BFH Beschluss v. - VI B 61/15

Voraussetzungen eines eigenen Hausstandes außerhalb des Beschäftigungsorts geklärt

Leitsatz

1. Es ist in der Rechtsprechung des BFH hinreichend geklärt, unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitnehmer außerhalb seines Beschäftigungsortes einen eigenen Hausstand unterhält.

2. Hiernach ist anhand einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls festzustellen, ob die außerhalb des Beschäftigungsortes belegene Wohnung des Arbeitnehmers als Mittelpunkt seiner Lebensinteressen anzusehen ist und deshalb seinen Hausstand darstellt. Das gilt auch dann, wenn beiderseits berufstätige Ehegatten während der Woche am Beschäftigungsort zusammenleben.

Gesetze: EStG § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5, FGO § 76 Abs. 2, FGO § 96 Abs. 1 Satz 1, FGO § 96 Abs. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, GG Art. 103 Abs. 1

Instanzenzug:

Gründe

1 Die Beschwerde ist —bei erheblichen Bedenken gegen ihre Zulässigkeit— jedenfalls unbegründet und daher zurückzuweisen.

2 1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—) zuzulassen. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Dabei muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig und in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig sein (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsbeschluss vom VI B 120/11, BFH/NV 2012, 1438, m.w.N.).

3 a) Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) haben mit ihrer Beschwerde keine grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage aufgeworfen.

4 Die Kläger halten die Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam, ob ein Hausstand i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr (2011) geltenden Fassung nur vorliegt, „wenn das Leben am Wochenende hauptsächlich in der Wohnung stattfindet und dabei ordentlich elektrische Energie verbraucht wird“. Grundsätzlich bedeutsam sei auch die Frage, „ob die Pflege von Sozialkontakten außer Haus nur als Erholungsaktivitäten abgetan werden kann“.

5 b) Diesen Fragen kommt keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu. Denn es ist durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) hinreichend geklärt, unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitnehmer außerhalb seines Beschäftigungsortes einen eigenen Hausstand unterhält. Hiernach ist anhand einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls festzustellen, ob die außerhalb des Beschäftigungsortes belegene Wohnung des Arbeitnehmers als Mittelpunkt seiner Lebensinteressen anzusehen ist und deshalb seinen Hausstand darstellt. Das gilt auch dann, wenn beiderseits berufstätige Ehegatten während der Woche am Beschäftigungsort zusammenleben. Dieser Umstand allein rechtfertigt es nicht, dort den Lebensmittelpunkt des Steuerpflichtigen und seiner (Haupt-)Bezugsperson zu verorten. In der Regel verlagert sich indes der Mittelpunkt der Lebensinteressen eines Arbeitnehmers an den Beschäftigungsort, wenn er dort mit seinem Ehegatten in eine familiengerechte Wohnung einzieht, auch wenn die frühere Wohnung beibehalten und zeitweise noch genutzt wird (Senatsurteil vom VI R 16/14, BFHE 247, 406, BStBl II 2015, 511; Senatsbeschlüsse vom VI B 80/14, BFH/NV 2015, 675, und vom VI B 58/11, BFH/NV 2012, 233, m.w.N.). Neue Gesichtspunkte, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH erforderlich machen, haben die Kläger nicht aufgezeigt.

6 Das Finanzgericht (FG) ist von den vorgenannten Grundsätzen ausgegangen. Es hat nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung eine Einzelfallwürdigung vorgenommen. Dabei ist es zu dem Ergebnis gelangt, dass sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen der Klägerin im Streitjahr nicht in Y, sondern in X, ihrem Beschäftigungsort, befunden habe.

7 c) Soweit die Kläger (sinngemäß) rügen, das FG habe die Gesamtwürdigung rechtsfehlerhaft vorgenommen, kann diese Rüge nicht zur Zulassung der Revision führen. Denn die Rüge der falschen Rechtsanwendung und tatsächlichen Würdigung des Streitfalls durch das FG rechtfertigt die Zulassung der Revision grundsätzlich nicht (, BFH/NV 2012, 1461). Dass das FG in seinem Urteil einen Fehler von erheblichem Gewicht im Sinne einer willkürlichen oder greifbar gesetzwidrigen Entscheidung gemacht hat, wird nicht vorgetragen und ist auch nicht ersichtlich.

8 Das FG hat die von ihm vorgenommene Einzelfallwürdigung im Übrigen nicht —wie die Kläger behaupten— auf die Frage des Stromverbrauchs in den Wohnungen in X und Y beschränkt. Es hat den Stromverbrauch lediglich als einen Gesichtspunkt im Rahmen seiner Gesamtwürdigung herangezogen, um festzustellen, an welchem Ort das wesentliche hauswirtschaftliche Leben der Kläger stattfand.

9 2. Die geltend gemachten Verfahrensmängel nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO liegen nicht vor.

10 a) Der behauptete Verstoß gegen den wesentlichen Inhalt der Akten ist nach der Rechtsprechung des BFH als solcher kein Verfahrensmangel (, BFH/NV 2007, 1921). Er kann aber als Rüge verstanden werden, dass das FG entgegen § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO nicht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entschieden hat (, BFH/NV 2014, 1213, m.w.N.).

11 Die Rüge eines derartigen Verfahrensverstoßes setzt die Darlegung voraus, dass das FG seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt habe, der dem schriftlichen oder protokollierten Vorbringen der Beteiligten nicht entspreche oder eine nach den Akten klar feststehende Tatsache unberücksichtigt gelassen habe (z.B. , BFH/NV 2012, 1631).

12 Im Streitfall hat das FG entgegen der Auffassung der Kläger deren Bekundungen im Rahmen der Beteiligtenvernehmung zur Kenntnis genommen und bei seiner Gesamtwürdigung berücksichtigt. Der Umstand, dass das FG aus den Bekundungen der Kläger nicht die von ihnen für richtig gehaltenen Schlüsse gezogen hat, stellt keinen Verfahrensfehler dar.

13 b) Das FG hat auch nicht seine Hinweispflicht (§ 76 Abs. 2 FGO) verletzt.

14 Bei den richterlichen Hinweispflichten nach § 76 Abs. 2 FGO geht es weniger um die Sachaufklärung durch das Gericht als darum, Schutz und Hilfestellung für die Beteiligten zu geben, ohne dass deren Eigenverantwortlichkeit dadurch aber eingeschränkt oder beseitigt wird (Senatsbeschluss vom VI B 49/15, BFH/NV 2016, 38, m.w.N.).

15 Die Kläger sehen eine Verletzung der Hinweispflicht darin, dass das FG vor der mündlichen Verhandlung am nicht auf die Entscheidungserheblichkeit der Frage des Stromverbrauchs hingewiesen habe. Dieser Einwand der Kläger greift in der Sache schon deshalb nicht durch, weil das FG die Kläger ausweislich des Sitzungsprotokolls bereits in der mündlichen Verhandlung vom darauf hingewiesen hatte, dass sie die (objektive) Beweislast für die geltend gemachte doppelte Haushaltsführung trügen, und beim Kläger nachgefragt hatte, ob er etwaige Beweismittel, z.B. Verbrauchsabrechnungen, vorlegen könne. Mit Schreiben vom bat das FG die Kläger außerdem darum, Unterlagen und Beweismittel vorzulegen, die ihre Behauptung, der Lebensmittelpunkt befinde sich in Y, bestätigen könnten. Bei dieser Sachlage brauchte das FG die Kläger nicht darauf hinweisen, dass es die von den Klägern selbst vorgelegten Stromrechnungen im Rahmen seiner Gesamtwürdigung maßgeblich berücksichtigen werde. Lediglich ergänzend weist der Senat in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sich aus der von den Klägern vorgelegten —und vom FG in Bezug genommenen— Stromrechnung vom entgegen dem Vorbringen der Kläger auch der Stromverbrauch der Wohnung in Y für das Streitjahr entnehmen ließ.

16 Im Übrigen verpflichten weder § 76 Abs. 2 FGO noch das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO), das Gericht die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten umfassend zu erörtern und ihnen die einzelnen für die Entscheidung maßgebenden Gesichtspunkte im Voraus anzudeuten oder das Ergebnis einer Gesamtwürdigung einzelner Umstände offenzulegen (Senatsbeschluss vom VI B 100/00, BFH/NV 2000, 1235).

17 3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.

18 4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2016 S. 747 Nr. 5
LAAAF-69010