BGH Urteil v. - II ZR 187/21

GmbH: Schadensersatzverlangen des geschädigten Gesellschafters bei Unanfechtbarkeit eines sittenwidrig erwirkten satzungsändernden Gesellschafterbeschlusses

Leitsatz

Die Unanfechtbarkeit eines sittenwidrig erwirkten satzungsändernden Gesellschafterbeschlusses schließt ein darauf gestütztes, auf Wiederherstellung der ursprünglichen Satzung gerichtetes Schadensersatzverlangen des geschädigten Gesellschafters nicht aus, soweit ihm nicht schutzwürdige Rechte Dritter entgegenstehen (Fortführung von , BGHZ 101, 113).

Gesetze: § 826 BGB, § 47 Abs 1 GmbHG, § 241 Nr 4 AktG

Instanzenzug: Az: 2 U 121/18 Urteilvorgehend Az: 104 O 79/17

Tatbestand

1Die Parteien sind Gesellschafter der F.              GmbH (im Folgenden: F.   ). An der F.   hielt die Beklagte zunächst für eine T.    GmbH treuhänderisch eine Beteiligung von 80 %. Am schlossen die T.   GmbH und die Parteien einen weiteren Treuhandvertrag (im Folgenden: Treuhandvertrag II), der die Übertragung der Treugeberstellung von der T.    GmbH auf die Klägerin beinhaltete. Neben der Abtretung sämtlicher Rechte aus der ursprünglichen Treuhand wurde für den Fall der Kündigung des Treuhandvertrags II die Abtretung eines Geschäftsanteils Nr. 1 mit einem Nennbetrag von 20.000 € an die Klägerin vereinbart. Den weiteren Geschäftsanteil Nr. 2 mit einem Nennbetrag von 5.000 € hielt die Beklagte.

2Die Klägerin kündigte den Treuhandvertrag II mit Schreiben vom 16. und . Die beim Handelsregister eingereichte Gesellschafterliste vom wies die Klägerin als Inhaberin des Geschäftsanteils Nr. 1 und die Beklagte als Inhaberin des Geschäftsanteils Nr. 2 aus. Mit Schreiben vom focht die Beklagte den Treuhandvertrag II u.a. wegen arglistiger Täuschung an. Der Geschäftsführer der F.    reichte am eine Gesellschafterliste beim Handelsregister ein, in der die Beklagte als Inhaberin beider Geschäftsanteile ausgewiesen war. Die Klägerin erwirkte am eine einstweilige Verfügung, mit der der Gesellschafterliste ein Widerspruch hinsichtlich der Inhaberschaft des Geschäftsanteils Nr. 1 zugeordnet wurde.

3Am fand eine Gesellschafterversammlung der F.   statt, zu der die Klägerin nicht eingeladen war und von der sie auch nicht unterrichtet wurde. Darin beschloss die Beklagte, die Satzung der F.   u.a. dahingehend zu ändern, dass das Quorum für die Beschlussfähigkeit der Gesellschaft von 75 % auf nunmehr 85 % angehoben wird und Gesellschafterbeschlüsse nunmehr grundsätzlich mit einer Mehrheit von 85 % der Stimmen zu fassen sind. Außerdem legte sie fest, dass der Versammlungsleiter nicht mehr mehrheitlich gewählt wird, sondern die Versammlungsleitung regelmäßig dem einladenden Geschäftsführer oder Gesellschafter obliegt. Die Änderung der Satzung wurde am im Handelsregister eingetragen. Eine Ende 2016 erhobene Beschlussmängelklage der Klägerin blieb ohne Erfolg.

4Mit Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom , rechtskräftig seit , wurde im Verhältnis der Parteien festgestellt, dass die Klägerin Inhaberin des Geschäftsanteils Nr. 1 ist. Am wurde eine Gesellschafterliste beim Handelsregister aufgenommen, welche die Klägerin als Inhaberin des Geschäftsanteils Nr. 1 auswies.

5Die Klägerin verlangt die Zustimmung der Beklagten zur Rückänderung der Satzung der F.    in den Zustand vor dem . Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Gründe

Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg.

6I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung (KG, ZIP 2022, 998), soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, ausgeführt:

7Die Klage sei zulässig. Ihr fehle insbesondere nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Das von der Klägerin verfolgte Rechtschutzziel könne entsprechend § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG nicht mehr mittels Nichtigkeitsfeststellungsklage erreicht werden, nachdem die Änderung des Gesellschaftsvertrags seit mehr als drei Jahren in das Handelsregister eingetragen sei.

8Die Klage sei auch begründet. Mit der eigenmächtigen Satzungsänderung habe die Beklagte eine unerlaubte Handlung begangen, mit der sie die Mitgliedschaftsrechte der Klägerin verletzt und sie zugleich vorsätzlich sittenwidrig geschädigt habe. Die Bestandskraft des Änderungsbeschlusses entsprechend § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG stehe einem sich daraus ergebenden Schadensersatzanspruch nicht entgegen, wenn und soweit dieser nur auf Rückgängigmachung einer pflichtwidrig herbeigeführten Satzungsänderung mit Wirkung für die Zukunft gerichtet sei. Durch die Änderung sei der Mehrheitsanteil der Klägerin auch in seinem Wert gemindert worden, weil die mit ihm ursprünglich einhergehenden Stimmrechte beeinträchtigt worden seien. Dabei habe die Beklagte vorsätzlich gehandelt. Dies ergebe sich insbesondere aus dem Änderungsbeschluss selbst, da sich die Änderung des Gesellschaftsvertrags bei lebensnaher Betrachtung nur damit erklären lasse, dass die Gesellschafterstellung der Klägerin beeinträchtigt werden sollte. Darüber hinaus habe die Beklagte gegen die guten Sitten verstoßen, weil sie eine formale Rechtsposition eigensüchtig ausgenutzt und dadurch berechtigtes Vertrauen der Klägerin in eine lautere Klärung des Gesellschafterstreits enttäuscht habe. Demgegenüber greife die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede nicht, weil die Klägerin die Rückgängigmachung der Satzungsänderung im Wege des sog. Restschadensersatzanspruchs nach § 852 Abs. 1 BGB verlangen könne. Die Beklagte habe im Sinne dieser Vorschrift die aus der Änderung des Gesellschaftsvertrags folgende Stärkung ihrer Gesellschafterstellung erlangt, die sie durch Zustimmung zu seiner Rückänderung an die Klägerin herausgeben müsse. Der Klägerin sei auch kein anspruchsausschließendes Mitverschulden wegen nicht rechtzeitiger Erhebung einer Beschlussmängelklage anzulasten, weil Gegenstand des klagegegenständlichen Anspruchs nur die in die Zukunft gerichtete Änderung des Gesellschaftsvertrags und es der Beklagten als vorsätzlich handelnde Schädigerin zudem verwehrt sei, sich auf § 254 BGB zu berufen. Schließlich bestünden auch keine Anhaltspunkte für eine Verwirkung des Anspruchs.

9II. Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.

101. Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision ist unbeschränkt zulässig.

11Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen im "Hinblick auf die Frage des Vorrangs des Beschlussmängelrechts ggb. auf Zustimmung zur zukunftsgerichteten Satzungsänderung oder Abänderung sonstiger vormals gefasster Beschlüsse gerichteten Ansprüchen". Eine zulässige Beschränkung der Revisionszulassung auf einen selbständigen Teil des Streitstoffs geht damit nicht einher, so dass die Revision unbeschränkt zugelassen ist (vgl. z.B. , ZIP 2003, 1240, 1241; Urteil vom - V ZR 113/12, NJW 2013, 1948 Rn. 12; Beschluss vom - X ZB 18/13, WM 2014, 1409 Rn. 16).

12Voraussetzung für die beschränkte Zulassung der Revision wäre eine Selbständigkeit des von der Zulassungsbeschränkung erfassten Teils des Streitstoffs in dem Sinn, dass dieser in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unabhängig von dem übrigen Prozessstoff beurteilt werden und auch im Falle einer Zurückverweisung kein Widerspruch zum nicht anfechtbaren Teil des Streitstoffs auftreten kann (, BGHZ 198, 294 Rn. 27; Urteil vom - XI ZR 108/15, WM 2016, 1031 Rn. 12; Urteil vom - VIII ZR 295/15, NZM 2017, 321 Rn. 14). Die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage des Vorrangs des Beschlussmängelrechts betrifft keinen in diesem Sinne selbständigen Teil des Streitstoffs, auf den die Beklagte selbst ihre Revision hätte beschränken können, sondern stellt sich hinsichtlich des gesamten prozessualen Anspruchs.

132. Die Revision ist nicht begründet. Das Berufungsgericht hat einen Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Zustimmung zu der begehrten Änderung der Satzung der F.   rechtsfehlerfrei bejaht.

14a) Die Klage ist zulässig. Entgegen der Auffassung der Revision fehlt ihr nicht deshalb das Rechtsschutzinteresse, weil die Klägerin die Beklagte auf Zustimmung zur Änderung der Satzung in Anspruch nimmt, ohne sie zuvor nach Einberufung einer Gesellschafterversammlung zur Mitwirkung aufgefordert und ihre Stimme bereits verbindlich abgegeben zu haben (vgl. , BGHZ 48, 163, 171 f.; Urteil vom - II ZR 262/85, BGHZ 98, 276, 278).

15b) Die Klage ist begründet. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei einen Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Zustimmung zu der verlangten Änderung der Satzung der F.   bejaht.

16aa) Die Annahme einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung der Klägerin durch die Beklagte und damit der Voraussetzungen des § 826 BGB durch das Berufungsgericht hält rechtlicher Nachprüfung stand.

17(1) Die Beklagte hat der Klägerin mit der Änderung der Satzung einen Schaden zugefügt. § 826 BGB stellt hinsichtlich des Schadens begrifflich nicht auf die Verletzung bestimmter Rechte oder Rechtsgüter ab. Schaden ist danach nicht nur jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage, sondern darüber hinaus jede Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses und jede Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung (, BGHZ 160, 149, 153; Urteil vom - II ZR 287/02, ZIP 2005, 1270 Rn. 13). Ein solcher Schaden ergibt sich ohne Weiteres aus der Schmälerung des Stimmgewichts und der Herrschaftsmacht, die der Mehrheitsbeteiligung der Klägerin nach der ursprünglichen Satzung zukam.

18Soweit die Revision in der mündlichen Verhandlung die Möglichkeit angesprochen hat, dass die Klägerin den Geschäftsanteil Nr. 1 nicht schon mit der Kündigung des Treuhandvertrags II und damit vor der Satzungsänderung, sondern infolge dessen anfechtungsbedingter Vernichtung erst aus einem anderen Erwerbsgrund bis zum Schluss der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung im vorangegangenen Feststellungsprozess erworben haben könnte, steht dies der Annahme einer Schadenszufügung nicht entgegen. Für das Revisionsverfahren kann insbesondere nicht unterstellt werden, dass die von der Beklagten erklärte Anfechtung des Treuhandvertrags II mit der in ihm enthaltenen, durch seine Kündigung bedingten Abtretung des Geschäftsanteils Nr. 1 an die Klägerin begründet war. Zum einen handelt es sich bei dem von der Revision angesprochenen anderweitigen Erwerbsgrund um eine rein theoretische Möglichkeit, die nicht durch entsprechende Feststellungen oder dahingehenden Tatsachenvortrag unterlegt ist. Davon abgesehen steht im Verhältnis der Parteien auf Grund des Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main vom rechtskräftig fest, dass die Anfechtung des Treuhandvertrags II nicht gerechtfertigt ist. Das Berufungsgericht hat in Auslegung des Urteilsausspruchs des Landgerichts Frankfurt am Main festgestellt, dass die Feststellung, die Klägerin sei Inhaberin des Geschäftsanteils Nr. 1, ausweislich der Urteilsgründe zugleich die Feststellung beinhaltete, dass sie den Geschäftsanteil bereits am erworben hat. Das ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden (vgl. Althammer in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 322 Rn. 105). Ein Feststellungsausspruch, der keine Datumsangaben enthält, bezieht sich zwar regelmäßig, aber nicht notwendig auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung (vgl. Hackspiel, NJW 1986, 1148, 1150). Im Vorprozess hat das Landgericht Frankfurt am Main den Feststellungsausspruch und das Oberlandesgericht Frankfurt am Main die anschließende Berufungszurückweisung auf die Kündigung des Treuhandvertrags II spätestens am gestützt, mit der die Klägerin ihre Feststellungsklage begründet hatte.

19Ist die im ersten Prozess rechtskräftig entschiedene Rechtsfolge im zweiten - einen anderen Streitgegenstand betreffenden - Prozess nicht die Hauptfrage, sondern eine Vorfrage, besteht die Wirkung der Rechtskraft in der Bindung des nunmehr entscheidenden Gerichts an die Vorentscheidung. Das nachentscheidende Gericht ist somit an einer abweichenden Entscheidung der rechtskräftig entschiedenen (Vor-)Frage gehindert (sog. Präjudizialität; vgl. , NJW 1995, 1757 unter II 1 a; Urteil vom - I ZR 269/00, NJW 2003, 3058 unter II 1 a; Urteil vom - XII ZR 70/02, WM 2004, 532, 533; Urteil vom - XII ZR 216/05, NJW 2008, 1227 Rn. 9 und 23; Urteil vom - VIII ZR 261/18, BGHZ 227, 198 Rn. 33).

20(2) Die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, dass der Beklagten zumindest bedingt vorsätzliches Handeln vorzuwerfen ist, hält rechtlicher Nachprüfung stand.

21Das Berufungsgericht hat in mindestens naheliegender Würdigung Schädigungsvorsatz der Beklagten im Wesentlichen aus dem Inhalt des satzungsändernden Beschlusses hergeleitet (§ 286 ZPO). Eine Verfahrensrüge (§ 559 Abs. 1 Satz 2 ZPO) erhebt die Revision insoweit auch nicht, sondern hält die Bindungswirkung dieser Feststellung (§ 559 Abs. 2 ZPO) mangels eigener Feststellungen des Berufungsgerichts zur Anfechtung des Treuhandvertrags II für aufgehoben. Die Rüge greift nicht durch. Sie beruht auf der bereits widerlegten Annahme, für das Revisionsverfahren sei von der Berechtigung der Anfechtung des Treuhandvertrags II durch die Beklagte auszugehen.

22(3) Das Berufungsgericht hat die eigenmächtige Änderung der Satzung mit Recht als sittenwidrig gewertet.

23Die Qualifizierung eines Verhaltens als sittenwidrig ist eine Rechtsfrage, die der uneingeschränkten Kontrolle durch das Revisionsgericht unterliegt(st. Rspr., etwa , ZIP 2013, 27 Rn. 25; Urteil vom - VI ZR 536/15, WM 2016, 1975 Rn. 15; Urteil vom - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 14; jeweils mwN). Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (st. Rspr., z.B. , NJW 2019, 2164 Rn. 8; Urteil vom - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 15; Urteil vom - VI ZR 879/20, DB 2021, 2890 Rn. 8; jeweils mwN). Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (, BGHZ 161, 361, 366; Urteil vom - VI ZR 536/15, WM 2016, 1975 Rn. 16).

24Nach diesen Maßstäben ist das Verhalten der Beklagten im Verhältnis zur Klägerin als sittenwidrig zu werten. Die Beklagte hat zur Änderung der Satzung eine formale Rechtsposition ausgenutzt, weil die Gesellschafterliste sie der materiellen Rechtslage zuwider als Inhaberin auch des Geschäftsanteils Nr. 1 auswies. Nur deshalb konnte die Gesellschafterversammlung vom ohne Ladung der Klägerin abgehalten werden (§ 16 Abs. 1 Satz 1, § 51 Abs. 1 GmbHG). Dies geschah zudem zu einem Zeitpunkt, zu dem die Klägerin bereits zu ihren Gunsten die Zuordnung eines Widerspruchs gegen die Gesellschafterliste erwirkt hatte, soweit in ihr die Beklagte als Inhaberin des Geschäftsanteils Nr. 1 eingetragen war. Auf Grund der im einstweiligen Verfügungsverfahren erfolgten Glaubhaftmachung der Inhaberschaft der Klägerin (§ 16 Abs. 3 Satz 4 Fall 1 GmbHG, §§ 935, 936, § 920 Abs. 2, § 294 ZPO) durfte diese über die unmittelbaren Rechtswirkungen des Widerspruchs nach § 16 Abs. 3 Satz 3 GmbHG hinaus darauf vertrauen, die Beklagte werde sich als Antragsgegnerin im Widerspruchsverfahren bis zur endgültigen Klärung der materiellen Rechtslage nicht als Alleingesellschafterin gerieren (vgl. auch , BGHZ 222, 323 Rn. 42). Die Enttäuschung dieses Vertrauens durch die Beklagte ist jedenfalls deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren, weil zu diesem Zeitpunkt, wie das Berufungsgericht unangegriffen festgestellt hat, zwischen den Parteien noch Vergleichsverhandlungen schwebten, in deren Rahmen die Beklagte erklärte, den streitbefangenen Geschäftsanteil nicht abtreten oder belasten zu wollen, und die Klägerin auch aus diesem Grund keinen Verdacht hegen musste, dass sich die Beklagte als Alleingesellschafterin aufführen würde. Statt den Streit über die Inhaberschaft des Geschäftsanteils Nr. 1 mit der Klägerin aber offen und redlich vor Gericht auszutragen, hat die Beklagte mit der Satzungsänderung eigensüchtig Fakten gerade für den Fall schaffen wollen und geschaffen, dass ihr der streitbefangene Geschäftsanteil nicht gehört.

25bb) Dem Anspruch der Klägerin auf Zustimmung zu der begehrten Satzungsänderung der F.  steht nicht entgegen, dass sie gegen den satzungsändernden Beschluss vom erfolglos geklagt hat.

26(1) Das Berufungsgericht, das auch über die Beschlussmängelklage der Klägerin entschieden hat, hat gemeint, dass der satzungsändernde Beschluss jedenfalls analog § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG geheilt sei, weil er bei Klageerhebung 2017 mehr als drei Jahre im Handelsregister eingetragen war. Nach dieser Vorschrift kann die Nichtigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses, der nach § 241 Nr. 1, 3 oder 4 AktG nichtig ist, nicht mehr geltend gemacht werden, wenn der Beschluss im Handelsregister eingetragen worden ist und seitdem drei Jahre verstrichen sind.

27(2) Richtig ist, dass die von der Klägerin erhobene Beschlussmängelklage schon wegen Zeitablaufs keinen Erfolg haben konnte.

28(a) Das Berufungsgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG auch satzungsändernde Beschlüsse erfasst (, BGHZ 144, 365, 367 f.; Beschluss vom - II ZB 18/13, BGHZ 202, 87 Rn. 14). Richtig ist ferner, dass die Vorschrift auf die GmbH entsprechend anzuwenden ist (vgl. , BGHZ 80, 212, 216; Urteil vom - II ZR 116/83, WM 1984, 473; Urteil vom - II ZR 73/99, BGHZ 144, 365, 368; Urteil vom - II ZR 279/09, ZIP 2011, 2357 Rn. 12).

29(b) Allerdings sind sittenwidrige Beschlüsse der Gesellschafterversammlung einer GmbH nicht nach § 138 BGB, sondern analog § 241 Nr. 4 AktG nur dann nichtig, wenn sie durch ihren Inhalt gegen die guten Sitten verstoßen. Der Beschluss muss also "für sich allein betrachtet" gegen die guten Sitten verstoßen (, BGHZ 15, 382, 384; Urteil vom - II ZR 128/86, BGHZ 101, 113, 116 f.; Urteil vom - II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 374 f.). Ein sittenwidriger Machtmissbrauch erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Beschlüsse, bei denen nicht der eigentliche Beschlussinhalt, sondern "nur" Beweggrund oder Zweck unsittlich sind, oder bei denen die Sittenwidrigkeit in der Art des Zustandekommens liegt, sind lediglich anfechtbar (, BGHZ 101, 113, 116; Urteil vom - II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 374 f.). Danach war die Beschlussmängelklage freilich gleichfalls verfristet, weil eine gegen einen lediglich anfechtbaren Beschluss der Gesellschafterversammlung gerichtete Klage grundsätzlich binnen der Monatsfrist des § 246 Abs. 1 AktG zu erheben ist, sofern die Satzung keine abweichende Regelung enthält (, BGHZ 116, 359, 375; Urteil vom - II ZR 151/03, ZIP 2005, 985, 988; Beschluss vom - II ZR 272/08, ZIP 2009, 1880).

30(3) Die Unanfechtbarkeit eines sittenwidrig erwirkten satzungsändernden Gesellschafterbeschlusses schließt ein darauf gestütztes, auf Wiederherstellung der ursprünglichen Satzung gerichtetes Schadensersatzverlangen des geschädigten Gesellschafters aber nicht aus, soweit ihm nicht schutzwürdige Rechte Dritter entgegenstehen.

31Wie der Senat bereits ausgesprochen hat, kann sich der betroffene Gesellschafter selbst gegenüber der Gesellschaft darauf berufen, dass die Ausnutzung eines unanfechtbaren Gesellschafterbeschlusses sittenwidrig und rechtsmissbräuchlich sei, wenn die Gesellschaft nur aus ihm und dem Mitgesellschafter besteht und schutzwerte Interessen Dritter davon nicht berührt werden. Die Besonderheiten des GmbH-Rechts, insbesondere das aus einer entsprechenden Anwendung der §§ 243 ff. AktG abgeleitete Erfordernis der Anfechtungsklage zur Geltendmachung nicht zur Nichtigkeit führender Beschlussmängel, rechtfertigen keine andere Beurteilung. Infolge der Versäumung der Anfechtungsfrist wird ein mit derartigen Mängeln behafteter Beschluss zwar rechtswirksam. Die sittenwidrige Ausnutzung einer formalen Rechtsposition ist im Recht der GmbH aber ebenso wenig zulässig wie auf anderen Rechtsgebieten. Dabei hat der Senat ausdrücklich vorausgesetzt, dass der durch den Gesellschafterbeschluss geschädigte Gesellschafter von seinem sittenwidrig handelnden Mitgesellschafter zudem Schadensersatz in Geld oder auf dem Wege der Naturalrestitution verlangen kann (, BGHZ 101, 113, 121 f.).

32Daran ist jedenfalls für Fälle wie den vorliegenden festzuhalten. Durch das Schadensersatzverlangen, an einer ex nunc wirkenden Änderung der Satzung mitzuwirken, wird die Wirksamkeit der vorangegangenen Satzungsänderung nicht berührt. Einem solchen Verlangen stehen in aller Regel und so auch hier keine schutzwürdigen Rechte Dritter entgegen. Der Beklagten wäre es auch ohne gerichtliche Inanspruchnahme durch die Klägerin (etwa aus eigener Unrechtseinsicht) ohne Weiteres möglich, durch entsprechende Stimmabgabe daran mitzuwirken, die Satzung mit ihrem ursprünglichen Inhalt wiederherzustellen. Ob diese Erwägungen über § 826 BGB hinaus Gültigkeit beanspruchen und auch auf Fälle bloß treupflichtwidriger Stimmabgabe zu erstrecken sind, bedarf hier keiner Entscheidung (offen gelassen von , BGHZ 129, 136, 160 f., für die AG; dagegen etwa MünchKommGmbHG/Wertenbruch, 3. Aufl., Anh. § 47 Rn. 322).

33cc) Entgegen der Auffassung der Revision steht dem Schadensersatzverlangen der Klägerin nicht entgegen, dass diese bei Änderung der Satzung nicht mehr in der Gesellschafterliste eingetragen war. Die Gesellschafterliste entfaltet nach § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG nur formelle Legitimationswirkung. Die materiell-rechtliche Gesellschafterstellung als solche und ihr Schutz vor sittenwidriger Schädigung durch einen Mitgesellschafter bleibt von ihr unberührt (vgl. , ZIP 2020, 2513 Rn. 17 mwN).

34dd) Der Beklagten stehen gegen den Schadensersatzanspruch auch keine Einwendungen oder Einreden zu.

35(1) Das Berufungsgericht hat ein anspruchsausschließendes Mitverschulden der Klägerin rechtsfehlerfrei verneint.

36Die Entscheidung über eine Haftungsverteilung im Rahmen des § 254 BGB ist grundsätzlich Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob dieser alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt hat (, NJW-RR 2015, 1056 Rn. 10; Urteil vom - VI ZR 244/09, NJW-RR 2011, 347 Rn. 29; jeweils mwN).

37Danach begegnet es keinen Bedenken, wenn das Berufungsgericht dem von der Revision gerügten Umstand, dass sich die Klägerin der vorsätzlich und sittenwidrig handelnden Beklagten nicht unter Inanspruchnahme gerichtlichen (Eil-)Rechtsschutzes erwehrt hat, kein anspruchsausschließendes Gewicht beigemessen hat.

38(2) Die tatrichterliche Würdigung des Verwirkungseinwands durch das Berufungsgericht ist revisionsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden.

39Ob die Berufung auf eine erworbene Rechtsposition rechtsmissbräuchlich erscheint, kann regelmäßig nur mit Hilfe einer umfassenden Bewertung der gesamten Fallumstände entschieden werden. Diese tatrichterliche Würdigung kann vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob sie auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht, alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder von einem falschen Wertungsmaßstab ausgeht (, VersR 2005, 629; Urteil vom - IV ZR 225/04, MDR 2005, 91; Urteil vom - XI ZR 298/17, ZIP 2018, 621 Rn. 9; Urteil vom - XI ZR 69/18, ZIP 2018, 2360 Rn. 12; jeweils mwN).

40Nach diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht die Einrede der Beklagten rechtsfehlerfrei für nicht durchgreifend erachtet. Die Revision zeigt nicht auf, dass die Beklagte im Vertrauen auf den Bestand der Satzungsänderung rechtliche oder wirtschaftliche Maßnahmen ergriffen hätte. Davon abgesehen wäre ihr Vertrauen darauf, da es auf eigenem sittenwidrigen Verhalten gründet, nicht schutzwürdig.

41(3) Das Berufungsgericht konnte schließlich dahinstehen lassen, ob der Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte aus § 826 BGB verjährt ist, weil die Beklagte jedenfalls nach § 852 BGB verpflichtet ist, der begehrten Änderung der Satzung der F.   zuzustimmen.

42Nach § 852 Satz 1 BGB ist der Ersatzpflichtige, der durch eine unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten etwas erlangt hat, auch nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des aus der unerlaubten Handlung entstandenen Schadens zur Herausgabe nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift sollen demjenigen, der einen anderen durch unerlaubte Handlung schädigt und dadurch sein Vermögen mehrt, auch bei Verjährung des Schadensersatzanspruchs nicht die auf diese Weise erlangten Vorteile verbleiben (vgl. , ZIP 2022, 1158 Rn. 26; Urteil vom - VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 58; Urteil vom - VIa ZR 542/21, juris Rn. 18; jeweils mwN).

43Hier hat die Beklagte durch die Satzungsänderung auf Kosten der Klägerin einen Zugewinn an Herrschaftsmacht in der F.   erlangt. Das Erlangte hat die Beklagte durch die Abgabe der beanspruchten satzungsändernden Willenserklärungen herauszugeben, weil nur so die der Beeinträchtigung der Mitgliedschaft der Klägerin (Verlust an Herrschaftsmacht) komplementäre ungerechtfertigte Aufwertung der Mitgliedschaft der Beklagten (Zugewinn an Herrschaftsmacht) rückgängig gemacht werden kann. Die von der Klägerin beanspruchte Zustimmung zur Rückänderung der Satzung ist hiernach lediglich Mittel zur Erfüllung der von der Beklagten nach § 852 Satz 1 BGB geschuldeten Herausgabe des Erlangten.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:061222UIIZR187.21.0

Fundstelle(n):
BB 2023 S. 1036 Nr. 19
BB 2023 S. 1040 Nr. 19
BB 2023 S. 257 Nr. 6
DB 2023 S. 697 Nr. 12
DB 2023 S. 698 Nr. 12
GmbH-StB 2023 S. 77 Nr. 3
GmbH-StB 2023 S. 78 Nr. 3
GmbHR 2023 S. 275 Nr. 6
GmbHR 2023 S. 71 Nr. 5
NJW 2023 S. 1220 Nr. 17
NJW 2023 S. 9 Nr. 7
ZIP 2023 S. 355 Nr. 7
UAAAJ-31903