2 StGB

Gründe

I.

1Der Angeschuldigte wurde in dieser Sache am vorläufig festgenommen und befindet sich seit dem Folgetag ununterbrochen in Untersuchungshaft, zunächst aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Amtsgerichts Lörrach, ab dem aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs von diesem Tag (1 BGs 187/22).

2Gegenstand des aktuellen Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe am in W.       , We.       und anderenorts durch dieselbe Handlung

- versucht, einen Menschen aus niedrigen Beweggründen zu töten,

- in der Absicht, einen Unglücksfall herbeizuführen, die Sicherheit des Straßenverkehrs vorsätzlich dadurch beeinträchtigt, dass er einen ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff vorgenommen und dadurch vorsätzlich Leib und Leben eines anderen Menschen gefährdet habe,

- mittels eines gefährlichen Werkzeugs und einer das Leben gefährdenden Behandlung eine andere Person körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt,

- einem Amtsträger, der zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen oder Verfügungen berufen gewesen sei, bei der Vornahme einer solchen Diensthandlung mit Gewalt Widerstand geleistet, hierbei ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich geführt und den Angegriffenen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung gebracht,

- einen Amtsträger, der zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen oder Verfügungen berufen gewesen sei, bei der Vornahme einer solchen Diensthandlung tätlich angegriffen, hierbei ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich geführt und den Angegriffenen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung gebracht,

- fahrlässig im Verkehr ein Fahrzeug geführt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke nicht in der Lage gewesen sei, das Fahrzeug sicher zu führen,

- sich als Unfallbeteiligter nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt, bevor er zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit und durch die Angabe, dass er an dem Unfall beteiligt sei, ermöglicht habe,

strafbar gemäß § 113 Abs. 1 und 2 Satz 2 Nr. 1 und 2, § 114 Abs. 1 und 2, § 142 Abs. 1 Nr. 1, § 211 Abs. 1 und 2 Gruppe 1 Variante 4, § 212 Abs. 1, § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5, § 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a, § 316 Abs. 1 und 2, §§ 22, 23 Abs. 1, § 52 StGB.

3Mit Entschließung vom hat der Generalbundesanwalt das von der Staatsanwaltschaft Freiburg - Zweigstelle Lörrach - geführte Ermittlungsverfahren übernommen. Mit Anklageschrift vom hat er an diesem Tag gegen den Angeschuldigten die öffentliche Klage zum Oberlandesgericht Stuttgart erhoben.

II.

4Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

51. Der Angeschuldigte ist der ihm im Haftbefehl vorgeworfenen Tat dringend verdächtig.

6a) Im Sinne eines dringenden Tatverdachts ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:

7aa) Der Angeschuldigte, der sich selbst als "Bundesstaatsangehöriger des Herzogtums Baden" sieht, bestreitet im Sinne der sog. Reichsbürgerbewegung die Existenz und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland. Er erkennt die Ausübung hoheitlicher Gewalt durch die Organe der Bundesrepublik sowie deren Länder nicht an und stellt die Legitimität staatlichen Handelns in Abrede. Er war für die der "Reichsbürgerszene" zuzuordnenden Bewegungen "             " und "                   " aktiv. Dabei betätigte er sich in der Mitgliederwerbung und -bindung.

8bb) Am gegen 22:15 Uhr durchfuhr der Angeschuldigte mit seinem Pkw erheblich zu schnell die Ortschaft W.        bei L.    . Aufgrund vorangegangenen Alkoholgenusses war er, wie er hätte erkennen können, nicht imstande, das Fahrzeug sicher zu führen. Der Pkw fiel zwei Streife fahrenden Polizeibeamten auf. ln der Folge versuchten sie dreimal erfolglos, den Angeschuldigten zum Zweck einer Verkehrskontrolle zu stoppen. Er missachtete die ihm erteilten polizeilichen Weisungen zum Halten in der Form von Anhaltezeichen, polizeilichen Sondersignalen und des Abstellens des Streifenfahrzeugs vor seinem Pkw. Er entzog sich diesen Kontrollen durch Flucht.

9Im Rahmen der daraufhin eingeleiteten Fahndung wurde der Angeschuldigte etwa eine Stunde später auf einer Bundesstraße kurz vor der Ortschaft We.        festgestellt. Als einer der eingesetzten Polizeibeamten, PHK V.    , zu einer Kontrolle ansetzte, indem er mit seinem Funkstreifenwagen die Fahrbahn vor dem vom Angeschuldigten zuvor zum Stillstand abgebremsten Pkw teilweise versperrte, entschloss sich dieser erneut, sich dem polizeilichen Zugriff zu entziehen. Er fuhr deswegen auf den nun auf sein Fahrzeug zulaufenden Polizisten zu, wobei er es auf eine Geschwindigkeit von 20 bis 25 km/h beschleunigte. PHK V.    versuchte, dem Pkw auszuweichen, indem er sich auf den Fahrbahnrand zubewegte. Der Angeschuldigte, der die Möglichkeiten hatte, entweder den Polizeibeamten zu umfahren oder rechtzeitig abzubremsen, lenkte sein Fahrzeug bewusst auf ihn zu, um eine Kollision mit ihm herbeizuführen. Dabei hielt er tödliche Verletzungen des Geschädigten für möglich und nahm sie billigend in Kauf. PHK V.    gab noch vergeblich Schüsse auf die Windschutzscheibe ab. Infolge des Anstoßes lud der Angeschuldigte ihn auf die Motorhaube auf und beschleunigte den Pkw weiter auf eine Geschwindigkeit von etwa 30 bis 33 km/h. Nach einer Fahrtstrecke von 27 Metern ließ er den Polizeibeamten mittels einer Lenkbewegung von seiner Motorhaube auf die Fahrbahn stürzen, wo der Geschädigte acht Meter über den Fahrbahnbelag rutschte, bevor er bäuchlings liegenblieb.

10PHK V.    erlitt eine Mittelgesichtsfraktur, ein Schädel-Hirn-Trauma, eine Subarachnoidalblutung (Blutung zwischen der mittleren und der inneren Hirnhaut) sowie zahlreiche Prellungen und Schürfungen am Körper. Er musste sich einer Operation und einer stationären Behandlung unterziehen. Ferner erlitt er eine posttraumatische Belastungsstörung und ist fortdauernd dienstunfähig.

11In der Folgezeit kam es durch andere Polizeibeamte zu einem weiteren Versuch, den Angeschuldigten zu stoppen. Ihm gelang indes abermals die Flucht. Schließlich wurde er festgenommen.

12Aufgrund seiner ideologischen Überzeugung missachtete der Angeschuldigte die Anordnungen und Aufforderungen der Polizeibeamten. Er stellte seine persönlichen Interessen über das Leben von PHK V.    . Zur Tötung von Polizeibeamten, die er als "Kombattanten" bezeichnet, fühlte er sich - in Kenntnis der abweichenden Rechtslage - gerechtfertigt.

13cc) Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den vollzogenen Haftbefehl und den Anklagesatz der Anklageschrift des Generalbundesanwalts Bezug genommen.

14b) Hinsichtlich des äußeren Tatgeschehens beruht der dringende Verdacht insbesondere auf den Zeugenaussagen der vor Ort eingesetzten Polizeibeamten, dem Gutachten eines Unfallsachverständigen, einer Bodycam-Aufzeichnung und den Angaben eines weiteren - zivilen - Zeugen. Hinsichtlich der politisch-ideologischen Einstellung des Angeschuldigten einschließlich seiner Gewaltbereitschaft ergibt sich der dringende Verdacht aus den Durchsuchungsbefunden betreffend seine Person, den von ihm geführten Pkw und seine Wohnräume (selbstgefertigte Aushänge, Flyer, handschriftliche Aufzeichnungen, Internetkommunikation), daneben aus einem Personenbericht des Landeskriminalamts Baden-Württemberg sowie den mündlichen und schriftlichen Bekundungen des Angeschuldigten im hiesigen Verfahren. Auch gegenüber den Justizbehörden hat er wiederholt geäußert, sie nicht anerkennen zu wollen. So hat er beispielsweise nach der Tat anlässlich seiner Vorführung vor den Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Lörrach erklärt, dieser habe "nicht das Recht", ihn ("den Menschen M.    ") "festzusetzen", dem Richter fehle "die Rechtsfähigkeit".

15Soweit der Angeschuldigte etwa in einem an den Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs gerichteten Schreiben vom die Meinung geäußert hat, er habe in "Notwehr" gehandelt und sei "Opfer der Justiz" ebenso wie "von polizeilichen Übergriffen", widerspricht dem das Ermittlungsergebnis.

16Soweit sich der Angeschuldigte mit den Schriftsätzen seines Verteidigers vom 24. Juni und sowie darauf Bezug nehmend bei seiner ermittlungsrichterlichen Vernehmung vom dahin eingelassen hat, er habe infolge einer bereits vor dem erneuten Anfahren und Zufahren auf PHK V.    erlittenen Schussverletzung "unter Schock" gestanden, stehen dem ebenfalls die im Ermittlungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse entgegen, insbesondere auch die Gutachten eines kriminaltechnischen Sachverständigen des Landeskriminalamts vom 4. April und . Die bereits zu den zeitlichen Abläufen unstimmige Einlassung stellt sich nach derzeitiger Aktenlage nicht als erlebnisbasiert dar. Gleiches gilt für die Ausführungen in dem Verteidigerschriftsatz vom , wonach der Angeschuldigte aus "Todesangst" gehandelt habe. Anhaltspunkte dafür, dass er die den mutmaßlichen Tötungsversuch auslösende Situation grundlegend verkannt haben könnte, liegen nach der gutachterlichen Stellungnahme des psychiatrischen Sachverständigen vom nicht vor. So hat dieser dargelegt, der Angeschuldigte habe gerade nicht angenommen, von dem Geschädigten erschossen zu werden.

17Hinsichtlich des bedingten Tötungsvorsatzes ergibt sich der dringende Verdacht aus einer Gesamtschau aller Umstände, namentlich daraus, dass der Angeschuldigte nach dem Ermittlungsergebnis absichtlich die Kollision seines Pkw mit PHK V.    herbeiführte, indem er, als dieser auszuweichen versuchte, sein Fahrzeug weiterbeschleunigte und auf den Polizisten zusteuerte, anstatt, was ihm ebenso möglich gewesen wäre, an jenem vorbeizufahren. Der Anwendung eines Erfahrungssatzes (dazu , BGHSt 65, 75 Rn. 58 ff.) dergestalt, dass in sog. Polizeisperren-Fällen Polizeibeamte regelmäßig dem Kraftfahrer ausweichen, der eine Polizeisperre durchbrechen will, obgleich es ihnen gerade auf deren Anhaltung ankommt (s. , NStZ-RR 2014, 371, 373 mwN), ist damit die Grundlage entzogen (vgl. MüKoStGB/Schneider, 4. Aufl., § 212 Rn. 19). Hinzu kommt, dass mit großer Wahrscheinlichkeit für den Angeschuldigten dessen ideologische Überzeugung handlungsleitend war, wonach Organe der Bundesrepublik Deutschland sowie deren Länder nicht befugt seien, ihm gegenüber hoheitliche Gewalt auszuüben, und er legitimiert sei, gegen solche Maßnahmen mit - bis hin zu tödlicher - Gewalt vorzugehen.

18Die Ermittlungen rechtfertigen zudem die Annahme, dass der Angeschuldigte bei Beginn der festgestellten Fahrt um 22:15 Uhr des hochwahrscheinlich absolut fahruntüchtig im Sinne des § 316 Abs. 1 StGB war. Wird zu seinen Gunsten davon ausgegangen, dass er kurz zuvor letztmals Alkohol konsumiert hatte, ergibt sich zu diesem Zeitpunkt auf der Grundlage des Ergebnisses der Blutalkoholanalyse für die um 1:31 Uhr des entnommene Blutprobe (Blutalkoholkonzentration von 1,06 Promille im Mittelwert) eine rückgerechnete Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,18 Promille (vgl. Fischer, StGB, 69. Aufl., § 316 Rn. 19 mwN).

19Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den aktuellen Haftbefehl, den ihm zugrundeliegenden Antrag des Generalbundesanwalts vom , dessen Zuschrift vom und das in der Anklageschrift dargelegte wesentliche Ergebnis der Ermittlungen verwiesen. Soweit der Verteidigerschriftsatz vom zahlreiche von den Ermittlungsbehörden gewonnene Erkenntnisse und die daraus auf den Tatvorwurf gezogenen Schlüsse in Zweifel zieht, vermögen die Ausführungen den dringenden Tatverdacht nicht zu beseitigen. Die abschließende Überprüfung und Bewertung der Einlassungen des Angeschuldigten sowie der Beweismittel muss der Hauptverhandlung vorbehalten bleiben.

20c) In rechtlicher Hinsicht ist der dem Angeschuldigten angelastete Sachverhalt dahin zu beurteilen, dass er jedenfalls des versuchten Mordes in Tateinheit mit Eingriff in den Straßenverkehr zur Herbeiführung eines Unglücksfalls, gefährlicher Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte, fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr und unerlaubtem Entfernen vom Unfallort (§ 113 Abs. 1 und 2 Satz 2 Nr. 1 und 2, § 114 Abs. 1 und 2, § 142 Abs. 1 Nr. 1, § 211 Abs. 1 und 2 Gruppe 1 Variante 4, § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5, § 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a, § 316 Abs. 1 und 2, §§ 22, 23 Abs. 1, § 52 StGB) dringend verdächtig ist. Auch diesbezüglich kann auf den vollzogenen Haftbefehl und das in der Anklageschrift dargelegte wesentliche Ergebnis der Ermittlungen Bezug genommen werden. Anlass besteht lediglich zu folgendem Bemerken:

21aa) Im Hinblick auf den dringenden Verdacht des versuchten Mordes liegt auf der Grundlage des der rechtlichen Würdigung zugrunde zu legenden Sachverhalts - jedenfalls - das Mordmerkmal der sonstigen niedrigen Beweggründe (§ 211 Abs. 2 Gruppe 1 Variante 4 StGB) vor.

22Ob die Beweggründe zur Tat "niedrig" sind, also nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen, mithin in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag als verwerflich und deshalb besonders verachtenswert erscheinen, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren zu beurteilen (s. , NStZ-RR 2015, 308, 309; vom - 5 StR 124/20, NStZ 2021, 226, 227; vom - 5 StR 542/20, juris Rn. 102).

23Bei der Bewertung des mutmaßlichen Tatgeschehens stellen sich die Beweggründe des Angeschuldigten hiernach als "niedrig" dar: Er ist dringend verdächtig, den geschädigten Polizeibeamten aufgrund dessen Funktion als Organ der für den Angeschuldigten nicht existenten Bundesrepublik Deutschland (bzw. von deren Teilstaat) angegriffen zu haben. Ihm ging es darum, seine - ersichtlich unzutreffende - Rechtsauffassung gewaltsam durchzusetzen und sich aus egoistischen Motiven staatlicher Einflussnahme zu entziehen. Seine Überzeugung legitimierte aus seiner Sicht den Tod des Geschädigten, den er in entpersönlichter Weise gleichsam als Repräsentanten der von ihm nicht anerkannten Staatsgewalt ansah. Die Tötung hatte ihre Wurzel in der ideologischen Überzeugung des Angeschuldigten, die darauf gerichtet ist, sich bewusst über die rechtlichen Regeln hinwegzusetzen, deren Beachtung für das Funktionieren eines demokratisch und rechtsstaatlich verfassten Gemeinwesens konstitutiv ist. Eine solche Motivlage erweist sich nicht nur als im besonderen Maß gemeinschaftsbedrohlich, sondern ist mit grundlegenden gesellschaftlichen Wertentscheidungen schlechthin unvereinbar und steht damit sittlich auf tiefster Stufe (vgl. allgemein zur Negierung derartiger Wertentscheidungen MüKoStGB/Schneider, 4. Aufl., § 211 Rn. 90 ff.; zur politischen Tatmotivation im Übrigen BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 355/17, NStZ 2019, 342 Rn. 12; vom - AK 62/19, juris Rn. 12; vom - StB 28/20, juris Rn. 37; vom - AK 43/21, juris Rn. 31).

24bb) Was den dringenden Verdacht der gefährlichen Körperverletzung betrifft, hat der Angeschuldigte auf der Grundlage des ihm angelasteten Sachverhalts neben dem Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB auch denjenigen des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB verwirklicht. Wird eine Person durch ein gezieltes Anfahren zu Fall gebracht, kann darin eine mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs begangene Körperverletzung liegen, wenn bereits durch den Anstoß eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens und damit eine körperliche Misshandlung nach § 223 Abs. 1 StGB ausgelöst worden ist. Zwar kann eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung nicht allein auf erst infolge des anschließenden Sturzes erlittene Verletzungen gestützt werden, die nicht auf den direkten Kontakt zwischen Kraftfahrzeug und Körper zurückzuführen sind (s. BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 292/12, juris Rn. 10; vom - 4 StR 275/13, NStZ 2014, 36, 37; vom - 4 StR 200/14, NStZ-RR 2015, 244; vom - 4 StR 21/21, JZ 2022, 364 Rn. 14; ferner , BGHSt 63, 138 Rn. 45). Jedoch ist hier, wird mit dem Gutachten des Unfallsachverständigen eine Anstoßgeschwindigkeit von mindestens 20 km/h zugrunde gelegt, eine solche unmittelbar durch die Kollision bedingte körperliche Misshandlung des Geschädigten hochwahrscheinlich.

25cc) Ob die vom Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs getroffene Wertung zutrifft, sämtliche dem Angeschuldigten vorgeworfene Delikte stünden in Tateinheit (§ 52 StGB) zueinander, kann für die Haftfrage dahinstehen, zumal das Konkurrenzverhältnis den Unrechts- und Schuldgehalt regelmäßig nicht berührt (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 130/19, juris Rn. 9 mwN; vom - 3 StR 231/21, juris Rn. 18).

262. Die Strafgerichtsbarkeit des Bundes und damit die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs für den Erlass des Haftbefehls ergibt sich aus § 169 Abs. 1 StPO, § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a, § 142a Abs. 1 GVG.

27a) Der Angeschuldigte ist unter anderem des versuchten Mordes (§§ 211, 22, 23 Abs. 1 StGB), mithin eines in § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GVG genannten Katalogdelikts dringend verdächtig; dem steht nicht entgegen, dass das ihm angelastete Verbrechen im Versuchsstadium steckenblieb (s. , BGHSt 46, 238, 248). Infolgedessen werden durch die Zuständigkeitsnorm die im vollzogenen Haftbefehl aufgeführten weiteren Delikte unabhängig von der Bewertung des Konkurrenzverhältnisses erfasst (vgl. zum engen persönlichen und deliktsspezifisch-sachlichen Zusammenhang im Fall mehrerer prozessualer Taten , juris Rn. 14 mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 120 GVG Rn. 2).

28b) Die Tat ist nach den Umständen geeignet, die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen (§ 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a Alternative 2 GVG). Der hiernach erforderliche spezifisch staatsgefährdende Charakter eines Katalogdelikts ist insbesondere dann gegeben, wenn die Tat der Feindschaft des Täters gegen das freiheitlich-demokratische Staats- und Gesellschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland entspringt und er seine Opfer nur deshalb auswählt, weil sie dieses System als Amtsträger oder in sonstiger Weise repräsentieren, oder ohne jeden persönlichen Bezug lediglich deshalb angreift, weil sie Bürger oder Einwohner der Bundesrepublik Deutschland sind oder sich im Bundesgebiet aufhalten (BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 327/09, BGHR § 120 Abs. 2 Nr. 3a Sicherheit 4; vom - AK 62/19, juris Rn. 16).

29Gemessen daran weist die Tat einen spezifisch staatsgefährdenden Charakter in Bezug auf die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auf. Mit großer Wahrscheinlichkeit stellte der Angeschuldigte das rechtmäßige hoheitliche Handeln des geschädigten Polizeibeamten zur Rechtsdurchsetzung in Frage und maßte sich eine Art dem staatlichen Gewaltmonopol zuwiderlaufendes Selbstverteidigungsrecht an. Die Tat richtete sich bewusst, unabhängig von der Person, gegen einen Repräsentanten des von ihm abgelehnten Staates, dessen Existenz und Souveränität er bestreitet.

30c) Die besondere Bedeutung der Tat im Sinne von § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GVG, welche die Zuständigkeit des Bundes und damit die Evokationsbefugnis des Generalbundesanwalts begründet, ist gegeben.

31Die besondere Bedeutung im Sinne des § 120 Abs. 2 Satz 1 GVG ist grundsätzlich anzunehmen, wenn es sich bei der Tat unter Beachtung des Ausmaßes der eingetretenen Rechtsgutsverletzung um ein staatsgefährdendes Delikt von erheblichem Gewicht handelt, das die Schutzgüter des Gesamtstaats in einer derart spezifischen Weise angreift, dass ein Einschreiten des Generalbundesanwalts und eine Aburteilung durch ein die Bundesgerichtsbarkeit ausübendes Gericht geboten ist. Die Beurteilung der Bedeutung des Falls erfordert dabei eine Gesamtwürdigung der Umstände und Auswirkungen der Tat unter besonderer Berücksichtigung ihres Angriffs auf das jeweils betroffene Rechtsgut des Gesamtstaats, hier der inneren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland (s. , BGHSt 46, 238, 253 ff.; Beschluss vom - AK 20/08, BGHSt 53, 128 Rn. 37). Allein die Schwere der Tat und das Ausmaß der von ihr hervorgerufenen Beeinträchtigung der geschützten Rechtsgüter vermögen dabei für sich die besondere Bedeutung nicht zu begründen; allenfalls können die konkrete Tat- und Schuldschwere den Grad der Gefährdung bundesstaatlicher Belange mitbestimmen (s. BGH, Beschlüsse vom - AK 20/08, aaO; vom - AK 47/16, juris Rn. 23). Bei der erforderlichen Gesamtwürdigung sind daneben die konkreten Auswirkungen für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und ihr Erscheinungsbild gegenüber Staaten mit gleichen Wertvorstellungen in den Blick zu nehmen. Zudem ist zu beachten, welche Signalwirkung von der Tat für potentielle Nachahmer ausgeht (s. BGH, Beschlüsse vom - AK 47/16, aaO mwN; vom - StB 21/19, juris Rn. 40; vom - AK 62/19, juris Rn. 19).

32Gemessen an den aufgezeigten rechtlichen Maßstäben hat die Tat besondere Bedeutung. Deshalb kommt es nicht darauf an, ob die Annahme dieses gesetzlichen Merkmals durch den Generalbundesanwalt im Ermittlungsverfahren einer eingeschränkten Überprüfung (so , BGHR GVG § 120 Abs. 2 Besondere Bedeutung 3; KK-StPO/Feilcke, 8. Aufl., § 120 GVG Rn. 3; ferner , BGHSt 53, 128 Rn. 38: "noch als vertretbar anzusehen") oder der unbestimmte Rechtsbegriff - wie bei der Zulassung der Anklage (s. , BGHSt 46, 238, 254 f.) - der vollen Kontrolle unterliegt.

33Nach dem Ermittlungsergebnis versuchte der Angeschuldigte, PHK V.    zu töten, während dieser, was der Angeschuldigte erkannt hatte, in seiner amtlichen Funktion als Polizeibeamter staatliche Gewalt ausübte. Das Delikt hat erhebliches Gewicht. Die Tat ist mutmaßlich Ausdruck einer ideologischen Überzeugung, die sich gegen das demokratisch und rechtsstaatlich verfasste Gemeinwesen richtet. Der Angeschuldigte handelte nach einer Ideologie, die derjenigen der sog. Reichsbürgerbewegung entspricht. Zwar wird dieser Begriff als Sammelbeschreibung von Gruppierungen und Einzelpersonen verwendet, die aus unterschiedlichen Motiven und mit verschiedenen Argumenten die Existenz und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland bestreiten. Sämtliche Strömungen lehnen indes - soweit ersichtlich - die innerstaatliche Rechtsordnung ab und stellen die Legitimität hoheitlichen staatlichen Handelns in Abrede, die klassischen "Reichsbürger" - in Abgrenzung zu den sog. Selbstverwaltern - dadurch, dass sie sich auf ein angebliches Fortbestehen des Deutschen Reichs berufen, wobei der zeitliche Bezugspunkt im Einzelnen divergiert.

34Strafbares Handeln, wie es dem Angeschuldigten vorgeworfen wird, ist geeignet, das staatliche Gewaltmonopol und das darauf beruhende gewaltfreie Zusammenleben der Bevölkerung in Frage zu stellen. Einem solchen Verhalten kommt damit über die Verletzung individueller Rechtsgüter hinaus eine gesamtstaatliche Bedeutung zu. Außerdem ist es geeignet, eine erhebliche Gefahr für das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland zu begründen und eine Signalwirkung für Nachahmungstäter auszulösen. All dies ist insbesondere mit Blick auf in der Vergangenheit wiederholt von Angehörigen der sog. Reichsbürgerbewegung namentlich auf Polizisten und Gerichtsvollzieher verübte Mordanschläge zu würdigen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sich die Täter - wie mit großer Wahrscheinlichkeit auch hier - gezielt rechtmäßig ausgeübter staatlicher Gewalt widersetzten.

353. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO).

36Nach Würdigung aller Umstände ist es wahrscheinlicher, dass sich der Angeschuldigte, auf freien Fuß entlassen, dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde. Er hat im Fall seiner Verurteilung mit einer erheblichen Haftstrafe zu rechnen. Dem von der Straferwartung ausgehenden hohen Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthindernden Umstände entgegen. Der Angeschuldigte ist mittlerweile ohne Arbeit. Wenngleich er nunmehr wieder postalischen Kontakt zu seinen Geschwistern aufgenommen hat, verfügt er nicht über ausreichend feste familiäre oder soziale Bindungen. Das Ermittlungsergebnis legt es nahe, dass er bereits vor der Tat als Ausdruck seiner Ablehnung des Staates und dessen verfassungsmäßiger Ordnung seinen Rückzug im Sinne eines Abtauchens und autarken Lebens plante. Ungeachtet dessen lässt die mutmaßliche politisch-ideologische Einstellung des Angeschuldigten jedenfalls ein Verhalten erwarten, das den Erfolg hat, dass der Fortgang des Strafverfahrens wenigstens vorübergehend durch Aufhebung der Bereitschaft verhindert wird, für Ladungen und Vollstreckungsmaßnahmen zur Verfügung zu stehen (vgl. zum Begriff des Sichentziehens , juris Rn. 13 mwN). Die Ausführungen im Verteidigerschriftsatz vom nehmen nicht hinreichend Bedacht darauf, dass die Annahme von Fluchtgefahr kein sicheres Wissen um die sie begründenden Tatsachen verlangt; denn insoweit genügt derselbe Wahrscheinlichkeitsgrad wie bei der Annahme des dringenden Tatverdachts (vgl. StB 43 u. 44/18, juris Rn. 37).

37Ergänzend wird auf den aktuellen Haftbefehl und den ihm zugrundeliegenden Antrag des Generalbundesanwalts verwiesen.

38Die zu würdigenden Umstände begründen erst recht die Gefahr, dass die Ahndung der Tat ohne die weitere Inhaftierung des Angeschuldigten vereitelt werden könnte, so dass die Fortdauer der Untersuchungshaft bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN) desgleichen auf den dort geregelten - subsidiären - Haftgrund der Schwerkriminalität gestützt werden kann.

394. Eine - bei verfassungskonformer Auslegung auch im Rahmen des § 112 Abs. 3 StPO mögliche - Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 StPO) ist nicht erfolgversprechend. Unter den gegebenen Umständen kann der Zweck der Untersuchungshaft nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als ihren Vollzug erreicht werden. Es besteht schon kein tragfähiger Anhalt dafür, dass der Angeschuldigte zuverlässig derartigen Auflagen oder Weisungen nachkäme.

405. Die Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor. Der besondere Umfang der Ermittlungen sowie deren besondere Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft. Der Aktenbestand hat zum Zeitpunkt der Vorlage der Akten an den Senat 24 Stehordner Sachakten und fünf Sonderbände umfasst. Das Verfahren ist bisher mit der in Haftsachen gebotenen Zügigkeit geführt worden:

41a) Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg hat bei dem Angeschuldigten im Zuge der Durchsuchungen am 8. und zwei Tablets, einen Minirechner, drei Computer, zwei Festplatten, elf USB-Sticks und drei Mobiltelefone sichergestellt, ferner zahlreiche schriftliche Unterlagen. Die Sichtung und Auswertung der Asservate hat sich aufgrund der verfahrensrelevanten Datenmengen aufwendig gestaltet. Nach der Übernahme des Ermittlungsverfahrens durch den Generalbundesanwalt ist die Auswertung der Datenträger auf verfahrensrelevante Chat-Nachrichten des Angeschuldigten bei dem Anbieter "Telegram" ausgeweitet worden, um die politisch-ideologische Einstellung des Angeschuldigten sowie dessen hiervon getragene Handlungen im Vorfeld des verfahrensgegenständlichen Geschehens weiter aufzuklären. Dies ist bedeutsam für die Tatmotivation, somit insbesondere für das Mordmerkmal der sonstigen niedrigen Beweggründe gemäß § 211 Abs. 2 Gruppe 1 Variante 4 StGB, aber etwa auch für die besondere Bedeutung des Falles im Sinne des § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GVG.

42b) Für eine sachverständige Schussrichtungsbestimmung hinsichtlich der Schüsse, welche die eingesetzten Polizeibeamten auf den vom Angeschuldigten in der Tatnacht geführten Pkw abgaben, hat es umfangreicher Rekonstruktionen bedurft. Die gutachterlichen Ausführungen sind am fertiggestellt worden.

43c) Der Generalbundesanwalt hat mit Schreiben vom um eine Stellungnahme des psychiatrischen Sachverständigen ersucht, ob die medizinischen Voraussetzungen einer Unterbringung des zu einer Exploration nicht bereiten Angeschuldigten zur Vorbereitung eines Gutachtens gemäß § 81 Abs. 1 StPO vorliegen. Die Stellungnahme liegt seit dem vor und kommt zu dem Schluss, dass eine Verhaltensbeobachtung im Rahmen einer solchen Unterbringung nicht zu einem relevanten zusätzlichen Erkenntnisgewinn für die medizinischen Voraussetzungen der Schuldfähigkeit sowie der Maßregeln der §§ 63 und 64 StGB führen dürfte. Zugleich hat der Sachverständige Angaben zur Persönlichkeit des Angeschuldigten sowie zu dessen Vorstellungen und Erleben in der Tatsituation gemacht.

44d) Am hat der Generalbundesanwalt innerhalb angemessener Frist Anklage erhoben.

456. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht derzeit nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Fall einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Berg                    Paul                    Voigt

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:060922BAK27.22.0

Fundstelle(n):
YAAAJ-34952