1. Der behandelnde Arzt hat mit dem rechtlichen Betreuer eines nicht mehr äußerungs- und einwilligungsfähigen Patienten eine ärztliche Maßnahme - hier: Fortsetzung der PEG-Sondenernährung im Stadium finaler Demenz, oder deren Einstellung mit der Folge des alsbaldigen Todes des Patienten - dann besonders gründlich zu erörtern, wenn die medizinische Indikation für die Maßnahme unklar oder zweifelhaft ist.
2. Ein Verstoß des Arztes gegen die Erörterungspflicht stellt bei unklarer oder zweifelhafter Indikation keinen Behandlungsfehler dar, sondern eine Verletzung der Pflicht zur Eingriffsaufklärung als Voraussetzung einer wirksamen Einwilligung des Betreuers in die ärztliche Maßnahme.
3. Der Arzt trägt grundsätzlich die Beweislast dafür, ob sich der Betreuer im Fall einer ordnungsgemäßen Erörterung für oder gegen die ärztliche Maßnahme entschieden hätte.
4. Der Grundsatz „in dubio pro vita“ (im Zweifel für das Leben) kann nur dann eingreifen, wenn eine ärztliche Maßnahme, für die eine Einwilligung des Patienten oder seines gesetzlichen Vertreters nicht oder nicht rechtzeitig eingeholt werden kann, medizinisch indiziert ist, nicht aber dann, wenn bereits die Indikation zweifelhaft ist oder gänzlich fehlt.
5. Die aus der Verletzung der Erörterungspflicht resultierende Lebensverlängerung eines Patienten kann einen Schaden im Rechtssinn darstellen (Abgrenzung von , „Röteln“-Fall).
6. Die Ersatzpflicht des Arztes für eine Körper oder Gesundheitsverletzung umfasst bei Verletzung der vertraglichen Erörterungspflicht den immateriellen Schaden. Die Verletzung des Integritätsinteresses eines Patienten, dem über einen längeren Zeitraum ohne wirksame Einwilligung mittels einer Magensonde Nahrung und Flüssigkeit verabreicht wird, rechtfertigt für sich betrachtet bereits ein Schmerzensgeld. Gesundheitliche Beeinträchtigungen und Komplikationen wirken mit Blick auf Art. 1 GG auch dann anspruchserhöhend, wenn die Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit eines Demenzpatienten infolge der degenerativen Gehirnerkrankung eingeschränkt ist.
7. Wäre der Patient bei pflichtgemäßem Verhalten des Arztes früher gestorben, besteht sein materieller Schaden in der Differenz zwischen dem Wert des Vermögens im Zeitpunkt des hypothetischen Versterbens und dem Vermögen bei tatsächlichem Eintritt des Todes.8. Einer aus einer schuldhaften Pflichtverletzung möglicherweise resultierende Lebens- und Leidensverlängerung des Patienten rechtfertigt die Festsetzung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 40.000 EUR.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
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