Instanzenzug: LG Bochum v. - 4 O 217/18 I-20 U 96/19
Gründe
1 I. Die Kläger erstreben die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist.
2 Das Urteil des Landgerichts, mit dem ihre Klage abgewiesen worden war, ist ihrem Prozessbevollmächtigten am zugestellt worden. Dagegen haben sie mit Schriftsatz vom , adressiert an das Landgericht und dort eingegangen per Telefax am , Berufung eingelegt. Am hat die Geschäftsstellenbeamtin die Vorlage der Akte an den zuständigen Richter verfügt. Die Berufungsschrift ist mit Schreiben des an das Oberlandesgericht weitergeleitet worden und dort am eingegangen.
3 Nachdem das Berufungsgericht mit Verfügung vom auf das Eingangsdatum der Berufungsschrift hingewiesen hatte, haben die Kläger mit einem am eingegangenen Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Fristen zur Berufungseinlegung und -begründung beantragt und dazu unter anderem in einem Schriftsatz vom weiter vorgetragen.
4 Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags haben die Kläger geltend gemacht, dass sich das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der fehlerhaften Einreichung nicht ausgewirkt habe, weil der Schriftsatz bei einer ordnungsgemäßen Weiterleitung durch das Landgericht im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs noch vor Fristablauf beim Oberlandesgericht eingegangen wäre.
5 Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Klägervertreter die falsche Einlegung der Berufung schuldhaft und den Klägern gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbar verursacht habe. Diese sei kausal für den verspäteten Eingang beim Oberlandesgericht gewesen. Dass die Berufung bereits am beim Landgericht eingegangen sei, stehe dem nicht entgegen. Es sei nicht als außerhalb des ordentlichen Geschäftsgangs liegend zu beanstanden, dass der nicht als "Eilt"/"unverzüglich zu bearbeiten" gekennzeichnete Berufungsschriftsatz von der Geschäftsstellenmitarbeiterin erst am bearbeitet worden sei. Von ihr sei nur zu erwarten gewesen, dass sie den Eingang mit Akte dem zuständigen Richter über den Aktenbock - nicht von Hand zu Hand - vorgelegt habe. Dies zugunsten der Kläger unterstellt, wäre die Sache am Freitag, den , frühestens vom Richter zu bearbeiten gewesen. Dieser hätte im ordnungsgemäßen Geschäftsgang frühestens an diesem Tage verfügen müssen, dass die Berufungsschrift an das Oberlandesgericht weitergeleitet werde. Hätte er dies tatsächlich am Freitag verfügt, wäre die Akte der Geschäftsstellenmitarbeiterin mit dieser Verfügung erst am Montag, den , vorgelegt worden. Diese hätte die Weiterleitung frühestens an diesem Tag veranlassen müssen. Ein Zugang der Berufung beim Oberlandesgericht wäre damit frühestens am Dienstag, den , also nach Fristablauf möglich gewesen.
6 Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Kläger.
7 II. Die Rechtsbeschwerde ist zwar nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist aber nicht zulässig, da es an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Die Ablehnung der Wiedereinsetzung verletzt nicht den Anspruch der Kläger auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG).
8 1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Einreichung der Berufungsschrift beim hierfür unzuständigen Landgericht (§ 519 Abs. 1 ZPO) und die dadurch bedingte Versäumung der Berufungsfrist auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Kläger beruhen, welches diesen gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist. Dies zieht auch die Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel.
9 2. Im Ergebnis zu Recht hat das Berufungsgericht darüber hinaus die Kausalität dieses Verschuldens für die eingetretene Fristversäumung bejaht.
10 a) Zwar wirkt sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein etwaiges Verschulden der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten dann nicht auf die Fristversäumung aus, wenn die fristgerechte Weiterleitung eines bei einem unzuständigen Gericht eingereichten fristgebundenen Schriftsatzes an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann. Geht der Schriftsatz gleichwohl nicht fristgerecht beim Rechtsmittelgericht ein, muss Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unabhängig davon gewährt werden, auf welchen Gründen die fehlerhafte Einreichung beruht (Senatsbeschlüsse vom - IV ZB 18/17, juris Rn. 11; vom - IV ZB 2/12, NJW-RR 2012, 1461 Rn. 13; , NJW-RR 2016, 1340 Rn. 12; jeweils m.w.N.). Die eine Wiedereinsetzung begehrende Partei hat aber darzulegen und glaubhaft zu machen, dass es möglich und damit zu erwarten gewesen wäre, dass ihr Schriftsatz im normalen ordnungsgemäßen Geschäftsgang fristgerecht an das zuständige Rechtsmittelgericht weitergeleitet worden wäre (vgl. BGH, Beschlüsse vom - VI ZB 37/16, VersR 2018, 316 Rn. 5; vom - IX ZB 251/11, NJW 2013, 236 Rn. 9; jeweils m.w.N.).
11 b) So liegt es hier nicht. Die Erwartung, dass die am beim Landgericht eingegangene Berufungsschrift bei einer Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang noch bis zum Fristablauf am Montag, den , das Berufungsgericht erreichen werde, war im Streitfall nicht gerechtfertigt.
12 Das Landgericht war nicht verpflichtet, bei der Weiterleitung des Schriftsatzes Maßnahmen zur besonderen Beschleunigung zu ergreifen. Andernfalls würde den Parteien und ihren Prozessbevollmächtigten die Verantwortung für die Einhaltung der Formalien abgenommen und den unzuständigen Gerichten übertragen. Damit würden die Anforderungen an die aus dem Anspruch auf ein faires Verfahren abgeleitete richterliche Fürsorgepflicht überspannt werden (, NJW-RR 2009, 408 Rn. 8 m.w.N.). Ein unzuständiges Gericht ist nur verpflichtet, bei ihm eingereichte fristgebundene Schriftsätze für ein Rechtsmittelverfahren im ordentlichen Geschäftsgang an das zuständige Rechtsmittelgericht weiterzuleiten (Senatsbeschlüsse vom - IV ZB 18/17, juris Rn.13; vom - IV ZB 2/12, NJW-RR 2012, 1461 Rn. 13 m.w.N.).
13 Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ergibt sich eine weitergehende Pflicht zur beschleunigten Bearbeitung und Weiterleitung des eingegangenen Schriftsatzes im Streitfall auch nicht daraus, dass die Berufungsschrift per Telefax und unter Beifügung des angefochtenen Urteils eingereicht worden ist. Der Schriftsatz war nicht als besonders eilbedürftig gekennzeichnet. Es kann deshalb weiter offenbleiben, ob insbesondere die Postannahmestelle sowie die Geschäftsstelle der Kammer beim Landgericht bei einer solchen besonderen Kennzeichnung zu einer beschleunigten Weiterleitung bzw. Vorlage an den Richter gehalten wären (vgl. , NJW-RR 2009, 408 Rn. 8).
14 c) Maßgeblich ist somit allein, ob mit einem rechtzeitigen Eingang der Berufungsschrift beim Berufungsgericht im Rahmen eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs gerechnet werden konnte. Das ist nach den aus Rechtsgründen nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts nicht der Fall.
15 aa) Das Berufungsgericht geht in nicht zu beanstandender Weise davon aus, dass eine Bearbeitung durch die Geschäftsstelle noch nicht am Tag der Übermittlung der Berufungsschrift an das Landgericht am zu erwarten war. Im Rahmen eines ordentlichen Geschäftsgangs ist mit dem Eingang eines Schriftsatzes auf der Geschäftsstelle der zuständigen Kammer unter Umständen erst am Tage nach dem Eingang bei der zentralen Einlaufstelle des Gerichts zu rechnen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - VI ZB 49/16, NJW-RR 2018, 56 Rn. 15; vom - XII ZB 394/12, FamRZ 2013, 1384 Rn. 23). Die Kläger haben nicht dargelegt, dass die Berufungsschrift hier direkt an einen Faxanschluss der zuständigen Geschäftsstelle gesendet worden sei.
16 bb) Für die weitere Bearbeitung des Eingangs ist entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde nicht zu unterstellen, dass die Geschäftsstellenbeamtin die Berufungsschrift unmittelbar an das Berufungsgericht weitergeleitet hätte. Nach den im angefochtenen Beschluss getroffenen Feststellungen hat sie vielmehr die Vorlage an den zuständigen Richter verfügt.
17 cc) Dabei kann offenbleiben, ob nur eine Verfügung der Vorlage bereits am Tag nach der Übersendung des Faxschreibens einem ordentlichen Geschäftsgang entsprochen hätte oder ob dies auch bei einer einen Tag später erfolgten Bearbeitung durch die Geschäftsstelle noch der Fall gewesen wäre, wie sie hier am erfolgt ist. Denn unabhängig davon hätte hier nicht auf einen fristgerechten Eingang der Berufungsschrift beim Berufungsgericht vertraut werden können.
18 (1) Eine Bearbeitung durch die Geschäftsstelle bereits am unterstellt, wäre im Rahmen eines ordentlichen Geschäftsganges anzunehmen gewesen, dass die Akte dem zuständigen Richter an dem auf die Verfügung der Geschäftsstelle folgenden Werktag vorgelegt wird (vgl. , juris Rn. 14). Die Bearbeitung der richterlichen Verfügung durch die Geschäftsstelle wäre wiederum erst am darauf folgenden Tag, d.h. Freitag, den , zu erwarten gewesen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - VI ZB 49/16, NJW-RR 2018, 56 Rn. 15; vom aaO).
19 (2) Es ist nicht dargelegt und auch sonst nicht ersichtlich, dass unter diesen Umständen von einem Eingang beim Berufungsgericht am Montag, den , hätte ausgegangen werden können. Entgegen der Annahme der Rechtsbeschwerde besteht unabhängig davon, ob bei den beteiligten Gerichten neben der Papierakte auch eine elektronische Akte geführt wird, kein Anhaltspunkt dafür, dass sie sich des elektronischen Rechtsverkehrs bedienten, um die Berufungsschrift vom Landgericht zum Berufungsgericht weiterzuleiten.
20 Ein fristgerechter Eingang beim Berufungsgericht hätte daher zunächst vorausgesetzt, dass nicht nur die Geschäftsstelle am das Schreiben zur Weiterleitung der Akte an das Berufungsgericht abgesetzt hätte, sondern die Akte auch noch an diesem Tag von der Geschäftsstelle zur Postausgangsstelle des Landgerichts weitergereicht sowie dort bearbeitet und in den Aktentransport gebracht worden wäre. Schon diese Bearbeitungszeit kann hier als Teil des ordentlichen Geschäftsgangs nicht festgestellt werden. Zudem hätte dann auch der Aktentransport vom Landgericht in Bochum zum Oberlandesgericht in Hamm bis zum Montag erfolgen müssen. Auch dafür ist nichts ersichtlich. Nach den getroffenen Feststellungen ging die später mit Schreiben der Geschäftsstelle vom Freitag, den , versandte Akte erst sechs Tage später am darauffolgenden Donnerstag, den , beim Berufungsgericht ein. Die Kläger haben nicht dargelegt, dass nur eine kürzere Aktentransportzeit dem ordnungsgemäßen Geschäftsgang entsprochen hätte. In ihrem Schriftsatz vom sind sie davon ausgegangen, dass die normale Postlaufzeit maximal drei Tage betrage - was hier ebenfalls nicht mehr zu einem rechtzeitigen Eingang geführt hätte -, ohne auf die Besonderheit des Aktentransports einzugehen. Eine Trennung der Rechtsmittelschrift von der Akte und deren Versendung per Briefpost konnten die Kläger aber nicht erwarten (vgl. , FamRZ 2013, 436 Rn. 12). Auch das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass ein schnellerer Transport dem ordentlichen Geschäftsgang entsprochen hätte.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:060520BIVZB18.19.0
Fundstelle(n):
NWB-Eilnachricht Nr. 26/2020 S. 1909
BAAAH-51432