BGH Beschluss v. - XI ZB 3/20

Spezialgesetzliche Prospekthaftung: Ausschluss der Haftung eines Gründungsgesellschafters als Prospektverantwortlicher unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung

Leitsatz

Zu Rechtsbeschwerden von Musterbeklagten und Anschlussrechtsbeschwerden gegen Musterbeklagte, die von der spezialgesetzlichen Prospekthaftung erfasst werden.

Gesetze: § 8g VerkaufsprospektG vom , § 13 VerkaufsprospektG vom , § 44 BörsG vom , §§ 44ff BörsG vom , § 241 Abs 2 BGB, § 241 Abs 2 BGB, § 311 Abs 2 BGB

Instanzenzug: Az: XI ZB 3/20 Beschlussvorgehend Hanseatisches Az: 13 Kap 2/18vorgehend Az: 305 OH 1/17nachgehend Az: 1 BvR 2339/22 Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen

Gründe

I.

1Die Parteien streiten im Rahmen eines Verfahrens nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) im Wesentlichen darüber, ob der am aufgestellte Prospekt zu der Beteiligung an dem Fonds "C.                    " fehlerhaft ist und ob die Gründungsgesellschafterinnen hierfür aufgrund sogenannter bürgerlich-rechtlicher Prospekthaftung im weiteren Sinne in Anspruch genommen werden können.

2Die Beteiligungsgesellschaft C.                     mbH & Co. KG (im Folgenden: Fondsgesellschaft) sollte sich als Kommanditistin an fünf Einschiffgesellschaften beteiligen. Diese sollten jeweils ein Neubauschiff zu jeweils 4.255 TEU (Twenty Foot Equivalent Unit bzw. 20-Fuß-Standard-Container), also Schiffe der Panamax-Klasse, erwerben.

3Bei der Musterbeklagten zu 3 handelt es sich um die Fondsgesellschaft. Die Musterbeklagten zu 1, 2 und 6 waren Gründungskommanditistinnen der Fondsgesellschaft. Die Musterbeklagte zu 1 war zudem Prospektverantwortliche, die Musterbeklagte zu 2 war Vertragsreederin und die Musterbeklagte zu 6 war Treuhandkommanditistin.

4Das dem Oberlandesgericht Feststellungsziele zum Zweck der Herbeiführung eines Musterentscheids vorgelegt. Das Musterverfahren ist mit im Bundesanzeiger veröffentlicht am , um die Feststellungsziele 2s bis 2v erweitert worden. Mit einem am im Bundesanzeiger veröffentlichten Erweiterungsbeschluss hat das Oberlandesgericht das Feststellungsziel 2a durch mehrere Feststellungsziele untergliedert, andere Feststellungsziele konkretisiert und neue Feststellungsziele unter der Ziffer 3 eingeführt.

5Mit den Feststellungszielen wird - soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Interesse - geltend gemacht, dass "die Beklagten" - im Vorlagebeschluss waren im Rubrum die jetzigen Musterbeklagten zu 1, 2 und 6 aufgeführt - als Gründungsgesellschafter der Fondsgesellschaft aufgrund der Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens nach den Grundsätzen der uneigentlichen Prospekthaftung im weiteren Sinne gemäß § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 und 3 BGB verantwortlich seien (Feststellungsziel 1a). "Die Beklagten" hätten bei der Veröffentlichung des Prospekts als Gründungsgesellschafter der Fondsgesellschaft nach den Grundsätzen der uneigentlichen Prospekthaftung im weiteren Sinne schuldhaft gehandelt (Feststellungsziel 1b) und seien verpflichtet gewesen, über die unrichtigen, unvollständigen und irreführenden Punkte im Prospekt aufzuklären und hafteten deshalb wegen Verletzung ihrer Aufklärungspflichten (Feststellungsziel 1c).

6Der Prospekt stelle nicht dar, dass die Durchschnittscharterraten für Containerschiffe auch vor Prospektveröffentlichung stets extrem volatil gewesen seien (Feststellungsziel 2a aa) und dass diese volatilen Charterraten einen direkten Einfluss auf die Secondhand-Preise von Containerschiffen hätten und diese ebenfalls sehr volatil schwankten (Feststellungsziel 2a bb). Auch die extremen Auswirkungen von Diskrepanzen zwischen Angebot und Nachfrage auf die Höhe des Charterratenniveaus (Feststellungsziel 2a cc), die rechnerische Unkalkulierbarkeit der Charterraten für die Fondslaufzeit von 18 Jahren (Feststellungsziel 2a dd) und der Kaskadeneffekt als risikoerhöhender Umstand (Feststellungsziel 2a ee) würden nicht dargestellt.

7Der Prospekt setze die prognostizierten Erträge unvertretbar hoch an (Feststellungsziel 2c), weise nicht darauf hin, dass aufgrund der erwarteten Fertigstellung des erweiterten Panama-Kanals im Jahr 2015 etwaige Wettbewerbsvorteile der Fondsschiffe entfielen, und verharmlose diesbezügliche Risiken (Feststellungsziel 2d) und unterstelle zu hohe Verkaufspreise der Fondsschiffe (Feststellungsziel 2g). Auf personelle Verflechtungen und wirtschaftliche Interessen der Musterbeklagten werde nicht hinreichend hingewiesen (Feststellungsziel 2l). Die in Ansatz gebrachten Betriebskostensteigerungen von 3% pro Jahr seien unvertretbar niedrig kalkuliert (Feststellungsziel 2n), über das Risiko einer Inanspruchnahme der Fondsgesellschaft durch Dritte werde nicht aufgeklärt (Feststellungsziel 2p) und die Aussagen auf Seite 39 ff. des Prospekts zur Entwicklung der Weltwirtschaft und des Welthandels seien veraltet gewesen (Feststellungsziel 2s). Zudem werde auf Seite 42 über die Bestellaktivitäten bewusst getäuscht (Feststellungsziel 2t).

8Mit Musterentscheid vom , berichtigt durch Beschluss vom , hat das Oberlandesgericht zu einer Verantwortlichkeit der Musterbeklagten festgestellt, dass die Musterbeklagten zu 1, 2 und 6 grundsätzlich als Gründungsgesellschafter der Musterbeklagten zu 3 gemäß § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 und 3 BGB verantwortlich seien (Feststellungsziel 1a), dass auf diese Haftung grundsätzlich die Verschuldensvermutung nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB anzuwenden sei (Feststellungsziel 1b) und dass die Musterbeklagten zu 1, 2 und 6 aufgrund ihrer Stellung als Gründungsgesellschafter der Musterbeklagten zu 3 grundsätzlich verpflichtet gewesen seien, die Anleger über unrichtige, unvollständige und irreführende Punkte im Emissionsprospekt betreffend die Musterbeklagte zu 3 aufzuklären (Feststellungsziel 1c). Eine Haftung der Musterbeklagten zu 3 gemäß § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 und 3 BGB hat das Oberlandesgericht verneint.

9Hinsichtlich des Prospekts hat das Oberlandesgericht festgestellt, dass dieser insoweit unrichtig, unvollständig und irreführend sei, als in der Passage zu "Charterraten für Containerschiffe" auf den Seiten 41 und 42 nicht darauf hingewiesen werde, dass zum Zeitpunkt der Prospekterstellung und -veröffentlichung für die Jahre 2009 und "2010+" am Markt mit einem weiteren Zulauf von Containerschiffskapazität im Umfang von ca. 16% im Jahr 2009 bzw. ca. 29% in den Jahren "2010+" zu rechnen gewesen sei (Feststellungsziele 2a aa und cc). Es hat zudem festgestellt, dass die in Ansatz gebrachten Betriebskostensteigerungen von 3% pro Jahr unvertretbar niedrig kalkuliert seien (Feststellungsziel 2n) und dass die Aussage auf Seite 42 des Prospekts zu sinkenden Bestellaktivitäten aufgrund einer Konsolidierung der Chartermärkte ab Mitte 2005 insoweit irreführend sei, als nicht darauf hingewiesen werde, dass im Ergebnis im Jahr 2005 mehr neue Containerschiffskapazität geordert worden sei als 2004, und weiter nicht darauf hingewiesen werde, dass die Bestellungen ab dem ersten Quartal 2006 wieder angezogen und im dritten Quartal 2007 einen neuen Höchststand erreicht hätten (Feststellungsziel 2t).

10Die Musterbeklagten zu 1, 2, 3 und 6 haben gegen den Musterentscheid Rechtsbeschwerde eingelegt, mit der sie sich gegen die zu ihrem Nachteil getroffenen Feststellungen wenden.

11Der Musterkläger und die Beigetretenen begehren mit ihren Anschlussrechtsbeschwerden die Feststellung der mit den Feststellungszielen 2a bb, dd und ee, 2c, 2d, 2g, 2l, 2p und 2s gerügten Prospektfehler. Die Anschlussrechtsbeschwerde des Musterklägers richtet sich gegen die Musterbeklagten zu 1, 2, 3 und 6, während sich die Anschlussrechtsbeschwerde der Beigetretenen gegen die Musterbeklagten zu 1, 2 und 6 richtet.

12Mit Beschluss vom hat der Senat die Musterbeklagte zu 1 zur Musterrechtsbeschwerdeführerin bestimmt.

II.

13Die zulässigen Rechtsbeschwerden der Musterrechtsbeschwerdeführerin und der Rechtsbeschwerdeführerinnen haben Erfolg.

14Das Oberlandesgericht hat rechtsfehlerhaft festgestellt, dass die Musterbeklagten zu 1, 2 und 6 als Gründungsgesellschafterinnen gemäß § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB haften. Insoweit führen die Rechtsbeschwerden zur Zurückweisung des Feststellungsziels 1a als unbegründet und dazu, dass der in der Fassung des am im Bundesanzeiger veröffentlichten Erweiterungsbeschlusses des Hanseatischen Oberlandesgerichts (im Folgenden: Vorlagebeschluss), hinsichtlich der Feststellungsziele 1b und c, 2a aa und cc sowie 2n im Hinblick auf die Musterbeklagten zu 1, 2 und 6 für gegenstandslos zu erklären ist. Der Erweiterungsbeschluss des Hanseatischen (im Folgenden: erster Erweiterungsbeschluss) ist hinsichtlich des Feststellungsziels 2t gegenstandslos.

15Das Oberlandesgericht hat im Rahmen des Feststellungsziels 1a rechtskräftig entschieden, dass die Musterbeklagte zu 3 nicht gemäß § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB haftet. Rechtsfehlerhaft hat es jedoch übersehen, dass es dadurch im Hinblick auf die Musterbeklagte zu 3 nicht mehr auf die übrigen Feststellungsziele ankommt. Der Vorlagebeschluss und der erste Erweiterungsbeschluss sind daher auch im Hinblick auf die Musterbeklagte zu 3 hinsichtlich der Feststellungsziele 1b und 1c, 2a aa und cc, 2n und 2t für gegenstandslos zu erklären; der Musterentscheid ist in den Ziffern 4 bis 6 auch hinsichtlich der Musterbeklagten zu 3 aufzuheben.

16Im Übrigen sind die Rechtsbeschwerden zurückzuweisen.

17Die Anschlussrechtsbeschwerden des Musterklägers und der Beigetretenen bleiben im Ergebnis ohne Erfolg.

18Sie führen nur zur Aufhebung des Musterentscheids in Bezug auf die Musterbeklagten zu 1, 2, 3 und 6, soweit das Oberlandesgericht die Feststellungsziele 2a bb, dd und ee, 2c, 2d, 2g, 2l, 2p und 2s als unbegründet zurückgewiesen hat. Da eine Haftung der Musterbeklagten zu 1, 2, 3 und 6 aus § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB auch für die mit diesen Feststellungszielen geltend gemachten Prospektfehler nicht gegeben ist, sind der Vorlagebeschluss sowie der erste Erweiterungsbeschluss auch hinsichtlich dieser Feststellungsziele für gegenstandslos zu erklären.

19Im Übrigen sind die Anschlussrechtsbeschwerden zurückzuweisen.

201. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung des Musterentscheids - soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Interesse - im Wesentlichen ausgeführt:

21Im Hinblick auf das Feststellungsziel 1a entspreche es allgemeiner Auffassung, dass Gründungsgesellschafter einer Beteiligungsgesellschaft - hier also die Musterbeklagten 1, 2 und 6 - im Sinne der "uneigentlichen" bzw. der "Prospekthaftung im weiteren Sinne" aus § 311 Abs. 2 und 3, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB grundsätzlich passivlegitimiert seien. Die Musterbeklagte zu 3 als Beteiligungsgesellschaft sei hingegen nicht der richtige Adressat für einen Anspruch auf Schadensersatz wegen des Vorliegens von Prospektfehlern. Vielmehr würden insoweit die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft gelten; gegen sie könne daher allenfalls ein Abfindungsanspruch bestehen.

22Auf die sogenannte Prospekthaftung im weiteren Sinne sei § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB nach allgemeiner Auffassung anzuwenden (Feststellungsziel 1b). Aufgrund ihrer Stellung als Gründungskommanditistinnen seien die Musterbeklagten zu 1, 2 und 6 den Anlegern gegenüber grundsätzlich verpflichtet, über Prospektfehler aufzuklären (Feststellungsziel 1c).

23Bei der Darstellung der Charterraten hätte mehr zum Zulauf an neuen Containerschiffen gesagt werden müssen (Feststellungsziele 2a aa und cc). Das Feststellungsziel 2n sei begründet, weil die Erfahrungen, welche die Prospektersteller in den Jahren vor Auflegung des streitgegenständlichen Prospekts mit der Entwicklung der Betriebskosten von Containerschiffen gesammelt hätten, nur den Schluss zuließen, dass die Prognose einer Betriebskostensteigerung von 3% pro Jahr aus der Sicht des Frühjahrs 2008 unvertretbar niedrig gewesen sei. Das Feststellungsziel 2t sei insoweit begründet, als die Angabe zu ab Mitte 2005 sinkenden Bestellaktivitäten objektiv irreführend sei. Die Darstellung sei so selektiv, dass dem Anleger ein stark verfälschtes Bild der Entwicklung gegeben werde.

242. Diese Erwägungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht in vollem Umfang stand.

25a) Die Rechtsbeschwerden der Musterrechtsbeschwerdeführerin und der Rechtsbeschwerdeführerinnen sind zulässig. Sie sind rechtzeitig eingelegt und begründet worden (§ 20 Abs. 1 Satz 1 KapMuG i.V.m. § 575 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO). Die Rechtsbeschwerden formulieren auch einen ordnungsgemäßen Rechtsbeschwerdeantrag (§ 20 Abs. 1 Satz 1 KapMuG i.V.m. § 575 Abs. 3 Nr. 1 ZPO).

26b) Die Rechtsbeschwerden der Musterrechtsbeschwerdeführerin und der Rechtsbeschwerdeführerinnen sind im Wesentlichen auch begründet.

27Es kann in Bezug auf die Musterbeklagten zu 1, 2, 3 und 6 dahingestellt bleiben, ob das Oberlandesgericht zu Recht davon ausgegangen ist, dass die mit den Feststellungszielen 2a aa und cc, 2n und 2t geltend gemachten Prospektfehler vorliegen. Denn die Rechtsbeschwerden haben aus einem anderen Grund Erfolg. Das Feststellungsziel 1a ist insoweit im Hinblick auf die Musterbeklagten zu 1, 2 und 6 als unbegründet zurückzuweisen, weil die Musterbeklagten zu 1, 2 und 6 nicht aufgrund der geltend gemachten Prospekthaftung im weiteren Sinne haften. Bezüglich der Musterbeklagten zu 3 hat das Oberlandesgericht das Feststellungsziel 1a bereits selbst rechtskräftig als unbegründet zurückgewiesen. Somit sind hinsichtlich der genannten Musterbeklagten der Vorlagebeschluss und der erste Erweiterungsbeschluss hinsichtlich der genannten Feststellungsziele sowie hinsichtlich der Feststellungsziele 1b und 1c gegenstandslos.

28aa) Das Feststellungsziel 1a ist im Hinblick auf die Musterbeklagten zu 1, 2 und 6 unbegründet. Durch dieses sollte nur eine Verantwortlichkeit der Musterbeklagten zu 1, 2 und 6 als Gründungsgesellschafter nach den Grundsätzen der Prospekthaftung im weiteren Sinne für das Verwenden eines unrichtigen oder unvollständigen Verkaufsprospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung festgestellt werden.

29Dies ergibt sich daraus, dass das Feststellungsziel 1a ausdrücklich von einer Verantwortlichkeit der Gründungsgesellschafter für den "veröffentlichten Emissionsprospekt" ausgeht und das Feststellungsziel 1b darauf abstellt, dass die Gründungsgesellschafter bei der "Veröffentlichung" des Emissionsprospektes schuldhaft gehandelt haben sollen. Mit der im Feststellungsziel 1c angenommenen Aufklärungspflicht soll in diesem Zusammenhang nur ein weiterer anspruchsbegründender Umstand festgestellt und keine andere Fallkonstellation eröffnet werden.

30Gestützt wird dies durch die Begründung des Vorlagebeschlusses, wonach die Antragsteller von den Antragsgegnerinnen [den jetzigen Musterbeklagten zu 1, 2 und 6] als Gründungskommanditistinnen die Rückabwicklung der Kommanditbeteiligungen begehrten. Grundlage des Vertriebs des Beteiligungsangebots sei der von der Antragsgegnerin zu 1 [der Musterbeklagten zu 1] herausgegebene Emissionsprospekt. Es gehe bei den Schadensersatzansprüchen um die Angaben aus dem Emissionsprospekt vom .

31Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts ist die mit dem Feststellungsziel 1a geltend gemachte Feststellung nicht zu treffen, weil eine Haftung der Musterbeklagten zu 1, 2 und 6 als Gründungsgesellschafter aus § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB nicht auf die Verwendung eines Prospekts als solche gestützt werden kann. Ein Anspruch auf dieser Grundlage wird - was der Senat wiederholt entschieden hat (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom - XI ZB 3/16, BGHZ 220, 100 Rn. 54 ff. [zu § 127 Abs. 1 InvG in der Fassung vom ], vom - XI ZB 35/18, BGHZ 228, 237 Rn. 22 ff., vom - XI ZB 1/21, NZG 2022, 671 Rn. 17 ff., vom - XI ZB 27/20, WM 2022, 1169 Rn. 17 ff. und vom - XI ZR 395/21, WM 2022, 1679 Rn. 8 ff. [in der Fassung des Beschlusses vom , juris]) - durch die Regelungen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung verdrängt.

32Auf den am aufgestellten Prospekt findet die Regelung des § 8g VerkProspG in der vom bis zum geltenden Fassung (im Folgenden: aF) i.V.m. § 32 Abs. 2 Satz 1 VermAnlG Anwendung. Damit ist auch der Anwendungsbereich der § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG in der bis zum geltenden Fassung (im Folgenden: aF) eröffnet.

33Nach § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG aF haften neben denjenigen, die für den Prospekt im Sinne des § 8g VerkProspG aF die Verantwortung übernommen haben, im Falle von dort enthaltenen unrichtigen oder unvollständigen wesentlichen Angaben auch diejenigen, von denen der Erlass des Prospekts ausgeht (§ 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG aF). Die Musterbeklagten zu 1, 2 und 6 sind Gründungsgesellschafterinnen der Fondsgesellschaft und somit Prospektverantwortliche im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG aF (vgl. Senatsbeschlüsse vom - XI ZB 26/19, WM 2021, 2386 Rn. 24, vom - XI ZB 32/19, WM 2022, 1277 Rn. 39 und vom - XI ZR 395/21, WM 2022, 1679 Rn. 12 [in der Fassung des Beschlusses vom , juris]).

34Sie hafteten mithin als Prospektverantwortliche für unrichtige oder unvollständige wesentliche Angaben nach den Grundsätzen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung aus § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG aF. Neben dieser ist eine Haftung der Musterbeklagten zu 1, 2 und 6 unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung des unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung ausgeschlossen (Senatsbeschlüsse vom - XI ZB 35/18, BGHZ 228, 237 Rn. 26, vom - XI ZB 1/21, NZG 2022, 671 Rn. 17 ff. und vom - XI ZB 27/20, WM 2022, 1169 Rn. 17 ff.). Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus den von der Rechtsbeschwerdeerwiderung zitierten Entscheidungen des II. und des III. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs. Insoweit wird auf die Ausführungen in den Senatsbeschlüssen vom (XI ZB 31/20, WM 2022, 921 Rn. 25 ff.) und vom (XI ZB 27/20, aaO Rn. 22 ff.) verwiesen.

35Das Feststellungsziel 1a ist daher bezüglich der Musterbeklagten zu 1, 2 und 6 als unbegründet zurückzuweisen.

36bb) Da das Feststellungsziel 1a unbegründet ist, sind der Vorlagebeschluss und der erste Erweiterungsbeschluss in Bezug auf die Musterbeklagten zu 1, 2 und 6 hinsichtlich der Feststellungsziele 1b und c, 2a aa und cc, 2n und 2t gegenstandslos.

37(1) Gegenstandslos wird der dem Musterverfahren zugrundeliegende Vorlage- oder Erweiterungsbeschluss hinsichtlich eines Feststellungsziels, wenn die Entscheidungserheblichkeit dieses Feststellungsziels aufgrund der vorausgegangenen Prüfung im Musterverfahren entfallen ist (Senatsbeschlüsse vom - XI ZB 9/13, BGHZ 213, 65 Rn. 106, vom - XI ZB 17/15, BGHZ 216, 37 Rn. 49, vom - XI ZB 3/16, BGHZ 220, 100 Rn. 61, vom - XI ZB 28/19, WM 2020, 2411 Rn. 54 und vom - XI ZB 32/19, WM 2022, 1277 Rn. 43).

38(2) Das ist hier in Bezug auf die Musterbeklagten zu 1, 2 und 6 für die Feststellungsziele 1b und c, 2a aa und cc, 2n und 2t der Fall. Der Vorlagebeschluss ist dahin auszulegen, dass die Prospektfehler ausschließlich als anspruchsbegründende Voraussetzung einer Haftung dieser Musterbeklagten unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung festgestellt werden sollen (vgl. Senatsbeschlüsse vom - XI ZB 17/15, BGHZ 216, 37 Rn. 54 und vom - XI ZB 26/19, WM 2021, 2386 Rn. 28). Da eine solche Haftung in Bezug auf die Musterbeklagten zu 1, 2 und 6 aus Rechtsgründen nicht gegeben ist, kommt es auf Feststellungen zu Prospektfehlern, zum Verschulden und zur Pflichtverletzung nicht mehr an.

39cc) Bezüglich der Musterbeklagten zu 3 hat das Oberlandesgericht das Feststellungsziel 1a als unbegründet zurückgewiesen. Dagegen wenden sich weder die Rechtsbeschwerden noch die Anschlussrechtsbeschwerden, so dass diese Zurückweisung rechtskräftig geworden ist.

40Das Oberlandesgericht hat jedoch übersehen, dass es in Bezug auf die Musterbeklagte zu 3 auf die geltend gemachten Feststellungen zu Prospektfehlern, zum Verschulden und zur Pflichtverletzung nicht mehr ankommt, wenn die Musterbeklagte zu 3 nicht nach § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB haftet. Auch hinsichtlich der Musterbeklagten zu 3 sind daher der Vorlagebeschluss und der erste Erweiterungsbeschluss in Bezug auf die Feststellungsziele 1b und c, 2a aa und cc, 2n und 2t für gegenstandslos zu erklären.

41c) Die Anschlussrechtsbeschwerden des Musterklägers und der Beigetretenen bleiben im Ergebnis ohne Erfolg.

42Die gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1, § 21 Abs. 3 Satz 3 KapMuG i.V.m. § 574 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 ZPO zulässigen Anschlussrechtsbeschwerden führen nur dazu, dass die Feststellungsziele 2a bb, dd und ee, 2c, 2d, 2g, 2l, 2p und 2s im Hinblick auf die Musterbeklagten zu 1, 2, 3 und 6 nicht als unbegründet zurückgewiesen werden, sondern dass der Vorlagebeschluss und der erste Erweiterungsbeschluss auch insoweit gegenstandslos sind.

43Da - wie bereits dargestellt - eine Haftung der Musterbeklagten zu 1, 2, 3 und 6 nach den Grundsätzen der Prospekthaftung im weiteren Sinne aus Rechtsgründen nicht gegeben ist, kommt es auf Feststellungen zu den mit den Anschlussrechtsbeschwerden noch geltend gemachten Prospektfehlern nicht an.

III.

44Der XI. Zivilsenat ist nach A. I. XI. Zivilsenat 1.c) des Geschäftsverteilungsplans des Bundesgerichtshofs für das Geschäftsjahr 2020 ausschließlich zuständig für Rechtsstreitigkeiten über Prospekthaftungsansprüche nach §§ 13, 13a VerkProspG. Die Zuständigkeit für spezialgesetzliche Prospekthaftungsansprüche besteht seit dem Jahr 1996. Der Senat ist damit auch zuständig, über das Konkurrenzverhältnis zwischen gesetzlicher Prospekthaftung nach § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG aF und bürgerlich-rechtlicher Prospekthaftung zu entscheiden. Denn ob letztere im Anwendungsbereich der spezialgesetzlichen Prospekthaftung anwendbar ist, ist keine Frage der bürgerlich-rechtlichen Prospekthaftung, sondern eine Frage nach der Reichweite der Rechtsfolgen der gesetzlichen Prospekthaftung (vgl. Senatsbeschluss vom - XI ZB 35/18, BKR 2021, 774 mit zust. Anm. Ueding; Klöhn, NZG 2021, 1063, 1071; Schulz, EWiR 2022, 133, 134 f.; Senatsbeschluss vom - XI ZR 395/21, WM 2022, 1679 Rn. 31 ff. [in der Fassung des Beschlusses vom , juris]).

IV.

45Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens folgt aus § 26 Abs. 2 Satz 1 KapMuG. Danach haben der Musterkläger, die Beigetretenen und alle übrigen Beigeladenen die gesamten Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens nach dem Grad ihrer Beteiligung im erstinstanzlichen Musterverfahren zu tragen.

V.

46Die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwerts für die Gerichtskosten folgt aus § 51a Abs. 2 GKG. Gemäß § 51a Abs. 2 GKG ist im Rechtsbeschwerdeverfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz bei der Bestimmung des Streitwerts von der Summe der in sämtlichen Ausgangsverfahren geltend gemachten Ansprüche auszugehen, soweit diese von den Feststellungszielen des Musterverfahrens betroffen sind. Infolgedessen sind bei der Streitwertbemessung auch die in den Ausgangsverfahren geltend gemachten Ansprüche der Beigeladenen zu berücksichtigen, die zwar dem Rechtsbeschwerdeverfahren nicht beigetreten sind, ihre Klage aber nicht innerhalb der Monatsfrist des § 8 Abs. 3 Nr. 2, § 24 Abs. 2 KapMuG zurückgenommen haben (vgl. Senatsbeschlüsse vom - XI ZB 9/13, BGHZ 213, 65 Rn. 117 und vom - XI ZB 3/16, BGHZ 220, 100 Rn. 80). Der Gesamtwert der in sämtlichen ausgesetzten Ausgangsverfahren geltend gemachten Ansprüche beträgt vorliegend bis zu 10.150.000 €.

47Die Festsetzung des Gegenstandswerts für die außergerichtlichen Kosten richtet sich nach § 23b RVG. Danach bestimmt sich der Gegenstandswert nach der Höhe des von dem Auftraggeber oder gegen diesen im Prozessverfahren geltend gemachten Anspruchs, soweit dieser Gegenstand des Musterverfahrens ist. Für die Prozessbevollmächtigten, die mehrere Beteiligte im Rechtsbeschwerdeverfahren vertreten, ist der Gegenstandswert für die Bestimmung der außergerichtlichen Kosten gemäß § 22 Abs. 1 RVG in Höhe der Summe der nach § 23b RVG zu bestimmenden Streitwerte festzusetzen (vgl. Senatsbeschlüsse vom - XI ZB 9/13, BGHZ 213, 65 Rn. 118 und vom - XI ZB 3/16, BGHZ 220, 100 Rn. 81).

48Danach ist der Gegenstandswert für die Bestimmung der außergerichtlichen Kosten des Prozessbevollmächtigten der Musterrechtsbeschwerdeführerin und der Rechtsbeschwerdeführerinnen auf bis zu 9.950.000 € und für die Bestimmung der außergerichtlichen Kosten des Prozessbevollmächtigten des Musterklägers und der Beigetretenen auf bis zu 2.100.000 € festzusetzen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:200922BXIZB3.20.0

Fundstelle(n):
AG 2023 S. 199 Nr. 6
NJW-RR 2023 S. 327 Nr. 5
WM 2022 S. 2381 Nr. 49
AAAAJ-27589