BGH Beschluss v. - 4 StR 383/22

Revisionsentscheidung in Strafsachen: Rechtskraft und Bindungswirkung bezüglich der Schuldfähigkeit nach Aufhebung nur des Strafausspruchs

Gesetze: § 261 StPO, § 353 Abs 2 StPO, § 21 StGB

Instanzenzug: LG Bochum Az: II-KLs 21/22

Gründe

I.

1Das Landgericht Bochum hatte die Angeklagte im ersten Rechtsgang wegen „unerlaubter Verabreichung von Betäubungsmitteln durch eine Person über 21 Jahre an Personen unter 18 Jahren in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen sowie gefährlicher Körperverletzung in 14 weiteren Fällen“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.

2Mit Beschluss vom fasste der Senat den Schuldspruch nach Verfahrensbeschränkungen gemäß § 154a Abs. 2 StPO dahingehend neu, dass die Angeklagte der Verabreichung von Betäubungsmitteln an eine Person unter 18 Jahren in zwei Fällen sowie der gefährlichen Körperverletzung in 14 Fällen schuldig ist. Zudem hob er das angefochtene Urteil unter Verwerfung der weitergehenden Revision der Angeklagten im Strafausspruch mit den Feststellungen auf.

3Das Landgericht hat die Angeklagte nunmehr wegen der Betäubungsmitteldelikte unter Einbeziehung der Strafe aus einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren sowie wegen der Körperverletzungstaten zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Die hiergegen gerichtete und auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision hat Erfolg.

II.

4Das Urteil kann keinen Bestand haben, weil die Strafkammer die aufgehobenen Feststellungen des im ersten Rechtsgang ergangenen Urteils zu den (fehlenden) Voraussetzungen des § 21 StGB rechtsfehlerhaft als bindend angesehen und insoweit keine eigene Prüfung vorgenommen hat.

51. Wird bei einer teilaufhebenden Revisionsentscheidung der Schuldspruch rechtskräftig, jedoch der Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben, so ist der neue Tatrichter nur an den Schuldspruch selbst und diejenigen Feststellungen gebunden, die ausschließlich oder ‒ als sogenannte doppelrelevante Tatsachen ‒ auch den nunmehr rechtskräftigen Schuldspruch betreffen (st. Rspr.; vgl. etwa , BGHSt 30, 340, 342 ff.; Beschluss vom – 2 StR 522/71, BGHSt 24, 274, 275). Dagegen ist der Strafausspruch mit den ausschließlich ihn betreffenden Feststellungen aufgehoben und nicht mehr existent. Dazu gehört nicht nur die Strafzumessung im engeren Sinn, vielmehr hat der neue Tatrichter auch die Voraussetzungen und die Anwendbarkeit des § 21 StGB ‒ ohne jede Bindung an das insoweit nicht mehr existente erste Urteil ‒ zu prüfen (vgl. Rn. 6; Beschluss vom – 2 StR 481/12 Rn. 3; Beschluss vom – 3 StR 336/08 Rn. 2; Beschluss vom – 3 StR 24/00 Rn. 4 f.).

62. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Denn die Strafkammer hat im zweiten Rechtsgang keine Prüfung der Voraussetzungen des § 21 StGB vorgenommen. Sie hat vielmehr die insoweit aufgehobenen Feststellungen aus dem ersten Urteil zu dem seinerzeit angenommenen Ausschluss einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit der Angeklagten schlicht übernommen und dieses Ergebnis ungeprüft ihrer Strafzumessung zugrunde gelegt.

7Der Senat kann ein Beruhen des Urteils auf diesem Rechtsfehler nicht sicher ausschließen. Der neue Tatrichter wird deshalb in prozessordnungsgemäßer Weise insoweit eigene Feststellungen zu treffen und auch über eine Einschränkung der Schuldfähigkeit der Angeklagten erneut zu entscheiden haben.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:091122B4STR383.22.0

Fundstelle(n):
XAAAJ-27311