Online-Nachricht - Freitag, 14.05.2021

Umsatzsteuer | Vorsteuerabzug und unentgeltliche Zuwendung (BFH)

Bezieht ein Unternehmer eine Leistung, um diese an einen Dritten unentgeltlich weiter zu liefern und zugleich die eigene unternehmerische Tätigkeit zu ermöglichen, steht ihm der Vorsteuerabzug zu, wenn die bezogene Eingangsleistung nicht über das hinausgeht, was erforderlich/unerlässlich war, um diesen Zweck zu erfüllen, und die Kosten der Eingangsleistung (kalkulatorisch) im Preis der getätigten Ausgangsumsätze enthalten sind und der Vorteil des Dritten (hier: der Allgemeinheit) allenfalls nebensächlich ist. Insoweit reicht eine "mittelbare" Veranlassung für den Vorsteuerabzug aus (Änderung der Rechtsprechung: ; veröffentlicht am ).

Sachverhalt und Verfahrensgang: Dem klagenden Unternehmen, einer GmbH, war die Genehmigung zum Betrieb eines Steinbruchs unter der Auflage erteilt worden, eine für den Abtransport des gewonnenen Kalksandsteins zu nutzende öffentliche Gemeindestraße auszubauen. Die Stadt war Eigentümerin der Straße. Aus den für den Ausbau von anderen Unternehmern bezogenen Bauleistungen machte die GmbH den Vorsteuerabzug geltend.

Das Finanzamt vertrat die Auffassung, dass die Klägerin mit dem Ausbau der Straße eine umsatzsteuerpflichtige unentgeltliche Werklieferung (§ 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG) an die Stadt erbracht habe. Das Finanzgericht gab der dagegen erhobenen Klage teilweise statt. Es entschied, dass die Voraussetzungen für eine Besteuerung der Ausbaumaßnahme an der Gemeindestraße nicht vorlägen. Allerdings seien die Vorsteuerbeträge für die im unmittelbaren Zusammenhang mit der Ausbaumaßnahme angefallenen Eingangsumsätze nicht zu berücksichtigen.

Dieser Auffassung des FG ist - wie der BFH im Vorlagebeschluss zum Ausdruck bringt - nach Maßgabe nationalen Umsatzsteuerrechts zu folgen: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf den Vorsteuerabzug, da die Eingangsleistungen in der Absicht bezogen wurden, sie für eine nichtwirtschaftliche Tätigkeit (unentgeltliche Lieferung an die Stadt) zu verwenden. Allerdings könnte das Unionsrecht eine abweichende Lösung nahelegen.

In diesem Zusammenhang hat der BFH dem EuGH u.a. die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Steht unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in dem eine Steuerpflichtige im Auftrag einer Stadt Baumaßnahmen an einer Gemeindestraße vornimmt, dieser Steuerpflichtigen, die Leistungen zur Errichtung der auf die Gemeinde übertragenen Straße von anderen Steuerpflichtigen bezogen hat, hierfür gemäß Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern der Vorsteuerabzug zu?

Im Anschluss an das , "Mitteldeutsche Hartstein-Industrie" führen die Richter des BFH nunmehr aus:

  • Bezieht ein Unternehmer eine Leistung, um diese an einen Dritten unentgeltlich weiter zu liefern und zugleich die eigene unternehmerische Tätigkeit zu ermöglichen, steht ihm der Vorsteuerabzug zu, wenn die bezogene Eingangseistung nicht über das hinausgeht, was erforderlich/unerlässlich war, um diesen Zweck zu erfüllen, und die Kosten der Eingangsleistung (kalkulatorisch) im Preis der getätigten Ausgangsumsätze enthalten sind und der Vorteil des Dritten (hier: der Allgemeinheit) allenfalls nebensächlich ist. Insoweit reicht eine "mittelbare" Veranlassung für den Vorsteuerabzug aus (Änderung der Rechtsprechung).

  • § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG ist unionsrechtskonform dahingehend einschränkend auszulegen, dass eine Besteuerung der unentgeltlichen Wertabgabe nicht erfolgt, wenn kein unversteuerter Endverbrauch droht.

Anmerkung von Prof. Dr. Alois Nacke, Richter im XI. Senat des BFH:

Die Klägerin hat doppelten Erfolg erzielt. Einerseits wurde der Vorsteuerabzug gewährt und andererseits war die unentgeltliche Zuwendung nicht steuerbar. Die Entscheidung des BFH ist aber auch für die Praxis allgemein von besonderer Bedeutung. Sie betrifft einerseits Eingangsleistungen eines Unternehmers die unmittelbar zu unentgeltlichen Zuwendungen an Dritte - hier der Allgemeinheit - führen. Andererseits geht es um die Frage, ob diese Zuwendung nach § 3 Abs. 1b Nr. 3 UStG (unentgeltliche Lieferung von Gegenständen) oder § 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG (unentgeltliche Erbringung sonstiger Leistungen) steuerbar ist.

Die neuere Rechtsprechung des EuGH in der Vorlageentscheidung, die der Entscheidung zugrunde lag, und auch der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Vos Aannemingen BVBA haben zur Prüfung neuer Umstände geführt. Danach ist insbesondere die Rechtsprechung des BFH obsolet, wonach mittelbare Zwecke, die mit den Eingangsumsätzen verfolgt werden, für den Vorsteuerabzug nachteilig sind. Der EuGH hat in der Vorlageentscheidung klargestellt, dass auch mittelbare Zwecke, wenn die Eingangsumsätze für die wirtschaftliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen unerlässlich sind und als Kostenelemente der steuerpflichtigen Ausgangsumsätze anzusehen sind, verfolgt werden können, um den Vorsteuerabzug zu erlangen. Dies hatte der BFH bisher anders gesehen.

Ebenso kommt es in diesen Fällen nicht zu steuerbaren unentgeltlichen Zuwendungen, wenn diese "vor allem" dem Unternehmenszweck dienen bzw. als Zuwendung an Dritte nur nebensächlichen Charakter haben. Auch insoweit ist zu beachten, dass bisherige Rechtsprechung des BFH veraltet ist.

In der Praxis wird man zu prüfen haben – und die Prüfungspunkte hat der BFH zum Ende der Entscheidung benannt -, ob nicht Aufwendungen, die gleichzeitig auch unentgeltliche Zuwendungen an Dritte darstellen können, zum Vorsteuerabzug berechtigen und auf der Ausgangsseite keine Steuerpflicht hervorrufen. Zwar liegt es auf der Hand, dass nunmehr in vielen Fällen der Übernahme von Erschließungsmaßnahmen ein Vorsteuerabzug in Betracht kommen kann. Dies ist dann naheliegend, wenn die wirtschaftlichen Eigeninteressen die Interessen des Dritten, der ebenfalls einen Vorteil daraus u.U. zieht, bei weitem überlagern. Die Gefahr eines unversteuerten Endverbrauchs entfällt, wenn die Aufwendungen Kostenelemente der Ausgangsumsätze sind.

Quelle: ; NWB Datenbank (il)

Fundstelle(n):
NWB QAAAH-78576