BFH Urteil v. - IX R 75/03

Abgeschlossenheit einer Wohnung als Voraussetzung für die Gewährung von Eigenheimzulage S. 7

Gesetze: EigZulG § 15

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist ledig. Sie hat zwei Kinder, einen leiblichen Sohn und einen Pflegesohn. Sie erwarb vom Vater ihres leiblichen Sohnes (J) im Jahr 1995 eine Eigentumswohnung, die sich im Dachgeschoss eines Hausgrundstückes befindet, das J im Jahr 1995 erworben und anschließend in zwei Eigentumswohnungen aufgeteilt hatte. Die Klägerin zog noch im Dezember 1995 in die Wohnung ein. Die andere Wohnung bewohnt J.

Im Februar des Jahres 1996 erteilte der Landkreis eine Abgeschlossenheitsbescheinigung für die Wohnung der Klägerin. Im Jahr 1998 ließ die Klägerin als Wohnungsabschluss eine Falttüranlage in ihre Wohnung einbauen, um die beiden Kinder in beiden Wohnungen gemeinsam betreuen zu können und daneben die Möglichkeit zu haben, ihre Wohnung bei Bedarf abschließen zu können.

Sie beantragte im Februar 1996 Eigenheimzulage ab 1995. Mit Bescheid vom gewährte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) der Klägerin ab 1995 Eigenheimzulage in Höhe der Grundförderung (5 000 DM) und der Kinderzulage für den Pflegesohn (1 500 DM). Für den leiblichen Sohn gewährte das FA keine Kinderzulage, da dieser nach den Angaben in der Steuererklärung zum Haushalt seines Vaters J gehörte. Im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens gegen diesen Bescheid gewährte das Finanzgericht (FG) in seinem Urteil vom , dem FA zugestellt am , der Klägerin Eigenheimzulage auch unter Berücksichtigung der Kinderzulage für ihr leibliches Kind und setzte sie ab 1995 auf 8 000 DM fest. Zur Begründung führte das FG aus, der Klägerin stehe auch eine Kinderzulage für ihr leibliches Kind zu, weil sie dafür Kindergeld erhalte und es nach Überzeugung des FG in ihrem Haushalt lebe.

Weil auch J für sein Kind das Sorgerecht zustand, kamen dem FA im Laufe des Rechtsbehelfsverfahrens Zweifel, ob es sich bei der Wohnung der Klägerin tatsächlich um eine abgeschlossene Wohnung im Sinne des Eigenheimzulagengesetzes (EigZulG) handele. Eine vom FA mehrmals (unter dem 22. April, dem 13. Mai und dem ) angekündigte Besichtigung (Nachschau) der Wohnung lehnte die Klägerin ab. Bei der äußeren Besichtigung stellte das FA fest, dass an dem Gebäude nur ein Klingelknopf vorhanden war. Eine Rücksprache mit dem Landkreis ergab, dass die Abgeschlossenheitsbescheinigung lediglich aufgrund einer eingereichten Bauzeichnung erteilt worden war und eine Nachschau nicht stattgefunden hatte. Unterlagen und Fotos, mit denen die Klägerin die Abgeschlossenheit der Wohnung gegenüber dem FA nachweisen sollte, legte sie nicht vor.

Im Oktober 1999 erließ das FA sodann einen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Bescheid und setzte die Eigenheimzulage ab 1995 auf 0 DM fest. Der Einspruch, mit dem sich die Klägerin erneut gegen eine Nachschau wehrte, blieb ohne Erfolg.

Das FG gab ihrer Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2004, 1414 veröffentlichten Urteil statt: Das FA trage die objektive Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen einer Änderung i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977. Es habe den Bescheid nicht ändern dürfen. Ihm seien bei Erteilung des Bescheids alle Umstände bekannt gewesen, die es später zum Anlass genommen habe, den Bescheid zu ändern. Die Abgeschlossenheit sei vom FA geprüft und von der Klägerin anhand der Abgeschlossenheitsbescheinigung bestätigt worden. Eine Verletzung der Mitwirkungspflicht der Klägerin sei nicht feststellbar. Die Klägerin habe die Abgeschlossenheit ihrer Wohnung auf die während des (ersten) Rechtsmittelverfahrens geäußerten Zweifel nochmals bestätigt. Eine weitere Mitwirkungspflicht habe die Klägerin nicht getroffen. Insbesondere sei sie nicht verpflichtet gewesen, einen Bediensteten des FA in ihre Wohnung herein zu lassen. Die vom FA für nötig befundenen Hilfstatsachen (z.B. Vorlage von Fotos) begründeten keine neuen Tatsachen.

Mit der Revision macht das FA die Verletzung des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 und der allgemeinen Rechtsgrundsätze der Beweislastregeln geltend. Es habe zunächst ohne weitere Ermittlungen aufgrund der Abgeschlossenheitsbescheinigung davon ausgehen können, dass ein Wohnungsabschluss vorhanden gewesen sei. Zweifel am erklärten Sachverhalt seien erst aufgekommen, nachdem bekannt geworden sei, dass der leibliche Sohn der Klägerin auch zu seinem Vater J in einem Pflegekindschaftsverhältnis gestanden habe. Denn bei Nichtverheirateten werde eine gemeinsame Personensorge nur genehmigt, wenn das Kind in den gemeinsamen Haushalt aufgenommen werde. Zweifel allein rechtfertigten zwar keine Bescheidänderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977; das FA habe aber versucht, den Sachverhalt aufzuklären. Dabei sei die Klägerin indes ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen. Sie habe weder das Betreten ihrer Räumlichkeiten gestattet noch als Alternative die angeforderten Unterlagen (z.B. Fotos) vorgelegt.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Unterstelle man die Nichtabgeschlossenheit der Wohnung, habe das FA davon bereits im Laufe des Rechtsmittelverfahrens erfahren, das dem Urteil vom vorausgegangen sei. Es hätte vor Erlass dieses Urteils den Eigenheimzulagenbescheid ändern können.

Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das FG hat die Voraussetzungen für eine Änderung des Eigenheimzulagenbescheides unzutreffend verneint und dadurch gegen § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 verstoßen.

1. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 EigZulG i.V.m. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 ist ein Bescheid über Eigenheimzulage aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Zulage führen.

a) Eine Tatsache wird nachträglich bekannt, wenn sie bei Erlass des ursprünglichen Bescheids bereits vorhanden, dem FA aber noch nicht bekannt war. Das FA darf den Bescheid jedoch nicht korrigieren, wenn ihm die Tatsache nur deshalb verborgen geblieben war, weil es seine Ermittlungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt hat. Allerdings muss der Steuerpflichtige dann seinerseits seine Mitwirkungspflicht erfüllt haben. Das FA trägt grundsätzlich die objektive Beweislast (Feststellungslast) dafür, dass ihm Tatsachen nachträglich bekannt geworden sind. Bleibt der Sachverhalt ungeklärt, darf es den Bescheid nicht ändern (ständige Rechtsprechung, vgl. , BFH/NV 2002, 1009, m.w.N.). Die Beweislast für die Verletzung der Ermittlungspflicht trägt dagegen der Steuerpflichtige (, BFHE 186, 124, BStBl II 1998, 599).

b) Eine Entscheidung nach Beweislastregeln kommt allerdings nicht in Betracht, wenn die mangelnde Sachaufklärung darauf beruht, dass der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten verletzt, die gerade dem Zweck dienen soll, solche Mängel zu vermeiden. Wirkt er nicht mit, mindert sich die Ermittlungspflicht des FA und das Beweismaß. Das FA kann sich damit begnügen, zu einem geringeren Grad als nach § 88 AO 1977 geboten davon überzeugt zu sein, dass ein bestimmter Sachverhalt vorliegt. Berühren die verletzten abgabenrechtlichen Mitwirkungspflichten Tatsachen oder Beweismittel aus dem alleinigen Verantwortungsbereich des Steuerpflichtigen, kann es aus seinem Verhalten nachteilige Schlüsse ziehen. Es kann auch einen belastenden Sachverhalt im Rahmen der Beweiswürdigung unterstellen, um zu vermeiden, dass demjenigen, der sich seinen Mitwirkungspflichten entzieht, daraus ein Vorteil entsteht. Als Kriterien für die Minderung der Sachaufklärungspflicht und des Beweismaßes sind die Schwere der Pflichtverletzung, die Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit sowie das vorausgegangene Tun des Steuerpflichtigen und insbesondere die Beweisnähe heranzuziehen. Seine Verantwortung für die Aufklärung des Sachverhalts ist umso größer und die des FA umgekehrt umso geringer, je mehr Tatsachen und Beweismittel der von ihm beherrschten Informations- und Tätigkeitssphäre angehören (, BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462).

2. Nach diesen Maßstäben konnte das FA als „Tatsache” i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 annehmen, die von der Klägerin bewohnten Räume im Dachgeschoss des gemeinsamen mit J bewohnten Anwesens seien bei Bezug nicht abgeschlossen gewesen.

Eine Wohnung kann nur dann Förderobjekt i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 EigZulG sein, wenn in einem Mehrfamilienhaus die Räume baulich gegenüber anderen Räumen abgeschlossen sind (, BFH/NV 2004, 166, m.w.N. aus der Rechtsprechung). Das FA konnte davon ausgehen, dass diese Voraussetzung nicht gegeben war.

Bei der Wohnungsabgeschlossenheit handelt es sich um Umstände aus der Wissenssphäre der Klägerin als der Bewohnerin. Ihr oblag insoweit eine gesteigerte Mitwirkungspflicht, aus deren Verletzung das FA den Schluss ziehen durfte, es habe an der räumlichen Abgeschlossenheit gefehlt. Die Auffassung des FG, die Klägerin habe sich darauf beschränken dürfen, die Abgeschlossenheit der Wohnung lediglich zu bestätigen, ist unzutreffend. Die allgemeine Mitwirkungspflicht i.S. von § 90 Abs. 1 AO 1977 ist als solche zwar vom FA nicht nach § 328 AO 1977 mit Zwangsmitteln durchsetzbar. Für die Klägerin bestand deshalb keine gesetzlich durchsetzbare Verpflichtung, die vom FA erbetenen Unterlagen (z.B. Pläne, Fotos u.ä.) vorzulegen. Auch konnte die Klägerin nach § 99 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 die vom FA vorgesehene Nachschau in ihren Wohnräumen verweigern. Das ändert aber nichts an ihrer Pflicht, gemäß § 90 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 die für die Festsetzung der Eigenheimzulage erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offen zu legen und am Recht des FA, entsprechend den unter 1. b dargelegten Grundsätzen die Verweigerung der Mitwirkung zu würdigen.

Die Grenzen der Mitwirkungspflicht ergeben sich insbesondere aus der Notwendigkeit der Sachverhaltsermittlung und der Zumutbarkeit der Mitwirkung für den Beteiligten. Die Klägerin hatte bei der Festsetzung der Eigenheimzulage die Wohnungsabgeschlossenheit nicht hinreichend nachgewiesen. Diese ergab sich auch nicht aus der Abgeschlossenheitsbescheinigung, da diese, wie sich später herausstellte, lediglich aufgrund einer Bauzeichnung ohne Nachschau erteilt worden war und sich aus einer Abgeschlossenheitsbescheinigung der Baubehörde nach dem Wohnungseigentumsgesetz nicht unbedingt die nach dem Eigenheimzulagengesetz geforderte Wohnungsabgeschlossenheit ergibt. Zur Prüfung, ob die Wohnung der Klägerin die erforderliche Abgeschlossenheit aufwies, war deshalb eine weitere Sachaufklärung erforderlich. Es sind keine Gründe ersichtlich, aus denen die vom FA verlangte Mitwirkung an dieser Aufklärung für die Klägerin unzumutbar gewesen wäre. Wenn sie —aus welchen Gründen auch immer— eine Nachschau in ihren Räumen nicht dulden wollte, so hatte sie ohne weiteres die vom FA erbetenen Unterlagen, aus denen die Abgeschlossenheit hätte ersehen werden können (z.B. Fotos), einreichen können.

3. Die vom FA angenommene Tatsache der Unabgeschlossenheit der Wohnung ist ihm auch erst nachträglich bekannt geworden. Dem angefochtenen Änderungsbescheid steht auch nicht das der Klage stattgebende entgegen.

Nach § 110 Abs. 2 FGO können nach rechtskräftigem Abschluss des gerichtlichen Verfahrens Verwaltungsakte nach den Vorschriften der AO 1977 korrigiert werden, soweit sich aus der Bindungswirkung des Urteils gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 FGO nichts anderes ergibt. Für die Änderungsmöglichkeit wegen nachträglich bekannt gewordener Tatsachen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 ist nach der Rechtsprechung darauf abzustellen, ob die Tatsachen oder Beweismittel dem FA nach Schluss der mündlichen Verhandlung bekannt geworden sind. Tatsachen, die dem FA zwar nach der Steuerfestsetzung oder der Einspruchsentscheidung, jedoch vor Schluss der mündlichen Verhandlung bekannt geworden sind, können nicht Gegenstand einer Änderung oder Aufhebung nach § 173 AO 1977 sein. Das FA ist vielmehr gehalten, diese Tatsachen entweder in das Verfahren einzubringen oder durch einen Änderungsbescheid während des gerichtlichen Verfahrens zu berücksichtigen (, BFH/NV 1990, 650; vgl. auch Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 110 FGO Tz. 28, m.w.N.; von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Vor §§ 172-177 AO Rz. 101).

Im Streitfall greift diese Änderungssperre nicht ein. Dem FA waren während des Verfahrens gegen den ursprünglichen Bescheid lediglich Zweifel hinsichtlich der Abgeschlossenheit der Wohnung der Klägerin gekommen, die es auch nicht anhand des äußeren Erscheinungsbildes eines Einfamilienhauses verifizieren konnte und die es allein nicht rechtfertigten, den Bescheid aufzuheben. Die —unter Berücksichtigung der geminderten Sachaufklärungspflicht und des reduzierten Beweismaßes— hinreichend sichere Überzeugung von der fehlenden Abgeschlossenheit konnte das FA frühestens zu dem Zeitpunkt gewinnen, als die Klägerin die angekündigte Besichtigung ihrer Wohnung mit Bestimmtheit abgelehnt hatte. Da dies nach den Feststellungen des FG erst im Mai/Juni des Jahres 1998 und damit nach Beendigung des Klageverfahrens geschah, konnte das FA von der Nichtabgeschlossenheit der Räumlichkeiten ausgehen, so dass ihm diese eine Bescheidaufhebung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 rechtfertigende Tatsache erst nachträglich nach Abschluss der finanzgerichtlichen Klage bekannt geworden ist.

4. Weil das angefochtene Urteil diesen Grundsätzen nicht entspricht, ist es aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Da die auch nach den Feststellungen des FG in der mündlichen Verhandlung nicht in Abrede zu stellende Unabgeschlossenheit der von der Klägerin bewohnten Räumlichkeiten erst nachträglich i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 bekannt geworden ist, durfte das FA den Bescheid über die Eigenheimzulage aufheben. Die hiergegen gerichtete Klage der Klägerin ist abzuweisen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 1765 Nr. 10
HFR 2006 S. 1 Nr. 1
StBp. 2005 S. 371 Nr. 12
KAAAB-58955