BGH Beschluss v. - I ZB 6/22

Instanzenzug: LG Braunschweig Az: 2 T 615/21vorgehend AG Braunschweig Az: 26 M 26283/11

Gründe

1A. Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung aus einem Urteil, einem Beschluss sowie einem Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Nienburg und einem vollstreckbaren Auszug aus der Insolvenztabelle des Amtsgerichts Braunschweig.

2Die Gerichtsvollzieherin holte beim Bundeszentralamt für Steuern die von der Gläubigerin beantragte Auskunft gemäß § 802l Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO zu Konten des Schuldners und dessen Verfügungsberechtigung zu Konten Dritter ein. Die Drittauskunft des Bundeszentralamts für Steuern ergab sieben Konten. Die Gerichtsvollzieherin teilte dieses Ergebnis der Gläubigerin dergestalt mit, dass bei sechs Konten, an denen der Schuldner lediglich verfügungsberechtigt war, der jeweilige Kontoinhaber, dessen Daten sowie die Kontonummer infolge einer Schwärzung nicht zu erkennen waren.

3Die gegen die Unkenntlichmachung dieser Informationen durch Schwärzung gerichtete Erinnerung der Gläubigerin hat das Amtsgericht zurückgewiesen. Die von der Gläubigerin eingelegte sofortige Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht (Einzelrichterin) unter Hinweis auf die divergierende Rechtsprechung von Beschwerdegerichten zur Zulässigkeit der Unkenntlichmachung von Auskünften über Dritte gemäß § 802l Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin ihr Begehren zur Erteilung einer ungeschwärzten Drittauskunft weiter.

4B. Das Beschwerdegericht (Einzelrichterin) hat die sofortige Beschwerde der Gläubigerin als zulässig, aber unbegründet angesehen. Es hat angenommen, die Gerichtsvollzieherin habe in der der Gläubigerin mitgeteilten Auskunft des Bundeszentralamts für Steuern die Kontodaten Dritter mit Recht geschwärzt.

5C. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung an das Beschwerdegericht.

6I. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO) und auch sonst zulässig (§ 575 ZPO). Ihre Zulassung ist nicht deshalb unwirksam, weil die Einzelrichterin entgegen § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO anstelle des Kollegiums entschieden hat (, BGHZ 154, 200 [juris Rn. 4 f.]; Beschluss vom - I ZB 91/16, WM 2017, 1868 [juris Rn. 8]; Beschluss vom - I ZB 30/21, NJW-RR 2022, 570 [juris Rn. 9]).

7II. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Der angefochtene Beschluss der Einzelrichterin ist aufzuheben, weil er unter Verletzung des Verfassungsgebots des gesetzlichen Richters ergangen ist (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG).

81. Die Einzelrichterin durfte über die Beschwerde nicht selbst entscheiden, sondern hätte das Verfahren wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO der mit drei Mitgliedern besetzten Kammer übertragen müssen. Dem originären Einzelrichter nach § 568 ZPO ist die Entscheidung von Rechtssachen grundsätzlicher Bedeutung schlechthin versagt (st. Rspr.; vgl. BGHZ 154, 200 [juris Rn. 6]; BGH, WM 2017, 1868 [juris Rn. 10] mwN). Der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung ist im weitesten Sinne zu verstehen, so dass nicht der Einzelrichter, sondern das Kollegium auch dann entscheiden muss, wenn zur Fortbildung des Rechts oder - wie vorliegend von der Einzelrichterin angenommen - zur Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsmittelgerichts geboten ist (st. Rspr.; vgl. BGHZ 154, 200 [juris Rn. 6]; , NJW-RR 2012, 441 [juris Rn. 9]; Beschluss vom - I ZB 110/14, NJW 2016, 645 [juris Rn. 10]). Damit hat die Einzelrichterin das Gebot des gesetzlichen Richters grundlegend verkannt. Die Nichtübertragung des Verfahrens auf die voll besetzte Kammer erfüllt die Voraussetzungen der objektiven Willkür. Sie war offensichtlich unvertretbar und lag außerhalb der Gesetzlichkeit, so dass Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt ist (vgl. BGHZ 154, 200 [juris Rn. 8]; BGH, WM 2017, 1868 [juris Rn. 10]).

92. Die Rechtsbeschwerde hat den Verstoß gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters gerügt. Im Übrigen war der Verstoß vom Senat von Amts wegen zu berücksichtigen (BGHZ 154, 200 [juris Rn. 9]). Der Berücksichtigung der Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG steht § 568 Satz 3 ZPO nicht entgegen (BGHZ 154, 200 [juris Rn. 10 f.]).

10III. Die Aufhebung führt zur Zurückverweisung der Sache an die Einzelrichterin, die den angefochtenen Beschluss erlassen hat.

11Wegen der durch die Rechtsbeschwerde angefallenen Gerichtskosten macht der Senat von der Möglichkeit des § 21 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 GKG Gebrauch. Diese Kosten wären bei richtiger Behandlung der Sache durch die Einzelrichterin nicht entstanden.

12D. Für die neue Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:

13Die Annahme des Beschwerdegerichts, die Gerichtsvollzieherin habe in der der Gläubigerin mitgeteilten Auskunft des Bundeszentralamts für Steuern die Kontodaten Dritter mit Recht geschwärzt, hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Wie der Senat - nach der Entscheidung des Beschwerdegerichts - entschieden hat, hat der Gerichtsvollzieher dem Gläubiger gemäß § 802l Abs. 3 Satz 1 ZPO die nach § 802l Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO beim Bundeszentralamt für Steuern eingeholte Auskunft zu Konten Dritter, über die der Schuldner verfügungsberechtigt ist, in der Weise zu erteilen, dass Namen und, soweit in der Auskunft des Bundeszentralamts für Steuern aufgeführt, Anschriften, Kontonummer und die Bank, bei der das Konto unterhalten wird, sowie der Zeitpunkt der Kontoeröffnung offengelegt werden, soweit diese Daten für die Zwecke der Vollstreckung erforderlich sind (vgl. , NJW-RR 2022, 924 [juris Rn. 13]).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:150922BIZB6.22.0

Fundstelle(n):
PAAAJ-29191